Zarische Truppen, Krasnaja Poljana, 21.5.1864

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Freitag, 6. September 2013

Offener Brief an den Spiegel - Angst vor einer Debatte?



Sehr geehrter Herr Ditz,

Ich bin Historikerin und Ethnologin und setze mich schon seit vielen Jahren mit der Geschichte des Nordkaukasus auseinander. Ich habe heute zum Spiegel-Interview mit Swetlana Gannuschkina unter http://www.spiegel.de/politik/ausland/tschetscheniens-machthaber-kadyrow-sein-regime-ist-grausam-a-920274.html mehrere Kommentare getätigt, die auch alle der Reihe nach und pünktlich erschienen - bis auf einen. Bei diesem einen Kommentar handelte es sich um einen Hinweis darauf, daß es nicht nur im Ostkaukasus zu Repressionen kommt, sondern auch im Westkaukasus, sowie daß letzteres einer westeuropäischen Öffentlichkeit leider noch weniger bekannt ist als die problematische Lage im Ostkaukasus. Ich habe hierbei auch auf meinen blog unter http://sochi2014-nachgefragt.blogspot.com/ verlinkt, der es sich zum Ziel gesetzt hat, auf Defizite in der öffentlichen Diskussion zu Sochi 2014 und der hiermit in Verbindung stehenden tscherkessischen Thematik hinzuweisen. Nachdem ich meinen Kommentar vergeblich auf Ihrer Seite gesucht hatte, habe ich zu Ihren Gunsten angenommen, daß u.U. auch ein technisches Problem die Ursache sein könnte. Ich habe ihn darum sinngemäß wiederholt und mit Hinweis auf mögliche technische Probleme höflich darum gebeten, nun diesen zweiten, aus dem Gedächtnis erneut geschriebenen Kommentar freizuschalten. Auch er ist jedoch nicht erschienen. Wenige Minuten nach Absenden dieses Kommentars wurde die Kommentarfunktion zum Artikel geschlossen.

Leider erlebe ich es immer wieder, daß Kommentare und Beiträge, die auf die unaufgearbeitete koloniale Vergangenheit des Westkaukasus und das weitgehende Schweigen einer westlichen Öffentlichkeit hierzu hinweisen, auf Online-Foren nicht freigeschaltet werden. Das mag u.a. auch der Unwissenheit der Moderatoren geschuldet sein, die hier geneigt sein mögen, von „unbelegten Tatsachenbehauptungen“ auszugehen. Entsprechende Informationen zur kolonialen Vergangenheit des Westkaukasus und den sich daraus ergebenden Implikationen für die Olympischen Spiele in Sochi 2914 sind jedoch frei im Netz verfügbar und für jedermann einsehbar. Ich selbst stehe auch jederzeit für Rückfragen, Kontaktadressen für Interviewpartner etc., Literaturhinweise und  Quellenbelege zur Verfügung. Im konkreten Fall möchte ich auch noch darauf hinweisen, daß Ost- und Westkaukasus eine historische Einheit bilden und auch heute sich die jeweiligen politischen Verhältnisse in West- und Ostkaukasus wechselseitig beeinflussen. Hier ist also nicht von voneinander unabhängigen Themenblöcken auszugehen, mein Kommentar war durchaus eng mit dem Interview-Thema verbunden.

Gerne auch überlasse ich einer professionellen journalistischen Berichterstattung zum Thema Tscherkessen im Westkaukasus und den politischen Hintergründen der Winterspiele in Sochi das Feld und verzichte dann auch darauf, auf hausgemachte blogs zu verweisen. Allein im gesamten Spiegelarchiv findet sich zu dem Thema Sochi 2014 nicht auch nur ein einziger Artikel, der Tscherkessen und tscherkessische Interessen erwähnen würde (siehe http://www.spiegel.de/suche/index.html?suchbegriff=tscherkessen). Es darf nicht sein, daß die Nichtbehandlung des Themas in den westlichen Medien auf zirkuläre Weise dazu führt, daß selbst entsprechende Hinweise in der Kommentarleiste als „nicht belegt“ oder aus anderen, nicht ausgeführten Gründen, nicht freigeschaltet werden. Die deutsche Öffentlichkeit hat ein Recht darauf, ausgewogen über Vorgänge im Ost- wie auch im Westkaukasus informiert zu werden und Zugang zu unterschiedlichen Perspektiven, einschließlich derer ethnischer Minderheiten, zu erhalten. Ich darf Sie deshalb um eine Stellungnahme bitten – zum Nichterscheinen meines Kommentars ebenso wie zur allgemeinen Nichtbehandlung dieses sensiblen Themas in Ihrem Medium.

Von meinem letzten Kommentar wie auch von der Rückmeldung der Webseite, daß mein Kommentar gespeichert und zur Freigabe an die Redaktion weitergeleitet wurde, habe ich Screenshots angefertigt. Sollte die Kommentarfunktion aus anderen, von mir unabhängigen Gründen geschlossen worden sein, so bitte ich auch hier um eine Stellungnahme, denn ich finde es sehr verwunderlich, daß man eine derart lebhafte – und auch dringend notwendige - Diskussion wenige Stunden nach Erscheinen des Interviews abbricht. Mein gegenwärtiges Schreiben (zusammen mit den Screenshots) habe ich auf meinem blog veröffentlicht und werde dort im Sinne einer transparenten, nachvollziehbaren Diskussion auch Ihre Antwort einstellen.

Mit freundlichen Grüßen,
Irma Kreiten


P. S.: Der Text meines zweiten Kommentars unter dem Titel „Gewalt und Schweigen im Osten wie im Westen“ lautete: „Liebe Redaktion, ich nehme an, es gab ein technisches Problem, da meherere meiner Kommentare doppelt erschienen sind, ein vorheriger Kommentar unter diesem Titel aber nicht. Erlauben Sie mir hier also bitte, nun noch einmal zu schreiben.

Russland übt nicht nur im Ostkaukasus Gewalt aus, sondern verfolgt auch im Westkaukasus eine Politik des Verschweigens und der Repressionen, dies auch besonders im Umfeld der Olympischen Winterspiele in Sochi im Jahr 2014. Leider ist die deutsche Öffentlichkeit kaum informiert, und eine Debatte findet nicht statt, es scheint geradezu ein großes Zögern zu herrschen, sich zur ausbleibenden Vergangenheitsbewältigung im Westkaukasus und der sich daraus ergebenden Minderheitenproblematik zu äußern, siehe http://sochi2014-nachgefragt.blogspot.com/“