Zarische Truppen, Krasnaja Poljana, 21.5.1864

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Dienstag, 29. Oktober 2013

Antwortschreiben von Nicole Gohlke (Offener Brief vom 16.10.2013)

Am 16.10.2013 hatte ich  einen Offenen Brief an die Bundestagsabgeordnete Nicole Gohlke in ihrer Funktion als hochschulpolitische Sprecherin der Linkspartei geschrieben. Da es in ihm vorrangig um meine Probleme als Wissenschaftlerin mit dem "falschen" Forschungsthema (Völkermord an den Tscherkessen im Rahmen vergleichender Genozidforschung) - allerdings vermittelt vor dem Hintergrund aktueller politischer Anforderungen an den deutschen Wissenschaftsbetrieb - und meinen eigenen Bedarf an konkreter Unterstützung gegangen war, hatte ich ihn nicht auf meinem blog, sondern im Community-Teil der Wochenzeitung Freitag (siehe obigen link) eingestellt.

Gestern, d.h. am 28. Oktober 2013, habe ich nun von Nicole Gohlke untenstehendes Antwortschreiben erhalten. Es nimmt zwar u.a. auch auf meine eigene Situation Bezug, deckt dabei aber ebenso die tiefergehenden gesellschaftlichen und politischen Strukturen und Problemlagen, die in Deutschland kritische Forschung zu heiklen politischen Themen behindern, auf und streift dabei auch die Frage nach möglichen Aktivitäten zur Aufarbeitung des Völkermords an den Tscherkessen im Vorfeld von Sotschi 2014. Insofern  halte ich die Antwort auf meinen Offenen Brief - ursprünglich in eigener Sache geschrieben - nun doch auch für allgemein genug wie auch thematisch passend, um sie, nach vorheriger Absprache mit Nicole Gohlke, nun hier auf meinem blog zu veröffentlichen. Ich möchte bei dieser Gelegenheit auch explizit darauf hinweisen, daß es sich hierbei um die erste offizielle Stellungnahme einer Vertreterin der Linkspartei zum Thema Tscherkessen und genozidaler Gewalt im Westkaukasus handelt. 

"Liebe Frau Kreiten, Liebe Irma,

Ihren Brief habe ich mit großem Interesse gelesen - der Bericht unterfüttert direkt einige der Problematiken, an deren Veränderungen ich in und mit der LINKEN arbeite.
Im Zuge des neoliberalen Umbaus wurden an Hochschulen weitere Abhängigkeiten geschaffen bzw. verstärkt sowie strukturelle Änderungen vorgenommen, die in ihrer Konsequenz der Wissenschaftsfreiheit entgegenlaufen. Hieraus ergeben sich auch Benachteiligungen von  wissenschaftlich fundierten, aber vom ideologischen Mainstream abweichenden wissenschaftlichen Methoden und Positionen.
So wie Sie Ihren Fall schildern, scheint Ihre Situation ein Paradebeispiel für diese Entwicklung zu sein.
Ich habe mich gemeinsam mit meinen KollegInnen im Bildungsausschuss und im Rahmen meiner Möglichkeiten als Abgeordnete und hochschulpolitische Sprecherin der LINKEN. im Bundestag bereits während der letzten Legislatur für strukturelle Veränderungen in der Hochschullandschaft eingesetzt, die diesen Entwicklungen entgegenwirken sollen: 
Die inhaltlich selbständige Arbeit von Promovierenden soll unterstützt und Whistleblower geschützt werden. Die Wissenschaftsfreiheit soll durch die Herstellung von Transparenz geschützt werden. Militärische Forschung an Hochschulen soll durch Zivilklauseln unmöglich gemacht werden.
Hierzu verweise ich gerne auf folgende Initiativen:
Drucksachennummer (DrS.) 17/9064: Freiheit von Forschung und Lehre schützen – Transparenz in Kooperationen von Hochschulen und Forschungseinrichtungen mit Unternehmen bringen.
DrS. 17/6492: Die Bedeutung von Whistleblowing für die Gesellschaft anerkennen – Hinweis- geberinnen und Hinweisgeber schützen.
DrS. 17/9979: Keine Rüstungsforschung an öffentlichen Hochschulen und Forschungseinrichtungen – Forschung und Lehre für zivile Zwecke sicherstellen.

Ich möchte Sie um Verständnis bitten, dass es mir und meinen MitarbeiterInnen im Berliner Büro nicht möglich ist, mich fundiert in Ihr wissenschaftliches Themengebiet und Ihre Forschung zu den Tscherkessen einzuarbeiten.
Deswegen schrecke ich auch davor zurück, mich direkt in die Auseinandersetzung einzumischen und mich z.B. mit Ausrichtern von wissenschaftlichen Workshops o.ä. in Verbindung zu setzen. Dafür reichen meine Kenntnisse zu Ihrem Fachgebiet einfach nicht aus. 
Wenn Sie bemängeln, dass Sie zu wenig Unterstützung durch KollegInnen meiner Fraktion erfahren haben, dann könnte ich mir vorstellen, dass dies vielleicht auch daran liegt - dass es die Einarbeitung in ein sehr komplexes Thema voraussetzt.

Ich kann Ihnen aber versichern: wir freuen uns, wenn wir weiter gemeinsam an der Beseitigung der politischen und ökonomischen Abhängigkeiten arbeiten, die auch Ihnen vor Ort das Leben schwer machen, und ich bin natürlich jederzeit dankbar, wenn ich von konkreten Beispielen aus der wissenschaftlichen Praxis höre, die untermauern, dass wir es mittlerweile mit einem eklatanten Problem zu tun haben.
Für Ihre persönliche Zukunft wünsche ich Ihnen alles Gute, und ich würde mich freuen, wenn wir uns auch einmal persönlich kennenlernen würden!

Mit freundlichen Grüßen,
Nicole Gohlke"


Nachtrag: Ein Kommentar zu diese Antwort findet sich in meinem neuen Blogeintrag zu Nicole Gohlkes Einsatz gegen München 2022 und die hier verpaßte Chance, damit auch Sotschi 2014 und die Existenz der Tscherkessen zur Sprache zu bringen: http://sochi2014-nachgefragt.blogspot.com/2013/11/die-sotschi-munchen-connection-ein.html