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Donnerstag, 5. September 2013

Anfrage an Cem Özdemir (Grüne)

Wie bereits angekündigt hat nun auch Cem Özdemir von den Grünen eine Anfrage zu Sochi 2014 erhalten. Grund für das Stellen einer gesonderten Anfrage war folgender: Cem Özdemir muß vor seinem persönlichen Hintergrund nicht extra auf die koloniale Vergangenheit des Westkaukasus und die sich daraus ergebenden Minderheitenproblematik hingewiesen werden. Herr Özdemir ist selbst tscherkessischer Herkunft und damit, auch wenn dies vielen nicht bekannt sein dürfte, wohl der prominenteste Vertreter einer Schätzungen zu Folge ca. 40 000 Menschen umfassenden tscherkessischen Diaspora in Deutschland.

Hier also der Text meiner soeben versandten Anfrage:

"Sehr geehrter Herr Özdemir,
Die Olympischen Winterspiele 2014 rücken näher und die mediale Berichterstattung nimmt zu, wobei mittlerweile auch sensiblere Themen wie Umweltschutz und die Rechte sexueller Minderheiten behandelt werden. Leider jedoch finden tscherkessische Belange weiterhin kaum Erwähnung, sie bilden damit eine augenfällige Ausnahme. Entsprechende Medienberichte und öffentliche Stellungnahmen sind rar oder bleiben aus. Im Vorfeld der Bundestagswahlen habe ich vor dem Hintergrund dieses Defizits begonnen, Bundestagskandidaten zu ihrer Haltung gegenüber Sochi 2014 und zu der fehlenden Aufarbeitung der kolonialen Vergangenheit der Region zu befragen. Alle Antworten werden von mir gesammelt und auf meinem blog unter http://sochi2014-nachgefragt.blogspot.com/ veröffentlicht – die ersten Antworten sind bereits eingetroffen.
Da Sie selbst mit der Geschichte des Westkaukasus bestens vertraut sind und nicht erst explizit auf tscherkessische Belange aufmerksam gemacht werden müssen, habe ich im Falle der Grünen auf ein Versenden meinesr Standardfragenkatalogs verzichtet und mich vielmehr direkt an Sie gewandt. Ich würde mich freuen, wenn Sie sich - sowohl als Bundestagskandidat der Grünen wie auch als prominenter Vertreter der tscherkessischen Diaspora in Deutschland – bereit erklären könnten, sich ebenfalls im Rahmen meiner Anfrage-Aktion zu Sochi 2014 zu äußern. Ich darf Sie darauf hinweisen, daß mein Anliegen ausdrücklich nicht zum Ziel hat, konkreter Forderungen an die deutsche Außenpolitik (wie etwa nach einem Boykott der Spiele) zu stellen. Mich beunruhigt vielmehr das fast vollständige Ausbleiben eines öffentlichen Diskussionsprozesses innerhalb Deutschlands, wie auch die Tatsache, daß ein Großteil der deutschen Öffentlichkeit nicht einmal ansatzweise informiert sein dürfte über die von den Olympischen Spielen 2014 berührten tscherkessischen Interessen.

Die speziell an Sie gerichteten Fragen meinerseits sind:

  1. Wie beurteilen Sie die bisherige Rolle der deutschen Medien in der Berichterstattung zu Sochi 2014? Wurde hier Ihres Erachtens die Verhältnismäßigkeit gewahrt und tscherkessischen Perspektiven neben anderen wichtigen Themen wie Umweltschutz und Homosexuellen-Protestgebung ausreichend Aufmerksamkeit eingeräumt? Wenn nein, worin sehen Sie die Gründe hierfür und wie könnte die Berichterstattung in Zukunft verbessert werden?
  2. Welche politischen Hindernisse sehen Sie für eine offene(re) Diskussionskultur? Wie wirken sich deutsch-russische Partnerschaft wie auch US-amerikanische, türkische und gesamteuropäische Großmachtpolitik in der Kaukasusregion auf die innerdeutsche Debattenkultur bei diesem Thema aus? Wie könnte hier ein Rußland gegenüber nichtkonfrontativer, konstruktiver und dabei trotzdem offener Diskurs gestaltet werden?
  3. Sie haben sich selbst in der Vergangenheit stark für tscherkessische Belange eingesetzt, nicht zuletzt mit der Organisation des jährlich im Europa-Parlament in Brüssel stattfindenden Circassian Day. Sehen Sie sich bei dieser Art von Engagement für eine angemessene Vergangenheitsaufarbeitung und für mehr Rechte für die tscherkessische Minderheit und Diaspora selbst behindert oder Beschränkungen ausgesetzt? In tscherkessischen Kreisen in Istanbul wurde etwa verlautbart, daß Ihnen aufgrund Ihres Einsatzes für die Tscherkessen letztes Jahr von russischer Seite die Einreise in den Westkaukasus verweigert wurde. Wenn dies korrekt ist, warum wurde diese Angelegenheit dann nicht öffentlich gemacht? Auch Volker Beck hat beispielsweise, und dies meines Erachtens völlig zurecht, die Schikanen russischer Autoritäten anläßlich seiner Teilnahme an Demonstrationen in Moskau in den Jahren 2006 und 2007 nicht unkommentiert und unwidersprochen hingenommen. Wird hier nicht, da es sich in diesem Fall um tscherkessische Belange handelt, ein weiters Mal mit zweierlei Maß gemessen und Unrecht gegenüber einer im westeuropäischen Ausland weitgehend unbekannten Minderheit stillschweigend hingenommen? Meines Erachtens dürfte ein derartiges Vorgehen gegenüber einem international anerkannten deutschen Spitzenpolitiker durch eine „befreundete“ Großmacht doch als einigermaßen skandalös gewertet werden.
  4. Was läuft Ihres Erachtens, d.h.aus Ihrer speziellen Perspektive als sowohl Angehöriger der tscherkessischen Diaspora wie auch als deutscher Bundestagsabgeordneter, falsch auf tscherkessischer Seite beim Kommunizieren ihrer Interessen und Belange? Wie könnte ein erfolgreicherer Austausch zwischen Minderheit und deutscher  Mehrheitsgesellschaft gestaltet werden und was müßte hierfür auf tscherkessischer Seite passieren? Oder allgemeiner: was wäre erforderlich für eine konstruktive zivilgesellschaftliche Debatte unter Beteiligung aller Seiten .- einschließlich der russischen?

Ich bedanke mich bei Ihnen im Voraus für Ihre Zeit wie auch Ihr Interesse und hoffe, daß mein Bemühen um eine größere Sichtbarkeit tscherkessischer Belange in der deutschen Öffentlichkeit Ihre Zustimmung findet.

Mit freundlichen Grüßen,
                                                                      Irma Kreiten"


Update: Ich habe mittlerweile von Veysel Özcan, Leiter des Büros von Cem Özdemir, eine Rückmeldung erhalten. Herr Özcan schrieb mir am 10. September 2013:

"Sehr geehrte Frau Kreiten,

vielen Dank für Ihre Nachricht. Ihre Fragen sind umfangreich, daher ist es bedauerlich, dass Ihre Mail doch recht knapp vor der Bundestagswahl eintrifft. Herrn Özdemirs Kalender ist aufgrund des Wahlkampfs und etlicher Veranstaltungen sehr dicht. Ich bitte daher um Verständnis für meine Frage: An welche deadline haben Sie gedacht?

Mit freundlichen Grüßen


Veysel Özcan
Büroleiter des Bundesvorsitzenden"

Ich freue mich über das hier zum Ausdruck kommende Interesse wie auch die Aussicht auf eine ausführliche Antwort, auch wenn diese nun aller Voraussicht nach wohl erst nach den Wahlen eintreffen dürfte. 
Ich hatte Herrn Özcan - ebenfalls am 10. September - folgende Antwort auf sein Schreiben zugesandt:

"Sehr geehrter Herr Özcan,

Haben Sie Dank für Ihre Rückfrage! Ich entschuldige mich für das verspätete Einsenden der Fragen an Herrn Özdemir und werde selbstverständlich darauf hinweisen, daß er die Anfrage später als die anderen angeschriebenen Kandidaten erhalten hat. Eine Deadline möchte ich Ihnen auch keinesfalls setzen. 

Mir ist bewußt, daß Herr Özdemir das Vorwort zu Manfred Quirings neuem Buch zu Sotschi 2014 und dem Völkermord an den Tscherkessen geschrieben und sich damit bereits zu dem fraglichen Thema geäußert hat. Da dieses Buch nun allerdings der Öffentlichkeit erst im Oktober vorgestellt werden soll, fände ich es begrüßenswert, wenn von Herrn Özdemir noch vor den Wahlen zumindest eine kurze allgemeine Stellungnahme zu Sotschi 2014 und seiner Bedeutung für die Tscherkessen zu haben wäre - einige wenige Zeilen dürften ausreichen. Ich bin voll und ganz damit zufrieden, wenn die Beantwortung meiner Fragen im Einzelnen dann nach den Wahlen erfolgt. Ich würde Sie dann allerdings darum bitten, auch im Text selbst darauf hinzuweisen. 

Ich hoffe, daß sich hiermit meine Erwartungen und Wünsche im Rahmen des Möglichen bewegen und bedanke mich schon im Voraus für Ihr Interesse. 

Mit freundlichen Grüßen,
                                                    

                                                              Irma Kreiten"