Vorangegangene Posts zu Daniele Ganser und seinem Umfeld von Irma Kreiten:
I Anti-Fracking und die Instrumentalisierung von Gegenöffentlichkeit (Einleitung)
II ASPO Schweiz, VPM und We are change
Einleitung:
Gerne
stellt sich Daniele Ganser als mutigen Aufklärer dar, der politische
Tabus
duchbricht und Themen in Angriff nimmt, die bisher von der Forschung vernachlässigt wurden. So schilderte Ganser in einem Vortrag
(mittlerweile u.a. von Antikrieg-TV auf youtube zugänglich gemacht) auf der
IALANA-Tagung "Quo Vadis Nato? - Herausforderungen für Demokratie und
Recht" (26.-28.4.2013 in Bremen), wie er anläßlich des 10. Jahrestages
der Terroranschläge vom 11. September 2001 von amerikanischen
Akademikern gebeten worden sei, aus europäischer Sicht zu
Staatsterrorismus zu referieren. Die per Videoaufzeichnung festgehaltene öffentliche Vorlesung habe ihm anschließen großen Ärger von Seiten der
Universitätsleitung eingebracht:
"Und nur drei Tage später
habe ich vom Rektor der Universität Basel so einen richtigen
geharnischten Brief erhalten der so in etwa sagte: "Halten Sie die
Klappe". Und Sie machen sich einfach keine Vorstellungen wenn Sie
glauben, die Forschungsfreiheit ist garantiert. Das ist sie nicht. Wenn
Sie in diesen Themen arbeiten dann müssen Sie wirklich ein Modell haben,
wie Sie sich finanzieren wenn die Uni Sie entläßt. Das ist die Sache.
Weil die Forscher sind ja auch nicht einfach vollkommen frei sondern sie
wollen ihren guten Ruf und ihr Einkommen nicht aufs Spiel setzen. Und
darum habe ich dann ein eigenes Institut gegründet, das heißt Swiss
Institute for Peace and Energy Research und ich finanziere mich jetzt
über Vorträge. Aber der Vorteil ist, ich bin vollkommen frei. Ich bin
immer noch an der Uni, aber wenn mich die Uni entläßt, ist mir egal. Und
das ist schon ein großer Unterschied, müssen Sie wissen. [...] An
einem Punkt habe ich meiner Frau gesagt, hör zu, ich verdiene hier an
der ETH 10 000 Schweizer Franken pro Monat, ich habe aber Dinge
herausgefunden, die sind bestürzend ja, wenn ich das nach draußen trage,
dann fliege ich vielleicht von der Uni, dann haben wir das Geld nicht
mehr, dann müssen wir vielleicht ausziehen, etcetera. Ich habe gesagt:
Soll ich da weitermachen? [...] Meine Frau hat gesagt: Auf jeden Fall
mußt Du weitermachen, sonst, wenn Du Dich jetzt verbiegst, bekommst Du
das das Leben lang nicht mehr gerade hin. Und sie hat nur gefragt: Bist
Du denn sicher bei den Daten? Da habe ich gesagt: Ja bei den Daten bin
ich vollkommen sicher. Habe ich sie dann gefragt: Bist Du sicher mit dem
Ausziehen? Ja, da hat sie gesagt: Ja, wir schlagen uns sicher durch.
Und das ist einfach der Hintergrund den man wissen muß, die
Friedensforschung ist heute existentiell gefordert. Das ist nicht etwas,
was man so ein bißchen nebenbei machen kann."
Ich
finde diese Passage u.a. deswegen erhellend, weil sie gleichsam einen
Gründungsmythos zu SIPER liefert, dem von Daniele Ganser im Jahre 2011 ins Leben
gerufenen "Institut für Friedens- und Energieforschung".
Ganser
drückt in diesem Vortragssegment seine Bereitschaft aus, der
Forschungsfreiheit und
"Wahrheit" zuliebe volles Risiko zu fahren, sich gegen das akademische Establishment zu stemmen und explizit auch eine mögliche Beeinträchtigung seiner eigenen Karriere und seines wissenschaftlichen Rufs in Kauf zu nehmen. Man bekommt hier vermittelt,
Ganser habe SIPER in Reaktion auf Zensur- und Repressionsversuche
gegründet und ihm sei es durch diesen beherzten und tatkräftigen Schritt
in die Selbständigkeit gelungen, quasi auf der Stelle eine vollkommene
wissenschaftliche Unabhängigkeit zu erzeugen.
In einem Interview mit der Tageswoche unter dem Titel "Forschen in der Tabuzone" vom August 2012 wurde von Ganser ebenfalls das Thema "Wissenschsaftsfreiheit" angerissen:
"Der 11. September ist eine Tabuzone, bis heute. [...] Ich bekam immer wieder Hinweise. Pass auf, für dich, für
die Schweiz, halte den Mund. Es gibt offene Fragen zu 9/11, aber
die sollte man besser nicht ansprechen, das gibt Ärger mit den USA
oder auch Ärger in der Universität."
Nach "Tabuzonen in der historischen Forschung" gefragt sowie danach, ob es trotz allem richtig gewesen sei, 9/11 zu thematisieren, antwortet er:
"Ja. Man muss sich selber treu bleiben. Als Experte kenne ich
die Forschungslage und die offenen Fragen sehr genau. Ich bin
weiterhin der Meinung, der Einsturz von WTC7 muss geklärt werden. Es
ist wichtig, dass man die Dinge anspricht und sie untersucht. Nicht
mit dem Anspruch, ich habe recht und alle anderen liegen falsch.
Sondern mit dem Anspruch: Man muss doch untersuchen dürfen, ob eine
Regierung in einen Terroranschlag verwickelt war oder nicht.
[Frage ...]
Forschung muss frei sein. Die Wissenschaft hat eine
vermittelnde Funktion. Sie muss etwa im Fall 9/11 sagen: Es gibt drei
Theorien, wir wissen nicht, welche stimmt, aber der Verfechter jeder
Theorie soll seine Daten bringen, dann vergleichen wir. Das ist der
ehrlichste und beste Ansatz. Es kann nicht sein, dass man uns
verbietet, diese Theorien zu diskutieren. Einmal intervenierte sogar
die US-Botschaft in der Schweiz und erklärte, ich und Professor
Albert Stahel, der 9/11 auch hinterfragte, dürften die offizielle
Version der Bush-Administration nicht anzweifeln. Aber so geht das
nicht. Auch beim Irakkrieg und beim Syrienkrieg muss man offen und
kritisch Fragen stellen können, sonst opfern wir die Freiheit der
Forschung. Gerade die Bereiche Energie, Terror und Krieg sind sehr
sensibel, denn es geht um Milliarden von Dollars und Tausende von
Toten."
[Frage ...]
"Der einzelne Forscher kann das ändern, wenn er sagt: Ich
lasse mich nicht einschränken, ich veröffentliche meine
Forschungsresultate, auch wenn Druck auf mich ausgeübt wird. Aber es
ist wirklich schwierig. Ich war gerade zum zweiten Mal Vater
geworden, als ich am Punkt war, meine Erkenntnisse zu
veröffentlichen. Als Vater sucht man ein sicheres Einkommen und ist
damit abhängig, zum Beispiel von der Uni, die den Lohn bezahlt. Oft
will man die Stelle, den Lohn und die soziale Anerkennung nicht
verlieren, und spricht darum nicht über Fragen wie das WTC7, weil
sie nicht zum Mainstream-Bild passen und nur Ärger erzeugen. Der
entscheidende Einfluss war meine Frau, die sagte: «Bleib bei der
Wahrheit und den Resultaten, die du gefunden hast, wenn du jetzt
aufgibst, hast du verloren.» Ich habe Kollegen, die sagen, sie
werden zuerst Professor, legen die kritischen Daten in die
Schublade, und mit Fünfzig oder Sechzig schreiben sie dann ein
kritisches Buch. Das geht aber nicht. Dann hast du den Schwung nicht
mehr."
Kann
man von Daniele Ganser sagen, daß er "offen und kritisch Fragen
stellen" würde? DieRepressionsversuche, denen Ganser ausgesetzt gewesen
sein will, stehen - auch gemäß seiner eigenen Schilderungen - ganz im
Zeichen seiner Beschäftigung mit 9/11. Hinweise darauf, daß er in seiner
Forschung zu NATO-Geheimarmeen oder Peak Oil behindert worden wäre,
finden sich nicht, die Rede ist vielmehr von recht großzügiger
Unterstützung und einer weithin konstruktiven, positiven Haltung
gegenüber seinen diesbezüglichen Studien (siehe hierzu auch meinen vorherigen post).
Ganser betont, man dürfe
und müsse als Historiker auch zu 9/11 kritische Fragen stellen.
Ich
möchte mit diesem Post beleuchten, inwieweit sich Gansers Behauptung
einer versuchten Zensur belegen läßt. Dieser Exkurs ist notwendig, da ansonsten Kritik an Ganser und seinen Netzwerken mißverstanden werden kann als Fortsetzung politischer Repressionsbestrebungen und sie zirkulären Argumentationsstrukturen Vorschub leisten kann, denen zufolge Ganser
Feindseligkeiten und Kritik auf sich ziehe, weil er unangenehme
Wahrheiten ausspreche. Der gegenwärtige Post ist damit für mich im
wesentlichen eine Pflichtübung, die dazu dient, derartigen Verschwörungstheorien den Boden zu entziehen, indem sie dem Thema "Verschwörungstheorie" nicht ausweicht, sondern es zu ihrem Zentrum macht. Die systematische Betrachtung von Gansers
Querfront-Umtrieben wird in den Folgeposts fortgesetzt. Bei dieser
Gelegenheit möchte ich noch einmal betonen, daß für mich Daniele Ganser als Person weitgehend unerheblich ist, es macht also keinen Sinn, mich mit Einwänden wie "wenn Sie ihn näher kennen würden, würden Sie anders über ihn denken" oder mit "Sie haben die Intention dieser Person völlig mißverstanden" anzuschreiben (offenbar ein Standard-Argument von Aluhütlern und Querfrontlern, wenn sie eine ihrer Koryphäen in Gefahr sehen). Mein Interesse gilt
den Netzwerken, die sich über Gansers wissenschaftliche und
Aktivitäten aufzeigen lassen, wie auch, wie über dieses
Querfrontstrukturen auf oftmals kaum merkliche Weise politische Subtexte
transportieren lassen.
Thema
dieses posts wird sein, inwiefern Ganser im Zusammenhang mit 9/11
tatsächlich seinem eigenen Anspruch, kritische Wissenschaft zu
betreiben, gerecht wird und damit die Behauptung, in diesem Kontext würde repressiert und insbesondere er gehöre zu diesen zensurgefährdeten Wissenschaftlern, überhaupt glaubwürdig ist. Ich werde mich dazu mit dem Thema
9/11 auf einer möglichst formalen Ebene beschäftigen und mir ansehen, wie Ganser sich
dieser Thematik methodisch nähert und ob seine Arbeitsweise und
Argumentation in sich stimmig und wissenschaftlich schlüssig sind. Um es zugespitzt zu formulieren : Wissenschaft kann nur da unterdrückt werden, wo auch tatsächlich Forschung bzw. eine logisch strukturierte, seriöse Forschungsabsicht vorhanden ist. Anliegen dieses Postes ist damit nicht eine inhaltliche Auseinandersetzung mit
9/11-Theorien, Material zu den unterschiedlichen Standpunkten ist im Netz bereits reichlich vorhanden.
Die Entwicklung von Gansers Beschäftigung mit der 9/11-Thematik
Hinweise auf Daniele Gansers Entwicklungsweg in Bezug auf 9/11 finden sich auf der Schweizer Truther-Plattform "911 untersuchen", bei der er sich als deren Mitglied recht ausführlich präsentiert. Geschildert sind dort u.a. sein erwachendes Interesse an 9/11 sowie die Reaktionen seines Umfeldes hierauf:
"Ich beobachte die 911-Forschung seit dem Tag der Anschläge. Als
Historiker und Friedensforscher habe ich 1998 im Rahmen meiner
Dissertation damit begonnen, die NATO-Geheimarmeen, Operation Gladio und
inszenierten Terror in Europa im Kalten Krieg zu untersuchen. Damals
haben mir viele Experten von dieser Forschung abgeraten. Terror sei kein
aktuelles Thema, niemand interessiere sich dafür. Andere Experten
meinten, durch Geheimdienste und Spezialeinheiten inszenierter Terror
sei ein viel zu heikles Thema, damit würde ich mir meine akademische
Karriere ruinieren. Ich habe nicht auf die gut gemeinten Ratschläge
gehört und vier Jahre an Universitäten im In- und Ausland geforscht.
Just im September 2001 habe ich an der Universität Basel mein
Doktorexamen im Bereich Zeitgeschichte mit dem Thema Geheimarmeen und
inszenierter Terrorismus abgelegt.
Wenige Tage vor dem Examen sass ich vor dem Fernseher und habe mit
Bestürzung die Anschläge mitverfolgt. Dass in demselben Monat, in
welchem ich meine langjährige Forschung abschloss, der grösste
Terroranschlag der Gegenwart stattfand, hat mich stark beeinflusst. Mein
Forschungsthema war plötzlich sehr gefragt, die Dissertation zu den
NATO-Geheimarmeen und inszeniertem Terror wurde in 10 Sprachen übersetzt
(auf Deutsch bei Orell Füssli) und über 10’000 mal verkauft.
Vor allem aber wollten meine Studentinnen und Studenten unbedingt wissen, was denn meine Meinung zu 911 sei. Ich
las viel und wartete, bis im Juli 2004 der 600 Seiten lange Kean-Report
publiziert wurde.[...]
Weil alle drei Theorien implizit von einer
geheimen Absprache von zwei
oder mehr Personen ausgehen, müssen alle drei als Verschwörungstheorien
bezeichnet werden. Um die drei Theorien SURPRISE, LIHOP und MIHOP
genauer zu beleuchten, führte ich im Sommersemester 2005 am Historischen
Seminar der Universität Zürich ein Kolloquium zu 911 durch, im
Sommersemester 2007 wiederholte ich das Kolloquium an der Universität
Basel. Die Studentinnen und Studenten mussten sowohl den Kean-Report wie
auch Bücher von Prof. David Ray Griffin studieren. [...]
Ich bin mir bewusst, dass ein Wissenschaftler ernsthafte Probleme
bekommen kann, wenn er zu 911 forscht. Zum vierten Jahrestag der
Anschläge habe ich trotzdem im September 2005 in Zürich eine Einladung
zu einem öffentlichen Vortrag angenommen und die ungeklärten 911-Fragen
inklusive WTC7 offen angesprochen. Ich war damals als Senior Researcher
an der ETH-Forschungsstelle für Sicherheitspolitik angestellt und ein
Bericht über meinen Vortrag erschien in der Hauszeitung ETH Life. Darauf
kam es zu heftigen Reaktionen. Einige lobten meinen Mut, als
ETH-Forscher heikle Fragen zu 911 zu stellen, während andere mich arg
beschimpften und gar den guten Ruf der ETH Zürich gefährdet sahen. Als
ich ein Jahr später zum fünften Jahrestag im September 2006 einen
längeren Artikel zum ungeklärten Einsturz von WTC7 im Tages Anzeiger
veröffentlichte, kam es erneut zu heftigen Reaktionen. Sogar die
US-Botschaft in Bern protestierte und erklärte, es gehe nicht an, dass
Schweizer Wissenschaftler die offizielle 911-Geschichte anzweifeln.
Der Druck ist gross, am einfachsten wäre es, zum Thema zu schweigen.
Doch das darf für Historiker keine Option sein. Wir müssen über die
Vergangenheit sprechen. Es gibt heute sehr viele Menschen, welche im
vertraulichen Gespräch erklären, dass sie sehr darauf hoffen, dass eine
differenzierte historische 911-Forschung zumindest in der Schweiz
möglich ist."
Die
zitierte Passage mag ein wenig lang sein, ist aber in mehrfacher
Hinsicht aufschlußreich. Zunächst zeigt sie, wie eng Gansers Karriere
mit den Anschlägen des 11. Septembers verbunden war. Seine kurz zuvor
fertiggestellte Dissertation erfuhr durch diesen historischen Zufall
ungeahnte Popularität. Auch seine Abschlußprüfung für den Erwerb des
Doktortitels ist dem Schweizer Historiker in Zusammenhang mit dem 11.
September in Erinnerung geblieben. So schildert er im Interview mit der
Baseler Zeitung vom 9.9.2006 unter dem Titel "Der Demokratie-Test schlechthin", wie er den Tag des Angriffs auf WTC und Pentagon verbrachte:
"Ich
war hier in Basel, an der Dornacherstrasse im «Gundeli», und habe mich
auf mein Doktorexamen an der Uni Basel vorbereitet – zum Thema
inszenierter Terrorismus im Kalten Krieg. Natürlich habe ich mich
gefragt, ob dies nun inszenierter Terrorismus sei oder realer. Wie alle
schaute ich sehr viel fern. Eigentlich hatte ich erwartet, dass beim
Examen, am 27. September eine Frage zu 9/11 käme. Aber es kam keine."
In Daniele Gansers Danksagung in seinem Buch "NATO's Secret Armies" heißt es zu dieser Verknüpfung von Zeitgeschichte und eigener Biographie (S. XV):
"When I presented my Gladio research and
passed my final PhD exams in September 2001, we all felt that it was
a timely book, for in that month, investigations into international
terrorism had become a high priority on the agenda."
Das Thema 9/11 dürfte damit für Ganser von Anfang an auch gewisse persönliche und sinnstiftende Bezüge aufgewiesen und entsprechend emotional besetzt gewesen sein. Wenden wir uns nun
aber den weiteren Stationen von Gansers 9/11-"Karriere" zu, wie sie im Grundzügen bereits in
seiner Schilderung auf "911 untersuchen" Erwähnung finden.
Das
"Kolloquium" bzw. Seminar, von dem im oben zitierten Ausschnitt Rede war, hat Daniele Ganser im
Sommersemester 2005 am Historischen Seminar der Universität Zürich unter
dem Titel "Geschichtsschreibung in den USA - 9/11" gehalten. Laut einem Bericht der ETH-Zürich
sei es Ziel des Seminars gewesen "Licht ins Dunkel dieser grössten und
kompliziertesten aller Verschwörungen zu bringen". In einem Interview mit dem anthroposophisch ausgerichteten Journal "Europäer" legt Ganser selbst den Aufbau und Inhalt dieser Lehrveranstaltung dar und benennt die zugehörige Pflichtlektüre:
“Wir haben zum
11. September verschiedene Darstellungen. Die haben wir verglichen und
gelesen. Es handelte sich um die Bücher The 9/11 Report – auch
Kean-Report genannt, die offizielle Untersuchung der amerikanischen
Regierung unter Chairman Thomas Kean, erschienen im Sommer 2004. Die
Untersuchung wurde von der Regierung Bush als die offizielle, der
Wahrheit entsprechende Darstellung der Ereignisse des 11. September
bezeichnet. Dann gibt es aber auch amerikanische Journalisten, die
gesagt haben: Die Bush-Regierung lügt, und die haben eine ganz andere
Version erzählt. Zu diesen gehört Michael Ruppert – es gibt noch einige
andere, aber ihn haben wir ausgewählt. Sein Buch heißt Crossing the
Rubicon. Das waren, wie schon beim ersten Buch, nochmals 600 Seiten. Und
dieses Buch mussten die Studenten auch lesen. So hatten sie
verschiedene Darstellungen zum 11. September. Und dann haben wir noch
ein drittes Buch ausgewählt. Dieses stammt von einem Akademiker. So
hatten wir eine ausgeglichene Verteilung: Regierung, Journalisten,
Wissenschaft. Beim Akademiker handelt es sich um den emeritierten
Professor David Ray Griffin. Er hat in seinem Buch The 9/11 Commission
Report: Omissions and Distortions, (Olive Branch Press, 2005) gesagt,
dass der von Kean herausgebrachte offizielle Bericht gravierende Mängel
aufweise, schon in logischer und wissenschaftlicher Hinsicht. Diese
verschiedenen Darstellungen der Ereignisse des 11. September haben wir
miteinander verglichen und darüber debattiert.”
Ruppert und Griffin
gelten beide als Verschwörungsideologen. Bereits in dieser Hinsicht ist die
Literaturliste der Veranstaltung - ein 2:1 für die Truther-Bewegung -
wohl kaum als ausgewogen zu bezeichnen. Absonderlich mutet auch an, daß ihre beiden Werke als repräsentativ für einen journalistischen repsektive
wissenschaftlichen Zugang zum Thema 9/11 behandelt werden. Diskutiert worden seien "Streitpunkte" zwischen den
unterschiedlichen 9/11-Theorien wie etwa "Insiderhandel",
"Anthrax-Anschläge" und "Einsturz des WTC 7". Von einer Auseinandersetzung unter Zuhilfenahme verschiedener theoretischer und methodischer
Zugänge sowie entsprechender weiterer Lektüre ist bei Daniele Ganser nicht die Rede. An ihrer Stelle wird ein Eindruck von
Seriosität und Anspruch dadurch erweckt, daß obstinativ auf den
Seitenumfang des zu lesenden Materials hingewiesen wird. Auch im bereits erwähnten ETH-Artikel
wird dieses quantitative Argument bemüht - insgesamt 1800 Seiten
"amerikanischer Quellenliteratur" habe es zu bewältigen gegeben - und soll offenbar beim Leser ohne spezifischen wissenschaftlichen Hintergrund Eindruck schinden.
Anschließend, so fährt der Artikel fort, sei das erworbene Wissen in einer schriftlichen Prüfung
abgefragt worden. Da diese Prüfung
im ETH-Artikel mitgeliefert wird, bietet sich auch über die
Prüfungsfragen ein Anhaltspunkt, welche Art Wissen in diesem Seminar
vermittelt worden ist (siehe auch die beiden hier eingestellten Screenshots mit Ausschnitten aus dem Prüfungsbogen).
Ich
muß gestehen, die Prüfungsfragen haben mich ganz spontan an
Automobil-Quartettspiele mit Fragen zu Kubikzentimeterzahl, Baujahr und
Höchstgeschwindigkeit erinnert, in deren Genuß ich mit wenig automobilfreundlichen Eltern nur deswegen gekommen war, weil eines dieser Exemplare kostenlos (als Werbeaktion) einer
Waschmittelpackung beigelegen hatte. Analysefähigkeit und ein Verständnis für
Zusammenhänge ist jedenfalls auch in Gansers Quiz-Format nicht gefragt gewesen. Eine
"Auseinandersetzung mit relevanten Methoden und Theorien der
Geschichtswissenschaft", wie sie die Prüfungsordnung
der Universität Zürich vorschreibt, eine allgemeine Schulung der
Denkfähigkeit oder auch die Vermittlung von Wissen über eine bestimmte
Epoche kann ich anhand von Gansers Prüfungsbogen nicht erkennen. Als
generelles Ergebnis des Seminars hält Ganser selbst fest,
daß sich unter den Stundenten eine "schöne akademische Verteilung"
hinsichtlich LIHOP-, MIHOP- und Suprprise-Anhängerschaft herausgebildet
habe, daneben aber habe es
"[...] auf jeden Fall einen Konsens [gegeben],
dass der 11. September für die Menschen, die ihn erlebt haben, ein ganz
wichtiges Ereignis ist, und dass sie die Wahrheit wissen wollen und
dass es anstrengend ist."
Bereits ein Blick in die deutsche Wikipedia zeigt, daß unter "Geschichtsschreibung"
üblicherweise die "Darstellung von historischen Ereignissen" und
"sprachliche Vermittlung historischer Erkenntnis"verstanden wird. Von
einer Konzentration auf "Darstellung" und "Sprache" ist indes bei
Gansers Beschäftigung mit der 9/11-Thematik weit und breit nichts zu
sehen. Ein Wissen um die Wichtigkeit von Quellenkritik und
die für einen kritischen Textzugang notwendigen analytischen
Fähigkeiten wurden zumindest in der das Seminar abschließenden Prüfung nicht verlangt.
Auch in dieser Hinsicht irritiert der prominente Platz, der David Ray Griffin bei der Lektüreauswahl zugemessen wurde. Griffin selbst ist keineswegs Historiker, sondern
Theologe, insofern ist es irreführend, sein Werk
unter "amerikanische Geschichtsschreibung" zu verbuchen. Soweit sich
aus dem zur Verfügung stehenden Material schließen läßt, hat dieses
Seminar somit kaum mehr geboten als ein einigermaßen groteskes Zerrbild und eine oberflächliche, substanzarme Imitation seriöser Geschichtswissenschaft. Für die Präsentation nach außen war diese Ausrichtung des Seminars aber offenbar nicht hinderlich, vielmehr war sie geeignet, in der Trivialkultur verbreitete klischeehafte Vorstellungen darüber, wie wissenschaftliches Arbeiten aussehe, zu bedienen, so z.B. in Form des "man
muß viel lesen und sich lange Listen von Fakten und Zahlen merken
können". Ich hebe dies hier deswegen gesondert hervor, weil gerade dieses rhetorisch durchaus geschickte und auf das jeweilige Publikum zugeschnittene Spielen mit populären Stereotypen und subkulturellen Versatzstücken eines
der Erfolgsrezepte Daniele Gansers zu sein scheint.
Das
gansersche Seminar scheint nicht beanstandet worden zu sein -
weder in seiner ursprünglichen Form noch anläßlich seiner Wiederholung
im Jahr 2007. Für Diksussionen gesorgt hat hingegen Gansers
eigener Darstellung zufolge ein öffentlicher Vortrag vom Herbst 2005 sowie
diverse Zeitungsartikel und Interviews aus dem Jahre 2006. Am 11.9.2005
hat Daniele Ganser unter dem Titel "Terror, Erdöl, Angst und Krieg: Was
wissen wir heute über 9/11 und den geostrategischen Kontext des
Anschlags?" einen öffentlichen Vortrag in Zürich gehalten und
anschließend im Rahmen der gleichen Veranstaltung mit Philipp Sarasin (einem weiteren verschwörungsideologisch ausgerichteten Historiker der Universität Zürich, der zu den Anthrax-Anschlägen publiziert hat) sowie dem Journalisten Stefan Schaer (u.a. Betreiber des Forums "911 untersuchen" , bei dem Ganser Mitglied ist) an einer Podiumsdiskussion teilgenommen.
Eine Aufzeichnung dieser Veranstaltung existiert leider nicht (bzw. zumindest ist sie nicht im Netz auffindbar), die Web-Zeitung der ETH Zürich
bietet jedoch eine recht gute Zusammenfassung des Vortrags von Daniele
Ganser. Vorgestellt wurde Ganser in der Einleitung des Berichts als "ETH-Spezialist für
verdeckte Kriegsführung". Neben der Zusammenfassung von Gansers üblichen LIHOP-MIHOP-Ausführungen sowie seiner Bezugnahmen auf WTC 7 findet sich auch eine Passage, die bereits andeutet, wie der spätere
Direktor von SIPER Terror, 9/11 und Öl als Themen zusammenbinden würde:
"„Es scheint geradezu eine systematische Strategie zu
bestehen, Angst zu verbreiten und die Kulturen gegeneinander
aufzuhetzen“, kritisierte Friedensforscher Ganser. Dabei spiele der
„Peak Oil“ eine wichtige Rolle, d.h. der Kampf ums knapper werdende
Erdöl. Dies sei auch für die Schweiz keine gute Entwicklung. Durch
wissenschaftliche Analyse sollten daher offene 9/11-Fragen geklärt
werden. Es müsse gelingen, in einer globalisierten Welt, in welcher sich
die Kulturen stark vermischt haben, friedlich in einer freien
Gesellschaft und mit gegenseitiger Achtung zu koexistieren."
Die "heftigen Reaktionen", die es auf diesen Vortrag laut Ganser selbst gegeben habe, scheinen zu diesem Zeitpunkt noch nicht öffentlich geworden bzw. medial ausgetragen worden zu sein; es ist mir zumindest nicht gelungen, von Ganser unabhängige Darstellungen hierzu zu finden. Auch ein Interview zu Gladio und 9/11 mit dem LaRouche-Organ EIRInvestigation vom April 2005 ist offenbar einer breiteren Öffentlichkeit ebenso wenig kritisch aufgefallen wie ein Beitrag Gansers zu "Able Danger" und 9/11 auf der verschwörungsideologischen Querfront-Plattform "globalresearch" (mehr zu globalresearch folgt im übernächsten post).
Erste kleinere Beben haben Daniele Gansers Truther-Aktivitäten dagegen im Folgejahr hervorgerufen. Anläßlich des Jahrestages von 9/11 hatte Daniele Ganser am 9.9.2006 unter dem Titel "Der erbitterte Streit um den 11. September" einen Artikel im Schweizer "Tages-Anzeiger" veröffentlicht.
Auch hier stellte er umgehend einen Zusammehang zwischen den Anschlägen auf das World Trade Center
und dem globalen Problem der Versorgung mit Energierohstoffen her:
"Die These vom grossen
geostrategischen Kampf der Supermächte USA, Russland und China um die
schwindenden Erdöl- und Erdgasreserven ist auf den ersten Blick
einleuchtend und nicht zuletzt wegen des steigenden Erdölpreises auch in
Europa weit verbreitet. Problematisch ist sie trotzdem. Denn sie wirft
die fundamentale Frage auf, ob die US-Administration in erster Linie
Terroristen oder Erdöl jagt."
In
Bezug auf Gansers argumentatives Vorgehen scheint mir gerade diese
Passage recht aussagekräftig: einerseits geht aus ihr recht deutlich
hervor, daß der Schweizer Historiker von der Suche nach monokausalen
Erklärungsansätzen getrieben wird, andererseits schiebt er dann eine
Relativierung hinterher, die sich wiederum einen Satz später in einer
abrupten logischen Drehung als Scheineinwand bzw. Sophismus entpuppt. Des weiteren ist auch hier in diesem Artikel kein ausgeglichenes Vorstellen der drei unterschiedlichen
"Theorien" zu 9/11 gegeben, Ganser hebt stark auf Exponenten der
Truther-Bewegung ab und betont, daß diese durch ihre Beschäftigung mit 9/11 unter
politischen Druck geraten seien. Inwiefern die Argumentation der angeführten Personen faktisch
und logisch überhaupt tragbar war, bespricht Ganser nicht. Gansers Artikel erzeugt damit mehr oder weniger gezielt den Eindruck, daß in Bezug auf ein ungelöstes 9/11 unerschrockene, kritische Wahrheitssucher einer repressiven Macht
gegenüberstehen.
Ein
Gutteil von Gansers Argumentation steht und fällt mit der
"Denkbarkeit" eines inzenierten Terroraktes gegen die eigene
Bevölkerung, wobei sein Konzept der "Denkbarkeit" jedoch vorakademisch bleibt. Ganser stellt, ohne qualitative Unterscheidungen zu treffen, die Ansichten von Akademikern unterschiedlicher Disziplinen,
Journalisten
und anderer Figuren des öffentlichen Lebens (u.a. den Schauspieler
Charly
Sheen) lediglich nebeneinander und summiert, was diese für vorstellbar und
möglich halten. Zwischendrin heißt es, die offizielle
Version sei nach Philipp Sarasin, Professor für Geschichte an der
Universität Zürich "zumindest in einem Punkt nachweislich falsch". So
verwischt Ganser immer wieder auf problematische Weise akademische
Analyse, Tatsacheneruierung und bloße Wiedergabe gesellschaftlicher Diskurse.
Ganser behauptet unter anderem auch, die Tatsache, daß neben den beiden Türmen auch WTC 7
eingestürzt sei, sei "wenig bekannt". Jedoch wird im Internet im
Zusammenhang mit 9/11 kaum etwas so breitgetreten wie das angebliche Rätsel des 3.
Gebäudes. Ganser deutet an, die
Informationspraxis der amerikanischen Medien sei für den geringen
Bekanntheitsgrad des Einsturzes von WTC7 verantwortlich und zitiert zur weiteren Stützung dieser Sichtweise auch
seinen Kollegen Albert Stahel von der Universität Zürich mit seiner Behauptung, die Amerikaner seien schlecht und einseitig informiert worden. Ganser verleiht auf diese Weise seinen Lesern das schmeichelhafte, aber nicht in
der Realität gründende Gefühl, zu einem relativ kleinen, erwählten Kreis von
Menschen mit Spezialwissen zu gehören.
Hervorheben
möchte ich - insbesondere in Anschluß an meinen vorherigen post - noch
die Passage, in der Ganser sein Interesse an 9/11 in den weitere
Forschungskontext der verdeckten Kriegsführung und Energiesicherheit,
mit denen auch er im Rahmen seiner Anstellung an MILAK/ETH Zürich befaßt
war, einordnet:
"Peter
Forster, Präsident der eidgenössischen Konsultativkommission für innere
Sicherheit, betont, dass es auch für die Schweiz sehr wichtig ist zu
wissen, ob der «Krieg gegen den Terrorismus» ein Vorwand ist, um
Energieressourcen zu erbeuten.”
In
diesem Zusammenhang bin ich denn auch bedingt geneigt, Gansers
Behautpungen einen gewissen Wahrheitsgehalt beizumessen. Gansers Interesse an
9/11 scheint in der Tat so ungewöhnlich und marginal nicht gewesen zu sein, auch nicht in seinem akademischen Umfeld. Es haben sich dann wohl doch einige universitäre Kollegen und auch politische Freunde gefunden, die sein Interesse an 9/11 und seine Ansichten hierzu teilen; ein gewisses Mißtrauen gegenüber den nach außen kommunizierten Distanzierungen der betreffenden Institutionen von Truther-Umtrieben bleibt somit bestehen. Wer meine vorangegangenen beiden posts gelesen hat, ist denn
vielleicht auch weniger überrascht darüber, daß Albert Stahel, Gansers
Kollege am Centre for Security Studies an der ETH Zürich, sich in einem regen Austausch mit dem VPM-Magazin "Zeit-Fragen" befindet, das ihm im Jahr 2013 sogar in einem eigenen Artikel zum Geburtstag gratulierte, bzw. daß Stahel auch mit "Current Concerns", der englischsprachigen Ausgabe des VPM-Organs, in Kontakt stand.
 |
Vordergründiges: Gansers Artikel im Tages-Anzeiger (Quelle) |
Zeitgleich mit dem Artikel im Tages-Anzeiger war in der Baseler Zeitung unter dem Titel "Der Demokratie-Test schlechthin" auch ein Interview mit Daniele Ganser zu 9/11 erschienen. Gefragt, zu welcher Theorie er selbst tendiere, antwortete Ganser hier:
"Die
Surprise-Theorie ist mittlerweile unter Experten stark unter Beschuss,
weil die offizielle Version der Ereignisse, der «9/11 Commission
Report», auch «Kean-Report» genannt, der ausschliesslich die
Surprise-These vertritt, so schlecht ist. Dies hat den anderen beiden
Theorien zu sehr viel Aufwind verholfen. Jetzt, fünf Jahre nach dem
Ereignis muss man einfach dringend nochmals über die Bücher, weil wir
bis jetzt keine offizielle Geschichtsschreibung haben, die standhält."
Auch
diese Aussage legt nahe, daß Ganser ein holzschnittartiges Bild von
Geschichtsschreibung und deren Aufgaben pflegt. Aus diesen Zeilen
spricht die Erwartung, eine ein für allemal "die Wahrheit" festlegende
autoritative Master-Erzählung schaffen zu können. Zwischen juristischer
Ergründung eines Tathergangs, dem Bericht einer Untersuchungskommission,
der je nach Betrachter und der Art der an ihn gestellten Fragen als Primär- oder Sekundärquelle fungieren kann, sowie einer auf Primärquellen aufbauenden
und diese analysierenden sowie synthetisierenden "Geschichtsschreibung"
wird hier nicht unterschieden. Entgegen seiner Bekenntnis zu
historiographischem Pluralismus übt Ganser selbst eine andere Praxis und setzt stillschweigend voraus, daß Ereignisse und die von
Historikern gelieferten, zwangsläufig interpretierenden Beschreibungen
derselben in eins fallen müssten, d.h. Ganser setzt auf unzulässige Weise Sprache und Wirklichkeit gleich. Zudem verwickelt sich Ganser auch insofern in Widersprüche, als er im Rahmen einer demokratischen Gesellschaftsordnung selbst eine Art "offizielle Geschichtsschreibung" zu erwarten scheint; richtig wäre, an dieser Stelle von einem (wandelbaren)
Forschungsstand und (relativem) Forschungskonsens zu sprechen.
 |
Daniele Ganser im "Blick" (Bildquelle hier) |
Wenige Tage nach diesen beiden fragwürdigen Publikationen wurde noch eine Art
Reportage mit Daniele Ganser im "Blick" veröffentlicht. Inhaltlich ist
dieser Artikel, das aus viel Bild und wenig Text besteht, wenig bemerkenswert, aufschlußreich für die
Vorgehensweise und Selbstpräsentation Gansers ist jedoch die
Darstellungsform. Ganser bemüht in ihm in dichter Frequenz
Tätigkeitbeschreibungen, wie sie der Trivialkultur wohl als
charakteristisch für geschichtswissenschaftliche Arbeitsweisen
erscheinen. Die gehäufte Verwendung von Verben wie "forschen",
"studieren", "herausfinden", "zweifeln",
"fragen", "interessieren", "erklären",
die nicht nur hier, sondern auch bei Gansers Vorträgen vor breitem Publikum gut zu beobachten ist, ist für Ganser offensichtlich das, was dem Schauspieler in der Vorabendserie sein
weißer Kittel und das um den Hals gehängte Stethoskop.
Im vorliegenden Artikel wird Ganser bereits im Titel
mit "Je mehr wir forschen, desto mehr zweifeln wir"
zitiert. Im Teaser ist die Rede davon, daß Albert Stahel und Daniele
Ganser "heisse Fragen" stellen würden. Anschließend
werden MIHOP, LIHOP und Surprise als drei "Theorien"
vorgestellt, die man laut Ganser "gleichberechtigt behandeln"
solle. Anschließend betont er dann noch einmal: "Ich stelle
nur Fragen". Zum Schluß des Artikels heißt es jedoch im
Widerspruch zu dieser scheinbaren Neutralität, wiederum im
Ganser-Zitat: "Die Lügen der US-Regierung werden je länger
desto weniger toleriert."
Was Ganser denn nun genau
zu 9/11 geforscht haben will und inwiefern er auf diesem Themengebiet
überhaupt eigene Ergebnisse vorzuweisen hat, verrät der
Artikel nicht. Nun könnte man einwenden, daß diese Aufmachung dem
massenmedialen Profil des Blick geschuldet ist. Daß es sich hierbei
aber doch um Gansers persönliches Verständnis von "forschen" handelt, wird deutlich im
Abgleich mit an anderer Stelle getätigten Aussagen, etwa in Gansers jüngstem
Auftritt bei KenFm. Hier behauptete er gegenüber Ken Jebsen, er habe:
"[...] als
Historiker eben auch untersucht, daß die Christen doch eben
Kreuzzüge geführt haben, daß in der katholischen Kriche nach dem
2. Weltkrieg eben die Nazis nach Südamerika gebracht wurden
und daß die Sexualverbrechen sozusagen der katholischen Kirche - das
ist ein Riesenproblem - dann die Protestanten, was haben sie gemacht
gegen Hitler, was haben sie gesagt, haben sie irgendetwas kluges
gemacht, zur 9/11-Forschung, Terrorismusforschung, was war während
dem Vietnamkrieg".
Er, so Ganser, "versuche halt herauszufinden",
ob es Gottes Idee gewesen sei, "daß sich die verschiedenen
Religionen gegeneinander aufhetzen und umbringen":
"Die Gottesfrage ist für die
Friedensforschung ganz wichtig, also man kann die nicht einfach
ausklammern. Und darum nehme ich die auch jetzt in die Forschung
rein."
"Hauptdurchsage der Friedensforschung", so
fährt Ganser fort, sei es, daß man sehr viel lerne, wenn man
"offen" und "gewaltlos" bleibe. Durch welche(r)
Friedensforscher diese Disziplin angeblich derart definiert worden ist, bleibt unerwähnt. "Untersuchen" und "erforschen"
wird hier zum Synonym für schlichtes "Lesen" und
"Informieren" über ein bestimmtes Thema. "Friedensforschung" und
"Konfliktlösung" auf einem solchen Niveau geraten zur küchenpsychologischen Lebensberatung. Der
Blick-Artikel mit seiner Überschrift "Je mehr wir forschen,
desto mehr zweifeln wir", seinen großflächigen und
farbenfrohen Bildern, wenig Text und noch weniger Hinweise auf
"Forschung" deutete bereits an, wohin die gansersche Art eines (pseudo-)wissenschaftlichen Populismus führen würde und illustriert sehr gut die von Ganser selbst offenbar
bewußt herbeigeführt Vermischung von (Populär-)Wissenschaft, Verschwörungstheorie und Trivialkultur.
Gansers Artikel im Tages-Anzeiger war im Verein mit seinen weiteren Äußerungen offenbar als so massiv verschwörungsideologisch argumentierend wahrgenommen worden, daß er dann doch eine öffentliche Beschäftigung mit Gansers 9/11-Aktivitäten in Gang gesetzt hat. Ein erster kritischer Artikel unter dem Titel "Glaubensbrüder"
erschien in Ausgabe 37/2006 der "Weltwoche". In ihm wurde bemängelt, Ganser
habe u.a. beim Tagesanzeiger eine Plattform erhalten, um dort seine
"aberwitzigen Spekulationen" alias das in Truther-Kreisen gängige
Gedankengut zu verbreiten:
"Ganser referiert nicht bloss, sondern er lenkt die Leser in eine
bestimmte Richtung: Sie sollen die Fakten in Zweifel ziehen und an die
Verwicklung der US-Regierung in den blutigsten Terroranschlag der
Geschichte glauben. Den geistigen Verrenkungen, die man dazu vollführen
muss, bereitet Ganser das Terrain, indem er sämtliche «Theorien» in
einen Topf wirft."
"Ganser verwischt die Differenz zwischen gesichertem Wissen, offenen
Fragen und den Ausgeburten der Fantasie gezielt. Unterstellungen von
passionierten Verschwörungstheoretikern erhalten in seinen Artikeln den
gleichen Aussagewert wie gesicherte Quellen."
 |
Quelle: https://www.flickr.com/photos/patsch/245535515/sizes/z/ |
Gansers verstärktes Auftreten mit Thesen zu 9/11
auch in deutschsprachigen Medien hat im Herbst 2006 nicht nur für
erste mediale Kritik gesorgt, sondern auch zu einer Distanzierung
von universitärer Seite, insbesondere von Seiten der ETH, die
offenkundig um ihren Ruf besorgt war. Am 17.9.2006 erschien in der
SonntagsZeitung ein Artikel unter dem Titel "ETH und Uni Zürich
gehen auf Distanz zu Verschwörungstheoretiker" (siehe auch nebenstehendes Bild).
In ihm bemüht sich Andreas Wenger, Leiter der Forschungsstelle für
Sicherheitspolitik an der ETH Zürich darum, eine Abgrenzung seines
Instituts von Gansers Beschäftigung mit 9/11 vorzunehmen: "An
meiner Forschungsstelle wird nicht über Verschwörungstheorien
geforscht." Ganser habe seit 2003 bei Wenger zur Rolle der
Wirtschaft in Gewaltkonflikten geforscht; was er nun zu 9/11
verlautbaren lasse, seien "ungeheure Behauptungen, für die
keine Beweise geliefert werden". Wenger halte das für
"wissenschaftlich fragwürdig und politisch unsensibel". Er
habe zudem Ganser schon im Vorjahr darauf hingewiesen, "dass er
sich in dieser Sache nicht als Mitarbeiter der Forschungsstelle für
Sicherheitspolitik der ETH Zürich äußern könne".
Auch die Universität Zürich ließ über ihre
Kommunikationsdelegierte Christina Hoffmann verlautbaren, daß
Daniele Ganser nicht die universitäre Meinung vertrete, sondern sich
als Privatperson äußere. Des weiteren heißt es in dem Artikel der
SonntagsZeitung:
"Offen ist, ob die gansersche Verbreitung
von Verschwörungstheorien Konsequenzen haben wird."
Ein Blick zurück auf Gansers
9/11-Artikel im Tages-Anzeiger bestätigt jedoch, daß Ganser
sich in der Tat wohl nicht an die Ermahnung des Vorjahres gehalten hat: er
ist erneut nicht als Privatperson, sondern als Akademiker und als
Vertreter wissenschaftlicher Institutionen in Erscheinung
getreten. Es heißt im Tages-Anzeiger zu ihm:
"Daniele Ganser ist Historiker an der Universität Zürich.
Sein Buch «NATO’s Secret Armies» untersucht inszenierten
Terrorismus im Kalten Krieg. Zum neuen Sammelband von David Ray
Griffin («911 and American Empire: Academics Speak Out») hat er ein
Kapitel beigetragen."
Vor diesem Hintergrund erscheint die Rüge von
Seiten der ETH wie auch der Universität Zürich nachvollziehbar und
ist deren Distanzierung von Gansers 9/11-Aktivitäten keineswegs
gleichzusetzen mit einer Beschneidung der Meinungsfreiheit eines
ihrer Mitarbeiter. Es ist allgemein übliche Praxis, bei öffentlichen
Stellungnahmen von Wissenschaftlern darauf zu verweisen, ob diese
sich zu bestimmten Thematiken als Privatperson oder als akademische
Experten äußern - für Personen in anderen öffentlichen Ämtern
gilt Ähnliches. Falls es so stimmt, daß Wenger Ganser bereits im
Vorjahr zu einer entsprechenden Präzisierung des Kontextes seiner
Äußerungen aufgefordert hatte - und Ganser selbst hat dieser
Darstellung nicht widersprochen-, so war dies sicher nicht zu viel
verlangt gewesen, zeugt vielmehr von einer doch recht
hohen Toleranz dieser Institution zugunsten der Meinungsfreiheit ihrer Mitarbeiter.
Auch der Vorwurf der wissenschaftlichen Fragwürdigkeit war, so wie ihn Wenger vorträgt, durchaus berechtigt.
Was den Vorwurf der fehlenden politischen
Sensibilität angeht, so ist hier die "Beweislage" etwas
komplizierter. In etwa zum Zeitpunkt dieses aufkommenden öffentlichen Streites müßte sich laut der
Schilderungen Gansers auch die amerikanische Botschaft in Bern
eingeschaltet haben. In "WTC7
und andere Rätsel um 9/11", einem Artikel, der am 7.9.2011
im Tages-Anzeiger erschienen ist, heißt es etwa:
"Gewisse Fachkollegen hätten ihm abgeraten,
seine Forschungen zu den Terroranschlägen von 2001 weiterzuführen.
Einige hätten zwar unter vorgehaltener Hand zugestimmt, dass vieles
ungeklärt sei. Andere hätten aber gemahnt, solche Fragen seien zu
politisch und könnten auch in der Schweiz eine Karriere als
Wissenschaftler ruinieren, erzählt Ganser. Er sei auch beschimpft
worden, selbst die US-Botschaft in Bern habe protestiert.Durch solche
Anfeindungen lässt er sich aber nicht beirren. «Die Version der
Bush-Administration blind zu übernehmen, würde den grundlegenden
Prinzipien der Wahrheitssuche widersprechen», sagt Ganser."
"Sogar die US-Botschaft in Bern protestierte
und erklärte, es gehe nicht an, dass Schweizer Wissenschaftler die
offizielle 911-Geschichte anzweifeln."
Eine Stellungnahme von Botschaftsseite oder gar
Schilderungen Dritter scheinen zu diesem Vorgang leider nicht zu existieren. Das
muß nicht verwundern, eine mündliche, formlose Beschwerde, die
keine weiteren Spuren hinterläßt, halte ich für durchaus denkbar
und wäre in einer Konfliktsituation wohl auch der sich anbietende
erste Schritt gewesen. Ganser ist mit der Abwesenheit entsprechender Dokumente hier also nicht widerlegt. Sehr fraglich ist allerdings, ob der von
Ganser kolportierte Einwand der Botschaft, man dürfe nicht "die
offizielle 911-Geschichte anzweifeln", in dieser Form korrekt wiedergegeben
ist. Es ist wohl nicht davon auszugehen, daß der amerikanische
Botschafter selbst von einer "offiziellen Version"
gesprochen hat, da er damit eine politische Festlegung von "Wahrheit"
kundgetan und im gleichen Zuge auch die Berechtigung rivalisierender
9/11-Erzählungen eingeräumt hätte. Es ist also davon auszugehen,
daß Ganser in seiner Darstellung das Verhalten der amerikanischen
Botschaft verfremdet hat und seine diesbezüglichen Schilderungen nicht
wörtlich zu nehmen sind.
Starke Zweifel an Gansers Erzählung scheinen mir auch insofern
angebracht, als er bereits zuvor (wie oben dargelegt)
Truther-Kollegen pauschal, d.h. ungeachtet ihrer intellektuellen
Qualitäten, als Opfer von Repressionen dargestellt hat und in diesem Sinne gerne legitime Kritik an fehlenden
wissenschaftlichen Standards mit politisch motivierten Zensur- und
Repressionsversuchen verwechselt. Die Begründung des amerikanischen
Botschafters für sein Einschreiten - sofern dieses tatsächlich
stattgefunden hat - kann also durchaus auch eine andere als die von
Ganser wiedergegebene gewesen sein.
Schlechte Wissenschaft alleine dürfte allerdings auch kaum einen
legitimen Interventionsgrund abgegeben haben; ein Einmischen der
amerikanischen Botschaft auf dieser Basis wäre höchst unklug gewesen, kann
aber nicht ausgeschlossen werden. Anders sieht die Lage aus, wenn man
bedenkt, daß Gansers Äußerungen zu 9/11 nicht nur
vorwissenschaftlich, sondern in Bezug auf die Leidtragenden der
Anschläge von 9/11 so geschmacklos wie verletzend sein können - unter diesem Aspekt hätte ein Einschreiten im Zuge des Schutzes der
Interessen Dritter dann eventuell eine Berechtigung gehabt. Es
wäre auch in Betracht zu ziehen, ob Gansers Thesen zu 9/11 auch
als nachweislich eine an die Adresse amerikanischer Regierungsvertreter
gerichtete Verleumdung verstanden werden können und inwiefern eine solche durch
Verleumdung durch den Grundsatz der Meinungsfreiheit abgedeckt wäre.
Andere Erklärungen als die, die Ganser für die Wortmeldung des
amerikanischen Botschafters liefert, sind also zumindest denkbar.
Noch weiter als in den oben zitierten
Anschuldigungen geht Ganser in einem reißerisch aufgemachten Artikel, der 20
im französischsprachigen Schweizer Magazin L'Hebdo erschien. In "Dix ans de mensonges?" ("10 Jahre der
Lügen"?) ist gleich ein ganzer Abschnitt unter der
Zwischenüberschrift "Comment l'ambassade américaine intervient
en Suisse pour faire taire les truthers" ("Wie
die amerikanische Botschaft in der Schweiz interveniert, um die
Truther zum Schweigen zu bringen") für die ganserschen
Zensur- und Repressionsvorwürfe reserviert. Die ausgebreitete
Faktenlage ist jedoch auch hier äußerst dünn. Anstatt einer
konkreten Schilderung dieses (mutmaßlichen) Sachverhaltes wird erneut
Ganser mit einer so pauschal wie vage wirkenden Anschuldigung
zitiert:
"«L’ambassade
américaine à Berne intervient systématiquement pour faire taire
ceux qui remettent en cause la version officielle.»" (Zu
Deutsch: "Die amerikanische Botschaft in Bern interveniert auf
systematische Weise, um diejenigen, die die offizielle Version
anzweifeln, zum Schweigen zu bringen.")
Wer derartige Vorwürfe in den Raum stellt, sollte
sie auch - soweit möglich - zu untermauern suchen und auf sachliche
Klärung dringen. Ganser aber spielt zwar immer wieder auf diesen
Vorfall an und schlägt daraus bei seinen Zuhörern auch entsprechend
als mutiger, unerschrockener Wissenschaftler, Kapital, hat sich aber
beispielsweise nicht die Mühe gemacht, das Vorgehen der amerikanischen Botschaft
seiner Erinnerung entsprechend niederzuschreiben und etwa
auf schriftlichem Wege vom amerikanischen Botschafter in Bern eine
Stellungnahme zu fordern. Gerade angesichts der Tatsache, daß Ganser
die Freiheit der Wissenschaft so wichtig erscheint, ist es
unverständlich, warum er hier keine öffentliche Diskussion in Bezug
auf die Frage, wer auf welchem Wege und aufgrund welcher Motive
intervenieren darf, angestrengt hat. Seine Vorwürfe schweben damit nach wie vor in der Luft und finden jenseits anekdotenhafter Passagen, die die Funktion haben, Gansers Mut zu Ikonoklastik zu illustrieren, keinen Niederschlag.
Ab Herbst 2006 hat Ganser immer weitere Interviews,
Artikel und Vorträge zu 9/11 gegeben, die sich oftmals inhaltlich
sehr gleichen und hier auch aufgrund ihrer großen Anzahl nicht
einzeln betrachtet werden können. Ich werde mich in den folgenden
Abschnitten auf den bereits erwähnten Beitrag Daniele Gansers
zum Griffin-Sammelband beschränken, sowie auf seinen im Jahre 2011
an der Universität Basel öffentlich gehaltenen Vortrag, der erneut
für Kritik von universitärer Seite gesorgt hat und Ganser als weiteres
Beispiel für angeblich das Thema 9/11 betreffenden Zensurabsichten dient.
 |
Ganser sorgt für Schlagzeilen (Quelle) |
Hinweisen möchte ich hier allerdings zum Abschluß dieses Abschnitts doch noch auf einen
Artikel mit dem Titel "9/11
an der Uni", der im Jahr 2007 erschien, verweisen. Hierin wird herausgestrichen, daß Ganser der einzige
Schweizer Wissenschaftler sei, der sich mit den Terroranschlägen in
den USA vom 11. September 2001 beschäftigen würde. Beschrieben wird
Ganser hier als "Mann, der die Wahrheit sucht und heikle Fragen
stellt". Auffällig ist hier erneut, wie Ganser so autoritative
wie unfundierte und substanzlose Aussagen darüber trifft, was "der
Historiker" oder "der Friedensforscher" angeblich
untersuche, feststelle, wolle und an Empfehlungen an die
Allgemeinheit aussspreche. Eine Bezugnahme auf die jeweiligen
Vertreter, Thesen und Schulen bzw. Fachdiskussionen des jeweiligen
Feldes erfolgt auch in diesem Kontext nicht. Ob Ganser sich als Historiker,
Theologe, Soziologe, Politikwissenschaftler, Psychologe oder
interdisziplinärer Konfliktforscher betätigen möchte, auf welche Theorien
und Methoden er sich hierbei stützt, bleibt offen, seine Aussagen nehmen sich
schwammig und banal aus. Ganseres Ausführungen lassen oftmals wenig mehr erkennen als ein
unbestimmtes Mischmasch vorwissenschaftlichen Alltagswissens,
streichen dabei aber gleichzeitig ein angebliches Spezialwissen
heraus. Hier einige Ausschnitte:
"Sie [die Friedensforschung] kann zeigen, dass
Konflikte wertvoll sein können, wenn sie die Weiterentwicklung der
Gesellschaft oder auch des individuellen Bewusstseins fördern. Wir
alle wissen, dass etwa Konflikte in zwischen menschlichen Beziehungen
nützlich und notwendig sind und dass wir daran wachsen. Wichtig ist
aber, dass solche Konflikte nicht mit Gewalt gelöst werden. Wenn wir
uns gegenseitig umbringen, ist die Wachstumschance vertan."
"Die Aufgabe des Historikers besteht nun darin, die
verschiedenen Theorien aufgrund der Quellenbasis gegeneinander
abzuwägen.[...]Als erstes liest der Historiker den 600 Seiten langen
Kean-Report aus dem Jahr 2004, die offizielle Darstellung zum 11.
September. Er ist das wichtigste Dokument. Anschliessend prüft er
dessen Vollständigkeit."
"Die
Geschichtswissenschaft zeigt, dass man mit Terror die öffentliche
Meinung stark beeinflussen kann."
"Die
Geschichtswissenschaft ist auf jeden Fall noch nicht so weit, dass
sie aufgrund ihrer Quellenarbeit sagen könnte, welche der drei
Theorien stimmt. Bis jetzt steht nur fest, dass die offizielle
Darstellung der Ereignisse vom 11. September grosse Lücken
aufweist."
"Deshalb kommen Historiker nicht darum
herum, die verschiedenen Theorien auszulegen und ihre Quellenbasis zu
prüfen. Letztlich ist Geschichtsschreibung immer
brisant."
"Erstaunlich ist, dass nur wenige Menschen
überhaupt wissen, dass es drei Theorien zum 11. September gibt, und
noch weniger wissen, wo genau die Streitpunkte liegen. Als Historiker
und Friedensforscher muss ich diese Spannung aushalten können."
Hiermit läßt sich
festhalten: Über ein banales, allgemeines Geplänkel kommt Ganser in
seinen Zeitungsartikeln und Interviews zu 9/11 kaum heraus. Wie
jedoch sieht es mit seinem wissenschaftlichen Beitrag zu einem
9/11-Sammelband aus? Bietet dieser mehr, und vor allem, Gehaltvolleres?
"Intellectuals Speak Out": Von Geheimdienstkritik über VIPS und globalresearch zur Realpolitik?
Das
Buch "9/11 & American Empire: Intellectuals Speak Out." ist im
September 2006 in den USA veröffentlicht worden und enthält einen
Aufsatz Daniele Gansers unter dem Titel "The "Strategy of Tension" in the Cold War Period". Am Titel fällt auf, daß dieser, ebenso wie Ganser das für sich selbst praktiziert, das Bild des mutigen Intellektuellen, der für die Wahrheit kämpft, beschwört. Herausgeber des Buches sind David Ray Griffin und Peter Dale Scott, zu deren Hintergrund hier zunächst einiges gesagt werden muß.
Peter Dale Scott
ist ein kanadischstämmiger Schriftsteller und ehemaliger Diplomat, der
sich (seit dem Vietnamkrieg) als Kritiker der amerikanischen
Außenpolitik hervorgetan hat. Er hat sich vorrangig mit Parapolitik und dem
"tiefen Staat" beschäftigt und davon ausgehend das Konzept der "deep politics" geprägt. Obwohl Scott als Englischprofessor in Berkeley an einer
der prestigereichsten wissenschaftlichen Einrichtungen der USA tätig
war, können seine politischen Schriften in ihrer Tendenz zu
Sensationalismus und Verschwörungsideologie strengeren
akademischen Anforderungen nur schwer standhalten.
Der Ruf Scotts
als Verschwörungsideologe geht nicht erst auf dessen
Arbeiten zu 9/11 zurück sondern weist eine vor die 9/11-Thematik zurückreichende
Vorgeschichte auf. Scotts Studie zur Ermordung John F. Kennedys ("Deep
Politics and the Death of JFK", 1993) war bei Kritikern bereits
umstritten gewesen. Max Holland etwa hat das Buch in seiner Besprechung für The Wilson Quarterly als "unreadable compendium of 'may haves' and 'might haves,'
non-sequiturs, and McCarthy-style innuendo, with enough documentation to
satisfy any paranoid" bezeichnet und auch Scotts Ansatz der "deep politics" wohl wenig überzeugend gefunden:
"What
is this deep process? A virtual political
Disneyland: the CIA, drug dealers, Somoza,
Fred
Hampton, COINTELPRO, Oliver North.
And that's just from two pages."
In
Bezug auf 9/11 muß man Scott jedoch zugestehen, daß seine Beschäftigung
hiermit etwas mehr Komplexität und Seriosität aufweist als marktgängige
Truther-Argumentationen, da er etwa auf die internationalen Hintergründe
des Phänomens des Terrorismus und unterschiedliche Faktoren, die zu
seinem Entstehen beitragen haben, eingeht. So gesteht auch der Blog 911 CultWatch
Scott zu, zu den intelligenteren und hörens- bzw. lesenswerten
"Kritikern" der sogenannten offiziellen 9/11-Version zu gehören und
zeichnet ein differenziertes, wenngleich ebenfalls kritisches Bild von Scotts intellektueller Leistung:
"It would be trite to assume that all those supporting, or in the
orbit/thrall of the 9/11 cult, are intellectual charlatans. Some have
interesting things to say, and in this category comes former Canadian
diplomat Peter Dale Scott. The originator of the term 'parapolitics' [..] Dale Scott's research into 'deep politics'
predates 9/11. He is important both for this and because he uses past
(and legitimate) research in a way that does not challenge, and in
effect drums up support for, the 9/11 cult. In doing so (and this is
difficult to prove) he has compromised his intellectual and political
integrity to a degree, at least, by evading key evidential issues or
skipping lightly round them."
Der gleiche blogeintrag betont auch, daß Scott als "important and
worthy opponent who we rate more highly than charlatans like Webster
Griffin Tarpley & the holy snake-oil salesman David Ray Griffin"
gelten könne. Nun wurde das hier relevante Buch aber gerade von eben jenem David
Ray Griffin mitherausgegeben und steht damit gerade nicht für eine
Forschung, die sich über Truther-Diskurse erheben würde. Einen unabhängigen und parteilosen Charakter, wie ihn Ganser immer wieder für sich selbst behauptet, kann diese Publikation angesichts ihrer beiden Herausgeber also nur schwer für sich beanspruchen.
David Ray Griffin
ist ein emeritierter Professor für Philosophie und Theologie und hat
sich erst im Zuge der Anschläge auf das World Trade Center politischen
und historischen Themen zugewendet. Er bringt damit von Haus aus wenig
mit, was ihn dazu qualifizieren würde, das Thema 9/11 auf
ereignisgeschichtlicher Ebene zu behandeln oder die Arbeiten anderer auf
diesem Gebiet entsprechend einzuordnen. Zur Überzeugung, daß die
sogenannte "offizielle Version" inkorrekt sei, gelangte er u.a. nach der
Lektüre von Nafeez Ahmed,
der auch an anderen Stellen im Umfelde Daniele Gansers
auftaucht (ich werde zu späterem Zeitpunkt noch näher hierauf eingehen). Das
erste Buch David Ray Griffins zum Thema 9/11 erschien im Jahr 2004 unter
dem Titel "The New Pearl Harbor: Disturbing Questions About the Bush Adminstration and 9/11".
Griffin hatte sich hierin u.a. auf den französischen Journalisten
Thierry Meyssan bezogen, zu dessen Internetprojekt "Voltairenet" Ganser ebenfalls
Kontakt hat.
"If necessary, theorists become interestingly opaque about the qualifications of their experts.[...]
Another aspect of this fudging is the tendenccy among conspiracists to
quote each other so as to suggest a wide spread of expertise lending
support to the argument. Thus, over the events of 9/11, the French
conspiracy author Thierry Meyssan cites American conspiracy author
Webster Tarpley; Webster Tarpley cites David Ray Griffin and David Ray
Griffin cites Thierry Meyssan. It is a rather charming form of
solidarity. [...] The
conspirationists work hard to give their written evidence the veneer of
scholarship. The approach has been described as death by footnote.
Accompanying the exposition of the theory is a dense mass of detailed
and often undifferentiated information, but laid out as an academic
text."
Gansers eigener Artikel
in "Intellectuals Speak Out" ist recht unspektakulär. Eingangs (S.79)
bezieht sich Ganser auf David Ray Griffins "The 9/11 Commission Report:
Omissions and
Distortions" und schildert, wie dieses Buch seine Hoffnung habe
zerschellen lassen, daß der offizielle Untersuchungsbericht vom Juli
2004 für Aufklärung sorgen werde. Er selbst erhebe allerdings mit seinem
Aufsatz nicht den Anspruch "to explain what really happened on 9/11". Statt dessen stellt er nach dem bereits bekannten Schema seine drei
"Verschwörungstheorien" vor, wobei er auf auffällige Weise versucht,
diese mit religiösen Unterscheidungen in Verbindung zu bringen (S.81).
LIHOP schlage vor, daß 9/11 eine "combined Muslim and Jewish-Christian
conspiracy, in which the latter group outwitted the former" gewesen sei,
wohingegen MIHOP hauptsächlich von einer christlichen oder
jüdisch-christlichen Verschwörung ausgehe. Auf eine für seine
Argumentationsweise geradezu typische Art nimmt er gleich darauf diese
Andeutungen jedoch wieder zurück:
"Theologians
have correctly pointed out that no true Christian, Jewish or Muslim
values - including love and respect for other human beings - can be
found in the crimes of 9/11, and that it is therefore fundamentally
wrong to link any of the three largest monotheistic religions of the
world to the crime. If religion played a role in the fanatic crime at
all, then it was misguided religion."
Möglicherweise macht sich auf diese Weise in Gansers Ansatz der
theologische Einfluß Griffins bemerkbar. Das Hauptthema von Gansers
Aufsatz macht die Frage aus, ob eine westliche, demokratische
Regierung zu einer terroristischen False-Flag-Operation, die sich gegen
die eigenen Bürger richtet, fähig wäre und ob es möglich sei, daß solch eine Aktion über einen längeren
Zeitraum hinweg geheim bleiben
könne. In der zugehörigen Argumentation bemüht Ganser im wesentlichen seine
Vorarbeiten zum Thema geheime Kriegsführung in den Zeiten des Kalten
Krieges und liefert hiermit eine Art Vorgeschichte zu 9/11. Einen solchen
thematischen Ausschnitt zu wählen ist m. E. durchaus legitim und
erlaubt Ganser, in größerem Umfang auf früheren, eigenen Forschungsergebnissen aufzubauen. Nichtsdestotrotz
fallen bei diesem Artikel einige Schwächen und Merkwürdigkeiten auf.
So
leitet Ganser seine Beschreibung der "Strategy of Tension" ein mit einem
Verweis (S.82) auf die Exklusivität des Wissens über diese Strategie. Außer der Herstellung von Autorität und möglicherweise einer auf
ein solches "Spezialwissen" bauenden Gemeinschaft zwischen ihm und
seinen Lesern scheint diese Passage keine wesentliche argumentative Funktion innerhalb der Texstruktur zu haben:
"It
is probably fair to say that of the roughly six billion people who live
on our planet today, far less than one percent has ever heard of the
"strategy of tension". And only a very few of these could illustrate the
strategy with specific historical examples. It is indeed a strategy of a
shadow world, known only to a few military and intelligence officers
(and some criminals) who have carried it out, a few police officers and
judges who fought against it, and a handful of journalists and academics
who have written about it."
Üblich
wäre an dieser Stelle eine Skizze des
Forschungsstandes gewesen, womit Ganser sein Forschungsthema nicht nur
in einen weiteren Kontext hätte einordnen, sondern auch seine eingehende
Beschäftigung mit diesem Thema unter Beweis stellen können und sein Fachwissen
sowie seinen eigenen Forschungsbeitrag (sein akademisches Kapital) an
dem seiner Kollegen gemessen hätte. Hinweise auf Forschungskontroversen und
eine Besprechung der relevanten Literatur finden sich in diesem Artikel
jedoch mit Ausnahme einer sehr kurzen, kursorischen Erwähnung von
US-Forschung zu diesem Thema (wenige Sätze auf S. 91) nicht. Ganser legt
nicht einmal offen, woher der Begriff "strategy of tension" stammt, wie
alt dieses Konzept ist und wie es von wem definiert und verwendet wurde. Seine
Ausführungen sind auch insofern unscharf, als er nicht näher ausführt,
inwiefern "strategy of tension" eine Art wissenschaftliches Konzept
darstellt, d.h. auf der Ebene eines Metadiskurses angesiedelt ist, oder ob es die Bezeichung für eine
Strategie ist, die von ihren Verfechtern so geprägt und verwendet wurde. Ebenso
unterläßt es der Text da, wo er die Definition des US-Department of
Defence für "psychological warfare" liefert (S.83), diese Definition zu
datieren und in einem geschichtlichen Kontext zu verankern.
Unter
diesem Aspekt wirkt die Vorgehensweise Gansers dann eher ahistorisch.
Ganser legt wenig Wert darauf, die Entwicklung von Konzepten und
Strategien verdeckter Kriegsführung aufzuzeigen und setzt an diese
Stelle ein unpräzises Argumentieren mit menschlichen Grundeigenschaften
(S.83):
"Leaving aside the fact that
philosophers, psychologists, neurologists, and theologians have never
been able to fully agree on exactly what "the mind" is, we can for our
purposes here define it simply as our human ability to think and feel.
If a group can get access to our thinking and our feeling without our
noticing, it can exercise great power over us. Once we notice that our
psyches are being manipulated through psychological warfare, the
technique loses some of its effects."
Da,
wo es um historische Beispiele für die "Strategy of Tension" geht, wird
nicht problematisiert, inwieweit hinter den genannten Ereignisabläufen tatsächlich staatliche Strategien standen oder die entsprechenden Akteure
möglicherweise auch eigenmächtig vorgingen, daß Teile
geheimdienstlicher Strukturen auch aus dem Ruder laufen können sowie daß die Zusammenarbeit unterschiedlicher Instanzen auch unerwartete Dynamiken zeitigen kann. Kurz: Ganser
thematisiert nicht bzw. kaum, welche Ebenen inwieweit und in welcher Form beteiligt waren
und wie sich individuelle Intentionen und
Nato-Taktiken in der Praxis zusammenfügen. Folglich ist Ganser auch mit dem Ziehen von
Schlüssen schnell bei der Hand, stützt sich oft auf äußerst dünne
Faktenlagen bzw. Indizienketten und versäumt Quellenkritik.
Am
glaubhaftesten ist Gansers These, daß Stay Behind-Truppen im Rahmen von
Nato-Strategien bzw. auf auf Nato-Anweisungen hin Anschläge begangen
hätten, in Bezug auf Italien. Hier allerdings wäre mit Blick auf seinen
eigentlichen Argumentationszweck einzuwenden, daß, selbst wenn die USA hier tatsächlich im Rahmen einer Strategy of Tension für terroristische Anschläge in
Italien verantwortlich gemacht werden könnten, dies in keinster Weise
belegen würde, daß sie auch auf gleiche Weise bereit wären, ebenfalls gegen die eigenen Bürger gerichtete Anschläge in den USA selbst durchzuführen. Gansers Argumentation ist damit nicht nur indirekt, sein Konzept
der Denkbarkeit bleibt auch hier wieder weitgehend auf einer vorwissenschaftlichen Ebene
stehen.
Zusammenfassend
läßt sich festhalten, daß die Wahl des Untersuchungsausschnitts vor dem
Hintergrund von Gansers früheren Untersuchung zu Stay-Behind-Strukturen
Sinn macht und auch der indirekte, eher abstrakt-deduktive
Argumentationsansatz, bei der Ganser sich Spekulationen zu 9/11 selbst
weitgehend enthält, sich statt dessen der Frage von (historischen) Vorbildern oder
Mustern für inszenierte Terroranschläge zuwendet, keinen akademischen
Sündenfall darstellt. Die Aussagekraft des Aufsatzes in Bezug auf das, was Ganser
umtreibt - die "Wahrheit" über 9/11 - ist dadurch allerdings auch
gering. Der Artikel bietet wenig mehr eine Wiederaufwärmung von Gansers älteren Studien
zu Stay Behind-Netzwerken. In der konkreten Ausführung läßt sich zudem ein
gewisser Mangel an geschichtswissenschaftlicher Methodik erkennen.
Zur Entstehungs- und Verbreitungsgeschichte des Sammelbandes gilt es hier noch einige interessante Informationen zu ergänzen, da diese erneut auf die Bedeutung prorussischer Querfront-Netzwerke verweisen. Vorgestellt wurde "Intellectuals Speak Out" in Form eines Panels, das im September 2006 in Berkeley stattfand und anschließend per Video
einem breiten Publikum zugänglich gemacht wurde. Als Redner anwesend waren die beiden Herausgeber David Ray
Griffin und Peter Dale Scott, sowie Ray McGovern, Mitbegründer der
Vereinigung Veteran Intelligence Professionals for Sanity, Peter
Phillips, Leiter des "Project Censored" und Kevin Ryan. Project Censored
ist eine linksalternative Medieninitiative, die
9/11-Verschwörungstheorien unterstützt, Kevin Ryan fungiert als Mitherausgeber
des "Journal of 9/11 Studies". Die Besetzung des Panels deutet bereits darauf hin, daß es
bei dieser Veranstaltung genau wie bei der Publikation selbst sehr viel weniger
darum ging, die Anhänger unterschiedlicher 9/11-Versionen miteinander
ins Gespräch zu bringen, als darum, Truther zu bündeln und ihre Sichtweisen
der "offiziellen Version" entgegenzustellen.
Der ehemalige CIA-Offiziers
Ray McGovern,
der anders als Griffin, Scott, Phillips und Ryan an der Publikation
selbst nicht mitgewirkt hat (das Vorwort bzw. die Danksagung konnte ich
leider nicht einsehen, so daß ich nicht sagen kann, ob er vielleicht
indirekt zu seinem Zustandekommen beigetragen hat), war zugleich Moderator und
Gastgeber und hat möglicherweise auch generell bei der Bekanntmachung
bzw. Vermaktung des Buches eine wesentliche Rolle gespielt. So wird das
Buch beim Verlag u.a. mit seiner Empfehlung beworben:
"It
has long been clear that the Bush-Cheney administration cynically
exploited the attacks of 9/11 to promote its imperial designs. But the
present volume confronts us with compelling evidence for an even more
disturbing conclusion: that the 9/11 attacks were themselves
orchestrated by this administration precisely so they could be thus
exploited. If this is true, it is not merely the case, as the Downing
Street memos show, that the stated reason for attacking Iraq was a lie.
It is also the case that the whole 'war on terror' was based on a prior
deception. This book hence confronts the American people—indeed the
people of the world as a whole—with an issue second to none in
importance and urgency. I give this book, which in no way can be
dismissed as the ravings of 'paranoid conspiracy theorists,' my highest
possible recommendation."
Die von Ray McGovern mitbegründeten Veteran Intelligence Professionals for Sanity,
eine Gruppe ehemaliger hochrangiger US-Nachrichtendienstler, die sich
Anfang 2003 im Zuge der Kritik am Irak-Krieg formiert hatten, verdienen
eine weitere kurze Erläuterung. Jüngst ist diese Vereinigung mit einem Brief an Angela Merkel
in Erscheinung getreten, in dem das Vorliegen einer russischen Invasion
in der Ostukraine bestritten wird. William Binney, einer der Wortführer
dieser Aktion, war zunächst Rußland-Spezialist gewesen und anschließend
bei der NSA angestellt. Im Jahre 2001 wurde Binney zum NSA-Whistleblower und
damit einem Vorläufer Edward Snowdens, den er heute unterstützt. Binney gehört auch zu den Unterzeichnern
der Petition der "Architects and Engineers for 9/11 Truth". Im Falle von Julien Assange war es dagegen Ray McGovern, der über den "Sam Adams Award" der von ihm begründeten "Sam Adams Associates for Integrity in Intelligence" dem australischen Hacker und Whistleblower seinen ersten Preis zuerkannte und damit für einen größeren Bekanntheitsgrad sorgte.
Diese
Verknüpfung von Kritik an US-Geheimdiensten, einer Affinität zu
Verschwörungstheorien mit zumindest latent antiamerikanischem Charakter
und einem Parteiergreifen für russische Außenpolitik scheinen mir hier
denn doch etwas zu augenfällig, um sie mit Stillschweigen zu übergehen.
Dazu, wie systematisch oder punktuell und kontingent diese Vernetzungen
sind, lassen sich momentan wohl schwerlich definitive Aussagen treffen,
weitere Recherche zu diesem Problemkomplex halte ich jedoch für
sinnvoll. Jedenfalls scheint Ray McGovern in Russland zugewandten linken Kreisen einiges Gewicht zu haben und eine gute Adresse zu sein, um über ebendiese Kreise für Öffentlichkeit und Ruhm zu sorgen.
Kehren wir nun jedoch wieder zu der erwähnten Buchvorstellung von "Intellectuals Speak Out" zurück. Bonnie Faulkner, Moderatorin des alternativen Radiosenders KPFA, der auch der Veranstalter des Panels war,
erinnerte in ihrer Einführung an eine ihrer ersten "Guns & Butter"-Sendungen
zu 9/11, in der der kanadischen Ökonom und Globalisierungskritikers
Michel Chossudowsky mahnende Worte gesprochen habe:
"Almost five years ago, in a very early interview on Guns and Butter, Michel Chossudovsky, professor of economics at the university of Ottowa - he said to me at the time: "It's not enough to be against war. Everyone is against war. We must
expose the big lie that the war is based on. And that big lie is the
political narrative regarding the events of September 11, 2001." He went
on in many programs on Guns and Butter to document that Al Quida is an
instrument of US foreign policy and that 9/11 is the biggest fraud in US
history."
 |
Chossudovsky als Ideengeber? B. Faulkner bei der Einführung |
Bonnie Faulkner,
die Mitveranstalterin der Buchvorstellung, sieht also in
Michel Chossudovsky einen wesentlichen Impuls für die Erschaffung
"alternativer" Erzählungen zu 9/11. Michel Chossudovsky ist in
prorussischen Querfrontkreisen eine recht wichtige Figur (ich werde im
übernächsten post mehr dazu schreiben) und sorgt insbesondere mit seinem
Centre for Research on Globalization
(kurz: globalresearch) für die Verbreitung von oberflächlich links
aussehender, aber doch eher rechts beheimateter Globalisierungskritik, von politishcen Analysen, die an den Interessen von Potentaten wie Ahmadinedschad, Putin, Ghaddafi und
Assad ausgerichteten sind wie auch eines ganzen
Sammelsuriums an unterschiedlichen Verschwörungstheorien und Weltuntergangszenarien. Auch "9/11 and American Empire: Intellectuals Speak
Out" wurde von globalresearch in Form einer Rezension im Januar 2007 beworben.
Eine Betrachtung der Autoren von "Intellectuals Speak Out" bestärkt dieses Bild der Vernetzung mit globalresearch noch. Mit Richard Falk, Daniele Ganser, David Ray Griffin, Peter Dale Scott, John McMurtry, Karen Kwiatkowski, Kevin Ryan, Peter Phillips und Bridget Thornton sind 9 von 13 Beitragenden auch Autoren bei globalresearch. Die restlichen Autoren des Sammelbandes, d.h. Morgan Reynolds, Ola Tunander, Steven E. Jones (der Vertreter der These, WTC 7 sei mit Nanothermit gesprengt worden) und Celeste Vogler
sind zwar nicht Verfasser von eigenen Beiträgen bei globalresearch,
werden von Chossudovskys Plattform aber - in teils recht
unterschiedlichen Zusammenhängen - zumindest des öfteren erwähnt und besprochen.
Manchmal stammen die Autoren dieser Besprechungen dann selbst wieder aus
dem gleichen Kreis, wie etwa wenn Peter Dale Scott in einem globalresearch-Artikel zu "Global Shadow Elites"
auf den norwegischen "Friedensforscher" Ola Tunander verweist, der
wiederum an einem weiteren Buchprojekt mitgewirkt hat, für das auch
Ganser einen Beitrag verfasst hat.... (auch hierauf werde ich in
einem späteren post noch näher eingehen). Karen Kwiatkowski, wie Ray McGovern eine
ehemalige Geheimdienstmitarbeiterin (allerdings nicht bei der CIA,
sondern der NSA), ist neben Artikeln auch mit Video-Beiträgen auf globalresearch präsent.
Ich
habe mir hier die Mühe erspart, systematisch zu kontrollieren, welcher der
Autoren und/oder der Referenten bei der Buchvorstellung auch bereits bei
RT aufgetreten bzw. dort regelmäßig zu Gast ist, einige wie Ray McGovern, Kevin Ryan und Peter Dale Scott sind jedenfalls mit von der Partie. Überpüfen ließe sich ebenfalls noch, wer von den Mitwirkenden des Sammelbandes wie Peter Dale Scott, David Ray Griffin und Richard Falk
ebenfalls Autor bei Voltairenet, der Medienplattform des bereits
erwähnten Thierry Meyssan ist oder mit ihr, wie Daniele Ganser selbst,
zumindest über Interviews etc. in Verbindung steht. Erwähnenswert
erscheint mir in Bezug auf diese doppelten und dreifachen Vernetzungen prorussischer Querfrontkreise, daß Peter Dale Scott ein
guter Freund von Noam Chomsky ist, der bereits bei Daniele Gansers Dissertation eine informelle Mentoren-Rolle einnahm (siehe vorigen post).
Peter Dale Scott soll laut eines Literatur-Blogs
zusammen mit Chomsky und Howard Zinn "at very many
anti-war rallies and talks and teach-ins against Unistat state power,
sit-ins and consciousness raisers" teilgenommen haben, d.h. diese drei linken Intellektuellen waren
wohl gemeinsam Teil der amerikanischen Anti-Vietnamkrieg-Bewegung
gewesen (den "Writers and Editors War Tax Protest"
von 1968 hatten sie z.B. auch gemeinsam unterzeichnet). Auf akademischer
Ebene hatte Scott u.a. an der Veröffentlichung der von Daniel Ellsberg
geleakten "Pentagon Papers" mitgewirkt, die von Chomsky und Zinn gemeinsam herausgegeben
wurden. Chomsky und Scott divergieren in ihren Ansichten zum Mord an
John F. Kennedy wie auch zu 9/11, was Chomsky aber nicht davon abhält,
seinen Freund Scott weiterhin als einen "fine scholar"
zu bezeichnen. Mir scheint es vor diesem Hintergrund und aufgrund von
Scotts Arbeiten zu "deep politics" auch denkbar, daß Chomsky selbst, als
Ganser noch an seiner Dissertation saß, dessen Kontakt zu
Scott hergestellt hat.
Ein weiteres Mal haben sich die Wege von Peter Dale Scott mit denen Gansers gekreuzt, als beide zu einer NATO-kritischen Konferenz in einem Moskauer Institut namens INVISSIN zugegen waren. INVISSIN
bzw. seine Direktorin Natalya Krasheninnikova geben u.a. eine Buchserie
unter dem Titel "Real'naya Politika" ("Realpolitik")
heraus, die die Perspektiven kritischer Denker aus dem Inneren
westlicher Gesellschaften vorstellen und damit die "wirkliche Politik der
USA und des angelsächsischen Systems" offenlegen sollen. Zu diesem
Institut und seinen Vernetzungen werde ich an anderer Stelle noch
ausführlicher berichten. Hier sei aber schon einmal erwähnt, daß Scotts
"Drugs, Oil and War" und Gansers "Nato's Secret Armies" die ersten
beiden Bücher waren, die im Jahr 2012 in russischer Übersetzung in
dieser Reihe erschienen sind. Beworben wird die Übersetzung von Scotts
"Drugs, Oil and War" in Rußland u.a. auch auf eurasischen Plattformen (hier und hier).
Gerade
aus den Aktivitäten INVISSINs geht die Absicht recht deutlich hervor,
den ehemaligen Gegner, dem
man im Kalten Krieg unterlegen war, in einem möglichst schlechten Licht
erscheinen zu lassen. Das heißt für westliche Wissenschaftler, die mit
INVISSIN kooperieren, daß ihre Kritik an der US-Außenpolitik vereinnahmt
wird von demokratiefeindlichen Kräften innerhalb der Russischen
Föderation, sie sich damit zum Vehikel der Image-Kampagnen rechtskonservativer und antiliberaler Kreise machen lassen. Bedenkt man die Assoziation von "Intellectuals Speak Out" mit globalreasearch und dessen Macher Chossudovsky, so läßt sich die Herausgabe von Gansers und Scotts Monographien bei INVISSIN möglicherweise auch als Verlängerung dieser publizistischen Kooperation lesen.
Ob nun bei
Akademikern wie Scott am Anfang der ehrliche Wille stand,
undemokratischen Bestrebungen innerhalb der eigenen Gesellschaft etwas
entgegenzusetzen und dann ein Zweckbündnis mit prorussischen Kreisen bzw. aktuell der neoeurasischen Querfront gemäß der Überlegung erfolgte, aus einer (gefühlt oder real) schwachen Position heraus verkrustete Strukturen dann effektiver aufhebeln zu können, wenn einem dabei im Hintergrund die konkurrierende Supermacht zur Seite steht, oder ob diese Allianz von vornherein als propagandistisches "soft power"-Projekt angelegt war, ist von der strukturellen
Wirkung her zweitrangig: Was als intellektuelles Gegenmittel gegen
Demokratiedefizite, fortschreitende Vermachtung und Willkür daherkommt,
wird so oder so im Zuge seiner Vereinnahmung durch internationale
Querfrontstrukturen in sein Gegenteil verkehrt und sorgt damit für ein
Fortleben bipolarer Logiken aus der Zeit des Kalten Krieges.
Wie
sich westliche Nato- und
Geheimdienstkritiker als Individuen zwischen den beiden tradierten Machtblöcken
des Kalten Krieges verorten, inwieweit sie tatsächlich bestrebt sind,
durch eine kritische Haltung dem "Eigenen" gegenüber einen Ausgleich mit
dem "anderen Imperium" zu befördern, inwieweit sie sich willig als "agents of
influence" hergeben und damit ihre wissenschaftliche Integrität
preisgeben oder geschickt zu lavieren versuchen, sind Fragen, bei deren Beantwortung man der
Vielschichtigkeit und Komplexität von Akteursgeflechten und damit auch
graduellen Abstufungen Rechnung tragen
muß.
Tendentiell scheint mir allerdings folgendes zu gelten: Je mehr Wissenschaft auf ihren eigenen Wertmaßstäben und entsprechend differenzierten, ausgewogenen Betrachtungsweisen besteht, desto weniger wird sie sich für eine demagogische Instrumentalisierung durch politische Kreise eignen, werden ihr sperriger Charakter und ihre Widerhaken sie vor unguter Vereinnahmung schützen. Je unseriöser,
flacher und
unausgewogener die Kritik an westlichen Machtstrukturen und je geringer
ihr intellektuelle Berechtigung ist, desto leichter wird es umgekehrt sein, sie in schlicht gestrickte Freund-Feind-Schemata einzufügen und aus ihr für die internationale Querfront und deren Propagandastrategien Gewinn zu schlagen. In dem Maße, wie Wissenschaftler sich der Blocklogik des "enemy mine" ergeben, mögen deren intellektuelle Interventionen zwar nach außen hin noch als "mutig" und "subversiv" gegenüber der eigenen Gesellschaft erscheinen, geraten aber de facto zu unterwürfig-zahmen, zweckrationalen wie opportunistischen Veranstaltung, mit der der nunmehrige "agent of influence" die eigenen Karriere- und Machtinteressen beschützt und fördert.
Resümierend läßt sich sagen: "9/11
and American Empire: Intellectuals Speak Out" transportiert
bereits mit seinem Titel das Bild unerschrockener Intellektueller,
die ungeachtet persönlicher Konsequenzen dafür eintreten, daß die
Öffentlichkeit von verdeckten Machenschaften auf höchster Ebene
erfährt. Jedoch ist nicht nur das intellektuelle Niveau, das von
Beiträgen wie dem Daniele Gansers gesetzt wird, enttäuschend. Die
Vernetzungen mit globalresearch wie auch weitere
Verbindungslinien, die direkt nach Rußland führen, sorgen für eine
kompromittierende Partnerschaft zwischen Wissenschaft und Politik.
Letzendlich bewirkt diese gerade das, wogegen die sogenannten kritischen
Intellektuellen angetreten sind: eine Unterminierung wissenschaftlicher
Autonomie und die Entstehung eines entsprechenden politischen Subtextes in Werken mit wissenschaftlichem Anspruch.
Die
Tatsache, daß einer der beiden Herausgeber von "Intellectuals Speak
Out" wenige Jahre später im Gespann mit Daniele Ganser bei einem
neo-eurasischen Kreisen nahestehenden Institut mit zweifelhaftem Profil
als prominenter Referent erscheint, wirft zumindest die Frage auf, wie
weit diese Kooperation geht und wie weit sie in die Vergangenheit
zurückreicht.
Ein weiterer Stein des Anstoßes? Der Baseler Vortrag zu 10 Jahren 9/11
Eingangs wurde auf einen von Daniele Ganser am 1.9.2011 an der Universität Basel gehaltenen öffentlichen Vortrag zum 10. Jahrestag von 9/11
hingewiesen. Ganser will aufgrund dieses Vortrags von der
Universitätsleitung einen Brief erhalten haben, der auf eine
Beschneidung seiner Forschungs- und Meinungsfreiheit abgezielt habe. Auch hier möchte ich einen prüfenden
Blick auf die wissenschaftliche Qualität des fraglichen Vortrags werfen
und mich der Frage nähern, inwiefern eine Intervention von Seiten des
Rektors berechtigt oder nicht berechtigt gewesen sein mag - ungeachtet
der Frage, ob Ganser den Vorfall auch korrekt geschildert hat.
Tatsächlich
hat Ganser zumindest in einem formalen Sinne recht, wenn er die
Veranstaltung als eine akademische schildert. Der Vortrag des schweizer
Historikers wurde von der prestigeträchtigen Universität Indiana als
"Public Lecture" im Rahmen von "Making War, Making Peace", einer interdisziplinären Veranstaltung für Studierende der unteren Semester, angekündigt.
 |
Ankündigung von Gansers "Public Lecture" auf den Seiten von Indiana University Bloomington |
Organisatoren auf amerikanischer Seite waren (dem Vortrag Gansers zu entnehmen) Byron Bangert,
Ethikberater und Theologe/Religionswissenschaftler, Prof. Heather
Reynolds, eine Biologin und Prof. Curt Lively, ein weiterer Biologe. D.h. die Veranstalter entstammen allesamt Disziplinen, die einer wissenschaftlichen
Auseinandersetzung mit Terroranschlägen, deren medialer Verarbeitung und
einer Aufarbeitung des außenpolitischen Kontextes inhaltlich wie methodisch fernstehen. Dafür aber sind alle drei Organisatoren in der
Truther-Bewegung engagiert. Bangert wird auf einer einschlägigen Seite als "truth advocate" benannt, Reynolds gehört zu den "Scientists for 9/11 Truth" und ihr Kollege Lively ebenfalls. Von einer paritätisch besetzten Initiative zur Verständigung über 9/11 kann somit nicht die Rede sein.
Ganser
spricht von einem "international
research project" und nennt seinen Vortrag im Untertitel auch "A
historical investigation". Er tritt eindeutig in seiner Rolle als
Historiker auf, hält seinen Vortrag an der Universität Basel selbst hält. Damit
entsteht zwangsläufig der Eindruck, daß er hier nicht als Privatperson
über seine persönlichen Ansichten spricht, sondern daß als Vertreter einer
wissenschaftlichen Institution akademisches Wissen vermittelt. Ganser
betont in seiner Einleitung, daß es ihm darum ginge, die verschiedenen
Geschichten, die zu 9/11 existierten, zu betrachten, schwenkt aber dann
sogleich um zu seinem Anspruch, als Historiker, "die Wahrheit" eruieren
zu können:
"[...] we
have a lot of different stories circulating on the topic of 9/11. And I
am a historian and you must know that in the end history is written by
historians. So it is really our task at the end of the day to say what
happened. And that is really difficult. That's what I have to say."
Die
drei Theorien, so Ganser, könnten nicht alle gleichzeitig wahr sein, er
selbst wüßte nicht, welche von ihnen wahr sei und könne auch nur zu dem
Schluß kommen, daß mehr Forschung vonnöten sei. Was er in seiner Vorlesung
tun könne sei, den Stand der Debatte zu skizzieren und zu erklären,
warum und wie diskutiert würde. Eine definitive
Antwort auf die Frage, welche Theorie "wahr" sei, sei, so argumentiert Ganser, aus folgenden Gründen ungemein wichtig:
"It
is very important, I am very strongly convinced, because peace research
must tackle the issue of 9/11. What is peace research? Peace research
is not an established doctrine at Basel university or many other
universities. You can't go there and say I would like to have a master, a
bachelor or a doctor degree in peace research. You can't do that. So
you can have a doctor in history like I have. But historians are very
interested in questions of war and peace. And generally if we look at
9/11 we obviously see it has to do a lot with international peace and
war events. So those people who are interested in the promotion of
peace, and there is a lot of people on the globe, believe me, they are
interested to know what happened on 9/11. Furthermore 9/11 is important
because right after 9/11, that is only three weeks after 9/11, we have
the start of the war in Afghanistan. [...]And if we debate the war in
Afghanistan, we can only debate it in the context of 9/11."
Die
Art und Weise, wie Ganser hier vorgibt, für die wissenschaftlichen
Ansätze und politischen Anliegen einer von ihm so eigenmächtig wie
eigenwillig definierten "Friedenswissenschaft" zu sprechen, ist abstrus.
Ob Ganser selbst einen akademischen Hintergrund in Friedens- und
Konfliktforschung hat oder lediglich einen Abschluß als Historiker, welche Studienprogramme an der
Universität Basel und an "vielen anderen Universitäten" angeboten werden hat, mag zwar gansersche Bildungslücken erklären, ist in Bezug auf das Vorhandensein oder Nichtvorhandensein einer akademischen Disziplin bzw. eines akademischen Forschungsgebietes schlicht irrelevant.
Konfliktforschung und Internationale Friedens- und Konfliktforschung existieren
sehr wohl als eigenständige, wenn auch oftmals interdisziplinär
angelegte Felder - in der universitären Forschung wie in der Lehre. Die in diesen Feldern
gebräuchlichen Theorien, Methoden, Hypothesen und sonstigen
wissenschaftsgeschlichtlichen Traditionen hat ein Wissenschaftler, der
sich seriös auf diesem Terrain betätigen möchte, zu kennen und zu
beachten. Bei Ganser ist von einer solchen Auseinandersetzung mit dem
Wissensstand des jeweiligen Forschungsfeldes nichts, aber auch gar
nichts zu sehen, er scheint auf beliebige Weise und ohne jeglichen
akademischen Tiefgang (d.h. vor allem auch ohne erkennbare Methodik)
seine eigene "Friedensforschung" aus der Taufe heben zu wollen.
Falls
es tatsächlich Gansers Anliegen gewesen wäre, zwischen unterschiedlichen
Deutungen von 9/11 zu vermitteln und damit auf eine inneramerikanische Bewältigung und Versöhnung
hinzuarbeiten, so hätte es nahegelegen, sich nach vergleichbaren Projekten umzuschauen, auf echte "Wahrheitskommissionen" wie etwa
die südafrikanische Truth and Reconciliation Commission Bezug zu nehmen, deren Vorgehensweisen, Erfolge und Schwachstellen zu erkunden und auf Übertragbarkeit zu prüfen, um darauf aufbauend dann ein eigenes Programm zu entwickeln. Der Vergleich mag absurd klingen, zeigt damit aber auch, wie weit die Aktivitäten Gansers von tatsächlicher friedenspolitischer Arbeit entfernt sind.
Des weiteren behauptet Ganser zwar, 9/11 könne nur im Verein mit dem Afghanistankrieg diskutiert werden, hat selbst aber auch keine systematische Untersuchung dazu zu bieten, wie Prozesse politischer
Entscheidungsfindung und öffentlicher Meinungsbildung im Vorfeld des Afghanistankriegs mit den Terroranschlägen des 11. September zusammenhängen. Dabei hätte ihm hierfür sicherlich sehr viel besseres Quellenmaterial zur Verfügung gestanden und wäre der Umgang hiermit sehr viel eher in den Arbeitsbereich eines Historikers gefallen als die Beschäftigung mit einstürzenden Gebäuden und den chemischen Komponenten diverser Sprengstoffe. Sprich: Ganser hält sich bei
Spekulationen zu gerade denjenigen Aspekten von 9/11 auf, zu denen er in seiner Funktion als
Historiker und anhand des ihm zur Verfügung stehenden Faktenmaterials kaum Sinnvolles beisteuern kann.
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Ein verpaßtes Forschungsthema |
Nur einmal ist im Laufe von Gansers Vortrags kurz
von "Semantik" die Rede. Quasi en passant erwähnt Ganser, daß die im Irak stationierten
Truppenangehörigen ihrer eigenen Aufgabe unter Bezugnahme auf 9/11 Sinn verliehen. Illustriert wird diese Passage mit einen Soldatenhelm mit
eingravierten WTC-Türmen. Dann Ganser erwähnt noch eben schnell eine Umfrage unter US-Soldaten, der
gemäß diese merheitlich glaubten, ihre Aufgabe im Irak sei eine Vergeltung von
9/11, und schon ist auch dieser thematische Strang an seinem Ende angekommen. Dabei wäre es durchaus interessant gewesen,
Sinngebungsprozesse innerhalb des amerikanischen Militärs und die
Entstehung einer entsprechenden Soldatenkultur (materiell wie
immateriell) zu untersuchen. Es hätte sich hier einer von vielen
möglichen wissenschaftlichen Zugängen zur 9/11-Thematik geboten, für die sich sowohl geeignetes Untersuchungsmaterial als auch ein passendes theoretisch-methodisches Instrumentarium hätte finden lassen, aber
Ganser scheint auch dies nicht wirklich zu interessieren. Statt dessen
kehrt er auf eine überaus krude, vorwissenschaftliche Betrachtungsebene
zurück und konstatiert, daß mangelnde Informiertheit wie im Falle der
US-Soldaten im Irak dazu führen
könne, daß man in einem Krieg ende, sein Leben verliere und daß dies
tragisch sei.
Ganser
kommt von da aus denn auch direkt auf die "Irakkriegslüge" der US-Regierung zu
sprechen und behauptet, daß im Zuge des hierdurch erzeugten Mißtrauens
viele Menschen sich rückwirkend gefragt hätten, ob auch 9/11 eine Lüge
gewesen sei. Was die Denkfigur des "Mißtrauen" betrifft, so wird diese nicht akademisch gefaßt und erläutert, d.h. Ganser
untersucht nicht, wie
und mittels welcher Faktoren Vertrauen aufgebaut wird oder verloren
geht er stellt lediglich Behauptungen in
den Raum. Die Frage, inwiefern dieses "Mißtrauen" tatsächlich als mehr oder weniger direkte Folge unzureichender US-Regierungspolitik anzusehen ist, bleibt ungestellt und unbeantwortet.
Noch problematischer aber ist: Ganser erweckt hier auf einigermaßen unredliche Weise den Eindruck, die Truther-Bewegung sei als Folge des Irakkriegs entstanden. Ein solcher historische Zusammenhang bleibt jedoch nicht nur unbelegt, sondern ist nachweislich falsch: Die Truther-Bewegung ist weit vor der amerikanischen Invasion in den Irak aufgekommen (zu den Truthern der ersten Stunde siehe etwa auch untenstehenden Abschnitt zu Nico Haupt). Für den Fall, daß Daniele Ganser der Meinung ist, der Irak-Krieg habe einer bereits vorhandenen Trutherbewegung weiteren Auftrieb verliehen, hätte er dies in seiner Verantwortung als Wissenschaftler klarer formulieren müssen. Mein bisheriger Eindruck allerdings ist, daß Ganser oft bewußt schwammig und für verschiedene Deutungen "offen" formuliert, um einerseits für die Truther-Bewegung und das rechtsesoterische Spektrum anschlußfähig zu sein und gleichzeitig für den sogenannten "Mainstream" offen zu bleiben.
Unter weitgehendem Verzicht auf eine wissenschaftliche Argumentationsführung präsentiert Ganser auch die "politics of fear" als eine seiner zentralen Thesen. Bei "politics of fear" handele es sich um ein Mittel, um ansonsten unpopuläre Kriege führen zu können. So wie man Menschen eine (konstruierte) Gefahr vor Augen führe, erwache in diesen Angst und steige damit auch ihre Bereitschaft zur Kriegsführung. Tautologisch schiebt Ganser hinterher: "that's how it
works".
Hier wird deutlich: Ganser reißt in schneller Folge recht unterschiedliche
Forschungsgebiete an und reiht (vermeintliche) Fakten und Erkenntnisse aus den
entsprechenden Gebieten lose aneinander. Er nimmt weder in
nachprüfbarer Weise Bezug auf entsprechende wissenschaftliche Forschung
noch findet er zu einer eigenen, in sich schlüssigen Themenstellung. Was
er an Thesen und Themen aufgreift, wird von ihm selten zu Ende geführt. Häufig kommt Ganser mit dieser Herangehensweise denn auch nicht wesentlich über
Gemeinplätze, tautologische Argumentationslinien und vulgärpsychologische Annahmen hinaus.
Auch seine Darstellung der geschichtswissenschaftlichen Profession gestaltet sich in diesem Vortrag erneut überaus
klischeehaft und hat wenig mit einer realitätsnahen Erläuterung der
Arbeitsweisen von Historikern zu tun. So stilisiert er die Figur des Historikers zu einer Art Schiedsrichter und zeichnet damit
bisweilen ein schon grotesk zu nennendes Zerrbild der Methoden seines Fachs:
"And
as a historian, I am in-between, ok? I listen to people what they say,
and I try to find facts about all the events that have been happening
during the last 10 years."
"And we are, you know, as researchers torn to this side torn that side and it is really difficult."
"It's
again a question of whether you trust them. That is really the
question, if as a historian, you have have to make up your mind, you
have to always find out whom do you trust."
"And
you know, the problem is, when we look at sources then we always check
is that source trustworthy. And the problem with George Bush is, that he
lied about the Irak war, so his trustworthyness is reduced. He is still
an important source, because he is the president."
"But
as historians we are trained to question presidents and prime
ministers, ok? Always, because we say if there is a lot of power, there
is a lot of abuse of power, ok? That's our training."
Überhaupt
geht es Ganser, wie im vorletzten zitierten Ausschnitt bereits
anklingt, oftmals weniger um wissenschaftlich gesicherte Erkenntnisse,
denn um ein Festlegen von Gut und Böse. Er bedient sich einer moralisch
aufgeladenen, verkürzten Argumentation und apelliert damit an Emotionen
anstatt die von ihm behauptete wissenschaftliche Distanz zu suchen.
Auf
ähnlich verzerrende und verkürzende Weise greift Ganser sich im Anschluß einzelne Exponenten der Truther-Bewegug als "Belege" dafür
heraus, daß es in den USA eine große Debatte um 9/11 gebe. Auch hier führt er den
emeritierten David Ray Griffin als Beispiel an tätigt Anspielungen auf ein repressives, auf Zensur bedachtes Umfeld. Er bedient sich der Person Griffins, um zu argumentieren, daß das
Ausscheiden aus dem akademischen Betrieb manchmal erst für diejenigen Freiräume
sorge, die für kritische wissenschaftliche Forschung nötig seien.
Gansers eingangs gegebenes Vesprechen, auf wissenschaftliche Weise
darzulegen, was von wem wie diskutiert wird, löst er bei der Besprechung seiner drei "Verschwörungstheorien" nicht ein - auch
deswegen nicht, weil er sich immer wieder auf der ereignisgeschichtlichen
Ebene des "wie es wirklich gewesen war" verfängt.
Für einen Großteil des restlichen Vortrags wendet sich Ganser statt einer Diskursanalyse tyischen
Truther-Fragen zu: Was war mit WTC 7, wurde es gesprengt? Wie hat man vor diesem Hintergrund die Anordnung "pull it" zu verstehen? War es
wirklich ein Flugzeug, das ins Pentagon einschlug, oder doch etwas
anderes? Warum setzte man vor den Anschlägen in Form von "put options" auf fallende Aktienkurse der betroffenen Fluggesellschaften, war jemand im Voraus über die Anschläge informiert worden? Charakteristisch für die Vorgehensweise von Truthern ist auch, wie Ganser tausendfach durchgekaute Details und "Fakten" als wenig
bekannte, überraschende und geradezu subversive Einsichten aus dem Ärmel zaubert. Beim Thema "Pentagon" bezieht Ganser sich u.a. auf Thierry Meyssan und dessen Behauptung, auf der Rückseite des Pentagon habe es ein Loch,
d.h. eine Austrittsöffnung gegeben. Ganser meint hierzu:
"And
as historians we would like to go back to the Pentagon and look at that
hole. But obviously you can't do that because it has all been
reconstructed."
 |
Ganser erklärt Thierry Meyssans These des "Austrittslochs" |
Daß Historiker ihre
Aufgabe darin sähen, höchstpersönlich Löcher in Gebäudefassaden in Augenschein zu nehmen, dürfte die meisten meinr Kollegen wohl ebenso überraschen wie
mich. Nicht minder spannend wäre es gewesen zu erfahren, wie Ganser aus
der Eruierung von Gebäudeschäden auf die politischen
Hintergründe von terroristischen Anschlägen und deren Drahtzieher hätte schließen können und vor
allem, welche geisteswissenschaftlicen Methoden hierbei zum Einsatz
gekommen wären. Ganser selbst klagt über das niedrige Niveau,
auf dem die 9/11-Debatte geführt werde - und meint damit die Tatsache,
daß nicht allen Menschen die Anzahl der eingestürzten WTC-Gebäude
(drei!) und die Anzahl der angreifenden Flugzeuge (lediglich zwei!!!) bekannt sei.
Immer
wieder ist Gansers Vorgehen suggestiv und läßt den Eindruck entstehen,
daß er einer klar verschwörungsideologische Positionierung weniger aufgrund wissenschaftlicher Überlegungen und seiner intellektuellen Überzeugungen ausweicht, sondern um sich nicht
angreifbar zu machen. So suggeriert er etwa auf verschwörungsideologische Weise einen Zusammenhang zwischen
einem möglicherweise vorhandenen konspirativen Wissen von amerikanischen
"special forces" und amerikanischen Geheimdiensten um die Urheber von 9/11 und der
Tötung Osama bin Ladesn. Osama bin Laden, der die Frage der
historischen Verantwortung für 9/11 hätte klären können, sei ja nun tot.
Ganser fragt "Do we have anybody else, anybody else who can confirm
what happened on 9/11?" und benennt Khalid Scheikh Mohammed als
möglichen Mitwissenden. Dieser aber, so Ganser, sei möglicherweise in
Guantanamo
gefoltert worden, seine Aussagen zu seiner eigenen Verwicklung in
die Anschläge von 9/11 stellten damit keine akzeptablen Beweise dar.
D.h. Ganser reiht hier fein säuberlich diejenigen "Indizien" auf, die für eine Verschwörung amerikanischer Regierungskreise sprechen. Er legt damit, ohne es selbst direkt auszuprechen, den Schluß nahe, daß Osama bin Laden nicht als international gesuchter Drahtzieher einer Terrorgruppe getötet worden sei, sondern weil er eine der raren
verläßlichen Quellen zu den Hintergründen von 9/11 gewesen sei und als solche ausgeräumt werden sollte.
Am Ende seines Vortrages wird Ganser das "Fazit" ziehen, die Bezeichnung
"Verschwörung" würde falsch verwendet mit der Absicht, alle zu diskreditieren, die
die offizielle Version hinterfragten.
LIHOP und MIHOP - Gansers Terminologie und ihre Herkunft
 |
Quelle: Rhetorik.... |
Zu einer
wissenschaftlichen Arbeitsweise gehört für gewöhnlich auch der Gebrauch einer
speziellen Terminologie. Ganser bietet im Zuge seiner Beschäftigung mit
9/11 die Begriffe "LIHOP", "MIHOP" und "Surprise" an. Daß er hiermit
drei verschiedene "Theorien" bzw. Geschichtsbilder meint, ist aus den
obigen Ausführungen bereits hervorgegangen. Ebenso ist üblich, man
bei zentralen Konzepten auch auf deren Entstehungskontext verweist und ihre(n) Urheber benennt. Ganser tut dies nicht, weswegen ich dies hier an seiner Stelle nachholen werden. Woher also stammen MIHOP und
LIHOP und welchen akademischen Stellenwert besitzen sie?
Die
Akronyme LIHOP und MIHOP stammen keineswegs Ganser selbst, lediglich "Surprise" als Bezeichnung der "offiziellen Version"
könnte von ihm eingeführt worden sein. LIHOP und MIHOP sind in
Truther-Kreisen mittlerweile allgemein gebräuchlich und wurden geprägt,
bevor Ganser mit der 9/11-Theamtik öffentlich in Erscheinung getretenwar. Als
ihr Urheber gilt der in den USA lebende Deutsche Nico Haupt, der ein Skeptiker der ersten Stunde war und die
"Wahrheitsbewegung" mitbegründet haben soll.
Die verschwörungskritische
Webseite "Screw Loose Change"
sieht in Haupt jemanden, der noch vor David Ray Griffin die Szene
maßgeblich geprägt habe: "There are not five people in the 9-11 "Truth"
Movement who have been more significant than Nico Haupt." Selbst Griffin gehe eher synthetisierend vor und baue in großem Maße, wie auch Webster Tarpley, auf
das
bereits von Haupt Zusammengetragene (um hier den Begriff der
"Recherche" zu vermeiden). Gleichfalls wird auf dieser Seite dargelegt, daß es wenig
abgefahrenere Truther als Nico Haupt gebe und er mit einem Großteil der
911-Community zerstritten sei. Nico Haupt vertritt u.a. die sogannannte "No
Planer"-These, d.h. er geht davon aus, daß es gar keine Flugzeuge
gegeben habe, die in das WTC gerast seien, sondern es sich selbst bei
den Flugzeugbildern um eine Täuschung der Öffentlichkeit gehandelt habe.
Das deutsche Nachrichtenmagazin Der
Spiegel hatte Nico Haupt bereits
im Jahr 2002 einen eigenen Artikel gewidmet. In ihm wird der Deutsche, der wie viele andere Truther auch sich selbst nicht als Verschwörungstheoretiker begreift, wie folgt charakterisiert:
"Er sieht sich als Bannerträger eines untergegangenen investigativen
Journalismus, doch was er an Antworten bereit hält, sind wilde Theorien
über Geheimagenten, Hintermänner und dunkle Regierungskanäle."
Zu Haupts Biographie bzw. Werdegang weiß der Spiegel folgendes zu berichten:
"Er wuchs in Düsseldorf auf, war zehn Jahre lang Moderator einer lokalen
Radiosendung ("Ecstasy", später umbenannt in "Netzkraut"). Bereits 1993
entdeckte er das Internet. Seit 1996 darf er sich Diplom-Medienpädagoge
nennen, was ihm aber peinlich ist. 1998 gründete er in
Nordrhein-Westfalen den Landesverband von Chance 2000, der Spaß-Partei
von Christoph Schlingensief. Auf der Landesliste für die Bundestagswahl
war Haupt sogar Spitzenkandidat, er stand auf demselben Wahlzettel wie
Franz Müntefering, Guido Westerwelle und Norbert Blüm.
Vor drei Jahren kam er nach New York, "wegen der damaligen
Internetsituation". Er nannte sich Netzkünstler (zu seinen "Projekten"
zählte unter anderem das elektronische Schreddern der
Big-Brother-Webseite) und arbeitete für Josh Harris bei Pseudo.com, dem
inzwischen Pleite gegangenen ersten Internet-Fernsehsender. Ab und zu
schrieb er für das Online-Magazin "Telepolis" und das deutsche Magazin
für Cyberkultur, "De:Bug". Jetzt schlägt er sich mit
Gelegenheitsarbeiten als Programmierer durch."
Tatsächlich lassen sich auf Heise/Telepolis auch heute noch eine ganze Reihe von Artikeln von Nico Haupt
aus den Jahren 1999-2000 abrufen. Ich merke das hier an, da diese
Webseite generell einen leichten Hang zu Querfront-Inhalten und
Verschwörungstheoretikern zu haben scheint und sie mir während der
Recherche zu Gansers Netzwerken noch an anderer Stelle begegnet ist
(dazu später mehr). Auch verweist der Werdegang Haupts darauf, daß es zu kurz greifen
würde, die Truther-Bewegung als gesellschaftlich und politisch
marginale Kleingruppen von Spinnern abzutun. Bei 9/11-Verschwörungsideologien handelt sich denn doch um ein Phänomen mit einem größeren Einzugsbereich, dessen
Breitenwirkung und politische Relevanz anzuerkennen sich aber viele nicht
verschwörungsideologisch denkende Zeitgenossen schwer tun. Anstatt das
Phänomen als solches zu analysieren, wird es leider immer noch viel zu häufig mit Spott und einem schrägen Lächeln als gesellschaftlich belanglos
abgetan. Möglicherweise ist dieses Abwiegeln auch Ausdruck von Angst und Ratlosigkeit angesichts einer aktuell zu beobachtenden steten Ausbreitung von Verschwörungstheorien. Verschwörungsideologisches Denken kann oftmals kaum noch mit den uns bekannten fakten- und logikbasierten Argumentationsformen kontrahiert werden und droht damit unser Vernunftmodell zu entwerten.
Ganser
selbst zeigt sich ahnungslos, was die Herkunft seiner Terminologie
betrifft. In einem Interview mit der Truther-Webseite "911-archiv.net" zu seinem jüngsten Buch "Europa im Erdölrausch" wird der Schweizer Historiker gezielt nach Nico Haupt gefragt:
"Da auch Sie diese Begrifflichkeiten verwenden, ist Ihnen bekannt, dass
die Begrifflichkeiten von Nico Haupt ins Leben gerufen worden sind, der
die letzten Jahre hauptsächlich damit auffiel, immer verwirrter zu
werden und andere Menschen gewalttätig anzugreifen. Könnte es sein, dass
mit diesen Trennungen Lagerverhalten und Streitigkeiten provoziert
werden sollen? [...]"
Ganser antwortet:
"Ich unterscheide bei den
verschiedenen Geschichten zu 911 immer zwischen
SURPRISE, LIHOP und MIHOP, wo in den USA diese Begriffe zum ersten Mal
aufgetaucht sind, weiß ich nicht. Ich finde diese Unterscheidungen
wertvoll, weil sie drei verschiedene Geschichten zeigen, die nicht
gleichzeitig wahr sein können. Vergessen Sie nicht: Die
Geschichtsschreibung muss sich auf eine Version festlegen in Zukunft.
Was wollen wir unseren Kindern und Enkeln erzählen, wenn sie fragen, was
am 11. September 2001 passierte?"
Hierin
kommt nicht nur Gansers schlampiger Umgang mit Begrifflichkeiten zum Ausdruck, sondern zum wiederholten Male auch ein methodologischer Grundwiderspruch in seiner
Vorgehensweise: Einerseits legitimiert Ganser seine
Beschäftigung mit "LIHOP", "MIHOP" und "Surprise" immer wieder damit,
daß diese unterschiedlichen Erzählungen nun mal existierten, man "als Historiker" den Menschen zuhören und die verschiedenen Deutungsschemata als
prinzipiell gleichwertig untersuchen müsse. Andererseits lehnt er sich
dann aber doch an den Historizismus des 19. Jahrhunderts an und fragt mit
einem Leopold von Ranke
"wie es eigentlich gewesen" sei und vergißt obendrein die zu diesem letzteren
geschichtswissenschaftlichen Ansatz gehörende Quellenkritik.
Ganser
bedient sich hier eines postmodernen Mäntelchens für ein ebenso
reaktionäres wie unwissenschaftliches Projekt. Hinzugefügt sei, daß sich
Ganser andernorts
auch explizit auf postmodernes Vorgehen beruft, dieses aber auch dort
nicht einlöst bzw. er sich im unmittelbaren Kontext dieser Aussage
selbst bereits in methodologische Widersprüche verstrickt:
"Ich bin enttäuscht, dass Medien legitimen Fragen zum Hintergrund von
9/11 nicht stärker nachgegangen sind. Nach dem Motto: Es war Bin Laden
und alle anderen Fragen sind Idiotenfragen. Das postmoderne
wissenschaftlich-analytische Denken hat schließlich hervorgebracht, dass
man die Pluralität von Stimmen analysiert. Bei diesem Thema wird das
negiert. Entweder du bist für uns oder du bist gegen uns."
Selbst
wenn man im Rahmen der klassischen Geschichtswissenschaft verbleiben
wollte, ist der oben zitierten Aussage Gansers, Geschichtsschreibung
müsse sich auf eine Version festlegen, nicht zuzustimmen. Aufgabe einer
klassischen Ereignisgeschichte ist es, das zu schildern, was sich anhand
von Quellenlage und zur Verfügung stehender Fakten eruieren läßt und strittig und unklar Bleibendes auch als solches zu präsentieren.
Falls
es Ganser tatsächlich in Anlehnung an die (post-)modernen Kulturwissenschaften um Geschichte als
"Erzählung" bzw. miteinander rivalisierende Erinnerungsformen und
Sinngebungsprozesse ginge, dann wäre eine Betrachtung bzw. Analyse
von Erzählweise, Darstellungsform, Interpretationsmustern und somit auch ein Fokus auf Sprache im
engeren Sinne unerläßlich. Als Historiker hätte sich Daniele Ganser
hier durchaus auf prominente Vorarbeiten beziehen können, etwa auf
Hayden Whites 1973 erschienene "Metahistory". Hieran angelehnt hätte Ganser untesuchen können, inwieweit sich unterschiedliche 9/11-Versionen den vier Erzählweisen
der Romanze, Tragödie, Komödie und Satire zuordnen lassen, ob es sich
bei der jeweils zugrundeliegenden Welterklärungsform um ein formatives,
organizistisches, mechanistisches oder kontextualistisches Modell handelt
und welcher Tropen sich die diversen Erzählungen bedienen.
Ganser
übernimmt seine LIHOP-MIHOP-Terminologie jedoch direkt aus der
Truther-Bewegung, die er doch eigentlich mit der gleichen kritischen
Distanz, mit der er an die "offizielle Version" herangeht, auf
möglichst neutrale Weise untersuchen sollte. Daß diese Terminologie
aufgrund ihrer Herkunft automatisch für eine 9/11-Diskursanalyse eine völlig unbrauchbare Einteilung
liefern würde, möchte ich damit nicht behaupten, entscheidend ist vielmehr, daß Ganser mit der unmittelbaren Übernahme einer Innensicht nicht die Frage nach der wissenschaftlichen Halt- und Begründbarkeit dieser Einteilung stellt. Er scheint sich nicht einmal Gedanken darüber zu machen, wie diese Klassifikation gekommen sein ist, ob sie auf deduktiver oder empirischer Grundlage beruhen soll und nicht einfach dem persönlichen Gusto einiger Truther der ersten Stunde folgt. Daß jemand, der vorgibt, als Historiker
unterschiedliche 9/11-Erzählungen untersuchen zu wollen, nicht bemüht ist, die
Herkunft dieser Terminologie festzustellen und sich insbesondere mit
der Rolle Nico Haupts in der "Wahrheitsbewegung" zu beschäftigen,
illustriert denn auch das eigentliche Desinteresse Daniele Gansers daran, wie diese
unterschiedlichen, einander widerstreitenden Deutungsversionen
entstanden sind.
Interessant mit Hinblick auf
den "Wissenstransfer" zwischen Haupt und Ganser ist letzedlich auch,
daß Haupt bereits im Jahr 2002 - belegbar anhand des bereits erwähnten Spiegel-Artikels - einen argumentativen Zusammenhang herstellte zwischen 9/11 als "False Flag"-Manöver und der nicht realisierten "Operation Northwoods"
aus dem Jahr 1961. Gansers Beitrag zu "Intellectuals Speak Out" bietet
im Jahr 2006 eine weitestgehend deckungsgleiche Argumentationsweise;
einen Beleg für eine frühere Bezugnahme auf Northwoods habe ich in den
Texten und Interviews Gansers bisher nicht auffinden können.
Möglicherweise hat Ganser also auch dieses Argumentationsmuster direkt
aus der Truther-Bewegung übernommen.
Verschwörungstheorien als Forschungsthema
Wie oben bereits mehrfach angerissen geht Ganser bei
seinen Auführungen zu 9/11 generell von der Behauptung aus, alle
Auseinandersetzung mit 9/11 sei "Verschwörungstheorie".
Sobald an einem Attentat mehr als ein Täter beteiligt sei und es im
Vorfeld eine geheime Überkeinkunft gegeben habe, handele es sich um
eine "Verschwörung". Somit argumentiere auch die
"offizielle Version" der amerikanischen Regierung
verschwörungsideologisch, da sie von einer islamistischen
Verschwörung der Attentäter ausgehe. Hiermit sucht Ganser auf
rhetorisch geschickte Weise, dem Ruch des Verschwörungsideologen zu
entkommen und präsentiert sich als seriöser Historiker, der
lediglich bestrebt sei, alle möglichen Tathergänge zu
berücksichtigen und 'alle drei Theorien' auf gleichberechtigte Weise
zu untersuchen. Ganser profitiert hier jedoch von einer
Begriffsverwirrung bzw. einer begrifflichen Unschärfe.
Was Ganser so gerne als "drei unterschiedliche
Theorien" bezeichnet, sind keine Theorien im wissenschaftlichen
Sinne. Es handelt sich bei dem, was LIHOP, MIHOP und Surprise
bezeichnen soll, zunächst schlicht um unterschiedliche Hypothesen
darüber, auf welche Art von Konspiration die Anschläge von 9/11
zurückzuführen seien. Gedacht werden diese von Ganser als
Zentralsteuerungshypothesen,
d.h. er geht, ohne dies in irgendeiner Weise sozialwissenschaftlich
zu reflektieren, von einer bewußten Planung und expliziten
Entscheidungen von Seiten einer Gruppe von Konspirateuren au. Derartige Hypothesen werden dann im Zuge einer unsachlichen
Auseinandersetzung und weiteren unzulässigen Verengungen, wie sie
auch Ganser vornimmt, zur Verschwörungsideologie. Dies hätte
unser Schweizer Historiker und Friedensforscher auch bereits auf
Wikipedia unter "Verschwörungstheorie"-
"Merkmale und Haupttypen" nachlesen können (im
Original vorhandene links wurden von mir entfernt):
"Aber auch der Wortteil Theorie ist
irreführend: „Theorie“ bezeichnet eine modellhafte,
korrekturfähige Vereinfachung der Wirklichkeit, die von
Einzelereignissen oder Umständen abstrahiert, um übergreifende
Zusammenhänge zu beschreiben. Genau das leistet eine
Verschwörungstheorie aber nicht, da sie zwar vereinfachende Muster
anbietet, aber kein Modell:[...]
Verschwörungstheorien leisten keine Abstraktion, sondern nehmen im
Gegenteil eine Konkretisierung vor, die unzulässigerweise
verallgemeinert wird. Während die Abstraktion Komplexität erhält
und nur die Beobachtungsebene verändert, ist die unzulässige
Konkretisierung verlustbehaftet. Die nachgelagerte Verallgemeinerung
basiert auf einer Vereinfachung bzw. Vereindeutigung
(Disambiguierung)."
Im Grunde bedient sich Ganser mit seiner
Gleichsetzung von "Hypothese", "Ideologie" und
"Theorie" also einer Art Taschenspielertrick und weicht damit einer Überprüfung seiner Ausführungen auf Merkmale
verschwörungsideologischen Denkens aus. Der Begriff der
"Zentralsteuerungsypothese" taucht in den Arbeiten Gansers nicht
einmal auf, dementsprechend bemüht sich Ganser auch von vornherein
nicht, eine im konkreten Kontext unter Umständen nicht leicht zu
treffende Trennung vorzunehmen zwischen Hypothesen, die sich auf eine
mögliche reale Verschwörung beziehen und verschwörungsideologischem
Denken, das sich zunehmend von Faktenbezug und Nachprüfbarkeit
entfernt.
Nemen wir, auch wenn man sich als Intellektuelle(r)
ein erbaulichereres und ergiebigeres Betätigungsfeld wünscht, für
einen Moment LIHOP ("Let it happen on purpose") als
Hypothese über einen möglichen Tathergang ernst und spielen
wir ihre mögliche Verifizierung durch - schließlich beklagen sich
die Truther ja stets, daß sie nicht ernst genommen würden und man
ihnen eine sachliche Auseinandersetzung mit ihren Ansichten schuldig
bliebe. Ziehen wir also in Erwägung, daß bestimmte Institutionen,
Organe, Ebenen des amerikanischen Staates vorab über die
Anschlagspläne der Attentäter informiert waren und diese
ungehindert zur Tat schreiten ließen, etwa, ebenfalls hypothethisch,
aufgrund interner Dynamiken, ungeklärter Kompetenzen und auch
Rivalitäten zwischen den verschiedenen amerikanischen
Geheimdiensten, dem Parlament, dem Pentagon und dem Weißen Haus.
Um einen solchen Verdacht zu überprüfen,
wäre es unabdingbar, ausreichend Belege für dieses vorherige
Informiertsein, d.h. im Regelfall schriftliche Quellen, Korrespondenz
der involvierten Behörden, Gesprächsmitschnitte oder zumindest
Zeugenaussagen aufzutreiben und anhand dieser festzustellen, wer wann
woher welche Erkenntnisse hatte und diese aus welchen Gründen
weiterleitete oder zurückhielt, um dann in einem zweiten Schritt zu
analysieren, inwiefern hinter diesen Abläufen tatsächlich eine
einheitliche Absicht und zentrale Planung und Lenkung stand...
In
Bezug auf Ersteres fehlen Ganser die hierzu notwendigen Quellen, in
Bezug auf Letzteres fehlt Ganser, wie anhand seiner bisherigen
Arbeiten (siehe etwa die obige Kritik an Gansers Sammelband-Aufsatz
sowie die untenstehende Kritik an seiner verkürzenden Sicht auf die
NATO-Geheimarmeen) bereits deutlich geworden ist, das hierzu notwendige
Vermögen bzw. die Bereitschaft, zwischen verschiedenen Akteuren und
Akteursgruppen zu differenzieren, sowie ein Verständnis für die
Dynamiken, die sich aus der Interaktionen unterschiedlicher Akteure ergeben.
Ganser und andere mögen Fragen nach einer möglichen
Beteiligung der amerikanischen Regierung an den Anschlägen von 9/11
noch so spannend finden: Will man bei diesem Thema über bloße
Unterstellungen und Spekulationen, wie sie jeder x-beliebige Laie auf
der Straße oder vom heimischen Bildschirm aus treffen könnte,
hinausgehen und erhebt man, wie Ganser das tut, den Anspruch, zu
"forschen" und Dinge "herauszufinden" sowie
generell eine wissenschaftliche Perpsektive einzunehmen, dann braucht
man Material, Quellen, Belege. Gerade ein Historiker kann da, wo
keine Quellen vorhanden sind, auch nicht arbeiten und muß seine
Forschung entweder umformulieren, sein lassen oder so lange verschieben, bis
er Zugang zu den entsprechenden Dokumenten erhält. Derartige
Unterlagen wären, sofern existent, klassifzifiert. Einem seriös
arbeitenden Historiker bliebe somit, sofern er nicht auf
investigativen Journalismus oder das Leaking-Geschäft umsatteln wollte, nichts anderes übrig, als so lange zu warten, bis die Akten
der verdächtigten Behörden auf ordentlichem Wege zur Einsicht
freigegeben werden. Eine automatische
Deklassifizierung tritt in den USA nach 25 Jahren ein, Dokumente,
die hiervon ausgenommen sind, können auch erst nach 30, 40 oder 50
Jahren freigegeben werden. Bestehen besonders begründete Einwände,
können Dokumente in Einzelfällen auch länger als 50 Jahre gesperrt
werden.
Ganser ist dieser Umstand der langen Wartedauer
durchaus bekannt und er geht in seinem Baseler
Vortrag zu 10 Jahren 9/11 auch explizit darauf ein. Im Zusammenhang
mit der Watergate-Affäre, die er als Beleg für die Existenz realer
Verschschwörungen anführt, sagt er wörtlich (bei Minute 35:23):
"It always takes a long time until the historians have the
records, but we have them". In Bezug auf Operation Northwoods,
d.h. gegen Kuba gerichtete US-amerikanische Pläne für eine False
Flag Aktion erläutert Ganser mit folgenden Worten eines der
zentralen Dokumente hierzu (bei Minute 1:15:00):
"It was top secret for many many years, and
now it is declassified. It's a Pentagon document. And I am just
bringing this here to show you that as historians we are very slow,
sorry for that. It usually takes 40 years until we get these
documents. That's a bit late, very sorry."
Ganser hat nun aber seine "Forschungen" zu
9/11 gerade nicht mit dem Sammeln aussagekräftiger Quellen begonnen,
um dann anschließend anhand der zusammengetragenen Dokumente und in
seiner Funktion als Historiker etwaige geheimdienstliche
Hintergründe von 9/11 analysieren zu können. Vielmehr übt er
sich in Ermangelung einer tatsächlichen historischen Quellenbasis in
recht freien Spekulationen und lockeren Assoziationen, die einerseits
auf Gemeinplätze referieren sowie andererseits auf höchst
disparate, einzelne "Indizien" und "Auffälligkeiten".
Dafür, daß Ganser sich der Divergenz zwischen üblicher
wissenschaftlicher Praxis und seinem eigenen, laienhaften Vorgehen
jedoch zumindest unterschwellig bewußt ist, spricht, daß er den
Topos des geduldigen Historikers geradezu zelebriert.
Immer wieder betont Ganser, daß er "als
Historiker" gewartet habe - tatsächlich aber beziehen sich
diese Aussagen nicht auf die Freigabe von Archivquelle, sondern auf
das Erscheinen des offiziellen Untersuchungsberichtes der
9/11-Kommission im Jahr 2004. Daß Ganser auch hier mit Platzhaltern
für solide wissenschaftliche Arbeit argumentiert und hinsichtlich
seiner 9/11-Quellenbasis wenig mehr bietet als ein Surrogat
dessen, was in der historischen Profession üblich ist, geht besonderrs
prägnant aus einer Passage in seinem IALANA-Vortrag
(ca. Min. 36:50) hervor. Er referiert:
"Die Historiker
warten immer, bis das offizielle Dokument herauskommt. Das ist 600
Seiten dick, und da habe ich, das kam erst im Sommer 2004, und da
habe ich dann gesucht, wie wird der Einsturz des dritten Gebäudes
erklärt [...]."
Im unmittelbaren Anschluß hieran rügt er den
Untersuchungsbericht dafür, daß das dritte eingestürzte Gebäude
in ihm fehle und nimmt dies zum Anlaß, noch einmal mit aller Vehemenz
auf "wissenschaftliche Standards" und deren Einhaltung zu dringen. Auf ähnliche Weise betont er in eben diesem
Zusammenhang immer wieder den Umfang des Untersuchungsberichtes sowie
daß nur wenige Menschen diesen wirklich gelesen hätten (im Baseler
Vortrag etwa bei Minute 28:18). Was Ganser hier betreibt, sind im
Grunde Ablenkungsmanöver, dank derer er die Schwächen und Untiefen
seiner eigenen Methodik im Vortragsfluß ein wenig verdeckt.
Eine nicht-verschwörungstheoretische
Auseinandersetzung mit einer Zentralsteuerunggshypothese bietet Ganser hingegen nicht. Daß Ganser hier im Grunde als Historiker
scheitert, äußert sich u.a. auch darin, daß er immer wieder die
Geschichte erzählt, wie er zu den ETH-Baustatikern gelaufen sei, die
ihm dann versichert hätten, ihrer Ansicht nach seie WTC7 gesprengt
worden. Möglicherweise ist u.a. auch dewegen in seinen Vorträgen
immer wieder auf äußerst redundante Weise von "wir Historiker"
die Rede. Wie bereits in den vorigen Abschnitten gelärt, liefert
Ganser, trotz anderslautender Behauptungen, auch keine
Diskursanalyse. Dies ist schade, da er mit einem diskursiven Ansatz die Frage, welche der 9/11-Versionen
"wahr" sei, elegant ihrer Bedeutung entheben und sich auf
unterschiedliche Sinngebungsprozesse und Phänomene wie das der
kollektiven Erinnerung konzentrieren könnte. Seine
Wissenschaftlichkeit bliebe jedenfalls bei einem solchen Ansatz
gewahrt.
Versuchen wir jedoch weiter, Ganser beim Wort zu
nehmen. Ganser möchte erklärtermaßen "Verschwörungstheorien"
untersuchen. Nehmen wir also, da eine Fokussierung auf einen
nicht-verschwörungsideologischen Umgang mit
Zentralsteuerungshypothesen bei ihm nicht erfolgt und damit als
akademischer Zugang zum Thema 9/11 ausscheidet, an, Ganser
interessiere sich in der Tat für Verschwörungsideologien.
Nun gehört zu einer akademischen Arbeitsweise nicht nur eine gewisse
grundlegende wissenschaftliche Methodik, die über die
Disziplingrenzen hinweg Bestand hat, sondern auch, daß man
sich mit den Arbeiten seiner Vorgänger innerhalb des jeweiligen
Forschungsfeldes vertraut macht, sich mit ihnen auseinandersetzt und
auf ihnen aufbaut.
Tatsächlich spricht nicht das Geringste dagegen,
"Verschwörungsideologien" auf wissenschaftliche Weise zu
untersuchen und existiert tatsächlich auch so etwas wie ein
Forschungsfeld dazu - zumindest in Ansätzen. Da dieses
Forschungsgebiet nicht meines ist, kann ich hier nur einen groben
Aufriß bieten - Soziologen und Kulturwissenschaftler, die explizit zu verschwörungsideologischem Denken arbeiten,
mögen mir meine Wilderei in ihrem Feld verzeihen. Allerdings
demonstriert denn gerade ein solch ein kursorischer Blick "von
außen" sehr gut, wie groß die Mängel und Lücken eines
Daniele Gansers sind, zumal dieser sich bereits seit vielen Jahren
mit dem 11. September und der Truther-Szene auseinandersetzt und
damit ein regelrechter Verschwörungsideologie-Experte sein müßte. Doch Daniele
Gansser schreibt und redet an wissenschaftlichen Vorarbeiten, die
zu Verschwörungstheorien und -ideologien geleistet wurden, komplett vorbei. In all
den Texten, Interviews und Vorträgen Gansers, die ich durchgegangen
bin, bin ich auch nicht nur auf eine einzige Erwähung von
wissenschaftlichen Studien zu Verschwörungsideologien gestoßen.
Eine Auseinandersetzung mit Verschwörungs"theorien"
findet durchaus nicht nur in halbakademischen Schmuddelecken statt.
Vielmehr haben sich sogar etliche Denker von internationalem Rang mit
verschwörungsideologischem Denken auseinandergesetzt und bieten
unterschiedliche Analysen und Erklärungsansätze hierzu an. Karl
Popper etwa charakterisierte in "Die
offene Gesellschaft und ihre Feinde. Bd. II, Falsche Propheten"
(englisches Original erstmals 1945 erschienen) dieses Denken wie
folgt (S. 111-112):
"Um meine Gedanken zu verdeutlichen,
werde ich in kurzen Zügen eine Theorie beschreiben, die weit
verbreitet ist, aber das genaue Gegenteil dessen annimmt, was ich für
das eigentliche Ziel der Sozialwissenschaften halte; ich nenne sie
die Verschwörungstheorie der Gesellschaft. […] Diese
Theorie behauptet, daß die Erklärung eines sozialen Phänomens in
der Entdeckung besteht, daß Menschen oder Gruppen an dem Eintreten
dieses Ereignisses interessiert waren und daß sie konspiriert haben,
um es herbeizuführen. (Ihre Interesssen sind manchmal verborgen und
müssen erst enthüllt werden).
Diese Ansicht von den Zielen der
Sozialwissenschaften entspringt natürlich der falschen Theorie, daß,
was immer sich in einer Gesellschaft ereignet, das Ergebnis eines
Planes mächtiger Individuen oder Gruppen ist. Besonders Ereignisse
wie Krieg, Arbeitslosigkeit, Armut, Knappheit, also Ereignisse, die
wir als unangenehm empfinden, werden von dieser Theorie als gewollt
und geplant erklärt."
Sowie, gerade auch für meine Zwecke hier, d. h. in
Hinblick auf die postsowjetische Desinformationspolitik der
russischen Regierung, interessant:
"Ich will nicht sagen, daß Verschwörungen
sich niemals ereignen. Im Gegenteil. Verschwörungen sind ein
typisches soziales Phänomen. Sie werden zum Beispiel immer dann
wichtig, wenn Menschen an die Macht kommen, die an die
Verschwörungstheorie glauben. Und Menschen, die allen Ernstes zu
wissen glauben, wie man den Himmel auf Erden errichtet, werden aller
Wahrscheinlichkeit nach die Verschwörungstheorie übernehmen, und
sie werden sich in eine Gegensverschwörung gegen nicht existierende
Verschwörer verwickeln lassen. Denn die einzige Erklärung für das
Fehlschlagen ihres Versuches, den Himmel auf Erden zu errichten, sind
halt die dunklen Pläne des Teufels, der ein uraltes Anrecht an der
Hölle hat."
Weitere Philosophen, deren
Arbeiten eine Grundlage für eine Beschäftigung mit
verschwörungsideologischem Denken liefern könnten, wären etwa
Theodor W. Adorno mit seinem Aufsatz "Meinung, Wahn
Gesellschaft" (ja, ich gebe zu, ich habe den Hinweis auf Adorno
zunächst in einem Jungle
World-Artikel zu Verschwörungstheorien gefunden, aus dem Daniele
Ganser weiterführende Lektürehinweise und Anregungen aber ebenso
bequem wie ich entnehmen könnte), aber auch Jaqcues Lacan und auf
ihm aufbauend Slavoj Žižek,
die sich beide im Grenzbereich zwischen Philosophie und Psychologie
bewegen.
Žižek
sieht im verschwörungsideologischen Denken eine Suche nach dem
entlastenden und sinnstiftenden "Big Other", das er in
Anlehnung an Lacan als "constitutive alienation of the subject
in the symbolic order" beschreibt (in "Enjoy
your Symptom!", S. 246):
"[...]
the big Other pulls the strings, the subject doesn't speak, he "is
spoken" by the symbolic strucure. In short, this "big
Other" is the name for the social substance, for all that on
account of which the subject never fully dominates the effect of his
acts, that is on account of which the final outcome of his activity
is always something else with regard to what he aimed at or
anticipated."
Hier im Kontrast zu Žižek dürfte Daniele Gansers eigene Affinität zu verschwörungsideologischem
Denken besonders deutlich zum Ausdruck kommen, denn gerade diese
"soziale Substanz", die von den Akteuren niemals
vollständig kontrolliert werden kann, diese gibt es bei Daniele
Ganser nicht (siehe hierzu auch den "Nachsatz" weiter unten). Žižek zufolge ist der Versuch, diesen Moment der in
unserere symbolischen Struktur begründeten Entfremdung in Form eines
"big Other" zu personifizieren und damit scheinbar eine
kohärente Ordnung und den Eindruck von zumindest hypothetischer
Kontrollierbarkeit wiederzuerschaffen, ein Ausdruck von paranoidem
Denken (S.247):
"[...]
paranoia is at its most elementary a belief into an "Other of
the Other", into another Other who, hidden behind the Other of
the explicit social texture, programs what appears to us as the
unforeseen effects of social life and thus guarantees its
consistency: beneath the chaos of market, the degradation of morals,
and so on, there is the purposeful strategy of the Jewish plot."
Die Suche nach der "wahren
Wirklichkeit", wie sie auch Truther propagieren, beruht samt
deren Suche nach inkohärenten Details und widersprüchlichen
Momenten/Anomalien demzufolge auf einem tiefen Mißverständnis (S.
248):
"[...]
the real is not the "true reality" behind the virtual
simulation, but the void that makes reality imcomplete/inconsistent,
and the function of every symbolic matrix is to conceal this
inconsistency - one of the ways to effect this concealment is
precisely to claim that, behind the incomplete/inconsistent reality
we know, there is another reality with no deadlock of impossibility
structuring it."
Das
Anwachsen von Verschwörungstheorien ist nach Žižek eine
Reaktion auf den Bedeutungsverlust des Großen Anderen in
(post-)modernen Gesellschaften und auf das Ende der "großen
Erzählungen". Žižek betont aber in seinem Aufsatz "The
Big Other Doesn't Exist":
"These
phenomena cannot be simply dismissed as "regressive," as
new modes of "escape from freedom," as unfortunate
"remainders of the past" which will disappear if only we
continue more resolutely on the deconstructionist path of
historicisation of every fixed identity, of unmasking the contingency
of every naturalized self-image. Rather, these disturbing phenomena
compel us to elaborate the contours of the big Other's retreat: The
paradoxical result of this mutation in the "inexistence of the
Other" (of the growing collapse of the symbolic efficiency) is
precisely the re-emergence of the different facets of a big Other
which exists effectively, in the Real, and not merely as symbolic
fiction.
The belief in the big Other which exists in the Real
is the most succint definition of paranoia, so that, two features
which characterize today's ideological stance cynical distance and
full reliance on paranoiac fantasy are strictly codependent: today's
typical subject, while displaying cynical distrust of any public
ideology, indulges without restraint in paranoiac fantasies about
conspiracies, threats, and excessive forms of enjoyment of the Other.
Distrust of the big Other (the order of symbolic fictions), the
subject's refusal to "take it seriously," relies on the
belief that there is an "Other of the Other," a secret,
invisible, all-powerful agent who effectively "pulls the
strings" behind the visible, public Power."
Zugleich zeigt Žižek
auch die Entpolitisierung auf, die mit dem Glauben an die ganz großen
Verschwörungen einhergeht und die Art und Weise, wie sich ihre
Träger aus einer Situation der (realen
oder gefühlten) politischen Schwäche heraus ihrer eigenen
Handlungsoptionen berauben:
"What
is wrong with the complaint of the truly deprivileged is that,
instead of undermining the position of the Other, they still address
It: they, translating their demand into legalistic complaint, confirm
the Other in its position by their very attack."
Auseinandergesetzt hat man sich mit Verschwörungsideologien
besonders auch in der Wissenssoziologie (aufbauend auf
Berger/Luckmann) und generell in den Kognitionswissenschaften. Hier werden
sie als besondere Form des "cognitive mapping" verstanden, d.h.
als Versuch, sich über schematische Reduzierungen in einer Welt zu
orientieren, die aus einer Flut an unübersichtlichen und teils
widersprüchlichen Informationen und Reizen besteht. Im Schnittfeld
von Soziologie und Psychologie angesiedelt ist beispielsweise eine
empirische Studie von Viren
Swami, die darauf hindeutet, daß Menschen, die Unsicherheit und
ein Gefühl der Machtlosigkeit erleben, eher zum Glauben an
Verschwörungstheorien tendieren sowie daß Vertreter von Verschwörungstheorien oft zu
einer zynischeren Sicht auf Politik und die Welt im allgemeinen
neigen als Nicht-Verschörungsideologen, sowie, was für manche
überraschend sein mag, daß sie oftmals energische Verfechter
demomkratischer Prinzipien sind.
Verschwörungsideologien vermitteln
in einer unübersichtlichen und von Machtgefällen geprägten Welt
das Gefühl, ein Stück "agency", also Handlungsmacht,
zurückerobern zu können oder doch zumindest dank des eigenen
Wissens um verborgene Zusammenhänge anderen Menschen überlegen zu
sein. Wie die Wissenschaftsjournalistin Maggie Koerth-Baker in The
New York Times (die Forschungsergebnisse von Swami
zusammenfassend) schreibt:
"It feels good to be the wise old goat in a flock of
sheep."
Daß es Akademikern durchaus nicht daran gelegen
ist, Verschwörungsideologen als "Spinner" abzuwerten und
damit aus der öffentlichen Debatte auszuschließen, sondern sie sich
um recht nüchterne Analysen ihrer Denkstrukturen und
Argumentationsweisen bemühen, zeigt auch eine Studie
von Michale J. Wood und Karen Douglas. Das von den Autoren
gewählte Fallbeispiel ist - für meine Zwecke hier recht praktisch -
gleichzeitig auch eines der Lieblingsthemen Daniele Gansers:
9/11 bzw. genauer gesagt, Theorien hierüber.
Beim Vergleich zwischen Anhängern
konventioneller Erzählungen und Anhängern von Verschwörungstheorien stellten Douglas und Wood u.a. fest, daß Verschwörungsideologen mißtrauischer sind und
ihre Argumentationsweise einen geringeren Faktenbezug aufweist,
Konventionalisten dagegen stärker mit einem feindseligen Ton
auffallen. Die internationale Querfrontszene, allen voran der
iranische
Propagandasender PressTV, haben das vermeintlich "positive"
Zeugnis, das diese Studie Verschwörungsideologen ausstellt,
aufgegriffen um zu behaupten, daß Verschwörungsideologen "geistig
gesünder" seien als konventionell argumentierende Menschen. Die
Autoren der Studie haben sich allerdings gegen
eine derartige Verfälschung ihrer Untersuchtungsergebnisse gewehrt.
Ein weiteres interessantes Ergebnis der Studie ist,
daß Verschwörungstheorien oft einen reaktiven Charakter aufweisen.
Douglas und Wood stellen so, z.T. in Rückgriff auf frühere Studien,
fest, daß eine verschwörungsideologische Weltsicht weniger mit
konkreten "Plots" zu tun hat und diese sogar weitgehend
fehlen können, daß mitunter mehr Aufwand betrieben wird, um
offizielle Erzähungen zu diskreditieren denn um eigene zu schaffen. D..h. dem Verschwörungsdenken geht es oftmals weniger um Konkretes, es drückt vielmehr eine grundlegend oppositionelle Haltung aus:
"[...]
the specifics of a conspiracy theory are less important than its
identity as a conspiracy and its opposition to the official
explanation. The important element is that those in power are lying
and cannot be trusted, and that they are covering up something
sinister."
Hier bieten sich denn auch Ankünpfungspunkte für weitere interdisziplinäre Fragestellungen, insbesondere auch solche, die ins Feld der Politikwissenschaften hineinreichen. Ganser hätte hier
auf Studien aufbauen können, die Verschwörungstheorien
als besondere Form der politischen Religion behandeln oder er hätte die
Korrelationen zwischen Verschwörungsdenken und dem Phänomen
eingeschränkter politischer Partizipation (ob nun objektiv gegeben
oder subjektiv wahrgenommen) herausarbeiten können. Interessant wäre
in diesem Zusammenhang insbesondere auch eine Studie von Ted Goertzel
gewesen, die unter (marginalisierten) Minderheitenangehörigen
in den USA eine stärkere Empfänglichkeit für
verschwörungsideologisches Denken ausgemacht hatte (siehe
hierzu wikipedia).
Bestandteil politologischer Betrachtungsweisen wäre
es auch gewesen, auf den Zusammenhang
von Verschwörungstheorien und Gewaltbereitschaft sowie generell
auf die Interessensgeleitetheit und die Funktion von
Verschwörungstheorien als Herrschaftsinstrument (siehe auch
untenstehenden Nachsatz) hinzuweisen. Hier ignoriert Daniele Gansers "wissenschaftlicher" Ansatz denn nicht nur die
vorhandene Forschung, sondern stellt deren Erkenntnisse sogar auf den Kopf: Für Ganser ist die Beschäftigung
mit sogenannten "alternative" Theorien nicht mit einer erhöhten Prädisposition zu Gewalt verknüpft, sondern Ausdruck eines
dezidierten friedenspolitischen Interesses.
Geradezu ein "must" wäre es hinsichtlich
von Gansers Konzentration auf die US-amerikanische Politik gewesen,
auf den amerikanischen Historiker Richard
Hofstadter und dessen Klassiker "The
Paranoid Style in American Politics" aus dem Jahr 1964
einzugehen. Ganser hätte dieser Essay Gelegenheit zur
Kontextualisierung und historischen Eindordnung aktueller
Verschwörungstheorien gegeben. Hofstadters Feststellung, daß der
paranoide Stil amerikanischer Politiker in manichäischen Weltsichten
seinen Ausdruck findet und das Begreifen von politischen Konflikten
als Kampf von Gut gegen Böse dazu führt, daß statt Vermittlung und
Kompromiß in Form von Sieg und totaler Vernichtung gedacht wird,
hätte u.a. sogar Gansers Kritik an Bush und Konsorten ein wenig
Substanz verleihen können. Letzendlich bietet die Tatsache, daß
Verschwörungsdenken in der amerikanischen Politik eine lange
Tradition hat und höchst unterschiedliche Gruppen quer durch die
politischen Lager hindurch und bis hin zur Regierungsebene davon
erfaßt waren, auch Stoff, um gegen eine Stigmatisierung von Truthern
als Gruppe marginaler Spinner anzuargumentieren, wie dies auch das immer
wieder formulierte Interesse von Ganser ist. Jedoch ist von einer
Bezugnahme auf Hofstadter in Ganser Vorträgen und Artikeln
nirgendwo auch nur eine Spur zu sehen.
Festhalten läßt sich, auch anhand eines solch
fragmentarischen Überblicks über die wissenschaftliche
Auseinandersetzung mit verschwörungsideologischem Denken, daß 9/11-Theorien als wissenschsaftliches Forschungsthema durchaus denkbar sind und die Beschäftigung mit ihnen interessante Einblicke in das Funktionieren unserer Gesellschaften bieten könnte.
Ganser hätte auf eine Vielfalt an unterschiedlichen
wissenschaftlichen Ansätzen, Methoden und Theorien zurückgreifen
können, um sich auf wissenschaftlich legitime Weise mit dem
Truther-Phänomen auseinanderzusetzen.
Ganser jedoch hat nichts "geforscht" zu 9/11, er
kolportiert und zwar meist das, was auf schier unzähligen
9/11-Portalen als Wissensbestand der Truther-Szene frei im Internet
kursiert. Ganser entwirft keine wissenschaftliche Fragestellung und
grenzt dementsprechend auch kein Forschungsthema ein, er flattert von
einer Anekdote und einem Kuriosum zum Anderen und erschöpft sich in der Auneinanderreihung von Truismen. In Abwesenheit einer entsprechenden Methodik und
theoretischen Fundierung samt einem Verständnis für soziopolitische
Prozesse und Dynamiken scheint auch Ganser auf der Suche nach dem
großen Movens hinter den Dingen zu sein. Von einer Quellenauswahl, einer
Materialsammlung, dem Zusammenstellen einer Datenbasis als Grundlage
für eine eingehende Analyse ist ebenfalls nicht die Rede.
In weiten
Teilen bietet Ganser so nicht mehr als eine auf Äußerlichkeiten
fixierte, oberflächliche Nachahmung eines wissenschaftlichen
Diskurses. Hierfür wählt er oft quantitative Beschreibungen (es
müssen viele Bücher gelesen werden, der Historiker wartet lange
Jahre auf seine Quellen, sein Buch wurde in zig Sprachen übersetzt)
und entsprechende Verben (forschen, untersuchen, herausfinden...),
die allerdings keine geeignete Beschreibung für seine Vorgehensweise
liefern. Immer wieder auch muß er betonen, daß er "als
Historiker" dieses und jenes tue, da er gerade nicht als
Historiker und mit Methoden der Geschichtswissenschaft vorgeht - mit
denen eines anderen Faches oder interdisziplinären Gebietes leider
ebenfalls nicht
Kurzum: Ganser hat - abgesehen von seinen früheren
Forschungen zu den Stay Behind-Strukturen der NATO und seiner darauf
aufbauenden indirekten, deduktiven und spekulativen Argumentation -
keine eigenen Forschungsergebnisse zu 9/11, er hat nichts untersucht
und nichts herausgefunden, was sich unterdrücken ließe, er läßt nicht einmal eine
seriöse Forschungsintention erkennen. Sein Vorgehen bietet aus
wissenschaftlicher Sicht Anlaß genug für deutliche Rügen. Kritik an Gansers Umgang
mit dem Thema "9/11" kann damit nicht als Zensur- und
Repressionsversuch gegen unliebsame Wahrheiten abgetan werden, zumal
sich diese weniger an faktischen Behauptungen stört, sondern an den
zugrundeliegenden Denkschemata, der Abwesenheit wissenschaftlicher
Analysekategorien und fehlerhafter Logik.
Ferner läßt sich festhalten, daß Daniele Ganser, indem er verschwörungsideologische
Gemeinplätze als Produkt moderner wissenschaftlicher Forschung
ausgibt und diese damit veredelt bzw. gesellschaftstauglich zu machen sucht, nicht einfach ein Gläubiger unter vielen ist und sich auch nicht in einer derart deprivilegierten Situation befindet, daß er mit verschwörungsideologischen Denkschemata seine eigene Orientierungslosigkeit kompeniseren müßte, sondern daß Ganser in seiner Rolle als Historiker aktiv verschwörungsideologisches Denken propagiert. Vielleicht sollte man ihn angesichts dessen nauch icht als Verschwörungstheoretiker, sondern als Verschwörungspropagandisten bezeichnen, zumal er in Form unzähliger Vorträge
Proselytismus auf professioneller Ebene betreibt und er hiermit wie auch mittels seiner Publikationen nachweislich
Anhänger für die Truther-Szene gewinnt.
"Die Lektüre von Daniele Ganser’s «Europa
im Erdölrausch» von 2012 und Peter Dale Scott’s «The Road to
9/11» von 2007 deuten für mich darauf hin, dass 9/11 in einem
breiten Kontext von vergangenen und zukünftigen Kriegen und
Anschlägen gesehen werden muss. Dies hat mich dazu bewogen, diese
Petition zu unterschreiben und eine verstärkte Unterstützung der
Friedensforschung durch den Bund sehr zu befürworten."
Und ein Claus Rolff aus Tägerwilen meint:
"Heute habe ich einen Vortrag von Daniele
Ganser gesehen. Nun weiss ich: es sind höchstwahrscheinlich die
anderen. Um Gewissheit zu haben, brauchen wir genau das, was diese
Website fordert: eine neue, unabhängige Untersuchung."
(Nachsatz) "Strategy of Tension" -
Antiamerikanische Projektionen und Verschwörungstheorien im
Block-konflikt
Bei der Durchsicht des „akademischen“
Umfeldes von Gansers Truther-Aktivitäten ist mir ein Kuriosum in
Form eines Artikels von Peter Dale Scott aufgefallen, das unter dem
Titel "The Global Drug Meta-Group: Drugs, Managed Violence, and
the Russian 9/11" im Oktober 2005 in der "Zeitschrift für
Parapolitik" Lobster
erschienen war. Mich hat dieser Artikel überrascht, da seine
Überschrift suggeriert, hier würde im Rahmen eines internationalen
Vergleichs ein mutmaßliches False Flag-Attentat der russischen
Regierung mitbehandelt. Hiermit wäre zwar – angesichts der
verschwörungsideologischen Argumentationsgewohnheiten des Autors -
nicht automatisch eine intellektuell befriedigende Auseinandersetzung
zu erwarten gewesen, wohl schien mir dies darauf hinzudeuten, daß
der Autor – anders als andere Truther – sich nicht den Vorwurf
selektiver Themenauswahl und himmelschreiender politischer
Einseitigkeit gefallen lassen müßte. Daraufhin neugierig geworden,
mußte ich bei der genaueren Lektüre des Artikels jedoch schnell
feststellen, daß eine solch wohlwollende Vorannahme auch hier
fehlgeleitet war.
Vorweg noch eine kurze Erklärung:
Gemeint sind mit dem “russischen 11. September" die
Wohnhausanschläge
von 1999, die sowohl als Rechtfertigung
für den Beginn des Zweiten Tschetschenienkrieges dienten als
auch Vladimir Putin zum Amt des Präsidenten der Russischen
Föderation und steigender Popularität in der Bevölkerung
verhalfen. Zunächst waren im August/September 1999 in Moskau,
Buniaksk (Teilrepublik Daghestan) und Wolgodonsk Sprengsätze
hochgegangen, bei denen zum Teil mehrstöckige Wohnhäuser
einstürzten und mehr als 300 Menschen, ein Großteil davon
Zivilisten, starben. Am 22. September 1999 kam es zu einem bis heute
strittigen Zwischenfall
in Ryazan: ein Bewohner eines Mehrparteien-Wohnhauses, der wohl
im Wissen um die vorangegangenen Anschläge in anderen Städten
sensibilisiert war, bemerkte, daß zwei verdächtig wirkende Männer
Säcke in den Keller seines Wohnhauses trugen. Die herbeigerufene
Polizei fand einen Detonator vor und in den Säcken ein weißes
Pulver. Eine erste Messung ergab Hinweise auf den militärischen
Sprengstoff RDX (Hexan), der auch bei den vorhergehenden Anschlägen
zum Einsatz gekommen war.
Die Spuren führten zum FSB, der sich damit herausredete, man habe
in einer Übung die Wachsamkeit der Bürger testen wollen, in den
Säcken habe sich lediglich Zucker befunden. Der ehemalige russische
Spion Aleksandr Litvinenko, die Journalistin Anna Politkovskaya, der
Rechtsanwalt Mikhail Trepashkin und andere hatten daraufhin
spekuliert, daß der FSB diese Anschläge selbst inzseniert haben
könne, um im Zuge einer False Flag-Aktion die Verantwortung hierfür
dann "tschetschenischen Terroristen" zuschreiben zu können.
Litvinenko und Politkovskaya wurden ermordet, Trepaschkin wurde für
vier Jahre in einer Strafkolonie im Ural inhaftiert; die staatlichen
Ermittlungen verliefen im Sande bzw. wurden nachweislich behindert.
Anders als im Falle von 9/11-Trutherszenarien gab es im Falle der
Wohnhausanschläge in Rußland durchaus ernstzunehmende, da recht
konkrete Hinweise auf eine unmittelbare Beteiligung des FSB und
wurden diesbezügliche Vorwürfe und Verdachtsmomente von durchaus
seriösen Figuren des öffentlichen Lebens geäußert. Allerdings
sollte man auch nicht verschweigen, daß Skeptiker
und Kritiker auf den russischen Oligarchen Boris Berezovskii
verweisen, der als Kreml-Kritiker Interesse an der Verbreitung einer
diesbezüglichen Verschwörungstheorie gehabt haben könnte.
"Assassination of Russia " ("Doku"-Film, mitfinanziert von Berezovskii)
Da die Wohnhausanschläge "tschetschenischen
Terroristen" angelasteten und damit zum Auslöser des zweiten
Tschetschenienkrieges wurden, ergeben sich hier narrative Parallelen
zur Truther-Behauptung, die USA hätten 9/11 selbst inszeniert, um
damit einen Vorwand zur Kriegsführung gegen Afghanistan und den Irak
zu haben. Die Titelzeile von Scott spielt damit auf eben diese
(scheinbare) Analogie an. Das Interesse von Truthern an dieser
Thematik fällt im allgemeinen jedoch extrem gering aus, in
Truther-Publikationen und auf den entsprechenden Webseiten und Foren
scheint es meist alleine um die USA und ihre westlichen Verbündeten
zu gehen.
Peter Dale Scotts Artikel bietet eine in
Verschwörungskreisen nicht unübliche Mischung aus anekdotenhaften
Details, spekulativen Behauptungen und einer verwirrenden Fülle an
„Fakten“, bei denen auffällt, daß eine Gewichtung und
Kontextualisierung oft ausbleibt. Zusammengehalten wird dieses
heterogene Konglomerat per Suche nach einem alles entscheidenen
Meta-Faktor. In Scotts Deutungsmodell ist dieser jedoch wie bei
Daniele Ganser das Erdöl und die Sicherung von Rohstoffmärkten,
sondern das Streben nach Kontrolle des weltweiten Drogenhandels.
Als geheimen Drahtzieher macht Scott eine sogenannte "Meta
Group" aus. Eines der
in diese Netzwerke involvierten
Machtzentren sei eine "Kabale" um den ehemaligen russischen
Präsidenten Boris Yeltsin gewesen. Diese habe im Sommer 1999 bei
einem Treffen in Frankreich, allerdings nicht ohne einflußreiche
westliche Beteiligung, das russische 9/11 geplant:
"There is an undeniable western face to the dominant
meta-group. One member of the meta-group at the 1999 meeting, Anton
Surikov, had spent time at the London Centre for Defence Studies; and
in addition Surikov had had contacts with at least one senior CIA
representative.[...] (Another member of the meta-group, former
Lithuanian Defense Minister Audrius Butkevicius, was with Surikov at
the London Centre.) We shall see that a third member, Ruslan Saidov,
is said to have been paid as a CIA contract agent. One of the alleged
purposes of the meeting at the villa – but not the only one – was
to give the Yeltsin "family" what it supposedly needed: a
Russian 9/11."
Scott greift somit die Ereignisse von 1999 zwar
auf, stellt sie aber in den Kontext internationaler
Wirtschaftskriminalität und packt so viel Beiwerk dazu, bis die
Verbindungen der (angeblichen) Drahtzieher nach Washington zu weisen
scheinen. Scott spricht explizit davon, daß die Verschwörungsgruppe
ein „westliches Gesicht“ aufgewiesen habe und behauptet, Details,
die in Richtung westlicher Beteiligung führten, seien bei
früheren Recherchen ignoriert bzw.
unterdrückt worden. Nichtwestliche
Akteure, so meint Scott, seien generell
nicht in der Lage, entsprechend komplizierte Operationen alleine
auszuführen. Träten doch einmal nichtwestliche
Akteure in Erscheinung, ständen hinter diesen
dann letztendlich doch wieder
"deeper, hidden forces". Gemeint sind –
namentlich ausgeführt – Israel und/oder die USA sowie
Saudi-Arabien.
John B. Dunlop (ein
namhafter Osteuropa-Experte, der u.a. in Princeton und Stanford tätig
war), so kritisiert Scott seine Vorgänger,
hätte sich bei seinen Nachfoschungen fälschlicherweise auf
den russischen Oligarchen Berezovskii konzentriert und einen weiteren
Beteiligten mit Westanbindung namens Adnan Khashoggi vernachlässigt.
Auch hätten über Anton Surikov, den
Organisator des geheimen Treffens vom Sommer 1999, Verbindungen zu
"America's best friend and Putin's most powerful enemy in
Russia, the oligarch Mikhail Khodorkovskii" bestanden,
sowie über einen Ruslan Saidow auch zu al-Zawahiri und damit zu den
Anschlägen von 9/11. Selbst ein französischer Staatsbürger mit
jüdischen Wurzeln wird in diese
Erzählung Scotts über das Wirken einer
Art Geheimgesellschaft (Scotts "Meta Group") mit eingebaut.
Ziel des konspirativen Treffens dieser Gruppe in Frankreich könne
neben der Kontrolle des globalen Drogenmarktes auch eine
Destabilisierung Rußlands gewesen sein. Scott kommt zu dem Resultat,
daß sowohl hinter den Moskauer Anschlägen
von 1999 als auch hinter 9/11 die gleichen konspirativen, auf
US-amerikanische Interessen ausgerichtete Netzwerke stecken könnten:
"Since first hearing about the meta-group's role in the
Russian 9/11, I have pondered the question whether it could have
played a similar role in the American 9/11 as well."
Somit zieht Scott zwar Parallelen zwischen 9/11 und den Moskauer
Wohnhausanschlägen bzw. fragt nach Zusammenhängen - führt jedoch
beide letzlich auf eine vom Westen aus gesteuerte mutmaßliche
Supra-Verschwörung zurück. D.h., es geht im hier gerade nicht um
die Behandlung von False Flag-Attentaten im West-Ost-Vergleich. In
einem weiteren Artikel Scotts, der 2008, d.h. drei Jahre nach seinem
Lobster-Artikel zum "russischen 9/11" auf globalresearch
als "9/11,
Deep State Violence and the Hope of Internet Politics"
erschien, erwähnt Scott noch einmal kurz Litvinenkos Behauptung
einer FSB-Beteiligung an den Anschlägen von 1999, erläutert dies
aber nicht mehr näher. Nach diesem Zeitpunkt
scheint Scott die Wohnhausanschläge von 1999 nicht mehr weiter
erwähnt zu haben.
Werfen wir jedoch noch einen Blick auf
globalresearch und darauf, wie diese Plattform – falls überhaupt
– mit dem Thema der Wohnhausanschläge von 1999 umgeht und ob hier
Parallelen zu 9/11 gezogen werden. Vor Scott war bereits im
Herbst 2004 in einem namentlich nicht gekennzeichneten
globalresearch-Artikel behauptet worden, es habe einen unerklärten
Krieg zwischen den USA und Rußland gegeben, für den sich die USA
islamischer Rebellen bedient habe. Auch in diesem
Artikel wird versucht, mittels einer Cui Bono-Argumentation
die Moskauer Anschläge von 1999 mit
amerikanischen Interessen in Verbindung zu bringen. Es heißt
so u.a.:
"Despite Washington’s "war on terrorism" , the
indirect beneficiaries of the Chechen wars have been the
Anglo-American oil conglomerates. More generally throughout the
former Soviet Union, the Islamic jihad has served to destabilize
State institutions and disrupt economic activity."
In einem späteren
globalresearch-Artikel
aus dem Jahr 2011 wird Litvinenkos These zu den Moskauer
Anschlägen in einer Fußnote genannt, allerdings ohne diese zu
bekräftigen. Im Jahr 2013 schreibt Adevinka Makinde in "Democracy,
Terrorism and the Secret State. From the Era of Gladio to the War on
Terror" auf globalresearch:
"Western historians have no problems attributing blame to
incidents manufactured by totalitarian or authoritarian regimes [..].
And the Western media has had no problems in airing the
suspicions about the Russian government’s complicity in the 1999
outrage dubbed ‘The Moscow Apartment Bombings’. Blamed on Chechen
separatists, it formed the pretext for unleashing a second bloody war
against the Russian federated state of Chechnya. But what of the case
for those acts of prefabricated violence and disinformation used by
the security agencies of Western democracies not only to subvert
foreign governments including the CIA’s famous overthrow of the
democratically“False
Flag Terrorism” to Sustain America’s “Humanitarian” Agenda
elected government of Mohamed Mossadegh in Iran, but also used within
their own borders to achieve objectives based on a perceived
‘national interest’?"
Hier geht es also weniger um den Versuch, den Verdacht von der
russischen Regierung auf die USA umzulenken, sondern um ein eher
klassisches Whataboutism. Im Juli 2014 findet sich dann auf
globalresearch noch in Form einer langen
Liste, die die weltweite Existenz von False-Flag-Praktiken
beweisen soll, ein kurzer Hinweis darauf, daß russische
Geheimdienstoffiziere "zugegeben" hätten, die Moskauer
Anschläge seien ein Inside-Job gewesen.
Der Artikel eines Joachim Hagopian von Juni 2014 erwähnt schließlich
die Moskauer Wohnhausanschläge im Rahmen eines Textes unter dem Titel ""False Flag Terrorism" to Sustain America's "Humanitarian" Agenda"
bewußt um zu illustrieren, daß die USA nicht die alleinige Macht
sei, die False Flag-Operationen inszeniere:
"To demonstrate that America is not alone as the only
heavy using of false flags and that other current leaders also employ
false flag operations on their own people, the September 1999
bombings of Russian apartment buildings killing 300 innocent people
were falsely blamed on Chechen terrorists in order to bring about
another war against Chechnya. A 2002 book written by former Russian
spy Alexander Litvinenko exposing the 9/99 false flag likely resulted
in his poisoning death by Russian intelligence in 2006."
Diesen sechs Artikeln, die in der einen oder anderen Form im
Rahmen anderer Arbeiten die russischen Anschläge von 1999 überhaupt
erwähnen, stehen auf globalresearch allerdings fast
40 000 Einträge zu 9/11 entgegen. Eine Beschäftigung mit den
Moskauer Wohnhausanschlägen scheint in Truther- und
Querfrontkreisen, zumindest gemessen an
globalresearch, tatsächlich ein absolutes Randphänomen zu
sein. Dabei darf man wohl mit einiger Berechtigung
sagen, daß sich die Indizienlage beim Vergleich 9/11-Moskau
1999 umgekehrt proportional zum jeweiligen öffentlichen Interesse
verhält.
Mit intellektuellem Interesse, Wahrheitssuche, Streben nach
Demokratie, einem Eintreten gegen religiös begründete Feindbilder
und Sympathien für die Unterdrückten dieser Erde, d.h. mit den
Kategorien, mit denen Truther einschließlich Daniele Gansers gerne
argumentieren, läßt sich dieses Mißverhältnis somit wohl schlecht
erklären, wohl aber mit geopolitischem Machtgefälle und einem
oftmals realitätsverzerrenden Blick auf die USA als der "einzigen
verbliebenen Supermacht". Letztere Perspektive kommt zwar oft
als herrschaftskritisch daher, reproduziert aber in Wahrheit die
beanstandeten (tatsächlichen oder gefühlten) Machverhältnisse,
indem sie “den USA” oder “dem Westen” eine Art Allmachtsrolle
zuweisen.
Mit Ausnahme des Artikels von Joachim Hagopian, der
sichtlich bzw. vielleicht sogar demonstrativ um Ausgewogenheit bemüht
ist, zeigt diese kurze Analyse, daß gegenüber der großen Masse an
Verschwörungstheoretikern, die sich ganz auf 9/11 konzentrieren,
einige wenige globalresearch-Autoren zwar nicht grundsätzlich
ausschließen, daß die Wohnhausanschläge in Rußland im Zuge einer
False Flag-Operation verübt wurden und durchaus erkennen, daß sich
hier im Rahmen ihrer eigenen Argumentationen Vergleichspunkte
ergeben, sie sich aber unwohl fühlen angesichts der Option,
russische und amerikanische Geheimdienstpraktien gleichzusetzen. Bzw.
es zeigt sich, daß sie, wie an vorderster Stelle Scott, bestrebt
sind, auch bei möglichen False Flag-Attentate auf russischem Boden
wieder eine amerikanische Täterschaft zugrunde zu legen. Hiermit
deutet sich an, daß die 9/11-Trutherszene nicht nur deutlich
antiamerikanisch ausgerichtet ist, sondern oftmals auch implizit oder
explizit prorussisch argumentiert wird. Gerade Scotts Lobster-Artikel
läßt ein dissimulatives bzw. kompensatorisches Anliegen recht deutlich erkennen.
In der Tat ist es eines der wesentlichen
Merkmale von Verschwörungstheorien, daß sie politisch nicht
neutral, sondern interessengeleitet sind. Armin
Pfahl-Traughber und Helmut Reinalter schlagen
die Verortung im machtpolitischen Diskurs sogar als wesentliches
Kriterium für die Unterscheidung von Zentralsteuerungshypothese und
Verschwörungsideologie vor. Widmen wir uns hier also noch einmal
Ganser und untersuchen wir, wie interessensgeleitet bzw. politisch
fokussiert seine Arbeit ist und ob sich hier eine ähnliche
Schlagseite offenbart wie bei seinem Kollegen Peter Dale Scott.
Hierzu möchte ich unächst ein weiteres Mal auf den Ethnologen
Helmut Reinalter verweisen, der in seinem Buch "Die
Weltverschwörer" (S.10) einige
diesbezügliche Wesensmerkmale von Verschwörungsideologien näher
beschreibt:
“Als Grundlage dient allen Verschwörungstheorien ein
vereinfachtes Welt- und Geschichtsbild, das von der Annahme ausgeht,
komplexe Strukturen der sozialen Wirklichkeit könnten durch gezielte
Handlungen von Personen oder Gruppen direkt gesteuert werden. Diese
Annahme ist wirklichkeitsfremd, weil sozialwissenschaftliche Theorien
und Modelle verdeutlichen, dass sich tief greifende Ereignisse in
Wirtschaft, Gesellschaft, Politik und Kultur nicht ausschließlich
durch zielgerichtetes Handeln von Personen oder Personengruppen
erklären lassen, zumal das Zusammenwirken vieler subjektiver Gründe
und objektiver Bedingungen für gesellschaftliche Veränderungen
entscheidend ist, die sich wiederum aus Strukturen, Konjunkturen,
Absichten und Zielen, Gegenabsichten, Irrtümern und vielleicht auch
aus Zufällen zusammensetzen und sich auch gegenseitig beeinflussen."
Typisch für
Verschwörungstheorien ist ein handlungsbestimmtes Geschichtsbild
(Formulierung von Dieter Groh), d.h. der Glaube, Geschichte ergebe
sich allein aus den Intentionen ihrer Akteure und darauf
aufbauendend aus planvollen Handlungen (siehe hierzu wikipedia).
Welches Akteursverständnis hat also Daniele Ganser, inwieweit
berücksichtigt er Beziehungsgeflechte und soziopolitische Dynamiken,
wie plural ist sein Ansatz in Bezug auf unterschiedliche,
geschichtliche Prozesse prägende Faktoren, wen benennt er als
Verantwortliche(n) und inwiefern ergibt sich hier möglicherweise
eine politisch tendentiöse Richtung?
Das Bestreben, eine
komplexe Wirklichkeit auf sehr einfache, monokausale
Erklärungsschemata zu reduzieren, ist durchaus
auch bei Daniele Ganser zu erkennen (z.B. "Die
meisten Kriege sind Ressourcenkriege"). Im Einklang mit
einer sich nicht unwesentlich auf Stereotypen stützenden
Betrachtungsweise versucht auch Ganser immer wieder, moralische
Einordnungen bzw. Sortierungen nach einem klaren Gut-Böse-Schema
vorzunehmen, etwa wenn er auf die Lügen der Busch-Regierung
verweist. Reinalter spricht in Bezug auf dieses Phänomen auch von
einem "moralisierenden Dualismus" (S.11).
Daß
bei Ganser Zentralsteurerungshypothesen
in Verschwörungsideologie übergehen zeigt sich
auch an dessen immer wiederkehrenden Versuchen, selbst bei
dünnster Faktenlage diverse Terroranschläge unmittelbar auf das
bewußte Planen und Handeln der US-Regierung zurückzuführen. Das
Zusammenwirken unterschiedlichster Instanzen und Motivationen sowie
die sich hieraus ergebenden Dynamiken werden meist
gar nicht erst in Betracht gezogen, bei
Interviews etwa nur auf Nachfrage und meist ganz am Rande erwähnt.
Bereits Gansers Buch über die sogenannten
NATO-Geheimarmeen war dahingehend kritisiert worden, daß dieses
verschwörungsideologische Tendenzen aufweise. Der dänische
Historiker Peer
Henrik Hansen etwa bemängelte:
"The critical and methodical approach used
in historical research seems to have played a minor role in Ganser's
work with the subject and the few primary sources."
Mehr noch, Ganser, so
Hansen, scheitere daran, Belege für die behauptete
Verschwörung zwischen USA, CIA, NATO und den verschiedenen Ländern
Europas zu liefern. So führe er die Aussagen etlicher hochrangiger
Offiziere der Stay Behind Strukturen an, denen zufolge die CIA bei
Treffen im NATO Koordinations- und Planungskomitee anwesend gewesen
sei, aber keine Enscheidungsfunktion gehabt habe. Auch sei die CIA
bei diesen Treffen nur durch CIA-Beamte aus der
jeweiligen örtlichen CIA-Kommandozentrale repräsentiert gewesen
sei. Aus der Sicht Hansens ergibt sich hieraus
eine grob widersprüchliche Argumentationsführung:
"Ganser tells us
that the leading forces in the conspiracy - the American CIA - had no
voting right within on of [...]
NATO's Stay Behind organization. Sadly enough Ganser gives no
explanation on how that can be, and therefore his conclusion about
the big conspiracy falls flat."
Meines Erachtens ist diese Kritik
korrekt. So stellt Ganser in seinem Buch zu den sogenannten
Nato-Geheimarmeen wie auch in seinem Artikel zu Strategy of Tension
in "Intellectuals Speak Out" heraus,
daß die Stay Behind Armeen von der CIA und dem britischen
Geheimdienst SIFAR gegründet worden seien. Das
Zusammenspiel von CIA, NATO, den Regierungen der europäischen
Staaten und länderspezifischen Stay Behind-Abteilungen, d.h.
der unterschiedlichen, an den Stay Behind-Strukturen beteiligten
politischen Kräften und Ebenen, bleibt dagegen
weitgehend im Dunkeln. Ganser versäumt, die Gründung der
Stay Behind-Truppen an sich, die Urheberschaft der Strategie der
Spannung und deren Praxis konzeptionell voneinander zu trennen und
setzt implizit Gründung mit Kontrolle gleich. Auch Rezensent
Tobias Hof spricht von einer "fehlenden historischen
Kontextualisierung" und meint damit, konkret auf das
italienische Beispiel bezogen, daß Ganser auf höchst fragwürdige
Weise eine "Kontinuität zwischen der Aufstellung von "Gladio"
in Italien, den rechtsterroristischen Bombenattentaten zwischen 1969
und 1974 sowie dem Anschlag in Bologna 1980" voraussetzt.
Ganser entschuldigt das Fehlen
von Details zur operativen Praxis mit einer
problematischen Quellenlage (Artikel
"Strategy
of Tension", S.90) :
"It is extremely difficult to research and
clarify the details of strategy-of-tension operations, as nobody is
willing to publicly confirm that he or she either ordered or
participated in secret terrorist operations that killed innocent
civilians, spread fear among a target group, and were wrongly blamed
on a political enemy. If, as in the case of Italy, a number of
different intelligence services are involved, including the Italian
SISMI and the American CIA, then the matter becomes even more
difficult, as the different services accuse and contradict each
other."
Allerdings deutet sich selbst in diesem Ausschnitt
bereits an, daß neben der fehlenden Zugänglichkeit von relevanten
Archivdokumenten auch Gansers methodischer Ansatz schuld daran hat,
daß sowohl die Art und Weise, wie das Zusammenwirken der
unterschiedlichen Instanzen bzw. Kooperationspartner institutionell
organisiert war, als auch dessen Handhabung in der Praxis
unterbelichtet bleiben: Er sieht in konfligierenden Darstellungen der
involvierten Parteien ein Forschungshindernis, kommt aber offenbar
nicht auf den Gedanken, in diesen Widersprüchen und
Schuldzuweisungen auch eine Chance zu sehen, um hierüber mögliche
Rivalitäten, Spannungen und Kompetenzstreitigkeiten zwischen den
verschiedenen Instanzen der Stay Behind Netzwerke herauszuarbeiten
und zu analysieren.
D.h., Ganser ist auch hier
wieder auf der Suche nach historischen Eindeutigkeiten und scheint zu
erwarten, daß unterschiedliche Akteure und Ebenen sich nahezu
reibungs- und konfliktlos zu einer großen Erzählung zusammenfügen
lassen. Auch hier gibt er vor, daß es seine
Aufgabe als Historiker sei, als Art Richter über die Vergangenheit
herausfinden, welche von verschiedenen rivalisierenden Erzählungen
die "richtige", historisch "korrekte" sei - an
eine eigenständige wissenschaftliche Analyse, die mehr bietet als
die Wahl zwischen bereits vorhandenen Deutungsschemata, denkt er
anscheinend weniger.
Die Möglichkeit, daß beispielsweise rechtsextreme
Gruppierungen sich der Stay Behind-Netzwerke für ihre eigenen Zwecke
bedient und diese intrumentalisiert haben könnten oder daß das
Zusammenwirken unterschiedlicher Akteure bzw. Akteursgruppen mit
unterschiedlichen Motivationen und Plänen ein Eigenleben entwickelte
und zu Dynamiken führte, die außerhalb
der Kontrolle der Beteiligten standen, Skripte und Weisungen nicht
eingehalten wurden, wirft er nicht einmal auf. Möglicherweise höchst
disparate Elemente werden damit so zusammengefügt und geglättet,
daß ein einheitliches Narrativ – Gansers
Narrativ – entsteht. In diesem schwebt
permanent der Vorwurf einer Steuerung von Terroranschlägen auf die
europäische Bevölkerung durch die CIA im Raum.
Anhand einer
weiteren Passage aus Gansers Aufsatz zeigt sich, daß Ganser
bei seiner Ableitung einer zentralen Rolle für USA bzw. CIA mitunter
unsauber und übereilt vorgeht. So spricht er in Bezugname auf den
Pellegrini-Bericht davon (S.91), daß die
"Strategie der Spannung" von Mitgliedern der amerikanischen
und italienischen Geheimdienste implementiert worden sei und
erweckt damit den Eindruck, extremistische Gruppen hätten in Italien
bei Bombenattentaten lediglich die Rolle von Ausführenden
übernommen:
"According to the far-reaching findings of
the Italian Senate, the strategy of tension had thus been implemented
by members of both the American and the Italian national security
communities, including the CIA and the SISMI, which had linked up
with extremists who had then planted the bombs."
Eine solche Schlußfolgerung gibt zumindest die von
ihm unmittelbar zuvor selbst zitierte Passage des Berichtes aber gar
nicht her, dort ist auf sehr viel unbestimmtere Weise davon die Rede,
daß entsprechende Operationen von Männern aus dem Inneren
staatlicher Institutionen organisiert oder
unterstützt worden seien,"and [...]
by men linked to the structures of United States Intelligence".
Gansers Forschungsinteresse ist, so
zeigt sich hier, klar auf die Frage fokussiert, inwieweit die
CIA bzw. die USA verantwortlich gemacht werden können für die
europäischen Geheimarmeen des Kalten Krieges sowie - in einer
weiteren Verengung und Zuspitzung - für mutmaßlich in deren Auftrag
verübte Terrorakte. Ganser geht jedoch
nicht nur in seinen Analysen und Interpretationen selektiv und
unausgewogen vor, auch in Bezug auf das in
Frage kommende Untersuchungsmaterial verengt er ganz unnötig den
Blick. In einem Forschungsfeld, in dem seriöse historische Forschung
ohnehin schon angesichts
einer dünnen und problematischen Quellenlage sehr beeinträchtigt
wird, ist dies umso problematischer. Anstatt durch
entsprechende Kontextualisierung (z.B. durch
Einbezug der Strategien der europäischen Rechten in seine
Untersuchungen) für mehr Substanz zu sorgen, folgt Ganser selbst den
allerdünnsten und fragwürdigsten Indizienketten - vorausgesetzt,
daß diese nach Washington führen.
In seinem Buch "NATO's
Secret Armies" stellt Ganser im
Fazit gar die Behauptung auf, die USA hätten in
Westeuropa einen geheimen Krieg geführt. Die Stay Behind
Truppen, die ursrprünglich für den Fall einer sowjetischen Invasion
gedacht gewesen seinen, wären letzendlich auch zu einem Instrument
geworden, um den kommunistischen Einfluß auch im Inneren der
EU-Länder zurückzudrängen (S. 246):
"It was in this sense that the Pentagon in
Washington together with the CIA, M16, and NATO in a secret war set
up and operated the stay-behind armies as an instrument to manipulate
and control the democracies of Western Europe from within, unknown
both to European populations and parliaments."
In dieser von offenkundigen
Fehlschlüssen und Verkürzungen gekennzeichneten Darstellungsweise
werden das „Pentagon“ und „Washington“ auf höchst pauschale
Weise zu Feinden der europäischen Demokratien erklärt. Im
Falle von Terrorakten, bei denen die Täter Verbindungen zu Stay
Behind Armeen aufweisen oder es zumindest Hinweise auf derartige
Verbindungen gibt, betrachtet es Ganser offenbar quasi
als erwiesen, daß sich diese als Akte eines "geheimen
Krieges" auf Planungen des Pentagon zurückführen lassen.
Stillschweigend setzt Ganser damit ein strikt
hierarchisches Modell von Macht voraus. Er vertritt eine stark
dirigistische Auffassung, explifiziert aber nicht einmal,
inwieweit sich denn beispielsweise Nato, Pentagon, CIA oder "die
US-Regierung" überhaupt gleichsetzen und sinnvollerweise als
austauschbare Metaphern behandeln lassen. Politische Handlungsmacht
wird im Gegensatz zum kapillarischen Machtmodell Foucaults einer
relativ kleinen, eingeschworenen Elite ("CIA", "Pentagon",
"Nato"...) zugeschrieben, die ihre Absichten und
Entschlüsse in den höchsten Höhen der arcana
imperii formuliert und anschließend ein Räderwerk in Bewegung
setzt, das diese Intentionen nach unten transportiert und in
entsprechende Maßnahmen umsetzt. Diese nicht auf Faktenmaterial
gegründete Annahme eines über etliche politische Ebenen hinweg
ungebrochenen Ineinandergreifens der Handlungen einer Vielzahl von
Akteuren ist nicht nur höchst unrealistisch (nicht
einmal Übersetzungsarbeit und Reibungsverluste werden in Betracht
gezogen) sondern kann,
wie aus den oben zitierten Ausführungen
Reinalters hervorgeht, bereits als Verschwörungsdenken
gewertet werden.
Des weiteren ist in Gansers Fazit
zu seinem Buch über die NATO-Geheimarmeen zu lesen, Operation
Gladio werfe ein neues Licht auf die Frage nach der Souveränität
Europas (S.246):
"Experts of the Cold War will note that
Operation Gladio and NATO's stay-behind armies cast a new light on
the question of sovereignty in Western Europe. It is now clear that
as the Cold War divided Europe, brutality and terror was employed to
control populations on both sides of the Iron Curtain."
Ganser konstruiert hier mit Bezugnahme auf die
gewaltsame Niederschlagung des Prager Aufstands ein spiegelbildliches
Abhängigkeitsverhältnis westeuropäischer Staaten von den USA, das
bisher lediglich nicht als solches erkannt worden sei: Operation
Gladio und deren verdeckte Terrororganisationen seien, so
behauptet der Schweizer Historiker, das westliche Analogon zur
eingeschränkten Souveränität der sozialistischen Staaten im Zuge
der Breschnew-Doktrin:
"As far as Western Europe is concerned the
conviction of being sovereign and independent was shattered more
recently. The data from Operation Gladio and NATO's stay
behind-armies indicates a more subtle and hidden strategy to
manipulate and limit the sovereignty, with great differences from
country to country. Yet a limitation of sovereignty it was. And in
each case where the stay-behind network in the absence of a Soviet
invasion functioned as a straightjacket for the democracies of
Western Europe, Operation Gladio was the Breschnew doctrine of
Washington."
Ganser hat diese
Argumentationslinie jüngst (14.7.2014) in einem Interview mit den
wenig seriösen und des öfteren verschwörungsideologisch
argumentierenden Deutsche
Wirtschafts Nachrichten (DWN) weiterverfolgt und so ausgebaut,
daß sie nun auch problemlos für Reichsbürger und
BRD-GmbH-Phantasten anschlußfähig ist. Das Interview ist betitelt
mit "Nato-Experte:
USA wollen militärische Kontrolle der Ukraine", im Weblink
liest man gar:
"nato-experte-aus-sicht-der-usa-ist-deutschland-ein-besetztes-land".
Die USA wollten verhindern, "dass eine neue Achse Moskau-Berlin
entsteht" und spielten "zu diesem Zweck die EU-Staaten
gegeneinander aus - um sie weiter kontrollieren zu können", so
lautet der einleitende Text der DWN. Tatsächlich behauptet im
Verlauf des Interviews dann auch Ganser selbst, Deutschland sei in
der Nato "ein Juniorpartner, weil die USA die Nato anführen"
und "[a]us Sicht der USA"
ein "besetztes Land".
Das Verhältnis
USA-Nato-EU wird von Ganser in diesem Interview
wie folgt spezifiziert und erlaubt damit
möglicherweise auch Rückschlüsse darauf, wie sich Ganser dieses
Verhältnis bereits bei der Arbeit an seinem Buch zu Gladio gedacht
haben mag (auch wenn er für das DWN-Publikum wohl weiter
zuspitzt):
"Ich glaube der Einfluss der Europäer in
der Nato ist klein, weil die Nato von den USA angeführt wird. Man
sieht das daran, dass die Europäer immer den Generalsekretär
stellen dürfen und dieser tritt sehr viel in den Medien in Europa
auf. Darum hat man das Gefühl, der Generalsekretär ist die
wichtigste Person der Nato. Das stimmt aber nicht! Eine sehr viel
einflussreichere Person in der Nato ist der SACEUR (Supreme
Allied Commander Europe) und das ist immer ein amerikanischer
General."
und
"Die Nato hat in allen Nato-Mitgliedsländern
die Nato-Botschafter. Das sind die Botschafter, die jedes Land
schickt, um informiert zu sein, was die Nato als nächstes wünscht.
Die Kanäle funktionieren so, dass die Nato – und dabei vorwiegend
die USA – sagt: So ist es und jetzt müsst ihr das machen. So
zumindest war es bei 9/11 und dem Krieg gegen Afghanistan.
Die Europäer gehorchen dann oft einfach nur. [...]
Den USA gelingt es sehr gut, die verschiedenen Länder in Europa
gegeneinander auszuspielen. Im Moment spielt man Deutschland gegen
Russland aus, natürlich im amerikanischen Interesse. Das
ist das alte System von „Divide et impera“ – „Teile und
herrsche“. Es ist nicht das Ziel von Washington, dass
die EU und Russland zusammenarbeiten und einen großen
Wirtschaftsraum aufbauen, der auch noch über die größten Öl- und
Gasreserven verfügt. Das wäre nicht im Interesse der USA."
Im Anschluß an diese
Interviewpassagen spekuliert Ganser, daß es sich bei den
Schüssen auf dem Maidan vom Februar 2014 um eine westliche False
Flag Operation gehandelt haben könnte - mit dem Ziel, die politische
Situation in der Ukraine weiter zu destabilisieren und das Land ins
Chaos zu stürzen. Der Bogen zu 9/11 als
vermeintlich historisch vorangegangener False Flag-Aktion darf
dann auch hier nicht fehlen.
Zum einen dürfte damit deutlich
werden, daß Gansers Beschäftigung mit
9/11 sowie aktuell mit der Ukraine und das
verschwörungsideologische Vorgehen dabei aus seiner
vorherigen Studie "NATO's Secret Armies" erwachsen, es hier
zu keinem Bruch, sondern einem Extrapolieren bereits vorhandener
fragwürdiger Ansätze und Thesen kommt. Hierzu paßt bestens, wie
der Ethnologe Helmut Reinalter den Schritt von der
Zentralsteuerungshypothese zur Verschwörungsideologie beschreibt (S.
10-11):
"Die Ausdehnung der
Zentralsteuerungshypothese auf größere Ereigniszusammenhänge führt
schließlich zu einem geschlossenen konspirationalistischen Welt- und
Geschichtsbild. Solche Erklärungsmuster werden stereotyp auf
mehrere, im Extremfall sogar auf alle Phänomene angewandt, mit denen
jemand konfrontiert ist. Allgemeines Merkmal solcher Ideologien ist
ein auf einzelne Persönlichkeiten oder Gruppen orientiertes,
monokausales Erklärungsmuster zur Vereinfachung komplexer
Zusammenhänge."
Zum anderen veweist die Art und
Weise, wie Ganser seine als zentral benannten Akteure, die
CIA, das Pentagon, das Weiße Haus, die US-Regierung, Bush oder Obama
als untereinander austauschbare Metaphern
behandelt, darauf, daß hier tatsächlich ein
verschwörungsideologisches Feindbild zugrunde liegt und dieses an
politische Interessen geknüpft ist. Auch bei Ganser scheint,
wie bei seinem Kollegen Peter Dale Scott, Antiamerikanismus ein
wesentliches Movens zu sein. Ganser greift selbst
den kleinsten Hinweis willig auf, sofern dieser
sich dafür eignet, einen Verdacht auf die USA als Drahtzieher
heimlich inszenierter Terroranschläge zu werfen. Kaum oder gar keine
Beachtung finden dagegen Indizien, die in eine andere Richtung und
auf eine Urheberschaft anderer Akteure verweisen könnten. Auf
verschwörungstheoretischer Ebene heißt das, daß Ganser seine
Verdachtsmomente nicht gleichmäßig und politisch unvoreingenommen
streut. Insbesondere finden sich bei Ganser
keinerlei Bezugnahmen auf den anderen
großen Machtblock des Kalten Krieges, die UdSSR.
Um dies in Bezug auf
deutsche Verhältnisse noch
ein wenig zu illustrieren: Ganser interessiert sich ungemein
für das Oktoberfestattentat
und neigt auf bislang recht dünner Faktenbasis dazu, dieses
als False Flag Operation zu werten.
Die Ermordung von Benno Ohnesorg, die die 68-er Revolte mitauslöste
und damit einen in seinen politischen
Folgen für Westdeutschland weitaus größere
gesellschaftliche Wirkmacht als das Oktoberfestattentat
hatte, wird von Ganser dagegen nicht
behandelt. Das verwundert auch deswegen,
weil der Mörder Ohnesorgs - wie auch der Münchener Attentäter -
lange Zeit dem rechtsextremistischen Spektrum zugeordnet wurde und
Ganser im Zuge seiner Studien zu „Strategy of
Tension“ ja gerade ein Augenmerk auf von Rechtsextremen begangene
Attentate hat.
Nun wurde im Jahr 2009
überraschenderweise bekannt, daß
Ohnesorgs Mörder Karl Heinz Kurras ein Stasi-Spitzel gewesen war.
Einige Journalisten - nicht aber Ganser – haben
hiervon ausgehend die Frage gestellt,
inwiefern die Ostblock-Anbindung des Täters
auch unser Verständnis der 68er-Bewegung verändern müsse. Peter
Horvath etwa stellte in seinem Buch "Die inszenierte Revolte –
Hinter den Kulissen von ’68" (Zusammenfassung hier)
die These auf, der westdeutsche Studentenaufstand als solcher sei von
der DDR inszeniert gewesen. Hätte er
recht, dann läge hier eine osteuropäische Geheimdienstpraxis vor,
die ein Analogon zur westlichen Strategy of Tension, wie sie
Ganser schildert, bilden würde.
Um Mißverständnisse zu
vermeiden sei hier jedoch explizit darauf
hingewiesen, daß Horvaths Thesen ebenfalls leicht
verschwörungstheoretisch angehaucht wirken. Nach
Meinung von Ohnesorgs Freund, dem Schriftsteller Uwe Timm, wäre es
etwa auch dann zu Protesten gekommen, wenn die SED-Mitgliedschaft des
Mörders bereits damals bekannt geworden wäre (FAZ-Interview
vom 25.5.2009). Auch konnten bis heute
keine
Belege für ein Auftragshandeln von Ohnesorgs Mörder Karl-Heinz
Kurras gefunden werden, d.h. er war zwar
SED-Agent, hat aber höchstwahrscheinlich gerade das getan, was
Ganser seinen Akteuren nicht als Möglichkeit einräumt: er hat aus
eigenem Antrieb und auf eigene Rechnung gehandelt.
“Wer
meine These, dass der Ohnesorg-Mörder Kurras auch als Stasi-Mann
noch von der westlichen Seite gelenkt worden sein könnte, vorschnell
abtut, möge sich für einen Augenblick die Geschichte von Gladio
anschauen – die Geschichte eines Spiels über Bande, zum Teil über
doppelte Bande. Diese von den US-Amerikanern geführte
NATO-Geheimarmee war in der Zeit des Kalten Krieges in zahlreiche
Terrranschläge verstrickt bzw. hat diese angestiftet – und zwar
rechte wie linke. Besonders gut dokumentiert ist das im Falle Italien
(Entführung Aldo Moro!), aber es gibt auch Hinweise auf
Gladio-Einsätze in der Bundesrepublik. Kurras arbeitete in der
Westberliner Polizei bis zum 2. Juni 1967 in jener Abteilung, die
Verräter in den eigenen Reihen aufspüren sollte – das ging nur
mit Geheimdienstkontakten, zum BND und zur CIA. Mit Gladiokontakten?”
D.h. Elsässer argumentiert,
ähnlich wie Scott in Bezug auf die Moskauer Wohhausanschläge,
verschwörungsideologisch, versucht aber, hinter den vermeintlichen
östlichen Drahtziehern eine noch tiefere, westliche Ebene zu finden.
Warum interessiert sich Ganser
nicht für den Auslöser der 68er Revolte, obwohl er in anderer
Richtung jede noch so kleine Gelegenheit für eine quid pro
quo-Argumentation zu ergreifen scheint? Warum ist er den Indizien,
die hier auf das Vorliegen einer Strategie der Spannung hingedeutet
haben könnten, nicht nachgegangen, und das, obwohl selbst der
Spiegel
behauptet, die Umstände des Attentats auf Ohnesorg seien von der
Berliner Polizei vertuscht worden? Meines Erachtens ist dies ein
Ausdruck der politischen Einseitigkeit des ganserschen Interesses an
„False Flag“ und „Strategy of Tension“. Bei Elsässer ist
zwar das Vorgehen ein anderes, der Effekt aber ähnlich wie bei
Ganser: an terroristischen Attentaten, ob von links oder von rechts
verübt, scheint allein der Westen schuld, von der CIA gesteuerte
Geheimdienstoperationen dienen dazu, echte demokratische Prozesse zu
verhindern oder deren Ergebnisse zu verfälschen.
Wollte man Ganser ernst nehmen in seinem Bemühen,
die Geschichte der "Strategy of Tension" als
Herrschaftspraxis nachzuzeichnen, so müßte man bei
ihm insofern ein Versagen auf intellektueller Ebene
konstatieren, als er alleine auf das rechte politische Lager sowie
auf westliche Kräfte als potentielle Drahtzieher
von Attentaten blickt. Eine politische wie gesellschaftliche
Kontextualisierung der von ihm beschriebenen Fallbeispiele wird von
ihm weitgehend versäumt. So entsteht eine Schilderung, die
geheimdienstliche Praktiken des westlichen Machtblocks quasi im
luftleeren Raum entstehen läßt. So bemüht er im
Fazit seiner Monographie zu den NATO-Geheimarmeen, wie oben zitiert,
einen schiefen Systemvergleich, bei dem außer Acht bleibt, wie
östliche Geheimdienstpraktiken aussahen und ob es im Rahmen dieser
ein Analogon zu westlichen Stay Behind-Operationen gab.
Sinnvoll wäre es jedoch gerade angesichts des
spärlich vorhandenen Materials gewesen, eine Transfergeschichte zu
erwägen und geheimdienstliche Strategien in Ost und West etwa als
Produkt eines konkurrierenden Nachahmens zu untersuchen. Gansers
"Strategy of Tension" erscheint jedoch
uneingeschränkt als Prärogative des Westens. Die
Möglichkeiten eines Austauschs über die
Blockgrenzen hinweg, sei es durch gegenseitiges Beobachten, durch
puntkuelle Kontakte, Überläufer, Doppelagenten.... werden
ignoriert. West und Ost bleiben feinsäuberlich getrennt.
Eine derart binäre Perspektive schöpft sich natürlich nicht
zuletzt aus den Überresten eines Kalte-Kriegs-Denkens, das es
allerdings gerade auch aus wissenschaftlicher Warte zu hinterfragen
und nicht unkritisch zu reproduziert gälte. Eventuell deutet sich
aber auch hier die für Verschwörungsideologien so charakterische
Zweiteilung der Welt in Gut und Böse bereits an.
Mir scheint, und deswegen ist es auch bedingt
lohnend, sich auf Scotts „russisches 9/11“ einzulassen sowie
davon ausgehend zu fragen, wie es denn Ganser mit Vergleichen über
die Systemgrenzen hinweg hält, daß Truther-Erzählungen oftmals
unterschwellig einer Quid-Pro-Quo-Argumentation folgen. Nur in
Ausnahmefällen aber tritt diese tatsächlich in Form einer
expliziten Gegenüberstellung an die Oberfläche, bei Scott, bei
Makinde, bei Ganser in seiner Bezugnahme auf die Breschnew-Doktrin
oder auch bei Elsässer, wenn er versucht, Kurras quasi als doppelten
Doppelagenten hinzustellen und damit seine Täterschaft doch wieder
westlichen Kräften zuzuschieben. Ansonsten deutet lediglich ein
regressiver Antiamerikanismus in den Truther-Argumentationen darauf
hin, daß diese auch da, wo der Gegenpart nicht erwähnt wird,
oftmals auf einen impliziten Systemvergleich hinauslaufen und dieser
apologetische, kompensatorische und projektive Aspekte aufweist. Die
USA sind böse(r), die USA tun das auch, es waren die USA.
Daß 9/11-Verschwörungstheorien, gerade auch
in der Version Gansers, eine antiamerikansiche Schlagseite aufweisen,
dürfte nunmehr wenig strittig sein. Die Frage, die es hier zu
stellen gilt ist aber, ob sich hieraus ein prorussischer Effekt quasi
automatisch und unbeabsichtigt ergibt oder ob diese
Verschwörungsideologien auch tatsächlich Interessen der russischen
Regierung bedienen, ihre Verbreitung vielliecht gar von prorussischen
Querfrontkreisen gezielt gefördert wird. Zunächst
mag Letzteres einigermaßen abstrus und unglaubwürdig klingen, ich
werde jedoch noch näher darlegen, warum ich zwar nicht der
Auffassung bin, daß dies zwar nicht notwendigerweise der Fall sein
muß, es aber legitime Gründe gibt, einen solchen usammenhang zu
vermuten. Hierzu muß ich allerdings noch einmal ein wenig
theoretisch und historisch ausholen.
Gesagt wurde bereits, daß
Verschwörungsideologien nicht neutral, sondern interessengeleitet
sind. Werfen wir, um diesen politischen Aspekt von
Verschwörungsideologien und die mit ihnen gegebenen
Manipulationsmöglichkeiten besser zu verstehen, erneut einen Blick
auf das, was Reinalter schreibt (S. 13):
"Bei der Wirkung
des Verschwörungsmythos spielen neben psychologischen Faktoren (z.B.
Angst und Wahnvorstellungen) auch Projektionen eine bedeutende Rolle;
vieles, was die Exponenten der Verschwörungstheorie den
dämonisierten Minderheiten unterstellten, etwa den Juden und
Freimaurern, betrieben sie selbst oder strebten danach. [...]
Schließlich sind auch noch politische Faktoren zu berücksichtigen,
weil die Verschwörungstheorie bei der Werbung für bestimmte
politische Ämter immer wieder gezielt verwendet bzw. der
Verschwörungsmythos politisch eingesetzt wurde. Diese
Instrumentalisierung verweist auf die Manipulationsfunktion einer
solchen Ideologie, die stetst in einer bestimmten historischen
Situation zum Einsatz kam."
D.h., Verschwörungsideologien, die eine geheime, manipulative
Steuerung unserer Umwelt behaupten, dienen selbst mitunter der
politischen Manipulation, indem sie Panik verbreiten und einen
übermächtigen, quasi unangreifbaren Gegner suggerieren bzw.
generell eine Situation der Überforderung herstellen, und sei es
durch das Überladen mit negativen Informationen und
Katastrophenbotschaften. Verschwörungsideologien sind damit nicht
mit einem Irrglauben, der "einfach da" ist bzw. auf
spontaner und rein individueller Basis entsteht, gleichzusetzen. So
heißt es in einem an Reinalter angelehnten Artikel
im Schweizer Tagblatt:
"Dient eine Verschwörungstheorie einem offenkundig
politischen Zweck und wird aus ihr ein Machtanspruch oder gar die
Forderung nach gewaltsamem Handeln abgeleitet, dann liegt der
Verdacht nahe, dass es sich um eine Verschwörungsideologie handelt.
[...]
Ihre Aufgabe ist dann offenkundig nicht, Transparenz zu schaffen,
sondern Mehrheiten zu organisieren oder – mithilfe des Faktors
Angst – zu erpressen."
Dabei können Glaube an eine Verschwörungsideologie und deren
rational kalkulierte Instrumentalisierung parallel zueinander
existieren:
"Unter den Vertretern der Verschwörungsideologien gibt es
somit solche, die tatsächlich an die Theorien glauben, und solche,
die sie gezielt als Instrument einsetzen."
Auch das Lexikon der Soziologie (hier
im indirekten Wiki-Zitat) wies bereits 1972 auf die politische
Funktion von Verschwörungstheorien hin, deren Aufgabe sei es, im
Sinne einer Sündenbocksuche von eigenen Mißerfolgen abzulenken und
damit die eigene Herrschaft zu stabilisieren.
Tatsächlich war das Verbreiten von
Verschwörungstheorien im Zuge weiter angelegter
Desinformationskampagnen als Teil psychologischer Kriegsführung gute
alte sowjetische Tradition und ist entsprechend
historisch belegt. Das Zusammenbasteln von
Verschwörungstheorien und ihre Verbreitung
fiele in den Bereich der sogenannten
"aktiven
Maßnahmen", mittels derer der Geheimdienste des Ostblocks
suchten, direkt in weltpolitische Entwicklungen einzugreifen. Max
Holland beschreibt im Journal
of Intelligence and CounterIntelligence (S.2-3) die
eindrucksvolle Spannweite sowjetischer “aktiver Maßnahmen” wie
folgt:
“An
impressive, even dazzling, array of overt and covert psychological
activities fell under the rubric of active measures.5 They
encompassed ostensibly independent international peace congresses,
youth festivals, women’s movements, disarmament protests, trade
union congresses, the deployment of agents of influence, and, of
course, all manner of informational activities carried out on a
worldwide scale, ranging from clandestine radio broadcasts to the
manipulation of seemingly independent media assets. Regardless of the
guise, the purpose of such measures was unitary: to weaken the
military, economic, and psychological climate in the West, and by
doing so, to strengthen the Soviet Union in what was perceived as a
zero-sum game on a global scale.6”
Desinformation
meinte in diesem Sinne die Erstellung von “all sorts of faked,
forged, and implanted materials targeted at politicians,
professionals, workers, the academic community, and the public at
large” (Holland, S. 3), das u.a., gerne mit Konzentration auf die
USA als “Hauptgegner”, dazu dienen sollte, einen Keil in
westliche Bündnisse zu treiben. Die amerikanische Regierung hatte
sich durch diese Art der Manipulation sogar genötigt gesehen, eine
eigene Abteilung zur Gegenaufklärung, die "Active
Measures Working Group", ins Leben zu rufen.
Verschwörungstheorien,
die als Teil der KGB-Desinformationskampagnen gepusht wurden,
waren u.a. solche, die sich um den Mord von John F. Kennedy rankten,
die Behauptung, der Aids-Erreger HIV gehe
auf Biowaffen-Experimente eines amerikanischen Labors zurück
("Operation
Infektion"), Spekulationen über eine gefälschte
Mondlandung oder die panikerzeugende Meldung, daß fluorisiertes
Trinkwasser ein Komplott der amerikanischen Regierung zur
Bevölkerungskontrolle sei (siehe auch hier).
Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang insbesondere noch, daß,
wie das Beispiel der "Operation Infektion" zeigt, bei der
Verbreitung
von Verschwörungsideologien Strategien benutzt wurden, die es
erschweren sollten, auf deren Ursprung zu schließen:
"Dissemination was usually along a recognized pattern:
propaganda and disinformation would first appear in a country outside
of the USSR and only then be picked up by a Soviet news agency, which
attributed it to others’ investigative journalism. That the story
came from a foreign source (not widely known to be Soviet controlled
or influenced) added credibility to the allegations, especially in
impoverished and less educated countries which generally could not
afford access to Western news satellite feeds. To aid in media
placement, Soviet propaganda was provided free of charge, and many
stories came with cash benefits."
Max
Holland, der anhand von Beispielen wie der Verschwörungstheorie
um den Kennedy-Mord sowjetische Desinformationskampagnen im Detail
beschreibt, betont, wie viel Sorgfalt auf den Aufbau eines
entsprechenden Netzwerkes zur Dissemination von Desinformatisya
verwandt wurde (S.4):
“Months, if
not years, of effort could go into laying the groundwork with Western
and Third World journalists and editors at publications not perceived
as Soviet organs.
Significant
international events with a potentialpayoff had to be analyzed to
determine whether they could be exploited for disinformational
purposes, and what the risks were. Above all, to be successful a
disinformation scheme required fidelity to known or easily verifiable
facts, while exploiting latent beliefs, no matter how inchoate.
19Disinformation had to be plausible, and only part of the
information was concocted.”
An der Mutter aller Verschwörungstheorien, den "Protokolle
der Weisen von Zion", war noch die zarische Geheimpolizei
Okhrana beteiligt gewesen, diese waren
von der Okhrana dieser benutzt worden, um die Position
russischer Liberaler zu diskreditieren (siehe auch hier
und hier).
Der spätere sowjetische KGB hat an Techniken der Okhrana angeknüpft
und diese weiter ausgebaut (siehe hierfür etwa das einleitende
Kapitel "'Active Measures': A Russian Tradition" in Andrew
Wilsons "Virtual
Politics: Faking Democracy in the Post-Soviet World"). Sogar
die "Protokolle der Weisen von Zion fanden weiterhin Verwendung,
etwa als anläßlich des Sechstagekriegs
innerhalb der Sowjetunion mit dem Ziel der
Stimmungsmache gegen Israel; auch soll der KGB in den 1970ern
Übersetzungen der "Protokolle" gezielt
im arabischen Raum gestreut haben, um dort Antiamerikanismus,
Antisemitismus und eine feindselige Haltung gegenüber Israel zu
fördern. Heute tauchen die "Protokolle der Weisen von Zion"
wieder im Umfeld der prorussischen
Jebsen-Elsässer-Mährholz-Montagsmahnwachen auf (so etwa in
Oldenburg
und Koblenz).
Auch eine Neuflage der Fluorid-Hysterie
läßt sich in neoeurasischen Querfrontkreisen finden, so etwa in
Form einer Reihe alarmistischer Artikel auf globalresearch, die Titel
tragen wie "Fluoride
- Killing us Softly", "Fluoride
in your Drinking Water May Be Damaging your Brain: Expert Testimony"
oder "Poison
is Treatment: The Campaign to Fluoridate America". Überhaupt
ist, wer Verschwörungstheorien attraktiv findet, bei der
prorussischen Propagandaplattform globalresearch bestens beraten. Ein
weiteres Medium, das auf massive Weise Verschwörungstheorien
befördert, ist der russische Auslandssender Russia Today.
Rationalwiki bezeichnet
ihn gar als "the only international news organisation that
promotes conspiracy theories on an industrial scale". Zur
Debatte steht damit nicht, ob Verschwörungstheorien als Teil
politischer Desinformationskampagnen gezielt gestreut und gefördert
werden, denn das ist historisch gesehen unstrittig, sondern inwieweit
diese Praktiken heute wieder aufgegriffen werden. Hierzu
sind entsprechende Nachforschungen notwendig, zu denen mein Artikel
hier nur einen ersten Anstoß und einige provisorische Überlegungen
bieten will.
Allerdings schien das Interesse an der Geschichte der
sowjetischen Desinformationskampagnen in den letzten Jahren
weitgehend versiegt und hat man weitestgehend wohl auch versäumt,
nach postsowjetischen Kontinuitäten zu fragen. Der wissenschaftliche
Aufsatz
von Max Holland stellt fest (S.1), daß mit dem Zusammenbruch der
Sowjetunion zwar eine Flut von Informationen über die
Geheimdienstpraktiken des Ostblocks zugänglich wurde, der Aspekt der
psychologischen Kriegsführung aber nur wenig Beachtung gefunden hat.
Holland selbst spricht in Bezug auf die Jetzt-Zeit von einem
„Überhang“ früherer sowjetischer „aktiver Maßnahmen (S.19):
„[...]the
overhang from Soviet active measures has long outlasted the Cold War.
A good example is the publication in France of a purportedly
nonfiction book by Thierry Meyssan that claims the 11 September 2001
attack on the Pentagon was conceived not by al-Qaeda, but by extreme
right-wingers inside the U.S. government.”
Hierbei betont
Holland, daß es im Falle Meyssans und anderer neuerer
Verschwörungstheorien keine “unsichtbare sowjetische Hand”
gegeben habe, d.h. er nimmt offenbar an, daß
verschwörungsideologisches Denken, daß zu Zeiten des Kalten Krieges
von sowjetischer Seite gefördert wurde, nach Zusammenbruch der UdSSR
noch als Art Selbstläufer weiterwirkte. Hier muß man
berücksichtigen, daß Hollands Aufsatz ursprünglich bereits im Jahr
2006 erschienen ist und Putin erstmals im Jahr 2012 auf sein
Interesse an “soft power”-Strategien hingewiesen hat (siehe hier,
S. 12). Eine heutige Evaluation käme -
gerade auch angesichts der internationalen Querfrontnetzwerke, in die
Meyssan eingebunden ist und auf die ich noch gesondert zu sprechen
kommen werde - mitunter zu anderen Ergebnissen und in der Tat
zeichnet die jüngst herausgekommene Studie Pomerantsev/Weiss, auf
die ich gleich näher eingehen werde, ein anderes Bild und legt
erhebliche sowjetisch-postsowjetischen Kontinuitäten nahe.
Im
gleichen Zusammenhang, und das sei hier noch nachgetragen, stellt
Holland jedoch auch fest, daß der KGB die im Zuge von
Desinformationskampagnen verbreiteten Geschichten nicht völlig frei
erfand (S.20):
“[...]
Soviet dezinformatsiya was most effective because it preyed upon
already latent fears and prejudices about the United States found in
Europe and the Third World.109 Successful dezinformatsiya could not
be woven out of whole cloth. It worked by exploiting views already
held to some degree, perspectives that were bubbling beneath the
surface.”
Sowjetische
Desinformationsstrategen bauten somit auf bereits vorhandenen
“Material” auf und setzten auf eine Art symbiotisches Verhältnis
zwischen lokalem, “von selbst” entstandenem Verschwörungsdenken
bzw. kulturell gegebenen Prädispositionen einerseits und sowjetisch
gesteuerter Verschwörungsideologie andererseits.Ein Überläufer
hatte dieses Vorgehen im Jahr 1971 als “parasitisch” beschrieben
(Holland, S. 24). In der Praxis wird es somit da, wo
verschwörungsideologisches Denken vorliegt, oft schwierig sein zu
bestimmen, ob dieses aus einer quasi “autonomen” Quelle oder aus
einer gezielt vorangetriebenen Propagandastrategie herrührt und wo
das eine in das andere übergeht.
In der im November 2014 von „Institute of Modern
Russia“ und „The Interpreter“ herausgegebenen Studie namens
„The
Menace of Unreality: How the Kremlin Weaponizes Information, Culture
and Money“ stellen die beiden Autoren Peter Pomerantsev und
Michael Weiss fest, daß die russische Regierung auch heute (wieder)
gezielt nach Schwachstellen des Westens suche, um diese u.a. im Zuge
der eigenen Propagandaaktivitäten für sich nutzbar zu machen (S.
6):
„The Kremlin exploits
systemic weak spots in the Western system, providing a sort of X-ray
of the underbelly of liberal democracy.”
Explifiziert
wird dies etwa anhand des russischen Auslandssenders RT, der
insbesondere auch auf die Verbreitung von Verschwörungstheorien
setzt (S. 15-16):
“[...]
RT manages to attract an audience by focusing on existing
anti-US and anti-Western themes and then splices in interviews with
Putin or Russian Foreign Minister Lavrov when necessary. One
of RT’s specializations is screening conspiracy theories—from
the views of 9/11 “truthers” to beliefs about the “hidden hand”
behind the Syrian conflict. [...] Perhaps RT’s focus
on promoting conspiracy theories should not be taken too lightly:
within Russia we have seen how television promotes forms of thinking
that make critical, reality-based discourse impossible, while helping
cultivate an information space into which the Kremlin can then push
out its own dezinformatsiyato confuse situations at critical
junctures. [...] While viewers are initially attracted
to RT by a popular anti-Western message and conspiracy theories, they
are then fed other forms of material that stray beyond even the
wildest “opinion TV” and smack more of 21st-century active
measures.”
Die
Studie sieht Desinformations- und Propagandastrategien der Regierung
Putin damit duchaus in die Tradition sowjetischer
Geheimdienststrategien verankert, so werden aktuelle
Ebola-Verschwörungstheorien als modernes Echo der alten
Aids-Desinformationskampagnen bezeichnet (S. 16). Hinzugekommen seien
zum alten Sowjethandwerk jedoch neueste Erkenntnisse aus PR und
Medienmanipulation (S.10). Der wesentliche Unterschied zwischen
sowjetischer Propaganda und Putins Desinformationspolitik bestehe in
einem veränderten Verhältnis zu “Wahrheit”. Gab man sich zu
Sowjetzeiten Mühe, falsche Informationen wenigstens “wahr”
aussehen zu lassen, so orientieren sich die heutigen russischen
Propagandastrategien am “Effekt” und arbeiten damit auf die
Auflösung des Wahrheitsbegriffs an sich hin (S. 11):
"The
aim of this new propaganda is not to convince or persuade, but to
keep the viewer hooked and distracted, passive and paranoid, rather
than agitated to action. Conspiracy theories are the perfect tool for
this aim. They are all over Russian TV. For over a decade political
commentary programs such as Odnako on state-controlled Channel 1 have
talked about current affairs in a way that avoids clear analysis but
nudges the viewer towards a paranoid worldview with endless hints
about “them” and “outside enemies” who want to “bite off a
piece of Russia.”"
Besonders
erwähnenswert in diesem Zusammenhang: auch Daniele Ganser hat
Kontakte zum weiteren Umfeld des Programms “Odnako”, zu dem auch
die oben bereits erwähnte Natalya
Krasheninnikova, die Herausgeberin der russischen Übersetzung von
Gansers “NATO-Geheimarmeen” gehört
(ein späterer posts wird das vertiefen). Ein weiterer Unterschied
zum früheren sowjetischen Informationskrieg besteht laut Pomerantsev
und Weiss (S. 19) darin, daß sich heutige Propagandaaktivitäten des
Kreml gleichermaßen an linke und
rechte
Gruppen richten.
Um
nun auf Daniele Ganser und sein Umfeld zurückzukommen: Die
Truther-Szenarien vom hausgemachten 9/11 bieten sich für russische
Interessen an, da sie die Perfidität der amerikanischen Regierung zu
illustrieren scheinen und die Bereitschaft der USA betonen, sich in
machtpolitischem Interesse selbst gegen die eigene Bevölkerung zu
wenden. Zudem läßt sich, wie wir oben gesehen haben, diese
Behauptung leicht zu einem Szenario ausweiten, demzufolge die USA die
Staaten Westeuropas durch vorgetäuschte Terroranschläge in Angst
und Schrecken hielten, um deren eigenständige Entwicklung und damit
auch wahrhaft demokratische Strukturen zu verhindern. Letzendlich
bieten sich hier Anknüpfungspunkte für den rechten
Reichsbürgerdiskurs, denen zufolge Deutschland ein nach wie vor von
den USA besetztes Land ist, als auch für das Anliegen der
neoeurasischen Bewegung, einen Keil zwischen die USA und Westeuropa
zu treiben und insbesondere den Deutschen zu suggerieren, daß ein
Bündnis mit Rußland für sie vorteilhafter sei.
Um
meine Position hier zur Sicherheit noch einmal so deutlich wie
möglich zu machen: ich vertrete hier nicht die Auffassung, daß
Daniele Ganser und sein Umfeld Verschwörungstheorien verbreiten, die
in russischen Propagandaküchen entworfen wurden. Ich gehe davon aus,
daß Ganser und „Wissenschaftler“ wie Peter Dale Scott von
prorussischen Querfrontkreisen als nützlich für deren Anliegen
erkannt wurden und man demzufolge ihre Arbeiten aufgreift, d.h. daß
prorussische Querfrontkreise sich nach alter Tradition vorhandenen
Potentials bedienen, dessen Verbreitung fördern und je nach
Möglichkeit instrumentalisieren bzw. manipulieren. Wie weit diese
Symbiose geht, inwieweit sich die Protagnoisten ihrer bewußt sind
und ob man sie sich eher als Kooperation im Sinne einer
win-win-Situation, als Instrumentalisierung oder als bewußte
propagandistische Tätigkeit denken sollte, vermag ich jedoch nicht
zu sagen.
Meine
Auffassung, daß es berechtigt ist, von einer gewissen Symbiose bzw.
Konvergenz zwischen Gansers Inhalten, Argumentationsmechanismen und
den in deren Verbreitung involvierten Netzwerken mit denjenigen der
russischen Propagandamaschinerie zu sprechen und demzufolge die Frage
nach politischer Instrumentalisierung durch eine internationale
Putin-Querfront zu sprechen, stützt sich auf folgende Beobachtungen:
Um
diese Punkte bzw. diejenigen von ihnen, die hier bisher noch nicht
thematisiert wurden, noch kurz zu erläutern: Obenan auf der Liste
der beliebtesten Themen der sowjetischen Desinformationsindustrie war
laut Holland (S.8) – nach Ländern aufgeschlüsselt – folgendes
gestanden:
USA:
Geheim- und Sicherheitsdienste (CIA und FBI); Pentagon und
Militarismus, der militärisch-industrielle Komplex; Imperialismus
und kapitalistische Ausbeutung im Weltmaßstab
NATO:
Pläne für aggressive Kriegsführung; kapitalistische
Herrschaftsausübung via ökonomischer Integration
Westdeutschland:
Revanchismus; Neonazismus; BND
Vermischtes:
politische Morde, Staatsstreiche; unkonventionelle Kriegsführung
(nuklear, chemisch, biologisch); Katastrophen, die sich auf
plausible Weise menschlichen Handlungen zuschreiben lassen
Diese
Liste liest sich größtenteils wie eine Beschreibung der
Themenschwerpunkte von Daniele Ganser oder auch Jürgen Elsässers
“Compact”, in dessen Umfeld sich Daniele Ganser ebenfalls bewegt;
was fehlt bzw. nicht explizit benannt ist (indirekt dann aber doch
über “Katastrophen” als Überbegriff) ist das Abheben auf
umweltpolitische Themen wie Fracking und Klimawandel. Ein
Brückenschlag zwischen rechtem und linkem Lager ist bei Daniele
Ganser sowohl inhaltlich (u.a. ressentimentbasierte, insbesondere
antiamerikanische Argumentationsweise und verkürzte
Kapitalismuskritik, platteste Iimperialismuskritik, die Rede von
Deutschland als besetztem Land etc.) als auch medial zu beobachten:
Ganser bedient sich einer breiten
Palette von Medien, von linksgerichteten Querfrontorganen wie
Freitag, Jungen Welt und Neue Rheinischen Zeitung über die Deutschen
Wirtschaftsnachrichten, anthroposophische und rechtsesoterische
Medien wie “Zeitpunkt” und “Der Europäer” bis hin zur
Elsässers “Compact”, Ken FM und Junge Freiheit.
Zu
personellen wie medialen Netzwerken, die der prorussischen Querfront
oder gar dem Kreml selbst nahestehen, rechne ich insbesondere Daniele
Gansers Verbindung zu Peter Dale Scott und dessen amerikanischem
Umfeld inklusive Raymond McGovern und den VIPS (Veteran Intelligence
Professionals for Sanity), den Anteil von globalresearch und Michel
Chossudovsky am Sammelband “Intellectuals Speak Out” sowie
generell die Rolle, die globalresearch bei der Verbeitung von Gansers
Studien und Inhalten spielt sowie, unmittelbarer erkennbar, RT und
INVISSIN.
Ich werde in meinen späteren posts noch ausführlicher auf
diese putinlastigen Querfrontnetzwerke sowie auf seine Kontakte zur
deutschen Qurfront eingehen, hier an dieser Stelle sei lediglich noch
darauf verweisen, daß Ganser in Form der oben erwähnten IALANA
(Geschäftsführer Reiner Braun) auch Kontakte zur alten
SED-beeinflußten bundesdeutschen Friedensbewegung pflegt, sowie daß
er – eher ein kleiner Mosaikstein im Gesamtbild – jüngst mit
Rainer Rupp zusammen eine Veranstaltung zum Thema “Neuer
(K)alter Krieg?” bestritten hat: Rainer
Rupp ist ehemaliger Stasi-/KGB-Agent und vertritt auch heute
wieder extrem kremlfreundliche, propagandistisch verzerrte Positionen
in Bezug auf den Konflikt in der Ukraine und den Zustand westlicher
Demokratien (Bsp.: Artikel in der Jungen Welt vom 15.5.2014 unter dem
Titel “Ziel Moskau”, Volltext hier,
vom 14.8.2014 zu “Genozidplanspiele. Faschismus in
Ukraine oder Israel ignoriert”,
Volltext hier,
oder auch, noch frischer, sein Auftritt in der ersten Episode der
RT-Sendung “Der
fehlende Part” vom 12.November 2014).
Zusammengeschnitten ist es aus:
a) einer Rede von Marieluise Beck, in
der diese, direkt an die Fraktion von Die Linke gerichtet,
argumentiert, Putins Rußland sei nicht mehr das “sozialistische
Bruderland”, hier habe sich vielmehr ein “sehr zynisches Kartell
der Macht aus ehemaligen Geheimdienstleuten und aus dem großen Geld”
etabliert und zudem auf die seltsame Allianz der Putin-Propagandisten
in Deutschland - inklusive rechter Parteien, Elsässers “Compact”
und Montagsmahnwachen - verweist
b) Passagen aus dem zweiten Interview,
das Ganser bei KenFM gab und in dem dieser darüber spricht, wie
Rußland vom Westen “bedrängt” werde
Ganser erzählt hier u.a. Folgendes (ab
ca. Minute 5:00):
“[...]dieser
Kampf zwischen den USA, zwischen Rußland und zwischen China, dieser
Kampf ist nicht vorbei. Das heißt, das sind die Großmächte, die
immer um Einfluß ringen, und die Amerikaner haben eben sozusagen die
Idee, daß sie auf dem euro-asischen Feld, das ist Europa und Asien
zusammen, daß sie dort die verschiedenen Akteure gegeneinander
aufspalten, daß also die Deutschen und die Russen sich nicht mögen
und daß die Iraner und die Iraker im Krieg sind und daß in der
Ukraine die verschiedenen Gruppen gespalten sind ... weil, wenn sich
die zusammentun würden, dann hätten sie sehr viel Wirtschaftsmacht
und sehr viel Ressourcen. [...]”
Bereits dieser
Auszug zeigt, daß hier auf mehreren Ebenen mit Spiegelungen
gearbeitet wird, sowohl in Bezug auf den auf einen Systemkonflikt
abhebenden Inhalt, als auch in der nachträglichen Gegenüberstellung
mit der Rede Becks sowie, besonders frappant, daß aktuelle
russischen Vorgehensweisen in der Ostukraine hier auf die westliche
Politik projiziert wird: Rußland führt einen nonlinearen
bzw. Hybriden,
von
längerer Hand geplanten und nichterklärten Krieg in der
Ostukraine, Ganser hingegen suggeriert, Gladio-Inszenierungen, Regime
Change Operationen der CIA und westliche Wirtschaftskriege seien die
Wurzeln des Konfliktes:
“Wenn man das so beobachtet, dann
ist es meiner Meinung nach eigentlich falsch, wenn man diesen Sturz
von Janukowitsch, 2014 in der Ukraine, und der Machtantritt von
Poroschenko, auch 2014 in der Ukraine, wenn man den nur so darstellt,
als wäre das eine Revolte des Volkes, die sozusagen zum Sturz eines
korrupten Führers geführt hat. Das ist so nicht richtig, sondern
wir haben auch Paramilitärs, die eingreifen. Wir haben auf dem
Maidan, das ist dieser Platz in Kiev, haben wir Scharfschützen an
nem ganz entscheidenden Tag im Februar 2014, die von den Dächern
runterschießen und die erschießen sowohl Polizisten als auch
Demonstranten. Und das ist einfach für
den Historiker immer so ein Aha-Erlebnis, wo man sich
fragt: Nochmals! Polizisten und Demonstranten haben die erschossen,
dann sind das wohl nicht die Freunde der Polizisten, sonst würden
sie ja die nicht erschießen. Die Polizisten sind von der Regierung
Janukowitsch gestellt, wenn die Snipers die Polizisten erschießen
ist es unwahrscheinlich, daß das die gleiche Gruppe ist. Ist nichts
bewiesen, aber ich sag nur, hier wird Chaos generiert. Und wenn ich
zurückgehe, 1953 wurde ja im Iran die Regierung Mossadeq gestürzt
[...]. Der
englische und amerikanische Geheimdienst haben damals die Regierung
gestürzt, (Jebsen wirft ein: “um eine demokratische Regierung
aufzubauen) Genau, eine demokratische... also, das, dies Gerede mit
der Demokratie hat dort ein Ende wenn man sieht: die wollten die
Rohstoffe des Irans. [...]
Wer die Wirtschaftskriege studiert, dem fällt es wie
Schuppen von den Augen. Aber der Hauptpunkt, den ich machen wollte:
man hat damals in Teheran, der Hauptstadt vom Iran, auch
Terroranschläge inszeniert. Und wir haben jetzt die offizielle
CIA-Geschichte, zu [...]diesem
Regierungssturz 1953 und da schreibt die CIA selber, daß man Agenten
verkleidet hat, als Muslime, und dann hat man sozusagen
Terroranschläge durchgeführt. Das ist False Flag Strategy of
Tension, so nennen wir das, also unter falscher Flagge die Spannung
erhöhen. Und es könnte sehr gut sein, ich habe sehr den, diesen
Eindruck, daß in der Ukraine genau das gleiche passiert ist. Das
heißt dieser Regierungssturz in der Ukraine könnte sein, daß man
einfach sagt, wir haben hier jemanden installiert, Poroschenko, der
das Land längerfristig dem Westen anbindet und in die NATO führen
möchte, während umgekehrt die Russen natürlich versuchen werden,
in dem sie die Erdgaslieferungen unterbrechen,dieses Regime
Poroschenko wieder zu stürzen. Und das ist für mich ein klassisches
Beispiel von einen Ressourcenkrieg kombiniert mit Geostrategie [...].
”