Zarische Truppen, Krasnaja Poljana, 21.5.1864

Zarische Truppen, Krasnaja Poljana, 21.5.1864

Freitag, 19. Juli 2019

"Fachwissen" von Natascha Strobl: Wenn die Welt eine Linzertorte ist

Vielleicht ist Ihnen Natascha Strobl schon auf twitter begegnet. Sie macht sich dort bemerkbar, wenn twitter gerade nal wieder ausschließlich aus denjenigen zu bestehen scheint, die alle das eine (konjunkturell bedingte) Thema entdeckt haben; eine westliche Linke (re)agiert dann gerne auch wie gute Börsenmakler: Schnell "Erklärungen" und Analysen hinterherlegen bzw. ebenfalls in die gleichen Wertpapiere investieren. Vor wenigen Wochen war das Gesprächsthema "Rezo", der zunächst mit klimapolitischen Statements eine aufgeregte Stimmung schuf, dann per tweet, der ein dumpf nachhallendes "Lebensraum" beinhaltete.

Laut Selbstbeschreibung ist Natascha Strobl "aktive Antifaschistin" und bietet "Analysen zu Rechtsextremismus, Faschismus; insbesondere den Identitären und der Neuen Rechten". Fachliche Legitimation verleiht ihr ein abgeschlossenes Politikwissenschaftsstudium. Die taz hält sie tatsächlich für eine "Rechtsextremismusexpertin". Natascha Strobl intervenierte auf twitter gegen Rezo - formal, um Sensibilität für nationalsozialistisch belastete Sprache zu schaffen, einem langsamen Eindringen rechter Ideologie(n) in "normale" Gesellschaftsbereiche vorzubeugen. Das Versprochene kam dann allerdings nicht.

1.

Trotz eines wissenschaftlichen Anspruchs stellte N. Strobl, da ganz das "It-Girl" preziöser
Social-Media-Cliquen, mit einer tweetkette Behauptungen zur Begriffs- bzw. Diskursgeschichte auf, die nicht haltbar sind (nebenher gab sie seltsame pseudolinguistische Belehrungen über "Wörter" und "bloßen Wortsinn" ab). Sie behauptete,"Lebensraum" sei (im 19. Jahrhundert) zunächst ein "Fachbegriff aus der Biologie" gewesen, der dann später "Eingang in einen soziologischen Diskurs" gefunden habe. Sie vertrat also u.a. die Sichtweise, ein ursprünglich "biologischer Fachbegriff" sei "plötzlich" auf menschliche Gemeinschaften angewandt worden:






















Beleg für den eigenen wissenschaftlichen Anspruch: 










Versuchter geistiger Revierschutz (mit Ironie):



















Allerdings hatte, ähnlich wie Natascha Strobl mit ihren Einwändigen gegen dessen tweet, bereits der youtube-Influencer "Rezo" einen "wissenschaftlichen" Anspruch formuliert; eine verunglückte Kritik folgte somit auf die andere.


Tatsächlich wurde "Lebensraum" als akademisches Konzept vom deutschen Geographen Friedrich Ratzel (1844-1904) in den 1890ern geprägt. "Lebensraum" als neue Wortprägung erschien dagegen bereits 1860 in einer Schrift Oscar Peschels (1826-1875), genauer, in einem Artikel über "Ursprung und Verschiedenheit der Menschenrassen". Peschel hatte sich von Charles Darwin inspirieren lassen, adaptierte dessen Ansatz jedoch für die Humangeographie. In Darwins "Entstehung der Arten" selbst sucht man so den Begrif "living spaces" vergeblich; der britische Biologe formulierte auch keine analogen Vorstellungen.

Es handelt sich also um kein unschuldiges, bloßes "Wort", das erst später semantische Schmutzpartikel angezogen hätte. "Lebensraum" entstand nicht als ursprünglich biologischer Begriff; er wurde als Neologismus von Geographen geschaffen und zielte von Anfang an auf menschliche Gemeinschaften. Bei Friedrich Ratzel beinhaltete "Lebensraum" zudem bereits die Vorstellung kontinuierlicher Expansion und eines - in seinen Augen - notwendigen Kampfes um Raum. Er setzte ihn als zugleich "wissenschaftliches" und ideologisches Konzept ein: Diese autoritative Geste sollte helfen, Zustimmung für ein politisches Programm zu gewinnen.

2.

(Ideen-)geschichtliche "Details" und Wortgeschichte sind nicht trivial: Wer sie mißachtet, verbreitet nicht nur wissenschaftlich Falsches, er oder sie verschenkt auch Überzeugungsmöglichkeiten. Fürsprecher eines demokratischen Diskurses machen sich so - auch jenseits des (für gewöhnlich realitätsfernen) Anspruchs, neurechte Akteure im "sachlichen Gespräch" zu überzeugen und zu reformieren - unnötig angreifbar, wie z.B. diese Abwehrreaktionen von linker Seite zeigen:















Das gleiche Twitterprofil auf seiner eigenen Timeline:













Auch, wenn solche Warnhinweise pedantisch klingen mögen: Wo konkrete Begriffsgeschichte oder der weitere Kontext keine Rolle mehr spielen sollen, wird ähnlich "egal", ob Begriffe rechtsextrem konnotiert sind und ob man z.B. "Lebensraum" überhaupt so verwenden sollte, wie Rezo es tat. Wenn man das Faktische nicht mehr respektiert, veräußert man die Grundlagen von Kritik - alles kann dann als Meinung abgetan werden. Kontroversen um Ideengeschichte können dann umso leichter mit 'bloßer Wortklauberei' gleichgesetzt werden.

Die "Rechtsextremismusexpertin" hat allerdings Kritik und Aufforderungen zur Richtigstellung - ganz wie die verzogene Schulhofqueen, die sich vor ihren Freundinnen keine Blöße geben will und feixend ihre Lässigkeit unterstreicht (obwohl sie schon längst weiß, daß sie sich unsinnig und destruktiv verhalten hat), mehrfach dreist ignoriert. Natascha Strobl ähnelt Rezo somit darin, daß sie "wissenschaftliche Autorität" beansprucht, dann aber statt korrekter Darlegungen selbst ein Hörensagen und Vulgärwissen präsentiert, das z.T. mutmaßlich seinerseits den sozialen Netzwerken entnommen ist.

Wo soziale Lautstärke als Ersatz für inhaltlich korrekte Argumentation dient und folgsame Fans eine "Reinehaltung" des politischen Milieus übernehmen können, tun sich zudem Widersprüche auf zwischen quantitativer Überwältigung einerseits und dem Image andererseits, "widerständige", an-archische Perspektiven zu liefern. Darin ähnelt sie dem Verschwörungsideologen Daniele Ganser, der so gerne mit massengängigen 'Anzweiflungen' von 'offiziellen Positionen' mitsamt antisemitischer Erzähstränge posiert. Natascha Strobl hat selbst querfrontigen Schlick durchpflügt. Ihre "Boxenstops" als öffentliche Expertin führten u.a. über das Terrain der Berliner Tageszeitung "Junge Welt", die sich als "nationalbolschewistisch" werten läßt.

3. 

Stellen wird das Inhaltliche voran und widmen uns anschließend den (externen) Plattformen, Auf ihrem blog "Schmetterlingssammlung" hat Natascha Strobl mehrere Beiträge zur Ukraine publiziert. Sie weisen z.T. bereits netzwerktypische Links-Rechts-Schwächen auf. Sie ähneln in Schwerpunktsetzungen und talking points dem, was von putinfreundlichen Querfrontmedien, u.a. von "Junge Welt", bekannt ist. Strobl kaprizierte sich z.B. darauf, das Parteiprogramms von Svoboda zu analysieren - anhand einer englischsprachigen Version auf dem dilettantischen und tendentiösen Blog "Nachdenkseiten" (!).

Ihr Interesse an der nationalistischen, rechtsgerichteten Partei war weder originell noch etwas, das jenseits einer suggestiven Veröffentlichung auf "Nachdenkseiten" befunden hätte. Strobl nutzte das Programm dieser einzelnen Körperschaft, um die "völkischen" Aspekte der ukrainischen Maidanbewegung als solcher herauszustreichen. Ein vergleichbares Interesse an den "Verfassungen" von Luhansk & Donetzk (als "breakaway states" im Osten der Ukraine, unter russischer Protektion stehend, s.a. hier) wie am Parteiprogramm von Svoboda hat Strobl etwa nicht gezeigt.

Offenbar verfügte Strobl nicht über das nötige Regionalwissen: Ihr gelang die Kontextualisierung eines Programms nicht, das nach mehr als 70 Jahren Sowjetherrschaft sowie fortgesetzten russischen Versuchen der Einflußnahme (auch: hybrider Kriegsführung und Gerasimov-Doktrin) entstand. Sie interpretiert so die Absicht von Svoboda, doppelte Staatsbürgerschaften zu unterbinden, als "völkisch". Die Praxis einer großzügigen Paßausgabe durch Rußland (Vorgeschichte hier), vor dem Hintergrund einer "Russkij Mir" ("Russischen Welt"), d.h. vor einer nationalistisch-großmachtpolitischen Agenda, dient jedoch z.T. auch Gebietserweiterungen auf ethnisch-kultureller Grundlage und stellt sich somit als reale Gefahr für benachbarte Länder dar.

 Das Programm von Svoboda (problematisch in z.B: Formulierung "Living Space", von N. Strobl allerdings nicht kommentiert) wird verfremdet, indem u.a. "Ukrainisierung" und Maßnahmen zur Begrenzung von Migration als allseitig migrations- und minderheitenfeindlich gewertet werden - obwohl es um ein Land geht, über dessen östliche Grenzen russische “Urlauber” mit Panzern und Granatenwerfern vorrücken. Im weiteren Beitrag "Europa, Europa über alles" erfahren wir von Strobl, daß die Situation in der Ukraine "komplex" sei; er kontrasiert jedoch westliche Werterhetorik und (implizit) russische Vormachtstellung in der Region auf eine Weise, daß man glauben könnte, aufseiten der Rußländischen Föderation gäbe es keine Dopppelstandards bei "Regufees" - oder daß sie selbst keine Flüchtlingsströme produziere....

Staatliche Gedenkpolitik bezüglich des Holodomor (= künstlich erzeugte Hungersnot unter Stalin) wird als bloßer Versuch historischer Nivellierung bzw. Holocaustleugnung gewertet. Ein Verständnis für die Hypotheken russischen Kolonialismus und Großmachtstrebens wie auch ethnische Hierarchien in der Region scheint Natascha Strobl nicht zu haben. Sie interpretiert, als ob kein spezifisches Wissen nötig sei, man nicht mit Menschen vor Ort, z.B. ukrainischen Anarchisten, sprechen müsse. Es ist allerdings nicht alles so wie bei ihr 'daheim'. Der Anspruch, an alle Länder die gleichen abstrakten Schablonen anlegen zu können, ist letztlich westenzentrisches Überlegenheitsdenken.

Nun offeriert Strobl scheinbar einen Perspektivwechsel, wenn sie - in Infragestellung einer proeuropäischen Haltung - gegen die Denkfigur einer "Gefahr aus dem Osten" anschreibt. Jedoch fehlt ihr die Distanz zum anderen Pol, dem russischen bzw. pro-sowjetischen . Ob bei einer "einerseits-andererseits-Rhetorik" tatsächlich Bemühen um Ausgewogenheit und Multiperspektivität vorliegt oder eben doch whataboutism, läßt sich überprüfen: Inwieweit wurden tatsächlich lokale, regionale, nationale, transnationale Ebenen berücksichtigt und unterschiedliche Akteure - jenseits einer binären Lagerlogik- einbezogen?

Strobl interessierte sich für die Ukraine, als diese aus einer russischen Einflußsphäre auszubrechen drohte; sie stellt die Maidanbewegung (wörtlich bei ihr: "ideologische[...] Nachfolger_innen der SS") als ganz in den faschistischen Traditionen Westeuropas verhaftet dar. Krimtataren, Nogaier oder Tscherkessen als diejenigen, die von Rußland unterworfen, exotisiert und z.T. vernichtet bzw. deportiert wurden, werden von ihr nicht einmal erwähnt. Trotz z.T. fortgesetzter Repression von staatlicher Seite ist ihr die Lage früherer "Kolonialvölker" Rußlands offenbar keinen Kommentar wert. Rund 30 Jahre nach Ende des Kalten Krieges sollte jedoch nun Schluß sein damit, denjenigen, die sich im Zuge des Hitler-Stalin Paktes und des deutschen Krieges an der Ostfront im  "Dazwischen" befanden, keinen eigenen Subjektstatus zuzumessen.

Hier das Fehlen eines "third space" (Bez. nach Homi Bhabha): 


































Zur querfrontigen Anbindung von Natascha Strobl paßt auch, daß sie sich u.a. von Jutta Ditfurth (die 2014 auch noch im Umfeld von "Junge Welt"  anzutreffen war...) empfehlen läßt. Die ÖkoLinxx-Politikerin hatte selbst ein Klima mitgeschaffen, in dem verbale Gewalt gegen "ukrainophile" Facebooknutzer oder bei Hinweisen auf russischen Faschismus bzw. "gelenkte Demokratie" V. Putins  als "normal" erschien. Eine kritische Diskussion war nicht möglich. Auf ihrer Facebook-Seite wurden Tötungsphantasien & "psychiatrische" Diagnosen geäußert - ohne Wiederspruch. D.h.. hier wurde auf zumindest symbolischer Ebene an gerade diejenigen Praktiken angeknüpft, die die frühere Sowjetunion tatsächlich auf Dissidenten anwandte. 



4.

Noch im Frühjahr 2016 trat Natascha Strobl auf der Rosa-Luxemburg-Konferenz auf, die nicht zur gleichnamigen Stiftung, sondern jährlich von der Zeitung  "Junge Welt" (früher DKP- und Stasi-nah) veranstaltet wird. Auf der RLK treffen sich antisemitische, verschwörungstheoretische, russlandfreundliche Akteure. Im Jahr 2016 waren auf der Veranstaltung u.a. Sahra Wagenknecht, Oskar Lafontaine (nur als Gast), Alexej Danckwardt und die türkische Band Grup Yorum (die u.a. bei Bühnenauftritten sich offen zu Baschar al Assad bekennt) anwesend. Letztere hatte 2013 auf Einladung von Bashar Assad in Tartus ein Support-Konzert gegeben:

Grup Yorum, Konzert in Tartus, Syrien (2013), Bildquelle: Facebook

Konzertbesucher in Tartus: "Erdoğan wird gehen, Assad wird bleiben"

Nun spricht prinzipiell nichts gegen den Besuch linker Folkloreveranstaltungen. Andere Menschen gehen in Schützen- oder Trachtenvereine. Natascha Strobl wählt kommunistische Vereinsmeierei. Dies geht so lange in Ordnung, wie man anderen Menschen damit nicht schadet und das eigene Leben nicht in völligen Widerspruch zu den (humanen) Werten und Zielen, zu denen man sich abstrakt bekennt, gerät. Die RLK jedoch - eine Art Totalitaristenspielwiese - kooperiert mit Kräften, die foltern und morden. Die von Rußland und seinen Verbündeten betriebene Großmachtpolitik trifft dabei gerade auch Gruppen, die unter gesamteuropäischem Kolonialismus schon gelitten haben.

Westliche Linke können selbstverständlich über "Kommunismus" nachdenken und von "anderen Verhältnissen" träumen. Wer die Vorteile eines bürgerlichen, gesicherten Lebens in einem stabilen Staat davonträgt, dabei unzufrieden ist, etwa Langeweile oder moralische Leere empfindet, sollte seine inneren Spannungen nicht auf Kosten anderer Menschen ausagieren. Wer weiter entfernte Länder als Kulisse für die eigenen Freiheitsphantasien benutzt, gerade weil er bzw. sie innerhalb nicht ganz so unannehmbarer Strukturen prokrastiniert - wenn es kostspieliger erscheint, diese zu verändern (man müßte z.B. als Preis für etwas Aufrichtigkeit hier und da mal auf ein paar facebook- oder twitter-Likes verzichten) -, handelt nicht solidarisch und denkt schon gar nicht international.

Anderswo findet "Revolution" nun mal nicht zu Bürozeiten statt und kann auch nicht als Hobby in der Freizeit ausgeübt werden: Für tiefgreifende Umwälzungen stehen Menschen vor Ort mit allem, was sie haben, ein; kriegerische Konflikte, insbesondere bürgerkriegsähnliche Zustände, gefährden ihre gesamte Existenz und ihre Familien. Wer glaubt, in der Ferne ließen sich fundamentale Veränderungen leichter, schneller, unkomplizierter umsetzen, weil er oder sie keine Rücksichten auf die dortigen Beziehungsgeflechte und Umstände kennt (oder Menschenleben dort weniger wert scheinen), seine Utopien im Zweifelsfall auch brachial durchsetzen will, reproduziert imperiale Logiken. Der Traum einer (klein-)bürgerlichen Existenz mit Kind, Hund, Gartengrill und Weltrevolution dürfte dagegen oft nicht umsetzbar sein.

Besonderer Programmpunkt der RLK war Alexej Markov, politischer Kommandeur von "Brigade Prisrak" der sogenannten "Volksrepublik von Lugansk" (LPR), d.h. zu prorussischem, separatistischem Gebiet im Osten der Ukraine gehörend. Für die "Volksrepubliken" von Donezk und Luhansk  wird auch die Bezeichung "Novorossiya" genutzt - d.h. "Neurussland", ein historischer Terminus, der schon Ende 18./Anfang 19. Jahrhundert im Zuge russischer kolonialer Eroberung (bis hin zu Tscherkessien) mit utopischen Beiklängen verwendet wurde. Markov versteht sich selbst als Kommunist bzw. stellt sich als solcher dar. Für ein linkes Publikum gab es also 2016 einen Revolutionär (fast) zum Anfassen. Fast, denn Markov wäre bei Einreise nach Deutschland, so berichtete Bild schon vorab, gemäß einer EU-Sanktionsliste, auf der auch sein Name stand, verhaftet worden. So wurde er nur live zugeschaltet. 

In einem vorab aufgenommenen, eingespielten Grußwort trat der  "Humanist im Flecktarn", wie ihn die Rosa-Luxemburg-Konferenz auch nennt, Seite an Seite mit Pjotr Birjukow, Frontkommandeur von "Prisrak", auf. Das Grußwort und die Live-Schaltung standen im Zeichen von Solidarität mit ostukrainischen Separatisten und bedienten sich des altsowjetischen (propagandistisch verwendeten) Feindbildes von "Faschisten" (im Zweifel der jeweilige Gegner), die es zu besiegen gälte... . Es wurde gelungenes Kino geboten. Überhaupt schien man in Luhansk (oder Moskau?) ganz gut zu verstehen, was deutsche Linke, die ansonsten vielleicht "Motorcycle Diaries" mit einem jungen Che Guevara gucken, erwarten und lieben. Markov reckte gegen Ende der Videobotschaft denn auch die Faust und schrie "No pasarán!"

Im Vorfeld geäußerte Kritik an ihrer überhaus russlandfreundlichen Ausrichtung stieß bei der RLK auf taube Herzen und kaum mehr als Spott. Laut Bild wurde auf der Konferenz, im Anschluß an den Redebeitrag Markovs, sogar offen " zur Unterstützung einer Separatisten-Miliz in der Ost-Ukraine, und zum bewaffneten Kampf gegen die ukrainische Regierung aufgerufen".
Natascha Strobl auf der Rosa-Luxemburg-Konferenz 2016



















So unscharf und fragwürdig wie das von ihr vermittelte "Wissen" wirkt in Teilen auch N. Strobls politische Haltung. Bezüglich linker Werte lebt sie unverbindlich und inkohärent. Sie tritt auf, als ob es unerheblich wäre, mit welchen Kooperationspartnern und Netzwerken sie "linke" Inhalte vermittelt. Obwohl sie mit "Identitärer Bewegung" einen konventionellen Bereich bearbeitet und sich quasi im "linken mainstream" bzw. auf dem Boden eines bestehenden "antifaschistischen Konsenses" bewegt, scheint sie die Plattformen nutzen zu wollen (statt sich eventuell selbst etwas zu erarbeiten), die für sie mit ihrem speziellen Themenzuschnitt nützlich scheinen und mit denen sie größere Reichweite für die eigene Person erzielen kann - ohne erkennbare Rücksicht auf Andere.

Was in Deutschland mit "linker Optik" beworben wird, kann andernorts für (neo-)imperiale Bestrebungen und Repression ethnischer Minderheiten bzw. Indigener stehen. Die jW-Szene weist prorussische, sektenhafte, verschwörungstheoretische Kontexte auf. Mit z.B. ihrer "Novorossiya"-Solidarität (als ein mögliches Beispiel) werden auch monarchistische und rechtsgerichtete Akteure gestützt. Aus internationaler Sicht steht jW für militärische Gewalt, hybride Einmischung in Nachbarländer und systematische Diskreditierung von Minderheitenbewegungen. Diese Netzwerke in Anspruch zu nehmen ist für Linke dann ungefähr so sinnvoll, wie sich von einem NPD-Funktionär Saal und Veranstaltungsbewerbung bereitstellen zu lassen, um dann über die nach rechts driftende AfD und Antisemitismus bei W. Gedeon zu sprechen.

Innerhalb Deutschlands betreibt eine prorussische, "linke" Querfront (nach Blockkonfrationslogik) gatekeeping: Was unvorteilhaft für das öffentliche Image der Rußländischen Föderation ist, d.h. für sie brisante Themen (wie staatliche Minderheitenpolitik im Nordkaukasus) oder kritische Blickwinkel werden "herausgeplfückt" oder zumindest marginalisiert bze. (z.B. per negativer Assoziationen) politisch "verschrien". Ein stiller, verdeckter Ausschluß, der auch über jW-Strukturen & deren Umfeld  (z.B. auch J. Ditfurth, s.o.) geschieht, zeitigt informationell z.B. derart Folgen, daß in Strobls "Antifaschismus" die entsprechenden ethnischen Gruppen gar nicht mehr vorkommen - es geht in ihm um "Europäer" und Russen bzw. Ukrainer, Polen, Litauer...(also auch Europäer).

In der alten, auf Moskau zentrierten "Friedensbewegung" wurde bürgerliches Engagement so kanalisiert bzw. abgebogen, daß der eigene Militarismus der UdSSR möglichst nicht in den Fokus pazifistischer Kritik geriet. Auf ähnliche Weise fördert die heutige Rußländische Föderation im Ausland auch noch gerne kritische Ansätze und Protestbewegungen, die es im Inland selbst überhaupt nicht duldet bzw. mag:




In der alten Friedensbewegung wurde u.a. so manipuliert: Statt absoluter Kontrolle achtete die SED darauf, an unauffälligere Stellen "Einflußagenten" zu setzen, die bei anstehenden Entscheidungen im Bedarfsfall in die gewünschte Richtung lenken und einen sogenannten - schon fertigen - "Minimalkonsens" propagieren konnten (oder Ressourcen gewährten bzw. entzogen). Im Zuge dieser polittechnologischen Lenkung wurde, wer sich nonkonform verhielt, z.B. mit dem Vorwurf der "Spaltung" linker Bewegungen diszipliniert. Heute folgen auf eine Auseinandersetzung mit russischem Kolonialismus (bezüglich der Ukraine bröckelt die Abwehrhaltung, u.a. da sie EU-Rückhalt genießt: der Nordkaukasus bleibt weitgehend off limits) oft Zensurwünsche und zT. offener Haß in linken Zirkeln.

Strobl bietet also ein ziemlich typisches Beispiel für die Sehgewohnheiten linker Westeuropäer.
Gerade auch da, wo sie einen Perspektivwechsel (siehe auch ihre falschen West-Ost-Dichotomien bezüglich des Rußland-Ukraine-Konfliktes) versucht, fällt sie in eine "slawische" Sichtweise bzw.   macht sich mit den Standpunkten oder Aufmerksamkeitshierarchien eines östlichen Imperialismus gemein und verläßt damit eine kolonialistische europäische Moderne im Grunde nicht.

5.

Letztendlich bilden die mehr oder weniger im Kollektiv betriebenen Auseinandersetzungen mit Rezos "Lebensraum"-tweet auch eine Schein- bzw. Ersatzdiskussion. Es gäbe sehr viel Gewichtigeres, über das dringend diskutiert werden müßte. Rechte Diskursverschiebungen passieren gerade auch über den akademischen Raum. Es sind an deutschen Universitäten Entwicklungen zu verzeichnen, die hin zur Reetablierung bzw. "Neuerfindung" reaktionären Gedankengutes, darunter der alten "Kulturkreis"-Begriff, belastete Raumkonzepte und "Geopolitik" (für einzelne Beispiele siehe hier, hier, hier & hier), gehen. Der bekannte Politikwissenschaftler Herfried Münkler etwa versucht sich an einer "Geopolitik light", die von belastenden Elementen bereinigt sein soll, allerdings weiterhin essentialisierend ist und in einen Querfrontbereich abdriftet (s.u.).

 Eine demokratische Abwehrhaltung sollte da ansetzen, wo neurechtes Gedankengut generiert wird und z.T. sogar Strategien zu seiner Verbreitung entworfen werden. Bei Rezo scheinen Gedankenlosigkeit und Abwehrreflexe gege Kritik zu überwiege;, er bildet als youtuber keinen Maßstab für wissenschaftliche Verfahrensweisen und Fachwissen. Weitaus bedenklicher als seine Verwendung des Begriffs "Lebensraum" ist meines Erachtens, wenn "renommierte" Professoren nicht einsehen bzw. (scheinbar) nicht verstehen können, inwieweit ratzelsche Raumkonzeptionen problematisch sind und warum man an diese nicht wiederanknüpfen sollte. Hier kann man durchaus, wenn nicht in jedem Falle ein völlig durchdachtes, reflektiertes Handeln, so doch eine gewisse intellektuelle Konsistenz und beständigeres Vorgehen, eventuell eine Lust an der Provokation selbst, voraussetzen.

Es stellt eine Trivialisierung und Verharmlosung dar, wenn "kritische Beobachtung" einer
Tendenz hin zu "falschen Fakten", Auflösung von Objektivitätsbegriffs, Wiederbelebung von Gedankengut der "Konservativen Revolution" v.a. im Unterhaltungssektor erfolgt bzw. über die "storylines" und "Denkanstöße" von Social Media Influencern oder bekannten Comedians. Inmitten von Gemeinplätzen, populistischen Zuspitzungen und lautstarker Zielgruppenkompatibilität werden Anliegen, die differenziertere Auseinandersetzungsformen erfordern, ohnehin schnell untergehen. Wenn politisches Kabarett, wie jemand mal bemerkte, in seiner schlechten Form in "Stammtischparolen für Menschen mit Abitur" zu bestehen scheint, also zufriedener Schenkelklopferei statt kritischer Selbstbefragung, so deutet sich hier eine max-uthoffsche Farce  geisteswissenschaftlicher Debatten an.

Im Infotainment-Bereich dürften die politischen Kosten für kritisches Engagement auch geringer ausfallen, als bei Hinterfragung "wissenschaftlicher Autorität", die dank eines institutionalisierten Gefüges und Vernetzungen mit einer Parteienpolitik besondere gesellschaftliche Gültigkeit genießt. Hochschullehrer stehen auf der gesellschaftlichen Verantwortungsskala jedoch weiter oben; man sollte es sich also nicht zu leicht machen und ihr Tun stillschweigend übergehen. Hier hat Strobl bisher keinen Support gegeben - mit einem vermutlich auch persönliche Eitelkeiten bedienenden "Aktivismus gegen rechts". Daß hier tatsächlich ein Bereich ausgespart wird, sollte man u.a. daran erkennen, daß die erwiesene "Abweichung" H. Münklers in einen rechtsesoterischen Bereich hinein - mit 9/11-"Experten" D. Ganser und diplomatischem Personal Rußlands . bisher nicht öffentlich besprochen wurde. Hier scheint das Terrain vermint und die gesellschaftliche Geltung eines "renommierten" Politikberaters groß:

Der renommierte Politologe H. Münkler mit dem Schweizer Verschwörungsheoretiker D. Ganser
6.

Die Fehlauffassung, es habe sich bei "Lebensraum" ursprünglich um einen Begriff aus der Biologie gehandelt, der erst später nationalsozialistisch konnotiert worden hätte, erwächst auch aus einer bipolaren Weltsicht. Im Zuge des Kalten Krieges geriet der russische Imperialismus in einer westlichen Öffentlichkeit (zumindest) in linken Kreisen - in "Vergessenheit". Wer den kolonialen Charakter und auch die Gestaltung der "Zweiten Welt" nach Ideen einer westlichen Moderne ignoriert, schneidet ganze Ideenstränge aus der gesamteuropäischen Geschichte heraus. Ein Ignorieren der Kolonialisierten und Repressierten schmälert auch die eigenen kognitiven Fähigkeiten und verbaut Möglichkeiten von Einsichtnahmen in heutige politische Zusammenhänge. Der geistige Lattenzaun, der oft vor dem ideellen Territorium westlicher Linker errichtet wird, er schadet ihnen.

Das Konzept eines "Lebensraumes" gehört zu umweltdeterministischen Ansätzen, die sich zunächst an das frühe Aufklärungsdenken, z.B. die "Klimatheorie" Montesquieus, anlehnten, im 19. Jahrhundert dann dem Modell von "Biologie" anverwandelt wurden. Sie dienten u.a. als kolonialistische Erklärung für menschliche Differenz. Ausgehend von F. Ratzels Anschauung, "Kulturen" bildeten räumliche Zusammenhänge, breiteten sich von einem Zentrum aus aus (= "Diffusionismus") entwickelte der Ethnologe Leo Frobenius (1873-1938) auch die Lehre von"Kulturkreisen" (1897), die er später durch "Kulturmorphologie" - einer Vorstellung einzelner "Kulturen" als Organismus mit jeweils ihm eigenem Entwicklungweg - ersetzte. Auf ihn baute im 20. Jahrhundert u.a. Samuel Huntington auf. Frobenius wurde in seinen Gedankengängen auch von Oswald Spengler beeinflußt.

Der russische Naturalist Nikolay N. Danilevky (1822-1885) hatte allerdings bereits 1871 in "Russland und Europa" die Existenz von insgesamt 11 "kulturhistorischen Typen" behauptet. Kulturelle Elemente seien nicht beliebig transferierbar, die verschiedenen "Typen" bildeten jeweils eine in sich geschlossene Einheit, ähnlich einer biologischen Spezies. In expliziter Distanzierung vom Evolutionismus Ch. Darwins nahm Danilevsky an, daß jede dieser Einheiten einen eigenen Entwicklungszyklus habe.

Nikolay Danilevsky
Danilevsky hatte u.a. unter Leitung des baltendeutschen Wissenschaften Karl Ernst von Baer an russischen Expeditionen zur Erschließung "asiatischer Gebiete" im Osten Rußlands teilgenommen, studierte intensiv die Fisch- und Pflanzenwelt. Sein 1846 erschienenen Buch "Der Kaukasus und seine Bergbewohner" bot neben Geographie auch recht detaillierte ethnographische Kapitel. Mit seinem "kulturhistorischen" Ansatz in "Russland und Europa" beeinflußte er den späteren Oswald Spengler, mutmaßlich auch den deutschen rechtsintellektuellen Historiker Arthur Moeller van der Bruck.

Natascha Strobl stellt gar nicht heraus, daß bereits im 19. Jahrhundert parallel (und teils in scharfer Abgrenzung) zu einem "biologischen Rassismus" (= Vererbung natürlicher Eigenschaften)  "kulturhistorische" Erklärungsansätze entstanden. Letztere waren auch an "Biologie" als moderner Wissenschaft orientiert, aber organizistisch, nicht genetisch/evolutionär geprägt. Sie können als Vorläufer heutigen Kulturrassismus gelten.. Das Gedankengut der "Konservativen Revolution", um das es hier geht, entstand im engen deutsch-russischen Austausch (s.a. Gerd Koenen: "Der Russland-Konplex").

N. Strobl (zusammen mit Julian Bruns) beschreibt die "Konservative Revolution" so:
"Die ‚Konservative Revolution‘ mit bekannten Vertretern wie Ernst Jünger, Oswald Spengler, Carl Schmitt, Edgar Julius Jung und Arthur Moeller van den Bruck war ein Netzwerk rechtsextremer Intellektueller in der Weimarer Republik, das versuchte, den Sozialismusbegriff umzudeuten und eine nicht-reaktionäre Haltung vertrat [...]. "

Bereits das ist falsch: "Konservative Revolution" als Gruppierung von Intellektuellen ist ein retrospektives Konstrukt. Es diente dazu, Rechtsintellektualismus der Kaiserzeit und Weimarer Republik von diskreditiertem nationalsozialistischem Gedankengut abzusetzen und so an ersteren anknüpfen zu können. Der Sammelbegriff wurde 1949 geprägt von Armin Mohler (1920-2003), der selbst in den Denktraditionen Oswald Spenglers, Ernst Niekischs, Carl Schmitts und Ernst Jüngers stand. Von Natascha Strobl wird Armin Mohler - obwohl Urheber - regelmäßig nicht erwähnt.

Mohler hat sich in seiner Dissertation "Die Konservative Revolution in Deutschland 1918-1932" explizit auf russische Quellen für diesen Begriff berufen, u.a. auf die Publikation "Revolutionärer Konservatismus" von Yuri Samarin (1819-1876) und Fedor M. Dmitriev (1829-1894) - 1857 in Berlin erschienen - die von liberaler Warte aus mit diesem Werk den Widerstand gegen die russische (staatliche) Modernisierungsbeweung der "Großen Reformen" charakterisiert hatte (weiteres hierzu in Stephen Shenfield: Russian Fascism: Traditions, Tendencies and Movements, 2001).

Buchtitel "Revolutionärer Konservatismus" (J. Samari/ F. Dmitriev, Berlin 1875)


Das, was die österreichische "Extremismusexpertin" zum Thema bietet, bildet also in einem sehr wörtlichen Sinne Halbwissen, da hier von einer Verflechtungsgeschichte - den geopolitischen Konfliktlinien entlang -  jeweils nur die Hälfte erzählt wird. Ihre Bildungsarbeit steht in Tradition eines linksautoritären "Antifaschismus", der gewohnheitsmäßig das ausgrenzt, was mit russischem Imperialismus bzw. sowjetischen repressiven Herrschaftspraktiken verbunden ist. Sie bietet zwar ein ganz leidlich und abgerundet aussehendes Produkt an, aber sein innerer Gehalt stimmt manchmal  nicht und ernsthafte Qualitätskontrollen durchläuft es vor seiner "Auslieferung" dem ersten Anschein nach (siehe die "Lebensraum"-Erklärungen) wohl auch nicht.

7.

Natascha Strobl, die nicht nur als "Antifaschistin", sondern auch mit feministischen Positionen auftritt, gibt für andere Frauen ein schlechtes Modell ab: Es wirkt abstoßend, wenn das eigene Verhalten signalisiert, "Feminismus" bestehe darin, sich publikumswirksam in der Öffentlichkeit zu platzieren, z.T. gewaltsam Raum einzunehmen und politische Ideologie zu oktroyieren. Wem nützt es, wenn "Frauenrechte" in Widerspruch zu Menschenrechten (auch gegen sonstige Diskriminierungsformen gerichtet) und Demokratie gebracht werden? Auf Frauen kann eine solche "Emanzipation" auch ekelerregend wirken...

 Für mich entsteht der Eindruck, daß es ums Ausleben von Privilegien geht. Anstelle von Solidarität und deliberativen Austausch trifft man auf ein autoritäres Kollektiv, das "Erfolgsgestalten" hervorbringt, deren Funktion es ist, ein "Mögliches" zu symbolisieren, tatsächlich aber mehr gebündelte  Projektion sind denn Ausdruck gesellschaftlich tragfähiger Strukturen. Wie die alte Friedensbewegung von außenpolitischen Strategien der UdSSR profitierte (aus dem Ostblock Ressourcen und ideologische "Festigung" bezog), existieren Kooperationen von FeministInnen mit männlichen, reaktionären, bevormundenden (herrschbegierigen) Netzwerken.

Wenn wir Entführungen, sexuelle Gewalt, Folter, Zwangsarbeit, einen vermeintlichen "Volksgerichtshof" (ohne gültiges Strafgesetzbuch) und standrechtliche Erschießungen unter der Rebellenherrschaft Luhansk als z.B. "kriegsbedingt" außen vor lassen, so propagieren die "Volksrepubliken" dennoch ein konservatives, rückständiges (misogynes) Rollenverständnis. Einer der örtlichen Befehlshaber von Luhansk versuchte im Oktober 2014, den Aufenthalt von Frauen in Cafes und Bars zu verbieten, drohte mit Verhaftungen bei Zuwiderhandlung. Frauen sollten sich auf den "Herd" und Aufzucht der Kinder konzentrieren, so sagte er, zum Zeitvertreib könnten sie sticken oder Piroggen backen; sie sollten sich außerdem auf ihre "Spiritualität" besinnen.

Es handelte sich bei dem Vortragenden um Alexej Mozgovoj, den Kommandanten der Prizrak-Brigade, d.h. um den Chef des "Humanisten in Tarnfleck", der auf der RLK heftig beklatscht worden war: