Folgender Text geht anläßlich der Podiumsdiskussion zu "Ethik der Wissenschaften und militärische Forschung" an die Teilnehmer des Symposiums "Immer noch: KRIEG! Vom Giftgas zur Drohne - Wissenschaftliches Symposium im Rahmen der 22. Europäischen Kulturtage „2014 - 1914. Frieden + Krieg“ 16.-18. Mai 2014" in Karlsurhe. Ich möchte hiermit eine öffentliche Diskussion anregen, wo diese bisher durch Ignorieren, schweigendes Aussitzen und sonstiger Repression von Kritik unterblieben ist. Es geht mir hierbei sowohl im speziellen um den Völkermord an den Tscherkessen und den Umgang hiermit in der deutschen Öffentlichkeit, als auch um das Problemfeld, das sich aus dem zunehmenden Einfluß der russischen Regierung auf deutsche friedenspolitische/ linke Kreise ergibt.
Gratulationsschreiben an Putin
zum Völkerrechtsbruch - Wie neutral ist die Zivilklauselbewegung?
Die westdeutsche
Friedensbewegung hat sich in den 1980ern für sowjetische Interessen
instrumentalisieren lassen, dies kann mittlerweile über
Archivquellen zweifelsfrei nachgewiesen werden. Nach dem
Zusammenbruch der UdSSR schienen die alten Abhängigkeiten vom
“Friedenskampf” à la Russe passé. Ich selbst habe jahrelang
viel Zeit und Energie für die Friedensbewegung aufgewandt, im
Bewußtsein, mich für einen gemeinnützigen, überparteilichen Zweck
einzusetzen. Für meine Doktorarbeit habe ich in Fortführung dieses
Engagements die russische Kolonialpolitik und das Entstehen
genozidaler Gewalt im Nordwestkaukasus/ der Schwarzmeerregion als
Thema gewählt.
Ich habe am eigenen Leibe
erlebt, was Militarisierung
wissenschaftlicher Forschung bedeutet. In
meinem Forschungsumfeld (DFG-Projekt“Kriegserfahrungen”) wurde
mir Kolonial- und Militärapologetik aufgedrängt.
Nachdem ich mich widersetzt und den Vernichtungsaspekt des russischen
Eroberungskrieges nicht wegretuschiert
habe, bin ich massiv unter Druck geraten.
Heute fühle ich mich doppelt getäuscht: von universitärer Seite,
da Sinn und Zweck des
Großforschungsprojektes nicht offengelegt wurden,
aber auch von linker, friedenspolitischer Seite,
deren Schweigen, Wegsehen und unsolidarisches
Verhalten ich mir jahrelang nicht erklären konnte. Die
aktuelle Krise der deutsch-russischen Beziehungen hat mir (wie
auch anderen) nun endgültig die Augen
geöffent: es sind die trotz allen Abstreitens vorhandenen Sympathien
für russische Großmachtinteressen, die dazu
führen, daß linke Friedensaktivisten um Themen wie den Völkermord
an den Tscherkessen einen großen Bogen machen. Die eigenen Allianzen
und entsprechenden Rücksichtnahmen scheinen dabei ungleich
ausschlaggebender zu sein als jeglicher Einsatz gegen Kriegslogik und
für historische Aufarbeitung.
Zivilklausel-Initiator
Dietrich Schulze sieht Putin als “Verbündeten”
Anläßlich
von Putins Rede zur „Wieder-Eingliederung“ der Krim am 18.3.2014
haben deutsche „Kulturschaffende“ eine Art Gratulationsschreiben
aufgesetzt: die Unterzeichner äußern Verständnis für Putins
Vorgehen, bezeichnen ihn als „Verbündeten“ und wünschen ihm
„Kraft, Stehvermögen, Klugheit und Geschick“.
Der Text ist durchsetzt von völkischen Bildern und militaristischen,
sowjetpatriotischen Reminiszenzen. Er wirbt zudem für ein
Eurasien-Projekt, bei dem sich nicht erkennen läßt, ob es sich
hierbei um Putins erklärtes Ziel einer Wirtschaftsunion oder die
neofaschistische Ideologie seines Beraters Alexander Dugin handelt.
Dietrich Schulze hat diesen Brief zusammen mit Vertretern der
klassischen Friedensbewegung, aber auch Verschwörungsideologen,
Jürgen Elsässer-Fans und ehemaligen Ostblock-Kadern unterzeichnet.
Als
einmaligen „Patzer“ möchte ich das nicht bezeichnen, da Schulze
selbst sich in einem ähnlich gearteten Umfeld bewegt (u.a. Neue
Rheinische Zeitung und
Ossietzky, beide
antisemitisch und der neurechten „Friedensbewegung 2014“
bzw. nationalbolschewistischen Positionen zugeneigt) und die
gleichen Argumentationsmuster bedient. So hatte er
mich im Juni 2013 eingeladen, in Karlsruhe über Militarisierung
& Wissenschaftsfreiheit zu sprechen.
Nach meiner Anreise schlug
er dann vor, den Völkermord, um dessen Aufklärung es mir ja
ursächlich geht, „wegzulassen“. Begründung: die gegenwärtige
„Einkreisung“ Rußlands durch „den Westen“; mögliche
Problemstellen der russischen Politik seien als rein „reaktiv“
gegenüber der westlichen Aggression zu werten. Um das Verschweigen
russischen Kolonialismus und die gespielte Ignoranz in linken Kreisen
hat es anschließend noch mehrfach Konflikt gegeben, er endete einem
begründungs - und kommentarlosen Kommunikationsabbruch von Seiten
Dietrich Schulzes.
Widersprüchliches
und Problematisches:
- Die Zivilklauselinitiative ist eng mit der Partei „Die Linke“ verbunden, tritt jedoch als unabhängig in Erscheinung. Eine zivilgesellschaftliche, sich gemeinnützig gebende Bewegung muß transparent vorgehen, sie sollte zumindest ihre personalen und inhaltlichen Abhängigkeiten offenlegen.
- „Frieden“ darf nicht mißbraucht werden als Schlagwort, um für andersgeartete politische Ziele zu werben. Eine Parteinahme für das repressive Vorgehen der russischen Regierung und ihrer Verbündeter ist keine Friedens-, sondern geopolitisch konnotierte Großmachtpolitik. Originäre friedenspolitische Positionen werden durch diese Art Doppelmoral diskreditiert.
- Die Zivilklauselbewegung hat weder der Militarisierung deutscher Universitäten Einhalt geboten noch einzelne Wissenschaftler beschützt. Schulze weiß spätestens durch meinen Fall, daß eine nicht-bellizistische Haltung dramatische Konsequenzen haben kann. Entgegen seiner Beteuerung, an meiner Rehabilitierung interessiert zu sein, ist es in letzter Konsequenz nur um meine parteipolitische Verwertbarkeit gegangen, bin ich samt zusätzlichem Schaden sang- und klanglos fallengelassen worden. Mich stört das instrumentelle Verhältnis zu Menschen, die Gleichgültigkeit und der moralische Defätismus, die hierin zum Ausdruck kommen sowie die fehlende Wertschätzung wissenschaftlicher Redlichkeit.
- Wer weiß, daß für Betroffene keine Anlaufstellen existieren und im Zweifelsfall auch keine öffentliche Unterstützung zu mobilisieren ist, handelt unverantwortlich, wenn er/sie weiterhin junge Menschen rekrutiert, ihnen „Zivilcourage“ predigt, dabei Grenzen und mögliche Konsequenzen verschweigt und Menschen wie mich auch noch daran hindert, dies nachzuholen. Zusammen mit einer Koppelung an Fremdzwecke wird Zivilklausel-Aktionismus hier vollends zu Agitprop und Rattenfängerei.
- Wer Friedenspolitik betreiben will, muß selbst dialogfähig sein. Was ich in den entsprechenden Kreisen beobachte, ist ein ressentimentbeladener Populismus; Kritik wird mit schweigendem Aussitzen, Ausfälligkeiten und Einschüchterungsversuchen neutralisiert. Distanzierung zu neurechten Kreisen (Jebsen u. Co.) bleibt bisher weitgehend aus. In linken Internetforen tobt unter Mitwirkung von Parteimitgliedern ein rotbrauner Mob. Gewalt gegenüber Indigenen wird u.U. samt Völkermord als Staatsräson gerechtfertigt. Wer nicht einstimmt in den Chor der Putin-Fans wird als „Nazischwein“, „Zionist“, „Nato-Nutte“, „Kriegstreiber“, „jüdische Hure“ beschimpft. Insgesamt vertraut man angesichts des vorhandenen Machtgefälles wohl darauf, daß die tscherkessische Diaspora, ich und weitere kritische Linke es nicht schaffen werden, das Verhalten dieser Friedenskämfer öffentlich zu machen und eine Auseinandersetzung auf Augenhöhe zu fordern.
Angesichts des Fehlens einer sachlichen, inhaltlichen
Auseinandersetzung Dietrich Schulzes mit seinen Gegnern hier
abschließend meine kritischen
Fragen an die Befürworter militärisch-akademischer Kooperation:
Sie argumentieren juristisch mit
“Wissenschaftsfreiheit”. Sind Sie bereit, sich auch für die
Freiheit Ihrer nicht-kooperierenden Kollegen und deren Schutz vor
Diskriminierung einzusetzen? Wie wollen Sie sicherstellen, daß es
hier nicht zu Wettbewerbsverzerrung und wissenschaftlichem
Niveauverlust kommt? Militärische und wissenschaftliche Logiken
gehen nicht Hand in Hand: Kriegshandwerk ist nicht um Wahrheit und
Wahrheitssuche, sondern Sieg und Niederlage bemüht. Ist
Wissenschaft auch noch Wissenschaft, wenn sie nicht mehr ihren
eigenen Regeln folgt, sondern unmittelbar politisch und militärisch
zweckgebunden ist? Die deutschen Geisteswissenschaften haben in
diesem Sinne in Kolonialzeit und Nationalsozialismus eine beschämende
Rolle gespielt - wird nun nicht erneut das wissenschaftliche Feld als
solches zerstört? Ist es akzeptabel, daß in der öffentlichen
Debatte auf abstrakte Weise Wissenschaftsfreiheit, Militarisierung
und Ethik verhandelt werden, gleichzeitig aber die Aufarbeitung des
Völkermordes an den Tscherkessen weiterhin behindert und unterbunden
wird, die Folgen dieser Politik als „Privatproblem“ abgetan und
ignoriert werden? Ich darf darauf aufmerksam machen: Deutschland ist
außerhalb des Nahen Ostens das Land mit der größten
tscherkessischen Diaspora. Im Jahr 2014 jährt sich nicht nur der
Beginn des Ersten Weltkrieges, sondern auch der 21. Mai 1864 - das
Schlüsseldatum des Genozids an den Tscherkessen.
Irma Kreiten, Historikerin / Ethnologin
email: irmakreiten(at)gmail.com