Tobias Pflüger ist in
Deutschland ein bekannter Name, der für die Friedensbewegung,
Engagement gegen die Militarisierung von Hochschulen und linke,
soziale Politik steht. Er ist u.a. Gründer der Informationsstelle
Militarisierung (kurz: „IMI“ genannt) in Tübingen.
Ich habe Tobias Pflüger
während meiner Tübinger Studienzeit nicht persönlich gekannt, ihn
aber wohl bei Veranstaltungen erlebt und war/bin mit dem linken
Tübinger Umfeld vertraut. Umso mehr hat es mich gefreut, als Tobias
Pflüger unmittelbar nach Veröffentlichung meines Interviews
auf German Foreign Policy (auch unter "Dokumentation Zivilklausel" einsehbar) unter meinen „Followers“ auf meinem
akademischen Profil auf academia.edu auftauchte. Ich war davon
ausgegangen, daß dies geschehen war in Interesse an den von mir im
Interiew geschilderten Sachverhalten und stiller Zustimmung zu meinem
eigenen Widerstand gegen die Militarisierung an der Universität
Tübingen und den dortigen manipulisierenden Versuchen, mich von der
Aufarbeitung der Kolonialgewalt im Westkaukasus unter Blick auf
Vergleichende Genozidstudien abzubringen.
Ich bin jedoch von der
Haltung von IMI, wie auch derer einiger Personen im IMI-Umfeld in den
vergangenen Monaten zunehmend enttäuscht worden – und dies
durchaus nicht nur in eigener Sache, sondern auch, was das Vorgehen
beim gemeinsam kritisierten Thema der Militarisierung deutscher
universitärer Forschung angeht. Was mich betrifft, so hätte ich mir
nach weiteren Vorstößen meinerseits wie z.B. die Schilderung meiner
eigenen bitteren Erfahrungen (zwecks fehlendem Zugang zu
geeigneteren Medien als vollkommen unbetreute und noch
Trauma-gezeichnete Selbstveröffentlichung
auf Freitag), persönliche Anschreiben an IMI und Tübinger Linke
mit konkreten Bitten um Unterstützung, ein Vortrag im Rahmen der Whistleblower-Ausstellung im Verdi-Haus von Karslruhe –
alles Aktionen, die mich viel Kraft und Mut gekostet haben - doch ein
Wort der Solidarität, der Ermunterung oder zumindest der
Kenntnisnahme erwartet. Immerhin treten wir offziell für die
gleichen Ziele ein und das Tübiner IMI-Umfeld betont oft genug
Zivilcourage und klagt ein beherztes Vorgehen gegen Rechts sowie
den Schutz von Whistleblowern ein.
Tobias Pflüger gehört zu
denen, die zumindest ansatzweise über meine verzweifelten Versuche,
den Völkermord an den Tscherkessen zur Sprache zu bringen und dabei
auch meine eigene Forschungsfreiheit zurückzufordern, informiert waren,
aber dazu geschwiegen haben. Ich war davon ausgegangen, daß die
Angelegenheit wohl mehr Zeit erfordere und erst eine Gewöhnung an den
Gedanken stattfinden müsse, daß es selbst bei uns, im vorgeblich
demokratischen Deutschland, bei derartigen Themen zu Zensur,
Diskriminierung und Einschüchterungsversuchen kommen kann. Ich hatte
mich darum auf weitere Aufklärungs- und Öffentlichkeitsarbeit, u.a.
mittels diesen blogs, verlegt. Seit heute Nachmittag muß ich
allerding leider erkennen, daß diese Strategie in Bezug auf Tobias Pflüger gescheitert ist, denn
Tobias Pflüger hat mir über facebook folgende Aufforderung gesandt:
„Liebe Irma Kreiten, ich lese Ihre Nachrichten zu Sochi und und dem Völkermord an den Tscherkessen. Ich habe das Thema zur Kenntnis genommen. Allerdings bitte ich um Verständnis, dass ich da kaum was macben kann, in meiner jetzigen Position, da ich mich um viele andere Themen auch kümmere, so auch um das wichtige Thema Zivilklausel etc. Die ständigen Posts auf meiner Facebookseite empfinde ich zunehmend als problematisch, bitte damit aufhören. Danke. Viel Erfolg! Beste Grüße Tobias Pflüger“
Nun ist es nicht meine
Art, anderen zur Last zu fallen und mich mit persönlichen
Themenvorlieben in den Vordergrund zu drängeln. Mir wie auch vor
allem den tscherkessischen Betroffenen selbst fehlt es aber generell
an Foren, um auf das Problem des Völkermords an den Tscherkessen und
seine aktuellen Dimensionen in Bezug auf Sotschi 2014 aufmerksam zu
machen. Ohne entsprechenden Nachdruck, so die Erfahrung, läßt sich
hier leider gar nichts bewerkstelligen. Auch denke ich, daß die
Völkermord-Thematik an sich doch von allgemeinem Interesse ist bzw.
sein sollte. Insofern habe ich mir im Unterschied zu meiner sonstigen
persönlichen Zurückhaltung erlaubt, verschiedentlich auf facebook
auf meinen blog aufmerksam zu machen. Auf der Facebook-Wall von
Tobias Pflüger waren das im Zeitraum von 5 Wochen ganze 8 „geteilte“
Posts gewesen, der erste davon explizit mit der Einladung, bei
Interesse Stellung zu nehmen und auf meine Wahlkampf-Anfrage zu
antworten. Ich hatte so am 24.8.2013 geschrieben:
„Lieber Tobias Pflüger,
Sie sind, sofern von Ihrer Seite Interesse besteht, ausdrücklich und herzlich dazu eingeladen, Ihre Haltung zu Sochi 2014 und den davon berührten Belangen der tscherkessischen Minderheit sowie der internationalen Militär- und Krisenpolitik im Kaukasus zum Ausdruck zu bringen. Die formale Anfrage von mir an die Linkspartei im Rahmen meines neuen blogs ging an einen neuen Kandidaten aus dem Wahlkreis, in dem ich selbst wahlberechtigt bin (ich denke, Sie verstehen, was ich damit meine). Ich hätte jedoch, ob nun formal oder informal, grosses Interesse auch an Ihren Gedanken, Kommentaren und Positionierungen und würde diese sehr gerne bei mir einstellen.“
Ich hatte darauf keinerlei Reaktion erhalten, weder positiver noch negativer Natur. Meines Erachtens wäre dies der richtige Zeitpunkt gewesen für eine höfliche, dankende Ablehnung mit kleiner Begründung. Ein formales Anschreiben hatte ich in Erwägung gezogen, dann aber, da ich bereits um Hemmungen in linken Kreisen, sich mit der Thematik zu beschäftigen, wußte, eine Konfrontation und mögliche Auseinandersetzung so knapp vor den Wahlen als nicht wünschenswert empfunden. Ich finde es angesichts meines ursprünglich sehr zurückhaltenden Vorgehens um so bedauerlicher, daß eine Reaktion erst jetzt, nachdem mein fortgesetztes Engagement wie auch die Thematik selbst offenbar als störend empfunden werden, erfolgt. Es sind dies die ersten Zeilen, die ich von Tobias Pflüger seit meinem „Coming Out“ als repressierte Wissenschaftlerin im November 2012 erhalten habe. Im Gegesatz hierzu habe ich völlig unaufgefordert von von mir z.T. zuvor sogar gänzlich unbekannten Menschen, die Bedenken gehabt haben mögen, sich öffentlich zu äußern, Zuschriften erhalten, in denen sie mir privat Interesse und Zustimmung ausgedrückt und Erfolg gewünscht haben – ihnen sei an dieser Stelle auch auf anonyme Weise herzlichst gedankt. Ich habe mit dieser stillen Art kein Problem, freue mich sogar sehr darüber.
Positiv bewerten kann ich
das Schreiben von Tobias Pflüger dagegen leider ganz und gar nicht.
Es drückt keinerlei Interesse am Schicksal der Tscherkessen aus und
ignoriert - meines Erachtens bewußt - die Verbindungen zur
Militarisierungs- und Kriegsproblematik. Andere haben die Verbindung zu den Anliegen der Zivilklauselbewegung erkannt und meinen Widerstand entsprechend honoriert (siehe etwa die letzte "Antifa"-Nummer). Auch erschließt es sich mir
nicht, warum es nicht möglich sein sollte, persönlich oder, noch
besser, öffentlich zu diesem Thema Stellung zu beziehen. Man muß
hierfür keineswegs Kaukasusexperte sein oder sich tief und zeitraubend in die
Thematik eingearbeiten, ein wenig gesunder Menschenverstand und
moralisches Empfinden dürften ausreichen. Zumal, wenn man Kandidat
der Linken ist, die mit ihrem Programm ganz offiziell gegen Krieg und
Gewalt und für ein friedliches Zusammenleben der Völker, für
Aufarbeitung von Kolonialismus und Faschismus steht, man dazu auch
noch persönlich
Heuchelei im Zeichen der Geopolitik und die türkische Zensur beim
Thema "Völkermord an den Armeniern" anprangert sowie
sich gegen einen neuen Kolonialismus ausspricht, empfinde ich diese Art von Wegsehen als
zunehmend peinlich. Dies gilt vor allem dann, wenn nicht einmal
ausgeführt wird, was denn am Hinweis auf einen unaufgearbeiteten
Völkermord „problematisch“ sei soll. Problematisch kann hier
meines Erachtens nur Schweigen sein.
Trotzdem habe ich Tobias
Pflüger mit folgenden Zeilen umgehend geantwortet:
„Lieber Tobias Pflüger, zunächst einmal danke ich für die Reaktion. Ich wollte mich Ihnen nicht aufdrängen und würde auch, wenn es nur um mich selbst ginge, andere Wege gewählt haben. Ich höre selbstverständlich mit meinen Posts auf Ihrer Seite auf, ich möchte nicht kontraproduktiv sein. Ich habe jedoch das Problem, wie sie wohl wissen werden, daß ich - wie auch andere, die zur gleichen Thematik arbeiten - überall auf taube Ohren stoße, sich niemand zuständig fühlt und es auch immer wieder zu Zensur- und Einschüchterungsversuchen kommt. Dies steht auch durchaus in enger Verbindung zur Militarisierung der Universitäten wie auch der Zivilklausel-Bewegung. Ich finde es schön, daß Sie mir Erfolg wünschen, auch ich habe Ihrer Arbeit bisher immer sehr geschätzt. Es wäre jedoch hilfreich, wenn Sie einen Vorschlag hätten, wer hier ein geeigneter Ansprechpartner sein könnte. Ich habe etliche Personen, darunter einige Mitglieder der Linkspartei, höflich und formal angeschrieben, jedoch darauf entweder nie eine Antwort erhalten oder ausweichende Schreiben, die am Kern der Sache vorbeigingen. Es kann doch nicht sein, daß in einer vorgeblich demokratischen Gesellschaft wie der in Deutschland jeder den schwarzen Peter weiterrreicht und sich für nicht zuständig erklärt. Ich empfinde das zumehmend als Blamage, gerade auch für die Linke. Falls Sie hier Vorschläge hätten, welches geeignetere Foren wären oder von wem eine Stellungnahme zu erwarten wäre, nehme ich diese gerne entgegen. Mit freundlichen Grüßen, Irma Kreiten“
Er hat diese Nachricht
gesehen, aber nicht reagiert. Ich gehe davon aus, daß es dies nicht an Zeitgründen lag, sondern daran, daß es diese
offiziell „zuständigen“ Ansprechspartner für dieses Thema, die
er hier suggeriert, nicht gibt, sowie daß es ihm selbst auch weiterhin an kommunikativem Interesse fehlen wird.. Mit Blick auf das Profil Tobias Pflügers bei Abgeordneten-Watch - mit einer großen Zahl unbeantworteter Wählerfragen - wage ich hier
auch die Hypothese, daß dialogische Politik generell nicht zu seinen
Stärken gehört.
Es ist normalerweise
nicht meine Art, diesen Typus von Korrespondenz öffentlich zu
machen. Ich möchte niemanden bloßstellen und kann bei entsprechend
zurückgezogenen (Privat-)Personen auch Hemmungen, sich zu dieser
Thematik zu äußern, nachvollziehen und respektieren. Tobias Plfüger
jedoch ist eine öffentliche Figur, sein Sprechen oder Schweigen
haben entsprechend Gewicht und liegen damit in öffentlichem
Interesse. Es handelt sich bei diesen Zeilen zudem um die einzige
schriftliche Äußerung eines Kandidaten der Linkspartei, die ich
bisher überhaupt erhalten habe. Der von mir in Wahlkampfzeiten
angeschriebene Kandidat Milan Kopriva hatte auf mein formales
Schreiben nicht reagiert und auf Nachhaken meinerseits auf seiner
offiziellen facebook-Wahlkampfseite lediglich festgestellt:
„Was mich persönlich angeht, so bin ich berufstätig, Kreisvorsitzender UND Bundestagskandidat. Aufgrund dieser Mehrfachbelastung kann ich, vor allem mitten im Wahlkampf, nicht auf jede Einzelanfrage persönlich eingehen. Nach der Wahl wird aber auf jeden Fall mehr Zeit vorhanden sein. Ich bitte Sie deshalb bis dahin um Geduld.”
Geärgert hat mich
hieran nicht die Verzögerung, dafür hätte ich noch Verständnis aufbringen können, sondern, daß die Aufforderung zur
Stellungnahme zu einem kolonialen Völkermord mit allein in
Deutschland ca. 40 000 Nachkommen von Überlebenden als „jede
Einzelanfrage“ abqualifiziert wurde. Nebenbei sei noch erwähnt, daß ich gestern erst von einem anderen Vertreter der Linkspartei, Ralph T.
Niemeyer, aufgrund eines Kommentars und einem eigenen Post zu
Sotschi 2014 und den Tscherkessen zensiert und anschließend gesperrt
worden bin – auf einer facebook-Gruppe namens „Grundgesetzschutz“,
die für mich nicht erkennbar mit einer politischen Partei in
Verbindung stand und von der mir im vorhinein auch nicht klar war,
daß sie von Niemeyer betrieben wird (ich werde hiervon und von der
folgenden Auseinandersetzung mit Niemeyer, der sich selbst als
Tscherkessen-Freund darzustellen versuchte, noch im Detail
berichten).
Ich möchte jedoch
andererseits ausdrücklich klarstellen, daß ich diese Kritik nicht
automatisch auf alle Abgeordneten der Linkspartei übertrage. Ich habe
in einem längeren persönlichen Gespräch letzten Sommer auch eine
völlig andere Haltung gegenüber der Kolonialgeschichte des
Westkaukasus wie auch ein großes Maß an Solidarität mir gegenüber
erleben dürfen und würde auch gerne hier an dieser Stelle darüber
schreiben, möchte aber Inner-Linke-Konflikte an dieser Stelle nicht unnötig anheizen.
Ich bin jedoch nichtsdestotrotz der Auffassung, daß diese erstere
Art von Haltung dringendst diskutiert werden muß.
Ausnahmsweise hat dieser
Post – aus gegebenem Anlaß – einmal nicht die übliche dialogische
Form; sollte Tobias Pflüger jedoch nachträglich Interesse an einer
Stellungnahme haben, so werde ich diese selbstverständlich hier mitteilen.