Folgendes Schreiben ging soeben als email an Prof. Dr. Bernhard Pörksen, einen bekannten Tübinger Medienwissenschaftler, der u.a. auf Feindbildforschung spezialisiert ist, sowie im CC an die weiteren Referenten und den Moderator der Radiosendung, auf die hier Bezug genommen wird, d.h. Philipp Albers, Mitgründer der „Zentrale-Intelligenz-Agentur“, Hans Leyendecker, Mitgründer von „Netzwerk Recherche“ und Eggert Blum, Moderator und Redakteur von SWR 2.
Betr.:
SWR 2-Sendung „Verschwörungstheorien“/ Praxisfall Tübingen
Sehr
geehrter Herr Professor Pörksen,
Ich
schreibe Ihnen in Bezugnahme auf die SWR 2-Sendung „Wahnsinn im
Netz. Wie Verschwörungstheoretiker das Internet nutzen“ vom
19.12.2014 (1). Ihre Ausführungen haben mir ingegesamt sehr gut
gefallen, an einer Passage, in der Sie den Unterschied zwischen
Ausschlußmechanismen im Netz und in der analogen Welt erläutern,
habe ich mich jedoch aus aktuellem Anlaß heraus gestoßen. Sie
äußern sich (ab Minute 29' 35'') wie folgt:
„Wenn
ich übermorgen hergehe und meine Einführungsvorlesung in die
Medienwissenschaft beginne mit einer Verschwörungstheorie und
fröhlich aus irgendwelchen verwirrten Protokollen vorlese, dann wird
ein Mechanismus der Exklusion greifen. Dann werden sich Kollegen
melden, dann wird im Zweifel sich die Universität dazu
positionieren, was ich da für einen verwirrten Unsinn verbreite, und
das ist auch gut so.“
Tübinger
Ringvorlesung „Clash of Civilizations“ als Plattform für
Verschwörungstheorien, Rechtsesoterik und Querfront-Propaganda im
Sinne Putins?
Herr
Pörksen, in Ihrem Radiointerview ziehen Sie Ihre eigene
Erfahrungswelt heran, um mittels einer idealtypischen Situation zu
illustrieren, wie wissenschaftlicher Diskurs funktioniert.
Auf die spezifische Situation an Ihrem eigenen Institut mag das
Geschilderte in der Tat zutreffen. Die von Ihnen auf hypothetischer
Basis aufgezeigten Kontroll- und Korrekturmechanismen greifen in der
Praxis jedoch bereits dann nicht mehr, wenn man als Referenzgröße
die Universität Tübingen als Gesamtinstitution zugrunde legt: Am
15.12.2014 ist auf Einladung von Prof. Dr. Rainer Rothfuß in der
Studium Generale-Veranstaltung „Clash of Civilizations“ der
Schweizer Historiker Dr. Daniele Ganser aufgetreten und hat in
Anlehnung an verschwörungsideologische Argumentationsmuster und
Topoi einen Vortrag zu „9/11“ gehalten. Meines Erachtens hat
diese Veranstaltung grundlegende Anforderungen hinsichtlich
wissenschaftlicher Standards und ethischer Maßstäbe nicht erfüllt.
Da
ich mich bereits seit einiger Zeit mit prorussischen
Propagandastrategien und neoeurasischen Querfrontnetzwerken
auseinandersetze und ich mich hierbei verstärkt auf die Person Daniele Gansers konzentriert habe, dessen Aktivitäten sich als Art
„roter Faden“ durch etliche Teilbereiche einer weitläufigen,
international vernetzten Querfrontszene ziehen, habe ich Prof. Dr.
Rainer Rothfuß einen Text mit meinen vorläufigen Analyseergebnissen
(2) zukommen lassen. Zusätzlich hat dieser Text auch weitere
problematische Aspekte der Ringvorlesung „Clash of Civilizations“
angesprochen und kritisiert. Auf eine sachbezogene Auseinandersetzung
hat sich Herr Rothfuß entgegen seinen Interessensbekundungen leider nicht
eingelassen, stattdessen hat er einen mehr oder weniger an die
Allgemeinheit gerichteten Vorwurf getätigt (3):
„Aber
auch alle anderen, die sich im Vorfeld so sehr gegen seine Einladung
gesträubt hatten, haben die Gelegenheit eines offenen Austauschs
über Sachargumente weder im Diskussionsteil nach dem Vortrag (40
Minuten) genutzt, noch die Möglichkeit hier auf dieser Seite
wenigstens noch widerlegende Argumente zu bringen."
Ich
persönlich fühle mich von diesem Vorwurf nicht angesprochen; ich
habe reichlich Zeit und Mühe darauf verwandt, mich mit den
Positionen Dr. Gansers auseinanderzusetzen und meine Kritik
entsprechend argumentativ zu untermauern. Allerdings vermisse ich in
Bezug auf das Tübinger akademische Umfeld tatsächlich ein offenes
Kritisieren und klares Ansprechen der problematischen Aspekte dieser
Veranstaltung sowie eine hinreichende Um- und Weitsicht, was deren
(wissenschafts-)politische Implikationen betrifft. Hier muß ich
Herrn Rothfuß denn, wenn auch aus einer grundlegend anderen Perspektive
heraus und sicherlich auch in Gegensatz zu den von ihm intendierten
Resultaten, partiell Recht geben.
Die
Problematik der Veranstaltung war bekannt, eine offene akademische
Auseinandersetzung und eine gesellschaftliche Debatte sind
ausgeblieben
Ob
man an einer (politisch und/oder wissenschaftlich) fragwürdigen
Veranstaltung teilnimmt und dort offensiv eine gegenläufige
Position bezieht oder doch lieber gerade durch das eigene
Fernbleiben ein politisches Statement setzt, mag bisweilen
Geschmackssache sein. Zugunsten des Tübinger Kollegiums möchte ich
annehmen, daß einige hier nicht durch ihre eigene Präsenz inmitten
eines Daniele Ganser-Fanclubs diese Veranstaltung noch zusätzlich
aufwerten wollten. Auch war der Rahmen einer „Studium
Generale-Vorlesung“ sicherlich wenig geeignet für eine
sachbezogene, tiefergehende und ausgewogene Auseinandersetzung.
Allerdings kann ich ebenfalls keinerlei Initiative und Bemühen von
universitärer Seite erkennnen, dieser Veranstaltung einen anderen,
angemesseneren Rahmen zu geben, den Vortrag Daniele Gansers etwa um
eine kritische Vor- oder Nachbereitung zu ergänzen, eine
Podiumsdiskussion anzuregen oder auch für Interessierte eine
Gegenveranstaltung zum besseren Umgang mit verschwörungsideologischen
Positionen anzubieten.
Aus
der oben zitierten Äußerung Prof. Rothfußs geht hervor, daß der
problematische Charakter der Veranstaltung tatsächlich schon in der
Vorbereitungsphase erkannt worden war und für Unmut unter Tübinger
Kollegen gesorgt hatte. Schilderungen Daniele Gansers decken sich mit
dieser Darstellung. So hatte Daniele Ganser bereits in seinem
Tübinger Vortrag unter belustigtem Gejohle und großen Geklatsche
des Publikums erwähnt (ab 1 h 24' 20''), daß sowohl seine
Beteiligung an der Ringvorlesung, wie auch die Wladimir M. Grinins,
des Botschafters der Russländischen Föderation, im Vorfeld als
propagandistisch kritisiert worden seien (4). Die Qualität der
universitätseigenen Aufzeichnung war schlecht geraten, so daß der
genaue Wortlaut dieser Passage bisher verloren ging. Nun ist am
28.1.2014 ein weiteres KenFM-Interview mit Daniele Ganser erschienen,
das auf ebendiese Umstände erneut und detailreicher eingeht (5). In
diesem KenFM-Gespräch (*) behauptet Daniele Ganser, daß es gleich
mehrere Tübinger Professoren gewesen wären, die sich gegen diese
Veranstaltung ausgesprochen hätten. Es sei befürchtet worden, der
Ruf der Universität könne Schaden nehmen. Auch die Bezeichnung
„Verschwörungstheoretiker“ soll gefallen sein. Namen möchte
Daniele Ganser keine nennen. Der KenFM-Aufzeichnung des eigentlichen
Vortrags, die gestern erschienen ist, läßt sich nunmehr zusätzlich
entnehmen (ab 1 h 24' 18''), daß sogar die Medienstelle der
Universität eingeschaltet war und auf das Entfernen des Tübinger
Logos von Gansers persönlicher Webseite gedrungen hatte (6).
Sofern
keine Gegendarstellung von Universitätsseite erfolgt, kann man wohl
davon ausgehen, daß Gansers und Rothfußs Aussagen – natürlich
abzüglich Gansers Hang, Kritik an den eigenen unwissenschaftlichen
Vorgehensweisen als politisch motivierte Repression auszugeben –
insofern korrekt sind, als daß die Problematik dieser Veranstaltung
tatsächlich bereits vor deren Durchführung universitätsintern und auf
kontroverse Weise besprochen wurde, die diesbezügliche Kritik aber
in keinster Form nach außen drang. Spätestens an dieser Stelle
hätte jedoch eine offene Debatte darüber erfolgen müssen, wie eine
sich als demokratisch und verantwortungsbewußt verstehende
Wissenschaftsgemeinde mit dem Spannungsfeld zwischen Meinungsfreiheit
einerseits und wissenschaftlichen wie ethischen Standards
andererseits umgehen will. In welchem Rahmen hätte man auch
Verschwörungsideologie und rechtsesoterische Perspektiven zu Wort
kommen lassen können, ohne sich zu deren Werbeflächen zu machen?
Wie geht man damit um, wenn Querfrontler für sich
Meinungspluralismus einfordern, selbst aber eine (zumindest
tendentiell) totalitäre, menschenfeindliche Politik befürworten bzw. unterstützen und
Inhalte verbreiten, die gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit
Vorschub leisten, die in Richtung Volksverhetzung,
Geschichtsrevisionismus und Holocaustleugnung gehen? Wie soll man
insbesondere umgehen mit verdeckten Referenzen auf die „Protokolle
der Weisen von Zion“?
Mein
bisheriger Eindruck ist, daß einer diesbezüglichen Positionierung
und transparenten Auseinandersetzung konsequent aus dem Wege
gegangen wurde. Letzendlich hat damit die Veranstaltung ohne erkennbaren Einspruch und in der ursprünglich geplanten Form
stattfinden können. Wie groß der Kreis der schweigenden „Mitwisser“
gewesen sein kann, läßt sich anhand der öffentlich zugänglichen
Informationen wohl nicht eruieren. Bislang jedoch bin ich ganz
offensichtlich die einzige Akademikerin geblieben, die Kritik an
Daniele Gansers Auftritt als Referent der Tübinger Studium
Generale-Vorlesung öffentlich geäußert und schriftlich
begründet hat. Das darf nicht sein.
Meines Erachtens kommen in dieser Vorgehensweise sowohl ein
fehlender Wille, auf die Einhaltung wissenschaftlicher Standards zu
dringen, zum Ausdruck, als auch ein Mangel an
gesellschaftspolitischer Verantwortung samt einer
Geringschätzung der von diesen Propagandaaktivitäten negativ Berührten.
Imagepflege
für Ken Jebsen und akademische Reputation für Verschwörungstheorien
Nicht
nur die Problematik des Vortrags an sich ist von seiten der
Universität bisher nicht öffentlich kommentiert worden, selbst die
Tatsache, daß KenFM in die fragliche Veranstaltung involviert war,
soll offenbar ausgeblendet werden. Am 15.12.2014 war das
Mahnwachen-Zugpferd Ken Jebsen samt eigenem Aufnahmeteam vor Ort
gewesen und hatte den Vortrag Daniele Gansers separat, d.h.
zusätzlich zum Livestream der Universität, aufgezeichnet. Im
Anschluß an die Ringvorlesung führte KenFm ein längeres Interview
mit Daniele Ganser (7) durch, dem Augenschein nach ebenfalls in
Räumlichkeiten der Eberhard Karls Universität. Ich nehme an,
daß Prof. Dr. Rainer Rothfuß hierfür ein Büro des Geographischen
Instituts zur Verfügung gestellt hat.
Bekannt
geworden ist die Anwesenheit des KenFM-Teams über einen Bericht der
Lokalpresse, der möglicherweise auch deswegen recht kritisch
ausgefallen ist, weil ich die Redaktion im Vorfeld auf den problematischen Hintergrund Daniele Gansers aufmerksam gemacht hatte. Wörtlich
hatte das Schwäbische Tagblatt am 17.12.2014 wie folgt auf die
Präsenz von Ken Jebsen verwiesen (8):
„Unter
den etwa 600 Besuchern waren einige Ganser-Fans, die sich nach der
Veranstaltung mit ihm fotografieren und Bücher von ihm signieren
ließen. Außerdem war der umstrittene Journalist Ken Jebsen
anwesend. Er hatte sein eigenes Kamerateam mitgebracht.“
Ebenfalls
laut Schwäbischem Tagblatt hatten auf eine kritische Nachfrage hin
weder Ganser noch Rothfuß das Bedürfnis verspürt, sich von Ken
Jebsen abzugrenzen:
„Auf
Nachfrage erklärte Ganser, er habe sich nicht genauer mit den
Antisemitismus-Vorwürfen gegen Jebsen auseinandergesetzt. Die
Unterscheidung zwischen links und rechts halte er jedoch für
zunehmend überflüssig. Prof. Rothfuß erklärte lediglich, dass in
seinen Augen ein Youtube-Video Jebsens die gegen ihn erhobenen
Vorwürfe hinreichend entkräfte. Ganser und Rothfuß freuten sich
vor allem darüber, dass der Vortrag durch die Aufzeichnung Jebsens
eine stärkere Verbreitung finde.“
Insbesondere
der Aufzeichnung dieser Veranstaltung durch KenFM dürfte in der
Perspektive einer länderübergreifenden Querfrontbewegung die Bedeutung eines
wichtigen Etappensiegs auf dem Weg hin zu akademischer Akzeptanz und
Anerkennung durch eine gesellschaftliche Mitte zukommen. KenFM will
sich nicht zuletzt auch im Bildungssektor etablieren (9). Entgegen
eigener Bekundungen würde Ken Jebsen wohl nur zu gerne Eingang
finden in das, was er und seine Umgebung abfällig „den Mainstream“
nennen. Was Daniele Ganser selbst betrifft, so dürfte diesem,
nachdem Schweizer Universitäten zunehmend auf Abstand gehen,
ebenfalls sehr an einem Zu- oder vielmehr Rückgewinn akademischen
Kapitals gelegen sein. Eine altehrwürdige, international geschätzte
Institution wie die Eberhard Karls Universität Tübingen muß sich
da als Gütesiegel auf geradezu ideale Weise angeboten haben.
Die
Schlüsselfunktion eines solchen, teils bewußt inszenierten
Tabubruchs wird auch bereits in der Szene gewürdigt. Schon jetzt
zeigt sich etwa die hetzerische „Satire“-Seite „Spuelgel an der
Lein“ geradezu entzückt über Gansers Tübinger Vortrag und
bedankt sich ausdrücklich bei der Eberhard Karls Universität „für
ihren Mut und Courage“ (10). Zu erwähnen wäre in diesem
Zusammenhang ebenfalls noch, daß die Veranstaltung bereits im
Vorfeld auch vom parawissenschaftlichen „Freigeist-Forum-Tübingen“
beworben worden war (11). Diese beiden Fakten dürften denn auch eine
Vorstellung davon liefern, von welchen Kreisen hier künftig Interesse
und Zustimmung zu erwarten ist. Die Tübinger Universität macht sich somit, falls nicht doch noch gegengesteuert werden sollte, zum
Erfüllungsgehilfen von querfrontigem Streben nach kultureller
Hegemonie.
Die
Tübinger Methode, Fehlverhalten von Autoritätspersonen,
strukturelle Mißstände und diverse andere Peinlichkeiten möglichst
schweigend und reglos auszusitzen, dürfte zumindest in diesem Falle jedoch nur sehr begrenzt effektiv sein. Gestern ist die
KenFm-Aufzeichung des Vortrags selbst online gegangen und war bis heute schon über 34
000 Mal abgerufen (12) bzw. auf Facebook rund tausend Mal geteilt
worden. Erwartungsgemäß wird die Querfrontszene dieses jüngste
KenFM-Video auch selbständig über Blogs sowie andere soziale Medien
weiterverbreiten und sich zur Untermauerung des eigenen
Wahrheitsanspruchs immer wieder fleißig auf das Markenzeichen
„Universität Tübingen“ berufen. Von zusätzlichem Interesse ist
der aktuelle Hinweis bei KenFm (13), daß ein weiteres Video mit
Rainer Rothfuß folgen werde, da dieser „den Vortrag trotz massivem
Gegenwind stattfinden” habe lassen. D.h. hier baut man Kritik an
unwissenschaftlichen Vorgehensweisen und politisch bedenklichen
Positionen sofort wieder als mutige Verteidigung von Meinungs- und
Forschungsfreiheit in die eigene Selbstlegitimierung ein. Da Sie,
Herr Pörksen, in besagtem Radiofeature selbst auf die Bedeutung von
Titeln, das Arbeiten mit Autoritäten-Zitaten und das Anführen von
Experten hingewiesen haben, kann ich mir an dieser Stelle wohl
weitere Ausführungen darüber sparen, wie sich die Assoziierung der
Universität Tübingen mit KenFm auf beide Seiten auswirken wird.
Exzellenzinitiative
und Praxisorientierung – Abschließende Bemerkungen
Eine
Fähigkeit zur akademischen Selbstregulation wie in obigem
Radiointerview gerade auch anhand des Beispiels der Tübinger
Universität angerissen, kann ich im aktuellen Umgang mit „Clash of
Civilizations“ nicht erkennen. Die Mechanismen diskursiver
Wahrheitsfindung und der Auslotung des gesellschaftlich Akzeptablen
scheinen in einer allgemeinen Dialogverweigerung außer Kraft gesetzt
bzw. blockiert zu sein. Fast schon grotesk wirkt dieses Szenario vor
dem Fond der Ezellenzinitiative, die ab
2012 unter dem Titel „Research-Relevance-Responsibility“ die
Universität Tübingen „der Weltspitze näher“ bringen wollte.
Als Kern ihres „Zukunftskonzepts“ hatte die Universität Tübingen
formuliert gehabt, sie wolle „verstärkt Themen mit
gesellschaftspolitischer Relevanz aufgreifen, die die aktuellen
wissenschaftlichen Debatten bestimmen“ und „ihre Kernkompetenzen
in der Grundlagenforschung künftig noch mehr auch durch
anwendungsorientierte Aspekte der Forschung ergänzen und sich
Zukunftsthemen und aktuellen Problemstellungen zuwenden” (14).
Nun ist die rothfußsche Ringvorlesung „Clash of
Civilizations“ samt Auftritt des populären Daniele Ganser
sicherlich dicht am Zeitgeist ausgerichtet, also zumindest in diesem
Sinne gesellschaftlich „relevant“; auch
sorgt sie für entsprechendes Außeninteresse und die mediale Präsenz der
Universität. Doch repräsentiert „Clash of Cultures“ wohl kaum
das, was man gemeinhin unter wissenschaftlicher „Exzellenz“ und
Verantwortung verstanden wissen möchte.
Ihre
Rolle, Herr Pörksen, sehe ich hier insofern gefragt, als Sie
öffentlich als der
Tübinger Experte für Verschwörungsttheorien und versierter Kenner
neurechter Diskurse auftreten. Imponiert hat mir vor allem Ihr
Artikel „Der
Hass der Bescheidwisser. Die aktuellen Attacken von
Verschwörungstheoretikern bedrohen den Journalismus“, jüngst im
Spiegel erschienen (15).
Sie argumentieren hier u.a. in prägnanten Sätzen, warum man
verschwörungsideologisches Denken nicht verharmlosen sollte. So
sprechen Sie u.a. davon, daß die „Verschwörungsidee,
deren Extremform eine blutige Spur durch die Menschheitsgeschichte
zieht, [..] apodiktisch Scheinklarheit“
stifte. In Bezug auf die Vorstellung einer Medienverschwörung geben
Sie auf die Frage,
ob man diese überhaupt ernst nehmen müsse, eine Antwort,
die sich sicher auch mit Leichtigkeit auf Daniele Gansers Erzählung
eines manipulierten Geschichtsverlaufs übertragen ließe:
„Die
Antwort lautet: Man muss, denn hier nimmt eine mögliche Zukunft
öffentlicher Auseinandersetzung Form an. Hier zeigt sich, in Gestalt
des Extrems, eine Antiutopie des Diskurses, die weit über das
aktuelle Getöse hinaus weist. Ein drohender Dialog- und
Kommunikationsinfarkt wird hier sichtbar, der einer offenen
Gesellschaft gefährlich werden kann. Denn die zu Ende gedachte
Manipulationsidee widerspricht so ziemlich allem, was diese offene
Gesellschaft ausmacht.”
Herr
Pörksen, Ihr Kollege Prof. Dr. Rothfuß hat offenbar nicht
verstanden, was den Unterschied zwischen der
Behandlung politisch brisanter Themen und einem
verschwörungsideologischen Denken ausmacht. Ich fände es überaus
wichtig, daß Sie und möglicherweise weitere geeignete Kollegen
das Tübinger
Umfeld, insbesondere die Studenten, hierüber am Beispiel des
ganserschen Vortrags aufklären und daß auch noch einmal konkret auf die mit Verschwörungstheorien verbundenen politischen Gefahren
hingewiesen wird.
Vielleicht können Sie auch, da Sie
ja selbst zu „Feindbildern“ gearbeitet und publiziert haben, vor
Ihrem eigenen fachlichen Hintergrund noch einmal erläutern, wie eine
sinnvolle, wissenschaftlich fundierte Feindbild-Dekonstruktion
aussehen kann und inwiefern die in "Clash of Civilizations" praktizierten Vorgehensweisen hier
wissenschaftliche Anforderungen nicht
erfüllen. Vor allem aber möchte ich Sie eindringlich darum
bitten, dafür Sorge zu tragen, daß dieses Tübinger Gemeinmachen mit
Querfrontbestrebungen nicht unkommentiert stehenbleibt, daß vielmehr
doch noch eine angemessene, öffentliche Debatte geführt wird und in
Folge kritischen Einwänden auch wieder mit mehr Ernsthaftigkeit und
Aufmerksamkeit begegnet wird. Ansonsten sehe ich hier leider die
Gefahr einer weiteren Verballhornung und Pervertierung wissenschaftlichen Arbeitens und
befürchte einen fortschreitenden Verlust des Gespürs dafür,
was wissenschaftliche Verantwortung und Ethik ausmacht.
Ich
danke Ihnen für die Geduld beim Lesen eines doch einigermaßen lang
und ausführlich geratenen Textes und hoffe, Sie mit meinen
Ausführungen und meiner Kritik an der fraglichen Ringvorlesung
angesprochen zu haben.
Mit
freundlichen Grüßen,
Irma
Kreiten
P.S.:
Aus gegebenem Anlaß betrachte ich es als sinnvoll, dieses mein
Schreiben von Beginn an öffentlich zugänglich zu machen und würde auch darum
bitten, daß ich eine etwaige Antwort in ebenso öffentlicher Form
auf meinem Blog unter http://sochi2014-nachgefragt.blogspot.com.tr/
einstellen darf.
(*)
Transkript der fraglichen Passage des am 28.1.2015
veröffentlichten KenFM-Interviews mit Daniele Ganser
(https://www.youtube.com/watch?v=PH3FnTXqGCw, ab Minute 1' 34'') :
DANIELE
GANSER: „[...] man muß aber auch sagen, es ist nicht ohne
Probleme in der Vorbereitung gewesen.“
KEN
JEBSEN: „Mmm, darauf möchte ich kommen. Ich habe
festgestellt, Sie werden angegriffen, obwohl Sie ja nicht nur
Historiker sind, sondern auch Friedensforscher. Und gerade wenn man
Friedensforscher ist, ja emmm, löst das in einigen Menschen einen
kriegerischen Reflex aus.... Was kann man denn gegen einen
Friedensforscher haben, wenn der an eine Universität eingeladen
wird, und wer hat da Druck gemacht?“
DANIELE
GANSER: „Ja, ich meine, ich setzte mich ja sehr kritisch mit
den Terroranschlägen vom 11. September auseinander, schon seit
vielen Jahren, und ich sage, man darf hier dem amerikanischen
Präsidenten Bush nicht blind glauben. Das heißt, ich setze mich mit
der Frage auseinander, ob die Amerikaner uns angelogen haben, ob sie
diese ganzen Terroranschläge auch benutzt haben um dann Kriege zu
rechtfertigen, den Überwachungsstaat auszubauen etcetera, und diese
Fragen sind in den Universitäten in der Schweiz, in Österreich und
in Deutschland eigentlich nicht willkommen, weil man hat sofort
Angst, daß man sich mit dem amerikanischen Imperium sozusagen
anlegt, und daß man dann die Stelle verliert, daß man Geld
verliert, daß man den Ruf verliert. Und hier in Tübingen war es so,
da ist ein sehr mutiger Professor, der Rainer Rothfuß, der hat eine
Vorlesungsreihe organisiert über Feindbilder, also er hat sich
wirklich gefragt, warum jetzt eigentlich die Menschen sich
gegenseitig umbringen und er hat eigentlich ganz klar festgestellt,
daß es diese Feindbilder gibt, daß die Feindbilder auch generiert
werden, hat das an ganz verschiedenen Konflikten aufgezeigt, hat sehr
viele verschiedene Referenten eingeladen nach Tübingen, sehr gute
Männer, auch Frauen, die eben in ihrem Gebiet Koryphäen sind, und
dann wollte er noch jemand der zu Nine Eleven spricht. Und dann hat
er eben gedacht, da hole ich mir den Ganser aus der Schweiz, und dann
gabs, also im Vorfeld, als schon klar war, daß ich komme, eh, ich
habe dann zugesagt, gabs andere Kollegen hier an der Universität
Tübingen, ich möchte jetzt die Namen nicht nennen, die wollten eben
nicht, daß sozusagen hier eine Vorlesungsreihe kritisch Nine Eleven
hinterfragt und...“
KEN
JEBSEN: "Aber das waren Menschen aus dem Lehrkörper..."
DANIELE
GANSER: "Ja ja, das waren Professoren an der Universität
Tübingen, die gesagt haben, Ganser ist ein Verschwörungstheoretiker,
der hinterfragt die Terroranschläge vom 11. September, das geht gar
nicht, der soll nicht kommen, die Universität Tübingen wird dadurch
Schaden erleiden und die Studenten werden möglicherweise sozusagen
noch verwirrt – Also, es war einfach Druck, ja, auf Professor
Rothfuß, daß er die Veranstaltung mit mir absagt, und es war also
sozusagen auch Druck auf mir, daß ich dann besser deswegen irgendwie
[?] nichts sage und wir haben beide diesen Druck ausgehalten und
haben gesagt, komm, es ist wichtig, daß hier eine Pluralität der
Perspektiven eben auch möglich ist […].“
Quellen/Belege:
(15) zitiert
nach:
https://genfmblog.wordpress.com/2015/01/06/der-hass-der-bescheidwisser/