Zarische Truppen, Krasnaja Poljana, 21.5.1864

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Donnerstag, 5. Februar 2015

Herr Pörksen, auch an Ihrer Universität werden Verschwörungstheorien verbreitet!

Folgendes Schreiben ging soeben als email an Prof. Dr. Bernhard Pörksen, einen bekannten Tübinger Medienwissenschaftler, der u.a. auf Feindbildforschung spezialisiert ist, sowie im CC an die weiteren Referenten und den Moderator der Radiosendung, auf die hier Bezug genommen wird, d.h. Philipp Albers, Mitgründer der „Zentrale-Intelligenz-Agentur“, Hans Leyendecker, Mitgründer von „Netzwerk Recherche“ und Eggert Blum, Moderator und Redakteur von SWR 2.
 
Betr.: SWR 2-Sendung „Verschwörungstheorien“/ Praxisfall Tübingen

Sehr geehrter Herr Professor Pörksen,

Ich schreibe Ihnen in Bezugnahme auf die SWR 2-Sendung „Wahnsinn im Netz. Wie Verschwörungstheoretiker das Internet nutzen“ vom 19.12.2014 (1). Ihre Ausführungen haben mir ingegesamt sehr gut gefallen, an einer Passage, in der Sie den Unterschied zwischen Ausschlußmechanismen im Netz und in der analogen Welt erläutern, habe ich mich jedoch aus aktuellem Anlaß heraus gestoßen. Sie äußern sich (ab Minute 29' 35'') wie folgt:

Wenn ich übermorgen hergehe und meine Einführungsvorlesung in die Medienwissenschaft beginne mit einer Verschwörungstheorie und fröhlich aus irgendwelchen verwirrten Protokollen vorlese, dann wird ein Mechanismus der Exklusion greifen. Dann werden sich Kollegen melden, dann wird im Zweifel sich die Universität dazu positionieren, was ich da für einen verwirrten Unsinn verbreite, und das ist auch gut so.“

Tübinger Ringvorlesung „Clash of Civilizations“ als Plattform für Verschwörungstheorien, Rechtsesoterik und Querfront-Propaganda im Sinne Putins?

Herr Pörksen, in Ihrem Radiointerview ziehen Sie Ihre eigene Erfahrungswelt heran, um mittels einer idealtypischen Situation zu illustrieren, wie wissenschaftlicher Diskurs funktioniert. Auf die spezifische Situation an Ihrem eigenen Institut mag das Geschilderte in der Tat zutreffen. Die von Ihnen auf hypothetischer Basis aufgezeigten Kontroll- und Korrekturmechanismen greifen in der Praxis jedoch bereits dann nicht mehr, wenn man als Referenzgröße die Universität Tübingen als Gesamtinstitution zugrunde legt: Am 15.12.2014 ist auf Einladung von Prof. Dr. Rainer Rothfuß in der Studium Generale-Veranstaltung „Clash of Civilizations“ der Schweizer Historiker Dr. Daniele Ganser aufgetreten und hat in Anlehnung an verschwörungsideologische Argumentationsmuster und Topoi einen Vortrag zu „9/11“ gehalten. Meines Erachtens hat diese Veranstaltung grundlegende Anforderungen hinsichtlich wissenschaftlicher Standards und ethischer Maßstäbe nicht erfüllt.

Da ich mich bereits seit einiger Zeit mit prorussischen Propagandastrategien und neoeurasischen Querfrontnetzwerken auseinandersetze und ich mich hierbei verstärkt auf die Person Daniele Gansers konzentriert habe, dessen Aktivitäten sich als Art „roter Faden“ durch etliche Teilbereiche einer weitläufigen, international vernetzten Querfrontszene ziehen, habe ich Prof. Dr. Rainer Rothfuß einen Text mit meinen vorläufigen Analyseergebnissen (2) zukommen lassen. Zusätzlich hat dieser Text auch weitere problematische Aspekte der Ringvorlesung „Clash of Civilizations“ angesprochen und kritisiert. Auf eine sachbezogene Auseinandersetzung hat sich Herr Rothfuß entgegen seinen Interessensbekundungen leider nicht eingelassen, stattdessen hat er einen mehr oder weniger an die Allgemeinheit gerichteten Vorwurf getätigt (3):
Aber auch alle anderen, die sich im Vorfeld so sehr gegen seine Einladung gesträubt hatten, haben die Gelegenheit eines offenen Austauschs über Sachargumente weder im Diskussionsteil nach dem Vortrag (40 Minuten) genutzt, noch die Möglichkeit hier auf dieser Seite wenigstens noch widerlegende Argumente zu bringen."

Ich persönlich fühle mich von diesem Vorwurf nicht angesprochen; ich habe reichlich Zeit und Mühe darauf verwandt, mich mit den Positionen Dr. Gansers auseinanderzusetzen und meine Kritik entsprechend argumentativ zu untermauern. Allerdings vermisse ich in Bezug auf das Tübinger akademische Umfeld tatsächlich ein offenes Kritisieren und klares Ansprechen der problematischen Aspekte dieser Veranstaltung sowie eine hinreichende Um- und Weitsicht, was deren (wissenschafts-)politische Implikationen betrifft. Hier muß ich Herrn Rothfuß denn, wenn auch aus einer grundlegend anderen Perspektive heraus und sicherlich auch in Gegensatz zu den von ihm intendierten Resultaten, partiell Recht geben.

Die Problematik der Veranstaltung war bekannt, eine offene akademische Auseinandersetzung und eine gesellschaftliche Debatte sind ausgeblieben

Ob man an einer (politisch und/oder wissenschaftlich) fragwürdigen Veranstaltung teilnimmt und dort offensiv eine gegenläufige Position bezieht oder doch lieber gerade durch das eigene Fernbleiben ein politisches Statement setzt, mag bisweilen Geschmackssache sein. Zugunsten des Tübinger Kollegiums möchte ich annehmen, daß einige hier nicht durch ihre eigene Präsenz inmitten eines Daniele Ganser-Fanclubs diese Veranstaltung noch zusätzlich aufwerten wollten. Auch war der Rahmen einer „Studium Generale-Vorlesung“ sicherlich wenig geeignet für eine sachbezogene, tiefergehende und ausgewogene Auseinandersetzung. Allerdings kann ich ebenfalls keinerlei Initiative und Bemühen von universitärer Seite erkennnen, dieser Veranstaltung einen anderen, angemesseneren Rahmen zu geben, den Vortrag Daniele Gansers etwa um eine kritische Vor- oder Nachbereitung zu ergänzen, eine Podiumsdiskussion anzuregen oder auch für Interessierte eine Gegenveranstaltung zum besseren Umgang mit verschwörungsideologischen Positionen anzubieten.

Aus der oben zitierten Äußerung Prof. Rothfußs geht hervor, daß der problematische Charakter der Veranstaltung tatsächlich schon in der Vorbereitungsphase erkannt worden war und für Unmut unter Tübinger Kollegen gesorgt hatte. Schilderungen Daniele Gansers decken sich mit dieser Darstellung. So hatte Daniele Ganser bereits in seinem Tübinger Vortrag unter belustigtem Gejohle und großen Geklatsche des Publikums erwähnt (ab 1 h 24' 20''), daß sowohl seine Beteiligung an der Ringvorlesung, wie auch die Wladimir M. Grinins, des Botschafters der Russländischen Föderation, im Vorfeld als propagandistisch kritisiert worden seien (4). Die Qualität der universitätseigenen Aufzeichnung war schlecht geraten, so daß der genaue Wortlaut dieser Passage bisher verloren ging. Nun ist am 28.1.2014 ein weiteres KenFM-Interview mit Daniele Ganser erschienen, das auf ebendiese Umstände erneut und detailreicher eingeht (5). In diesem KenFM-Gespräch (*) behauptet Daniele Ganser, daß es gleich mehrere Tübinger Professoren gewesen wären, die sich gegen diese Veranstaltung ausgesprochen hätten. Es sei befürchtet worden, der Ruf der Universität könne Schaden nehmen. Auch die Bezeichnung „Verschwörungstheoretiker“ soll gefallen sein. Namen möchte Daniele Ganser keine nennen. Der KenFM-Aufzeichnung des eigentlichen Vortrags, die gestern erschienen ist, läßt sich nunmehr zusätzlich entnehmen (ab 1 h 24' 18''), daß sogar die Medienstelle der Universität eingeschaltet war und auf das Entfernen des Tübinger Logos von Gansers persönlicher Webseite gedrungen hatte (6).

Sofern keine Gegendarstellung von Universitätsseite erfolgt, kann man wohl davon ausgehen, daß Gansers und Rothfußs Aussagen – natürlich abzüglich Gansers Hang, Kritik an den eigenen unwissenschaftlichen Vorgehensweisen als politisch motivierte Repression auszugeben – insofern korrekt sind, als daß die Problematik dieser Veranstaltung tatsächlich bereits vor deren Durchführung universitätsintern und auf kontroverse Weise besprochen wurde, die diesbezügliche Kritik aber in keinster Form nach außen drang. Spätestens an dieser Stelle hätte jedoch eine offene Debatte darüber erfolgen müssen, wie eine sich als demokratisch und verantwortungsbewußt verstehende Wissenschaftsgemeinde mit dem Spannungsfeld zwischen Meinungsfreiheit einerseits und wissenschaftlichen wie ethischen Standards andererseits umgehen will. In welchem Rahmen hätte man auch Verschwörungsideologie und rechtsesoterische Perspektiven zu Wort kommen lassen können, ohne sich zu deren Werbeflächen zu machen? Wie geht man damit um, wenn Querfrontler für sich Meinungspluralismus einfordern, selbst aber eine (zumindest tendentiell) totalitäre, menschenfeindliche Politik befürworten bzw. unterstützen und Inhalte verbreiten, die gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit Vorschub leisten, die in Richtung Volksverhetzung, Geschichtsrevisionismus und Holocaustleugnung gehen? Wie soll man insbesondere umgehen mit verdeckten Referenzen auf die „Protokolle der Weisen von Zion“?

Mein bisheriger Eindruck ist, daß einer diesbezüglichen Positionierung und transparenten Auseinandersetzung konsequent aus dem Wege gegangen wurde. Letzendlich hat damit die Veranstaltung ohne erkennbaren Einspruch und in der ursprünglich geplanten Form stattfinden können. Wie groß der Kreis der schweigenden „Mitwisser“ gewesen sein kann, läßt sich anhand der öffentlich zugänglichen Informationen wohl nicht eruieren. Bislang jedoch bin ich ganz offensichtlich die einzige Akademikerin geblieben, die Kritik an Daniele Gansers Auftritt als Referent der Tübinger Studium Generale-Vorlesung öffentlich geäußert und schriftlich begründet hat. Das darf nicht sein. Meines Erachtens kommen in dieser Vorgehensweise sowohl ein fehlender Wille, auf die Einhaltung wissenschaftlicher Standards zu dringen, zum Ausdruck, als auch ein Mangel an gesellschaftspolitischer Verantwortung samt einer Geringschätzung der von diesen Propagandaaktivitäten negativ Berührten.

Imagepflege für Ken Jebsen und akademische Reputation für Verschwörungstheorien

Nicht nur die Problematik des Vortrags an sich ist von seiten der Universität bisher nicht öffentlich kommentiert worden, selbst die Tatsache, daß KenFM in die fragliche Veranstaltung involviert war, soll offenbar ausgeblendet werden. Am 15.12.2014 war das Mahnwachen-Zugpferd Ken Jebsen samt eigenem Aufnahmeteam vor Ort gewesen und hatte den Vortrag Daniele Gansers separat, d.h. zusätzlich zum Livestream der Universität, aufgezeichnet. Im Anschluß an die Ringvorlesung führte KenFm ein längeres Interview mit Daniele Ganser (7) durch, dem Augenschein nach ebenfalls in Räumlichkeiten der Eberhard Karls Universität. Ich nehme an, daß Prof. Dr. Rainer Rothfuß hierfür ein Büro des Geographischen Instituts zur Verfügung gestellt hat.

Bekannt geworden ist die Anwesenheit des KenFM-Teams über einen Bericht der Lokalpresse, der möglicherweise auch deswegen recht kritisch ausgefallen ist, weil ich die Redaktion im Vorfeld auf den problematischen Hintergrund Daniele Gansers aufmerksam gemacht hatte. Wörtlich hatte das Schwäbische Tagblatt am 17.12.2014 wie folgt auf die Präsenz von Ken Jebsen verwiesen (8):
Unter den etwa 600 Besuchern waren einige Ganser-Fans, die sich nach der Veranstaltung mit ihm fotografieren und Bücher von ihm signieren ließen. Außerdem war der umstrittene Journalist Ken Jebsen anwesend. Er hatte sein eigenes Kamerateam mitgebracht.

Ebenfalls laut Schwäbischem Tagblatt hatten auf eine kritische Nachfrage hin weder Ganser noch Rothfuß das Bedürfnis verspürt, sich von Ken Jebsen abzugrenzen:
Auf Nachfrage erklärte Ganser, er habe sich nicht genauer mit den Antisemitismus-Vorwürfen gegen Jebsen auseinandergesetzt. Die Unterscheidung zwischen links und rechts halte er jedoch für zunehmend überflüssig. Prof. Rothfuß erklärte lediglich, dass in seinen Augen ein Youtube-Video Jebsens die gegen ihn erhobenen Vorwürfe hinreichend entkräfte. Ganser und Rothfuß freuten sich vor allem darüber, dass der Vortrag durch die Aufzeichnung Jebsens eine stärkere Verbreitung finde.“

Insbesondere der Aufzeichnung dieser Veranstaltung durch KenFM dürfte in der Perspektive einer länderübergreifenden Querfrontbewegung die Bedeutung eines wichtigen Etappensiegs auf dem Weg hin zu akademischer Akzeptanz und Anerkennung durch eine gesellschaftliche Mitte zukommen. KenFM will sich nicht zuletzt auch im Bildungssektor etablieren (9). Entgegen eigener Bekundungen würde Ken Jebsen wohl nur zu gerne Eingang finden in das, was er und seine Umgebung abfällig „den Mainstream“ nennen. Was Daniele Ganser selbst betrifft, so dürfte diesem, nachdem Schweizer Universitäten zunehmend auf Abstand gehen, ebenfalls sehr an einem Zu- oder vielmehr Rückgewinn akademischen Kapitals gelegen sein. Eine altehrwürdige, international geschätzte Institution wie die Eberhard Karls Universität Tübingen muß sich da als Gütesiegel auf geradezu ideale Weise angeboten haben.

Die Schlüsselfunktion eines solchen, teils bewußt inszenierten Tabubruchs wird auch bereits in der Szene gewürdigt. Schon jetzt zeigt sich etwa die hetzerische „Satire“-Seite „Spuelgel an der Lein“ geradezu entzückt über Gansers Tübinger Vortrag und bedankt sich ausdrücklich bei der Eberhard Karls Universität „für ihren Mut und Courage“ (10). Zu erwähnen wäre in diesem Zusammenhang ebenfalls noch, daß die Veranstaltung bereits im Vorfeld auch vom parawissenschaftlichen „Freigeist-Forum-Tübingen“ beworben worden war (11). Diese beiden Fakten dürften denn auch eine Vorstellung davon liefern, von welchen Kreisen hier künftig Interesse und Zustimmung zu erwarten ist. Die Tübinger Universität macht sich somit, falls nicht doch noch gegengesteuert werden sollte, zum Erfüllungsgehilfen von querfrontigem Streben nach kultureller Hegemonie.

Die Tübinger Methode, Fehlverhalten von Autoritätspersonen, strukturelle Mißstände und diverse andere Peinlichkeiten möglichst schweigend und reglos auszusitzen, dürfte zumindest in diesem Falle jedoch nur sehr begrenzt effektiv sein. Gestern ist die KenFm-Aufzeichung des Vortrags selbst online gegangen und war bis heute schon über 34 000 Mal abgerufen (12) bzw. auf Facebook rund tausend Mal geteilt worden. Erwartungsgemäß wird die Querfrontszene dieses jüngste KenFM-Video auch selbständig über Blogs sowie andere soziale Medien weiterverbreiten und sich zur Untermauerung des eigenen Wahrheitsanspruchs immer wieder fleißig auf das Markenzeichen „Universität Tübingen“ berufen. Von zusätzlichem Interesse ist der aktuelle Hinweis bei KenFm (13), daß ein weiteres Video mit Rainer Rothfuß folgen werde, da dieser „den Vortrag trotz massivem Gegenwind stattfinden” habe lassen. D.h. hier baut man Kritik an unwissenschaftlichen Vorgehensweisen und politisch bedenklichen Positionen sofort wieder als mutige Verteidigung von Meinungs- und Forschungsfreiheit in die eigene Selbstlegitimierung ein. Da Sie, Herr Pörksen, in besagtem Radiofeature selbst auf die Bedeutung von Titeln, das Arbeiten mit Autoritäten-Zitaten und das Anführen von Experten hingewiesen haben, kann ich mir an dieser Stelle wohl weitere Ausführungen darüber sparen, wie sich die Assoziierung der Universität Tübingen mit KenFm auf beide Seiten auswirken wird.

Exzellenzinitiative und Praxisorientierung – Abschließende Bemerkungen

Eine Fähigkeit zur akademischen Selbstregulation wie in obigem Radiointerview gerade auch anhand des Beispiels der Tübinger Universität angerissen, kann ich im aktuellen Umgang mit „Clash of Civilizations“ nicht erkennen. Die Mechanismen diskursiver Wahrheitsfindung und der Auslotung des gesellschaftlich Akzeptablen scheinen in einer allgemeinen Dialogverweigerung außer Kraft gesetzt bzw. blockiert zu sein. Fast schon grotesk wirkt dieses Szenario vor dem Fond der Ezellenzinitiative, die ab 2012 unter dem Titel „Research-Relevance-Responsibility“ die Universität Tübingen „der Weltspitze näher“ bringen wollte. Als Kern ihres „Zukunftskonzepts“ hatte die Universität Tübingen formuliert gehabt, sie wolle „verstärkt Themen mit gesellschaftspolitischer Relevanz aufgreifen, die die aktuellen wissenschaftlichen Debatten bestimmen“ und „ihre Kernkompetenzen in der Grundlagenforschung künftig noch mehr auch durch anwendungsorientierte Aspekte der Forschung ergänzen und sich Zukunftsthemen und aktuellen Problemstellungen zuwenden” (14). Nun ist die rothfußsche Ringvorlesung „Clash of Civilizations“ samt Auftritt des populären Daniele Ganser sicherlich dicht am Zeitgeist ausgerichtet, also zumindest in diesem Sinne gesellschaftlich „relevant“; auch sorgt sie für entsprechendes Außeninteresse und die mediale Präsenz der Universität. Doch repräsentiert „Clash of Cultures“ wohl kaum das, was man gemeinhin unter wissenschaftlicher „Exzellenz“ und Verantwortung verstanden wissen möchte.

Ihre Rolle, Herr Pörksen, sehe ich hier insofern gefragt, als Sie öffentlich als der Tübinger Experte für Verschwörungsttheorien und versierter Kenner neurechter Diskurse auftreten. Imponiert hat mir vor allem Ihr Artikel „Der Hass der Bescheidwisser. Die aktuellen Attacken von Verschwörungstheoretikern bedrohen den Journalismus“, jüngst im Spiegel erschienen (15). Sie argumentieren hier u.a. in prägnanten Sätzen, warum man verschwörungsideologisches Denken nicht verharmlosen sollte. So sprechen Sie u.a. davon, daß die „Verschwörungsidee, deren Extremform eine blutige Spur durch die Menschheitsgeschichte zieht, [..] apodiktisch Scheinklarheit“ stifte. In Bezug auf die Vorstellung einer Medienverschwörung geben Sie auf die Frage, ob man diese überhaupt ernst nehmen müsse, eine Antwort, die sich sicher auch mit Leichtigkeit auf Daniele Gansers Erzählung eines manipulierten Geschichtsverlaufs übertragen ließe:
Die Antwort lautet: Man muss, denn hier nimmt eine mögliche Zukunft öffentlicher Auseinandersetzung Form an. Hier zeigt sich, in Gestalt des Extrems, eine Antiutopie des Diskurses, die weit über das aktuelle Getöse hinaus weist. Ein drohender Dialog- und Kommunikationsinfarkt wird hier sichtbar, der einer offenen Gesellschaft gefährlich werden kann. Denn die zu Ende gedachte Manipulationsidee widerspricht so ziemlich allem, was diese offene Gesellschaft ausmacht.”

Herr Pörksen, Ihr Kollege Prof. Dr. Rothfuß hat offenbar nicht verstanden, was den Unterschied zwischen der Behandlung politisch brisanter Themen und einem verschwörungsideologischen Denken ausmacht. Ich fände es überaus wichtig, daß Sie und möglicherweise weitere geeignete Kollegen das Tübinger Umfeld, insbesondere die Studenten, hierüber am Beispiel des ganserschen Vortrags aufklären und daß auch noch einmal konkret auf die mit Verschwörungstheorien verbundenen politischen Gefahren hingewiesen wird. Vielleicht können Sie auch, da Sie ja selbst zu „Feindbildern“ gearbeitet und publiziert haben, vor Ihrem eigenen fachlichen Hintergrund noch einmal erläutern, wie eine sinnvolle, wissenschaftlich fundierte Feindbild-Dekonstruktion aussehen kann und inwiefern die in "Clash of Civilizations" praktizierten Vorgehensweisen hier wissenschaftliche Anforderungen nicht erfüllen. Vor allem aber möchte ich Sie eindringlich darum bitten, dafür Sorge zu tragen, daß dieses Tübinger Gemeinmachen mit Querfrontbestrebungen nicht unkommentiert stehenbleibt, daß vielmehr doch noch eine angemessene, öffentliche Debatte geführt wird und in Folge kritischen Einwänden auch wieder mit mehr Ernsthaftigkeit und Aufmerksamkeit begegnet wird. Ansonsten sehe ich hier leider die Gefahr einer weiteren Verballhornung und Pervertierung wissenschaftlichen Arbeitens und befürchte einen fortschreitenden Verlust des Gespürs dafür, was wissenschaftliche Verantwortung und Ethik ausmacht.

Ich danke Ihnen für die Geduld beim Lesen eines doch einigermaßen lang und ausführlich geratenen Textes und hoffe, Sie mit meinen Ausführungen und meiner Kritik an der fraglichen Ringvorlesung angesprochen zu haben.

Mit freundlichen Grüßen,

                                                                                            Irma Kreiten


P.S.: Aus gegebenem Anlaß betrachte ich es als sinnvoll, dieses mein Schreiben von Beginn an öffentlich zugänglich zu machen und würde auch darum bitten, daß ich eine etwaige Antwort in ebenso öffentlicher Form auf meinem Blog unter http://sochi2014-nachgefragt.blogspot.com.tr/ einstellen darf.



(*) Transkript der fraglichen Passage des am 28.1.2015 veröffentlichten KenFM-Interviews mit Daniele Ganser (https://www.youtube.com/watch?v=PH3FnTXqGCw, ab Minute 1' 34'') :

DANIELE GANSER: „[...] man muß aber auch sagen, es ist nicht ohne Probleme in der Vorbereitung gewesen.“
KEN JEBSEN: „Mmm, darauf möchte ich kommen. Ich habe festgestellt, Sie werden angegriffen, obwohl Sie ja nicht nur Historiker sind, sondern auch Friedensforscher. Und gerade wenn man Friedensforscher ist, ja emmm, löst das in einigen Menschen einen kriegerischen Reflex aus.... Was kann man denn gegen einen Friedensforscher haben, wenn der an eine Universität eingeladen wird, und wer hat da Druck gemacht?“
DANIELE GANSER:Ja, ich meine, ich setzte mich ja sehr kritisch mit den Terroranschlägen vom 11. September auseinander, schon seit vielen Jahren, und ich sage, man darf hier dem amerikanischen Präsidenten Bush nicht blind glauben. Das heißt, ich setze mich mit der Frage auseinander, ob die Amerikaner uns angelogen haben, ob sie diese ganzen Terroranschläge auch benutzt haben um dann Kriege zu rechtfertigen, den Überwachungsstaat auszubauen etcetera, und diese Fragen sind in den Universitäten in der Schweiz, in Österreich und in Deutschland eigentlich nicht willkommen, weil man hat sofort Angst, daß man sich mit dem amerikanischen Imperium sozusagen anlegt, und daß man dann die Stelle verliert, daß man Geld verliert, daß man den Ruf verliert. Und hier in Tübingen war es so, da ist ein sehr mutiger Professor, der Rainer Rothfuß, der hat eine Vorlesungsreihe organisiert über Feindbilder, also er hat sich wirklich gefragt, warum jetzt eigentlich die Menschen sich gegenseitig umbringen und er hat eigentlich ganz klar festgestellt, daß es diese Feindbilder gibt, daß die Feindbilder auch generiert werden, hat das an ganz verschiedenen Konflikten aufgezeigt, hat sehr viele verschiedene Referenten eingeladen nach Tübingen, sehr gute Männer, auch Frauen, die eben in ihrem Gebiet Koryphäen sind, und dann wollte er noch jemand der zu Nine Eleven spricht. Und dann hat er eben gedacht, da hole ich mir den Ganser aus der Schweiz, und dann gabs, also im Vorfeld, als schon klar war, daß ich komme, eh, ich habe dann zugesagt, gabs andere Kollegen hier an der Universität Tübingen, ich möchte jetzt die Namen nicht nennen, die wollten eben nicht, daß sozusagen hier eine Vorlesungsreihe kritisch Nine Eleven hinterfragt und...“
KEN JEBSEN: "Aber das waren Menschen aus dem Lehrkörper..."
DANIELE GANSER: "Ja ja, das waren Professoren an der Universität Tübingen, die gesagt haben, Ganser ist ein Verschwörungstheoretiker, der hinterfragt die Terroranschläge vom 11. September, das geht gar nicht, der soll nicht kommen, die Universität Tübingen wird dadurch Schaden erleiden und die Studenten werden möglicherweise sozusagen noch verwirrt – Also, es war einfach Druck, ja, auf Professor Rothfuß, daß er die Veranstaltung mit mir absagt, und es war also sozusagen auch Druck auf mir, daß ich dann besser deswegen irgendwie [?] nichts sage und wir haben beide diesen Druck ausgehalten und haben gesagt, komm, es ist wichtig, daß hier eine Pluralität der Perspektiven eben auch möglich ist […].“


Quellen/Belege: