Zarische Truppen, Krasnaja Poljana, 21.5.1864

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Samstag, 15. Juli 2017

FDP-Mitglied würde aufmüpfige, kritische Studenten gerne "von der Uni schmeißen"

Baberowski-Streit: Kritik an Völkermordleugnung und geschichtsrevisionistischen Thesen erweckt bei Siegfried H. Seidl politische Verdachtsrhetorik und Repressionsphantasien. Eine Beschäftigung mit den Methoden des Baberowski-Lagers bleibt aus - von einer inhaltlichen Auseinandersetzuung sehe ich ebenfalls nichts. Was für ein Liberalismus-Verständnis ist das?

Anstößig sind innerhalb der deutschen Gesellschaft, so erlebe ich das in Diskussionen immer wieder, nicht Geschichtsrevisionismus, Rechtspopulismus und Genozidleugnung, sondern deren öffentliches Thematisieren und ein Eintreten dagegen  In einer "feinen Gesellschaft" darf es solche Abwege wohl nicht gebe, man tut dann offenbar besser so, als seien diese "dunklen Phänomene" gar nicht vorhanden.

Fast die gesamte deutsche Öffentlichkeit hat sich über ein Jahrzehnt lang der Auseinandersetzung mit einer spezifisch baberowskischer Form von Geschichtsrevisionismus verweigert. Es wurde sich ausgeschwiegen, an öffentlichem Interesse gewinnt der  "Fall Baberowski" aber dann, wenn Kritik mit den eigenen Feindbildern (z.B. "stalinistische Linke" - oder umgekehrt "Hetze der Totalitarismustheoretiker") zu korrespondieren beginnt bzw. die Angelegenheit medial so präsentiert wird, daß sie die eigenen Stereotypen beflügelt und diejenigen Aufmerksamkeitsmechanismen anspricht, von denen man wohl glaubt, man hätte diese gar nicht. Aufmerksamkeitsmechanismen, von denen man sich in jedem Falle laut und öffentlichkeitswirksam immer wieder distanziert und geradezu zu ekeln scheint.

Vorgeschoben wird  bei dieser "Kritik an der Kritik" immer wieder ausgerechnet die Form, d.h. man behauptet, man störe sich nicht an den Inhalten bzw. der Kritik per se, nur werde diese auf so ungebührliche Weise avanciert. Im gleichen Zuge allerdings wird deutlich, daß die "Form" (persönlicher Anstand, gute Umgangsformen, sachliche Debattenführung, juristische Grenzen...) in Bezug auf das Pro-Baberowski-Lager so gut wie gar nicht Gültigkeit zu haben scheinen und auf geradezu groteske Weise mißachtet werden können.

Ein paar Beispiele aus einem aktuellen Diskussionsfaden mit Siegfried H. Seidl, der jahreland einen Kreisvorsitz der FDP Niederbayern innehatte, sind hier zu sehen (wörtlich und in der ursprünglichen Reihenfolge im untenstehenden Screenshot). Der Anlaß war folgender gewsen. Ich hatte die Solidarisierung von Karl Schlögel (Osteuropa-Historiker) mit seinem neurechten Kollegen Jörg Baberowski und  das bisherige Fehlen einer inhaltlicher Auseinandersetzung (aus Presseberichten zu schließen) kritisiert.

Diffamierung und negative Etikettierungen kommen vor Inhalten:

Siegfried H. Seidl sprach daraufhin und in Bezug auf Baberowski-Kritiker auf pauschal-vage-undefinierte Weise und quasi aus der Luft heraus von "pseudo- linken Spinner-Studenten", behauptete ohne konkrete Bezugnahmen und Beispiele, diese würden  "eine vollkommen unterirdische Debatte aufreißen", sprach von "diese verzogenen "Früchtchen" und postulierte: "Man ist hier gezwungen, grundsätzlich zu argumentieren.". Genau eine solche grundsätzliche Diskussion fand aber gar nicht statt.

Seidl fuhr fort mit Behauptungen wie "Was dieser neumodische Uni-Mob tut, ist nichts anderes, als den regulären akademischen Betrieb anzuzünden, um irgendwelchen Schrulligkeiten zu frönen und gute Profs "unmöglich" zu machen." Eine Auseinandersetzung mit dem Streit um Baberowskis Positionen  jenseits der mutmaßlichen Persönlichkeiten und (auf metaphorische Weise unterstellten) Verhaltensweisen seiner Kritiker blieb in dieser Diskussion zumindest bei ihm aus.

Angeblich wurde auf der Baberowski-Kritikerseite die Form verletzt, auch hierfür bringt bislang aber niemand wirklich glaubhafte Belege und Indizien an. Dafür werden dann aber auf der Pro-Baberowski-Seite Stereotypen, Diffamierungen und a-logische Diskussionsweisen zuhauf verwendet Inflationsartig und ohne jegliches erkennbares Interesse an der Begriffsgeschichte wird z.B. der Vorwurf getätigt, es würde von der Gegnerseite  "Denunziantion" betrieben. Akademische Inhalte und das Verwehren gegen Baberowskis Genozidrevisionismus, seine Bezugnahmen auf Protagonisten der Konservativen Revolution, werden jenseits ihrer skandalisierten/skandalisierbaren, mediengerechten Form  regelrecht ausgeklammert, gipfelnd bei Seidl in der Frage an mich: "Kennst Du die Profs?" 

Vielleicht muß man künftig auch einfach alle intellektuellen Debatten als "War Hitler böse?"- "Ja"/"Nein"/"Vielleicht"/"Weiß nicht" präsentieren, damit die mediale Öffentlichkeit und damit auch die allgemeine Zivilbevölkerung ihnen Daseinsberechtigung einräumt. 

Ich finde es erschreckend, wie sich überall "willige Helfer" für das Baberowski-Apologetentum finden und dem Professor ungeachtet von dessen Verhaltensweisen reflexhaft zur Seite springen. Unter diesen Unterstützern und einseitigen Beschützern von "Meinungsfreiheit" sind immer wieder auch Personen, die vermutlich nicht einmal näher wissen bzw. verstanden haben, um was es beim "Streit" um Jörg Baberowski  im Kern überhaupt geht.

Positive und negative Assoziationsslogik:

Während man anderen gerne eine Kontaminationslogik vorhält auch da, wo sie gar nicht vorliegt bzw. wo die Kritik nicht auf einer solchen beruht, geht man selbst persönlichen Assoziationen nach und per Analogieschlüssen vor:

So heißt es bei Seidl, der sich auf sein Studium bei Herfried Münkler und darauf bauende emotionale Verbundenheit beruft:  "Jörg Baberowski habe ich nie kennen gelernt, aber es ist genau das Gleiche." und auch: "Natürlich kann ich das beurteilen, weil ich z. B. bei Münkler studiert habe, auch heute noch seine Bücher lese, und ich Studenten kenne, die bei Baberowski studieren." 

Ich finde es ehrlich gesagt einigermaßen unverschämt, wie hier über persönliche Berührungen mit Vertretern anderer Disziplinen das vermeintliche Recht konstruiert wird, normative, ultimative Aussagen über einen einem selbst fremde Fachgebiete zu treffen und da von außen mit begrenzenden, beschränkenden Maßnahmen eingreifen zu wollen.Wer Ökologie oder Biologie studiert hat und selbst neben einem Zahnarzt wohnt, wird sich wohl trotzdem nicht sachgemäß in Debatten zu Herzkathetern oder Medikamentendosierung in der Tropenmedizin einmischen können, so, wie auch ein Innenarchitekt oder Agraringenieur wohl besser keine Berechnungen zur Tragfähigkeit von Meeresbrücken vornimmt.

Zementierung von Lagerdenken - Aufforderung zum Denken in Freund-Feind-Logik: 

Das Vorgehen von Baberowski-"Verstehern" beruht leider allzu oft auf Verdachtsrhetorik; man möchte z.B. wissen, ob bei kritischen Äußerungen eine Verbindung zu "den Trotzkisten" oder,  auf a-historische, relativierende Weise in den Worten Baberowskis, der "stalinistischen Sekte",  besteht. Sind die Fronten auf diese Weise geklärt, scheint das Interesse auch wieder abzuflauen. Es treibt offebar besonders die Vorstellung einer geheimen Trotzkisten-Verschwörung um und bewegt zum Gespräch. 

Die Wir-Ihr-Logik wird jenseits von Sachargumenten und inhaltlichen Interesses ausgebreitet. Bei Seidl heißt es so auch, unvermittelt und abrupt, zeitlich aber gerade nach meinen kurzen Erklärungen zu Gemeinsamkeiten und Unterschieden zwischen mir und der Haltung von IYSSE/der trotzkistischen Gleichheitspartei: "Schämt Euch, wenn Ihr dafür auch nur ein Gramm Verständnis aufbringt."

Hier wird das Lagerdenken geradezu eingefordert und wird "beschämt", wer über politische Grenzen hinweg sich mit Kritik beschäftigen möchte,wer Inhalte jenseits von Personen und äußeren Umständen ernst nimmt, diese sachgerecht überprüfen will. Die Zugehörigkeit zum "richtigen" politischem Spektrum scheint hier, wie auch in anderen Debattenfetzen, sehr viel wichtiger als vieles andere zu sein. 

Schutz des Establishments um so gut wie jeden Preis?

Bei Kreisen, in denen fast täglich ein bleierner merkelscher Konsens beklagt wird, der sich auf geradezu erstickende Weise über das Land lege, in denen eine bessere Debattenkultur eingefordert wird, in denen mehr Raum für persönliche Freiheiten eingefordert und auch gerne über die negativen Effekte von zu viel "politischer Korrektheit" geklagt wird, sollte eigentlich verwundern, wenn diese dann die Bewahrung des Status quo eingefordern, überaus empfindlich auf die Kritik an bestehenden Strukturen reagiert wird und der  "korrekten Form" gößte Bedeutung zugemessen wird.
 
Angesichts der eigenen Rhetorik sollte man sich doch über ein bisschen "Unkorrektheit" und freches Konsensbrechen von studentischer Seite doch geradezu freuen. Stattdessen trifft man auf eine rabiate Verteidigung und fast unbesehene, "blind" getätigte Rechtfertigung des gesellschaftlichen Establishments, des Establishments wegen bzw. zur Bewahrung der 'bürgerlichen Existenzen', die an diesem hängen. Umso mehr, wenn diese "Unkorrektheit" im Benennen einer verschleierten Rückkehr des Gedankengutes von u.a. der Konservativen Revolution besteht.

Auf (vermutlich unbemerkt) zirkuläre Weise wird der "Ruf" und erworbene gesellschaftliche Rang einer Person angeführt als Begründung dafür, warum Kritik unbotmäßig sei, die diesen Ruf eventuell auch antasten könnte. So heißt es bei Seidl zur Diskreditierung von Baberowski-Kritik, es handele sich da um Studenten, "die klugen Professoren ans Bein pinkeln" 

Hier wird also mit einer Vorab-Rollenverteilung festgelegt, wer "klug" ist und wer "Spinner" ist, wer sich angemessen verhält und wer pöbelt, die "Klugheit" oder Angemessenheit intellektueller Argumente ergibt sich nicht aus dem diskursiven Austausch und dem Aneinander-Messen von Argumenten. Als "gut" und "klug" gilt damit dann in solch einem Umfeld weiterhin die Person, die Kritik mittels institutioneller Gewalt (teils auch dank einer willfährigen Presse) erfolgreich von sich abwenden bzw. diese erfolgreich delegitimieren kann - ohne sich einer lästigen akademische Argumentation stellen zu müssen.


Zensur bzw. die anvisierte Ahndung von anderen Meinungen und politischen Positione:

Gerade da, wo der innerakaademische Dissens fast völlig zum Erliegen gekommen ist, ein Klima der Angst und des Druckes herrscht, Kollegen kaum noch bereit sind (oder es noch nie waren), sich umfassend und offen zu den unterschiedlichen problematischen Aspekten von Baberowskis jüngerer wissenschaftlicher Entwicklung zu äußern, da, wo man sich übermäßig Sorgen macht um Karrieren, den eigenen  "Ruf", zukünftige Publikationsmöglichkeiten, das längerfristige persönliche Wohlergehen etc., sind kritische Studenten und andere Außenstehende besonders wichtig. Selbstverständlich wird in einer Situation, die sich zunehmend repressiv und undurchlässig anläßt, Kritik in erheblichem Maße "von außen" bzw. in Randbereichen geäußert. Hier auf ebendieser Randständigkeit rumzuhacken und diese zu einem eigenen Thema zu machen, anstatt sich den Argumenten und inhaltlichen Kritikpunkten zu widmen, ist nicht besonders klug und gefährdet auch den Erhalt unserer emokratischen Strukturen.

Die Reetablierung einer ideologiegetränkten, politisch tendentiösen und instrumentalisierbaren Wissenschaft zu beobachten, entsprechende Tendenzen zu kritisieren, mögliche Gefahren aufzuzeigen und ihnen entgegenzuarbeiten bzw sie aufzuhalten zu versuchen, heißt in Siegfried H. Seidls Argumentationslogik bislang, "irgendwelche[n] Schrulligkeiten" zu frönen. Er selbst möchte das bisschen an Kritik, das (noch) zu hören ist, gemessen an seinen aktuellen Aussagen, wohl am liebsten noch weiter verdrängen und verunmöglichen. So liest sich zumindest sein Wunsch, daß die Betreffenden ganz aus dem akademischen Raum entfernt würden. Er sagt, er würde "diese verzogenen "Früchtchen", wenn ich die Möglichkeit hätte alle hochkant von der Uni schmeißen". Auf Rückfragen bezüglich der Gültigkeit von Meinungsfreiheit ging Seidl bislang nicht mehr ein. Es wird auch nichts von seinen beleidigenden Zuschreibungen an die Studenten - auch diese haben Persönlichkeitsrechte - oder von seinen Druck generierenden, an Konformismus apellierenden Äußerungen zurückgenommen.

Man kann froh sein, wenn solche politischen Kräfte wie etwa eine zunehmend populistisch klingende FDP nicht die Möglichkeiten erhalten, zu tun, was sie gerne tun würden. Unsere Gesellschaft entwickelt sich zunehmend dahin, daß der Sinn für Gerechtigkeit und Ausgewogenheit vor allem fingiert bzw. nur noch verbal bekundet wird. Gerade für "Meinungsfreiheit" gilt das in besonderem Maße.