Wie A. V. Wendland mit einem evangelikalen Christen, Klimaskeptikern und AfDlern gegen die "Gegenaufklärung" ankämpft
In meinen letzten
beiden
Posts hatte ich Anna Veronika Wendland thematisiert, eine
Osteuropa-Expertin, die in letzter Zeit in einem islamophoben,
rechtspopulistischen Umfeld in Erscheinung getreten war. Im Einklang
damit hatte Wendland – allerdings bereits vor einem Jahr –
unpassende Vergleiche für den Völkermord an den Tscherkessen und
die Schwierigkeiten historischer Aufarbeitung getätigt. Sie
suggerierte u.a., während sie selbst über Diskriminierung und
versuchte politischer Diskriminierung – aufgrund ihrer
atomkraftbefürwortenden Haltung – klagte, eine Äquivalenz
zwischen einer Tscherkessen- und einer Atomkraftlobby herzustellen
und implizierte damit im großen und ganzen Chancengleichheit auch
für„schwierige“ Anliegen wie das der Aufarbeitung verdrängter
Kolonialgewalt.
Hier soll es im Folgenden
um seltsame Allianzen zwischen „Nuklearia“, einem Verein, in dem
Wendland tätig ist, der AfD und historischer Forschung gehen. Die
Behauptung, es stünde in der deutschen wissenschaftlichen oder
allgemeinen Öffentlichkeit nur Wort gegen Wort und Argument gegen
Argument (vermutlich mit der unausgesprochenen Folgerung, daß
demgemäß dann generell ein rationales Abwägen möglich wäre)
läuft nicht nur jeglicher sozial- bzw. kulturwissenschaftlicher
Erkenntnis der, sagen wir letzten 50 Jahre, zuwider; im konkreten
Falle war der von meiner Kollegin getätigte Vergleich auch besonders
schief und absurd gewesen:
Quelle: Screenshot facebook |
„Das stimmt, die
Nukis haben immerhin noch die IAEA, die AfD und Rosatom, da kann die
Čerkessenlobby [sie schreibt das Ethnonym im Deutschen beharrlich
falsch] nicht mithalten. Aber die Erfahrungen sind dieselben (in D
jedenfalls): die Prügel, die man bezieht und die, die man austeilt,
und der schmale Grat, der einen von der Verbiesterung trennt. Daher
ist es gut, ab und zu auch mal wieder auf Distanz zum "Anliegen"
zu gehen.”
Wendland will ihr eigenes Engagement als Einsatz gegen eine „Gegenaufklärung“ verstanden wissen. Tatsächlich ist sie in seltsame Allianzen zwischen „Nuklearia“, einem Verein, in dem sie tätig ist, der AfD und historischer bzw. kulturwissenschaftlicher Forschung eingebunden. Um derartige schiefe Logiken soll es im Folgenden gehen. Es gilt, sich mit dem „Machtaspekt“ in wissenschaftlichen Diskursen auseinanderzusetzen und konkret der Frage nachzugehen, wie ein Eingebundensein einzelner Wissenschaftler in Lobbynetzerke die eigene Arbeit erleichtert oder (meist für andere) erschwert. Die Frage nach der „Distanz“ zum eigenen Anliegen – und Wendland wollte dies ja vorgeblich so – könnte damit mitaufgeworfen werden.
Mich interessiert hier
weniger Atomkraftbefürwortung an sich, sondern die zunächst recht
merkwürdig anmutende Verbindung von Atomkraft und Islamophobie, wie
sie etwa auf dem neurechten Autorenblog „Achse des Guten“ und
„Tichys Einblick“ sowie in den dazugehörigen Netzwerken
beobachtet werden kann. Auch Wendland folgt in Teilen offenbar einer
bestimmten Netzwerklogik, d.h. richtet sich nach den Kontakten und
Verbindungen, die zwischen Nuklearlobby und AfD bzw. einem Afd-nahen
Bereich geknüpft wurden und den entsprechenden Interessen und
„Rücksichten“. Mir geht es vorrangig um Wissenschaftsethik und
was mit dieser geschieht, wenn neurechte Haltungen, Verhaltensweisen
und Formuliergewohnheiten mit dem Eintritt in derlei Netzwerke
virulent werden. Man könnte zudem auch fragen: Wer pusht
Islamophobie? Wie kommt es, daß rechtspopulistische Rhetorik und
islamophobe Bestandteile in gesesllschaftliche Diskurse einfließen,
in denen ursprünglich gar nicht vom Umgang mit Muslimen oder „dem
Islam“ die Rede war?
1. Eine "atomlinke Harke"
Wendland beschäftigt
sich tatsächlich auf wissenschaftlicher Basis mit Kernkraft bzw.
deren Geschichte. Das Habilitationsprojekt unter dem Titel
„Atomogrady. Kernkraftwerksstädte zwischen Utopie und
Katastrophe im östlichen Europa 1965-2011” hat
Wendland auf konzertierte Weise im Jahr 2013 (gemäß des eigenen CVs) in Angriff genommen. Das
Projekt sei „an einer Schnittstelle von Stadt-, Technik- und
Umweltgeschichte angesiedelt“ und vergleiche mehrere Atomstädte in
der Ukraine, Litauen und Russland miteinander, darunter auch
Tschernobyl bzw. Pryjpat', schreibt sie in einer Projektbeschreibung
auf Seiten des Herder-Instituts. Es heißt in ihr weiter, daß es um
die Geschichte der Atomstädte „zwischen urbaner Utopie und
nuklearer Katastrophe“, soziale Transfomrationen und kulturelle
Deutungen gehe, auch darum, daß die „Atomstadt
[…]ein soziales Versprechen für all jene, die aus den Dörfern
kamen und in den Atomstädten berufliche Perspektiven suchten“
gewesen
sei.
Auf
ihrer Profilseite beim Herder-Institut listet Wendland ein
zweimonatiges Stipendium der „Fritz Thyssen Stiftung für
Wissenschaftsförderung“ auf, mit dessen Hilfe sie im gleichen Jahr
„Feldforschung zum Monografieprojekt: Atomogrady.
Kernkraftwerksstädte zwischen Utopie und Katastrophe im östlichen
Europa 1965-2011“ durchgeführt habe. Es dürfte sich hierbei um
eine Anschubfinanzierung
gehandelt haben. Wie bei jedem andereren Wisschaftler auch zählt
auch bei Frau Wendland nicht allein der brilliante Gedanke, sondern
benötigt sie zur Umsetzung ihrer Forschungsvorhaben eine gewisse
Infrastruktur, Netzwerke zum Ideenaustausch (auch jenseits
finanzieller Aspekte) sowie Förderung bzw. eine Existensicherung.
Laut
eines Vortrags,
den die auf einem Nuklearia-Vereinstreffen hielt, habe sie sich in
einem langwierigen Eigenstudium zunächst technisches Wissen zu
Nukleartechnik angeeignet, bevor sie das erste Mal einen Fuß in ein
Kernkraftwerk zwecks eigener Forschungstätigkeit gesetzt habe. Würde
man diese Vorlaufphase von ca. 2 Jahren in Betracht ziehen, wäre das
Projekt wahrscheinlich im Jahr 2011 konzipiert worden, in dem Jahr,
in dem der Fukushima-Unfall geschah und auch ein erster Vorläufer
von „Nuklearia“ das Licht erblickte. Bleiben wir aber zunächst
bei den wissenschafts- und wissenschaftspolitischen Dimensionen ihres
Forschungsvorhabens.
Wendland selbst sagte über ihre
Themenfindungsphase:
„Die
Findungsphase ist tatsächlich mit Fukushima zusammengefallen, aber
die Idee trage ich schon sehr, sehr lange mit mir herum. Ich war als
Studentin in der Ukraine und habe dort Menschen aus Prypjat
kennengelernt, die ihrer Heimat nachtrauerten... […] Ich hatte
seitdem immer im Hinterkopf, zu diesen Kernkraftstädten und den mit
ihnen verbundenen Lebenswelten zu forschen. Dass es so viele Jahre
gedauert hat, ist eigentlich eine glückliche Fügung.“
Im September 2013 hat Anna Veronika
Wendland dann erstmals (soweit über das Internet nachvollziehbar)
mit diesem Thema an einer Konferenz teilgenommen, die unter dem Titel
„The Energy Crises of
the 1970s as Challenges to the Industrialized World“
lief. Wendland hat zu „Oil Crisis and Nuclear Response in Eastern
Europe“ (Ölkrise und die atomare Antwort in Osteuropa) gesprochen
- in einem Panel, das vom Tübinger Osteuropa-Historiker Klaus Gestwa
geleitet wurde (dieser war zufälligerweise am gleichen
Sonderforschungsbereich angestellt gewesen, an dem mein
Forschungsprojekt ohne offizielle Ansage und Begründung per Mobbing
und Diskriminierung untergraben wurde). Gefördert wurde diese
Energie-Konferenz auch von der Fritz Thyssen Stiftung.
Die zweimalige
Förderung durch die Thyssen-Stifung verdient, auch wenn sie nicht
besonders spektakulär und umfangreich gewesen sein mag und eher, wie
man so schön sagt,„Impulse“ gegeben haben mag, durchaus der
näheren Betrachtung: Die Fritz
Thyssen Stiftung ist eine Stiftung zur
Wissenschaftsförderung, die 1959 gegründet wurde. Den Vorsitz im
Kuratorium
der Stiftung hat Werner Wenning inne. Wenning
war einer derjenigen deutschen Manager gewesen, die den sogenannten
„Energiepolitischen Appell“ im Jahr 2010 unterzeichnet hatten.
Der „Energiepolitische
Appell“ war eine Positionierung pro
Atomkraft und pro Kohle gewesen, der von 40 bekannten
Persönlichkeiten aus Politik und Wirtschaft unterzeichnet wurde. Mit
ihm wurde eine Laufzeitverlängerung für Deutschlands
Kernkraftwerke gefordert, entsprechende Anzeigen erschienen in großen
deutschen Tageszeitungen. Wahrgenommen wurde der „Energiepolitische
Appell“ als Lobbyinitiative
der vier großen Unternehmen E.ON, RWE, Vattenfall und EnBW. Wenning
saß bis 2016 auch im Aufsichtsrat der E.ON AG.
Ausschnitt aus der Profilseite von A. V. Wendland beim Herder-Institut |
Zu den
Unterzeichnern des Energiepolitischen Appells gehörten auch
Repräsentanten von Thyssen-Krupp, dessen Produktionszweig als
besonders stromintensiv gilt. Möglicherweise relevant für die
Beurteilung der Stiftungsaktivitäten und deren Zusammenhang mit
unternehmerischen Zielen: Die Fritz Thyssen Stiftung hatte u.a. auch
eine Studie unter dem Titel „Effekte
von Umweltprotest in der Bundesrepublik Deutschland“
gefördert, in der es u.a. um die Entwicklung
von Atomkraftbefürwortung bzw. -ablehnung in der bundesdeutschen
Bevölkerung ging. Man spricht solchen Zusammenhängen von
„Akzeptanzforschung“,
die an sich neutral und sachlich sein kann, aber eben auch
zweckdienlich für Meinungskampagnen und die Entwicklung von
Kommunikationsstrategien.
Selbstverständlich kann
Anna Veronika Wendland als eigenständig denkender und handelnder
Mensch jederzeit Forschungsvorhaben planen oder auch, ohne jegliche
institutionelle Einbindung und Beeinflussung, persönliche Ansichten
und Überzeugungen vertreten - auch solche, die für Atomkraft
sprechen. Sie selbst nennt sich eine „atomlinke Harke“. Sie sei
nach einigem Nachdenken und entsprechenden Lebenserfahrungen zu dem
Schluß gekommen daß sie ihre früheren linksgerichteten und
umweltschützerischen Überzeugungen in die Irre geführt hätten. In
einem auf „Achse des Guten“ (kurz: achgut) veräffentlichten
Artikel namens „Geschichtsschreibung
von oben, in dem sie für
„subalterne Ansätze“ plädiert, um die Stimmen von
Atomkraftbefürwortern als gegenhegemoniale Stimmen zur Geltung zu
bringen, heißt es zu ihrem (politischen) Gesinnungswandel und der
Herleitung ihrer heutigen wissenschaftlichen Interessen:
„Als
linksdrehende Jugendliche mit akademischem Familienhintergrund - eben
jenem der Göttinger und Bielefelder - war ich natürlich gegen AKWs.
Es wurde gar nicht diskutiert oder nachgehakt, man war gegen den
Atomstaat und die Kernkraftwerke, die in dieser Zeit gebaut wurden,
galten als die Verkörperung des ultimativ Bösen. AKWs gleich
Brutalität, Beton, Bullen. […] Kraft, Eleganz, Intelligenz und
technische Ästhetik durften wir in ihnen nicht sehen.
Doch trieb
mich die wissenschaftliche Neugierde schließlich eher zur
Kernenergie hin als von ihr weg. [...] Nach der beruflichen
Etablierung als Historikerin fing ich an, wieder über die
Kernenergie nachzudenken, und legte ein Forschungsprojekt zur
Geschichte nuklearer Sicherheitskulturen auf.”
Schön, wenn alles so
wunderbar zueinander paßt. Jedenfalls für ie, die sich auf
entsprechende – außer- und innerwissenschaftliche Förderer –
einlassen und sich zur Popularisierung der eigenen Forschung bzw.
Anwendung von deren Ergebnissen entsprechender
Multiplikatorennetzwerke bedienen können. Für diejenigen, die
politische Kräfte und Konstellationen allerdings – gerade auch in
ihrer Kombination mit Islamophobie und rechtem Gedankengut – nicht
hinter, sonndern egen sich wissen, wird dagegen die Luft immer dünner
und stickiger. Zumal einige der im Folgenden beschriebenen
„Partnerships“ gerade nicht demokratisch-transparent, sondern
manipulativ und per Einschüchterung, Drohungen und öffentlicher
Diffamierung vorgehen. Auch für die Gesamtgesellschaft könnten
entsprechende Allianzen und die zugehörigen „Rücksichtnahmen“
und Geringschätzungen in Zukunft kritisch werden, könnte mit einer
„Normalisierung“ extremistischer Interessensvereinigungen durch
die Mitwirkung angesehener, bürgerlicher Personen so einiges auf dem
Spiel stehen, mittlelfristig sogar die Demokratie gefährdet sein.
Und überhaupt: Was soll
an einer Philosophie des „egal wie, egal wo, egal mit wem“, wie
sie in einigen der beschriebenen publizistisch-politischen
Aktivitäten wie auch trotzigen öffentlichen Stellungnahmen angesichts von Kritik zum
Ausdruck kommt, so furchtbar widerständig, unangepaßt und
„Anti-Mainstream“ sein? Denn darauf legt man ja immerhin verbal
einigen Wert.....
2. „Nuklearia“,
Industrielobbyismus und die Imitation von Bürgerbewegungen
Wendland ist, wie
bereits erwähnt Mitlied in einer Gesellschaft bzw. einem Vereins
namen „Nuklearia – Für moderne und sichere Kernenergie“. Im
Oktober
2016 wurde die Historikerin in deren Vorstand
gewählt, sie wird jetzt als Beisitzerin
geführt. Der Verein selbst schildert, daß er aus einer AG der
Piratenpartei heraus entstanden sei. Er stellt sich als „ganz
bewusst partei- und konzernunabhängig” dar.
„Nuklearia“ befürwortet
allerdings klar die Kernenergie als
„wesentliche Säule der Energieversorgung“ und möchte gegen
„Fehlinformationen“ vorgehen, „Menschen informieren und
Sachinformationen zu Kernkraft, Strahlung usw. weitergeben“. Man
wolle, so wird als Ziel formuliert, „auf eine Änderung des
Atomgesetz hinwirken, damit Bau und Betrieb neuer Kernkraftwerke in
Deutschland wieder möglich werden“. Es handelt sich bei
„Nuklearia“ also nicht um eine neutrale Plattform zum Gedanken-
und Informationsaustausch zum Problemkomplex der Energieversorgung,
sondern um eine Interressensvereinigung mit proatomarer Agenda..
Ihr Engagement für
Kernkraft präsentieren sowohl Wendland als auch ihre Organisation
als einen Kampf von Vernunft gegen Aberglauben; mit Fakten und
Informationen solle gegen Mythen und gesellschaftlich schädliche
„Hysterisierung“ vorgegangen werden. In Novo
Argumente etwa schreibt die
Osteuropa-Historikerin, die deutsche Debatte um angebliche
Pannenreaktoren in Belgien sei „geprägt von unsachlicher Hysterie
und nationalistischen Untertönen”, sie spricht dort von
„Aufgeregheit und Maßlosigkeit, welche die öffentlichen
Diskussionen in Deutschland in letzter Zeit prägen“ würden und
betont ausdrücklich, daß sie dies„nicht nur bei der Kernenergie“
festgestellt haben wolle. Auf
Facebook
wird sie in einem satirischen Text
sogar noch deutlicher und vergleicht die „Energiewende“ mit einer
Kultform, die gegen ihre Kritiker mit einer Art Hexenjagdt vorgehe.
Direkt im Anschluß betont sie ihr eigenes verbales Eintreten
„[g]egen diese Form der Gegenaufklärung“.
Da es unter den
„Nuklearia“-Anhängern inklusive Dr. Wendland gebräuchlich ist,
Kritiker und Gegner auf schablonenhafte Weise als irrational,
wahlweise wahn- und sektenhaft oder zumindest unaufgeklärt,
uninformiert und verantwortungslos zu diffamieren und hierfür
oftmals sehr ähnliche Formulierungen und Bilder gewählt werden,
soll hier nun einiges ausgebreitet werden, was auf „Ratio“ und
„Vernunft“ (und auch den Umgang mit bürgerlicher Verantwortung)
in „Nuklearia“-Kreisen hindeutet bzw. schließen läßt. Den
Vorsitz des Vereins, der sich als besonders fortschrittlich,
technikfreundlich und rational präsentiert, hat der
Diplom-Informatiker Rainer Klute inne. Er stellt sich
selbst
als evangelikaler Christ einer Freikirchengemeinde vor und hat laut
eigener Angaben mehrfach mit dem christlich-evangelikalen
Sender ERF
kooperiert. Über seinen Flickr-Account
läßt sich ein Interesse an bzw. eine Nähe zu der Bewegung
„ProChrist“
vermuten, die als evangelikal geprägt gilt. Die Bewegung wurde
verschiedentlich
als wissenschaftsfern
beschrieben, sie soll u.a. einem
wörtlichen Bibelverständnis
nachhängen.
Rainer Klute bei einem kirchlichen Projekt
Daß
Klute sein Eintreten für Kernenergie als persönliche Berufung
wahrnimmt oder zumindest so präsentiert, geht aus der
Nuklearia-Webseite
hervor, auf der Klute mit seiner Schilderung seines atompolitischen
Werdegangs an die Narrativierung von Erweckungs- bzw.
Konversionserlebnissen anknüpft: „»Ich
habe Kernphysik im Studium kennengelernt, doch meine Berufung zur
Kernenergie war das Unglück in Fukushima. Mein Sohn lebte in der
Nähe. Ich wollte verstehen, was dort geschah, und habe mich in die
Materie eingearbeitet. Was ich herausfand, begeistert mich […].“
Die
religiösen Haltungen Rainer Klutes weisen, soweit im Internet
nachlesbar, einige Übereinstimmungen mit den bei ProChrist
gebräuchlichen Positionen auf. Der Nuklearia-Vorsitzende gilt als
Kreationist
sowie – mehreren Mediendarstellungen zufolge – als homophob.
Hinsichtlich Klutes mutmaßlicher Homophobie berichtete z.B.
Queer.de,
der Pirat habe sich 2010 gegen Queerpolitik in seiner Partei
ausgesprochen und zwar auch in der Form einer Beschwerde darüber,
daß in seiner Partei „eine rührige Gruppe von Piraten ihr
Lieblingsthema
voran“ treibe [kursive Hervorhebung von mir]. Auf seinem Blog nimmt
Klute zu entsprechenden Vorwürfen Stellung,
betont darin zwar, daß er anderen Menschen nicht mit Zwang begegnen
wolle, schildert aber indirekt Homosexualität als eine Art
Schwäche, Fehler, Krankheit bzw. Sünde. Er schreibt
zudem auch, und
gibt damit einen Vorgeschmack auf seine politisch-gedankliche
Verortung: „Ich bleibe Querdenker statt Queerdenker.“
Ausschnitt aus Rainer Klutes Ausführungen zu "Homosexualität" |
Auf
seinem Blog thematisiert Klute (im gleichen Beitrag) auch seine
Haltung zu Kreationismus. Seinen Ausführungen zufolge scheint Klute
tatsächlich nicht einen Glauben an eine theistische Evolution (also
die Ansicht, daß die Entwicklung menschlichen Lebens auf der Erde
einer göttlichen Intention oder Logik folge) zu vertreten, er bringt
stattdessen Evolutionslehre und Schöpfungsglaube in direkte
Opposition zueinander. In einem zusäztlichen (an einen Leser
gerichteten) Kommentar unter dem Artikel schreibt Klute, er wundere
sich „schon, warum ihr Evolutionisten
euch so sehr dagegen sträubt, neben dem Evolutionsmodell auch das
Schöpfungsmodell im Unterricht vorzustellen. Schüler sollten die
wesentlichen Modelle kennenlernen, die in der Wissenschaft diskutiert
wird. Und das Schöpfungsmodell gehört durchaus dazu, ob’s euch
nun paßt oder nicht. »Denk selbst!« fordern Piraten die Bürger
auf. Soll das für Schüler etwa nicht gelten?“
Im
Piratenwiki
sagt Klute – zusammen mit einer Reihe anderer Piratenpolitiker
– auf kreationistische Auffassungen hin angesprochen, er sei die
Diskussion hierzu mittlerweile „leid“. Er spricht sich jedoch
nichtsdestotroz dafür aus, daß im Schulunterricht neben der
Evolutionstheorie auch das „Schöpfungsmodell“ behandelt werde.
Ambitionen auf Bildungspolitik habe er aber keine. Noch ein kleines
Detail am Rande: Laut Psiram wäre Klute ursprünglich auch im
Impressum einer „International Nuclear Recycling und Energie Corp.“
(kurz: INReEn) geführt
worden, der der zeitweilige Alternativmediziner,
Verschwörungstheoretiker und Plastinator Dirk
Piper als Präsident vorstand. Auch Dirk Piper war zeitweilig in
der Piraten-Partei. Des weiteren mischen sich unter die Informations-
und Öffentlichkeitspolitik von Nuklearia auch utopische
Vorstellungen, ein (popkulturelles)
Werben mit Science Fiction-artigen Szenarien und Referenzen
auf Transhumanismus-Konzepte
wie die von Jacque Fresco – hierzu aber später noch mehr.
Nuklearia-Mitgründer Fabian Herrmann auf Novo Argumente |
Als
persönliche Haltung muß man wohl so einiges, u.a. auch die
Vorstellung, Homosexualität sei etwas Unnatürliches oder
Fehlerhaftes, akzeptieren – zumindest sofern sich diese
Überzeugungen nicht in eigenem intoleranten, diskriminierenden
Verhalten niederschlagen. In Demokratien ist ja weniger die innere
„Gesinnung“ denn die Regeltreue wichtig. Man muß sich auch nicht
einfach so über öffentlich vorgetragene religiöse Bekenntnisse
lustig machen. Gerade in dieser Hinsicht will hier aber einiges so
gar nicht zusammenpassen. Kreise, für die religiöse Vorstellungen
einen erheblichen Teil ihrer Identität wie auch ihres
öffentlichen/politischen Engagements ausmachen, sollten nicht
öffentlich austeilen mit – strategisch platzierten - Vorwürfen
der Art, daß Andere für eine „Gegenaufklärung“ ständen und
„irrational“ oder gar „irre“ seien. Auch könnte man ja, wenn
man sachlich vorgehen will, das eigene aggressive, verleumderische
Verhalten abstellen. Und man könnte sich (da derartige Ausrichtungen
für das weitere Nuklearia-Netzwerk eben nicht nebensächlich sind)
auch ein paar andere, geeignetere Buzzwords als „Aufklärung“ und
„rational“ etc. für „Nuklearia“ ausdenken.
Als Arbeitsgemeinschaft
innerhalb der Piraten-Partei ist die „Nuklearia“ im Jahr 2011
entstanden. Laut nucleopedia
wurde die zugehörige Internetseite im gleichen Jahr „nach und
infolge“ des Fukushima-Unglücks online gestellt. Ein Podcast
mit einem der Nuklearia-Gründer bestätigt, daß die Gründung
der AG eine direkte Reaktion auf die Reaktorkatastrophe in Japan war.
Man bezeichnet das eigene Engagement als „ausstiegskritisch“. Der
zugehörige Verein wurde im
Oktober 2013 gegründet. Bei den Piraten hatte laut Spiegel
die klar proatomare Linie der AG zu Unmut und zu
Distanzierungsversuchen geführt. Dies mag dazu beigetragen haben,
daß, mit etwa zweijährigen Abstand, im Herbst 2013, zusätzlich
eine „Nuklearia“ als unabhängiger Verein gegründet wurde. Der
Sprecher der Piraten-AG und der Vorsitzende von Nuklearia e. V. waren
jedoch identisch.
Die Nuklearia AG war
erstmals im Jahr 2011 unter dem Titel „Kernmüll
für alle!“ von der Frankfurter Rundschau
medial behandelt worden. Es hieß im FR- Artikel u.a. leicht
amüsiert: „Die AG schmückt ihren
Auftritt im Piraten-Wiki – wo jeder User an den Inhalten mitwerkeln
kann – mit ungewohnten Motiven: Ein grinsender Atomkern fordert auf
gelbem Hintergrund „Kernenergie? Ja bitte“. Ein stilisierter
Nucleus prangt auf leuchtendem Piraten-Orange. Statt Atomkraft sagt
man „Kernenergie“ – wie weiland die Atomlobby, die
Assoziationen mit der Hiroshima-Bombe umschiffen wollte. Und den
„Atomausstieg“, den Deutschland beschlossen hat, schreibt man nur
spitzfingrig in Gänsefüßen.”
Der Verein
beschreibt
sich als „[i]ndustrieunabhängig“ bzw. als
„gemeinnützig und ganz bewusst partei- und konzernunabhängig”.
Teilweise sind in ihm allerdings Angestellte oder ehemalige
Angestellte der Nuklearindustrie und benachbarter Branchen zu finden,
so etwa Rainer Reelfs, Stellvertretender Vorsitzender bei Nuklearia,
der laut eigener
Angaben früher für Eon als Ingenieur tätig
war und nun als „Nuclear Engineer“ für die World Association of
Nuclear Operators – Wano arbeite. Er sei außerdem Beistzer im
Kreisvorstand bei der FDP Schweinfurt und
sei auch Admin der Facebook-Seite „Pro
Kernkraft“. Zumindest teilweise also befinden sich in „Nuklearia“
Menschen, die in der Nuklearindustrie ihr Geld verdienen und für die
ein entsprechend existentielles Interesse an deren Erhalt angenommen
werden kann. Das ist für sich genommen sicher auch legitim.
Man sollte einem
Verein nicht allein aufgrund personeller Querverbindungen und
Überschneidungen direkte Abhängigkeiten und Interessensvertretungen
unterstellen. Allerdings, und das soll im Folgenden herausgearbeitet
werden, ist Nuklearia in ein Netzwerk aus ähnlichen Vereine und
Initiativen eingebunden, dessen einzelne Elemente sich gegenseitig
stützen und zusammen einen Pro-Atom-Diskurs bilden. Bei einzelnen
dieser Elemente ist eine problematische Verquickung mit Industrie-
und Think Thank-Interessen inklusive mutmaßlicher finanzieller
Förderung durchaus vorhanden. Dies kann zu entsprechenden Vorteilen
und einer Beeinflussung der öffentlichen Meinungsbildung selbst da
führen, wo in Bezug auf die Einzelorganisation (wie etwa
„Nuklearia“) keine direkte wirtschaftliche Unterstützung durch
interessierte Industriezweige erfolgt und keine formalen
Abhängikgeiten bestehen. Was an einer Stelle in ein Netzwerk eingespeist wird, kann sich auf alle seine Eizelbestandteile positiv auswirken.
Partnerorganisationen
werden in der Selbstvorstellung von „Nuklearia e.V.“ nicht
genannt. Man verweist auf den Ursprung innerhalb der Piratenpartei
und wirbt um weitere Parteien: „Wir streben weitere
Nuklearia-Gruppen in anderen Parteien an. Gerne unterstützen wir
dich, wenn du in deiner Partei eine solche Gruppe ins Leben rufen
willst!”. Verlinkt werden von der Seite allerdings im Blogroll u.a.
die „KTG-Kerntechnische Gesellschaft“, „Bürger für Technik“,
„Naturfreunde für Atomstrom“ und „Science Skepitcal Blog“.
Sehen wir uns – zwecks Vergleichen und möglicher Parallelen –
zunächst eine Organisation namens „EIKE“ an, die mit einigen der
Nuklearia-Alliierten in Berührung steht und bereits recht gut
journalistisch erforscht und beschrieben wurde.
Auf Wikipedia
heißt es zu diesem sogenannten Institut: „EIKE e. V. ist kein
Forschungsinstitut und publiziert nicht in wissenschaftlichen
Fachzeitschriften. Der Verein wird von der Fachwelt nicht als
seriöses Institut, sondern als klimaskeptische Lobbyorganisation
betrachtet. [links entfernt]“. Auch für Atomkraft setzte man sich
ein und ein Grundsatzpapier fordere ein Ende der
„Kernenergie-Diskriminierung“.Eike operiert mit dem Schlagwort:
„Nicht das Klima ist bedroht, sondern unsere Freiheit!”.
Mitglieder nennen sich selbst zwar nicht „Klimaskeptiker“, aber
„Klimarealisten“.
Die FR
meint, EIKE stelle eine "Speerspitze“ von
industriegestützten Klimawandelleugner- Lobbyisten dar und betreibe
eine „Maschinerie des Zweifelns“ nach US-amerikansichem Vorbild.
Zahlreiche Denkfabrikten würden die gleichen Thesen, etwa daß
Klimawandel keine anthropogenen Ursachen habe, vebreiten, EIKE sei
Teil hiervon. Tatsächlich ist, geschildert in einem weiteren
FR-Artikel, EIKE-Präsident Holger Thuß „auch
zugleich Gründer des Europa-Ablegers vom „Committee for a
constructive tomorrow“, das vom Ölkonzern ExxonMobil mitfinanziert
wurde. Ob auch EIKE Industrie-Geld erhält oder nur ein Bund von
Querulanten, Wichtigtuern und Gegnern von Grünen und Gutmenschen
ist, ist unklar: Deutsche Denkfabriken müssen ihre Geldgeber nicht
offenlegen.”
Das Committe
for a Constructive Tomorrow existiert seit 1985 und gilt als
rechtslibertär
(konservativ-libertär) geprägter Think Tank, in dem sich viele
Klimaspektiker versammeln. Es
soll u.a. von Chrysler, ExxonMobil und Chevron finanziert worden
sein. Allein im Jahr 2008 habe es fast 600.000 Dollar von Exxon Mobil
erhalten.
Holger Thuß, der Präsident des Ablegers CFACT Europe und Präsident
von EIKE, ist von Haus aus Historiker, weist oder wies eine
Parteimitgliedschaft in der CDU auf und wird auch als Autor
beim rechtslibertären Magazin „eigentümlich frei“ geführt. Der
Vize-Präsident von EIKE ist Michael Limburg, Berater
der AfD in Sachen Energiepolitik; für Pressekontakte ist u.a.
ein Horst-Joachim Lüdecke zuständig. Im Fachbeirat von EIKE gibt es
übrigens auch religiöse
Untertöne.
Ob auch EIKE Geld von Konzernen erhält ist unklar,
Lüdecke behaupte, dies sei nicht der Fall; nachprüfen, so die SZ,
lasse sich das aber gemäß deuscher Regelungen nicht. Einem Artikel
der ZEIT zufolge wollte Lüdecke nicht offenlegen,wer für das
Institut spende. Axel
Mayer vom BUND (Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland)
hält EIKE für „eine der
aggressivsten und finanzstärksten Lobbyorganisationen der
Industrie”. Ein recht aufwändig erstellter, ausführlicher Artikel
zu EIKE aus Klimaschützersicht findet sich hier.
EIKE arbeitet gemäß Axel Mayer auch mit dem Journalistengespann
Miersch-Maxeiner (bekannt für industrienahe, atomkraftfreundliche,
klimaskeptische Positionen) zusammen.
„Nuklearia“ übernommen wurden, präsent.
Verbindungen
zwischen Nuklearia und EIKE beschränken sich allerdings nicht auf
sporadische, punktuelle Berührungen und einzelne Analogien. Einen
guten Einblick in die tatsächlichen Vernetzungen und Kooperationen
des Vereins „Nuklearia“ erhält man über dessen jährliche
Vereinstreffen, etwa das vom Oktober 2016, auf dem Wendland auch in
den Nuklearia-Vorstand gewählt wurde. Im Programm
zu diesem Treffen heißt es an vorderer Stelle:„Die Nuklearia lädt
zusammen mit anderen kernenergie- und technikfreundlichen Vereinen zu
einer gemeinsamen Jahrestagung ein.”. Als teilnehmende
Organisationen werden u.a. die „Kerntechnische Gesellschaft e. V.“,
„Bürger für Technik e.V.“, „Fortschritt in Freiheit e.V.“,
die „Arbeitsgemeinschaft Energie und Umwelt“ (AGEU) und die AfD
aufgelistet. Ein Tagungspunkt sah
einen Vortrag unter dem Titel „Vernetzung
der Vereine mit gleichen Interessen“ vor, dieser läßt sich online
nachhören.
Referent
Dipl.-Ing. Eckehard Göring, Mitglied der Kerntechnischen
Gesellschaft und des Vereins „Bürger für Technik“, wird
hinsichtlich von Plänen und Strategien recht explizit: Man könne
ein „lockeres Aktionsbündnis“ nach Vorbild der Umweltbewegung
anstreben und „Kräfte bündeln, damit wir gemeinsam mehr erreichen
können“: „Wir sind viele kleine Vereine mit verschiedenen Zielen
[…]. Untersucht man aber die Interessenlagen genauer, stellt man
fest, daß die Schnittmengen ungefähr 80 % sind.“. Die jeweiligen
Stärken der einzelnen Vereine will man, seinen Ausführungen
zufolge, im Verbund durch gegenseitig Ergänzung und personelle wie
ideelle Unterstützung nutzen. Göring schlägt u.a. einen
gemeinsamen Email-Verteiler zur Weitergabe von Information über
geplante Aktionen und zur Bekanntmachung von Terminen vor; auch
Informationsstände der einzelnen Organisationen könnnten
beispielsweise „personell“ unterstützt werden.
Die
Kerntechnische Gesellschaft bzw. deren Fachgruppe „Nutzen der
Kerntechnik“ bestehe zu einem beträchtlichen Teil aus Fachleuten,
darunter seien viele Senioren (d.h. Rentner mit ausreichend Zeit zu
ihrer Verfügung) bzw. 30-40 „Aktive“, die, wenn sie von anderen
Organisationen angefragt würden, „ideologische Schützenhilfe“
leisten und ihr Wissen zur Verfügung stellen könnten, so Göring.
Er schlug außerdem vor, eine Liste von Politikern oder anderen
Figuren des öffentlichen Lebens, die atomkraftfreundliche Positionen
verträten und deswegen „angefeindet“ würden, zu erstellen und
diese anzuschreiben, um ihnen Unterstützung anzubieten. Wer sind
also die Vereine, Initiativen und Organisationen, deren Aktivitäten
und Engagement Göring aufgrund beträchtlicher Schnittmengen
„bündeln“ will?
Eckehard Göring, also der
Referent, der auf der Jahrestagung von Nuklearia einen Votrag zur
besseren Vernetzung und Kooperation gleichgearteter Vereine
untereinander hielt, leitet laut
dem Zeit-Artikel: "Atomkraft ja bitte" seit einiger
Zeit die Fachgruppe „Nutzen der Kerntechnik“ innerhalb der
sogenannten „Kerntechnischen Gesellschaft“. Im gleichen Artikel
heißt es: „In der KTG engagieren sich Atomforscher und Ingenieure
für die friedliche Nutzung der Kernenergie. Sie wird vom Deutschen
Atomforum, der offiziellen Interessenvertretung der
Kernkraftwerkbetreiber, finanziell unterstützt.“. Die
Interessensvertretung, die die KTG leistet, ist nichts Verborgenes
und Mysteriöses, auch die Kooperation der KTG mit dem Deutschen
Atomforum wird
offen benannt. Atomkraftwerkeplag
spricht in Bezug auf die KTG von einer „Art
Arbeitnehmerorganisation der Atomlobby“. Allerdings ist
Fachgruppen-Sprecher Eckehard Göring gleichzeitig Mitglied von
„Bürger für Technik e.V.“, einem vermeintlich unabhängigen
Verein. Und mit ihm sind weitere Mitglieder der KTG in
höhergestellten Positionen bei „Bürger für Technik e.V.“
anzutreffen.
Bürger für Technik e.V.
behauptet von sich,
„ kein Lobbyverein für irgendwelche politischen Interessengruppen“
zu sein. Der Verein, kurz BfT, wurde im Jahr 2001 gegründet, Anlaß
sei die Pisastudie gewesen. Als Daseinszweck wird angegeben, man
wolle erreichen, daß „sich mehr junge Menschen für
Naturwissenschaften und Technik interessieren und entsprechende
Berufe anstreben, damit Deutschland in der PISA-Studie wieder einen
besseren Platz erreicht“, dazu wollle man entsprechende Bemühungen
von „staatlichen Einrichtungen, der Schulen, der Industrie und
bedeutender Museen [...], sowie technischen Vereinen“ unterstützen.
Gemäß einer Recherche von Die
Zeit wäre dieser Verein jedoch mit der Atomlobby eng verzahnt,
es heißt dort: “Vieles spricht dafür, dass der harmlose
Bildungsverein eine Tarnorganisation der Atomlobby ist.” So war
etwa auch Vereinsgründer Ludwig Lindner in der „Fachgruppe“ der
KTG als deren Sprecher aktiv, zuvor war er u.a. beim
Kernforschungszentrum Karslruhe angestellt gewesen. Auch der
Webmaster der Internetseite von BfT, weiß wikipedia,
sei Mitglied der KTG-Fachgruppe „Nutzen der Kerntechnik“.
Laut eines
internen Dokumentes, so
der Zeit-Artikel,
werde von der KTG der vermeintlich unabhängige Verein BfT sehr wohl
als (verdeckter) Teil der eigenen Meinungsmache-Aktiviäten
begriffen, es heiße dort: „Wir haben uns ursprünglich in der
KTG-Fachgruppe ›Nutzen der Kerntechnik‹ zusammengefunden [...].
Um unseren Wirkungskreis auch neutral zu erweitern, haben wir die
lose Vereinigung ›Bürger für Technik‹ gegründet [...]. Die
Zielsetzungen beider Gruppen sind identisch.”. Die Kerntechnische
Gesellschaft stehe offen und transparent zu ihrer Nähe zur
Kernenergie-Wirtschaft, aber BfT bilde eine Art „inoffizielle
Untergrupe“, die „nicht darauf achten“ müsse, „politisch
korrekt“ vorzugehen. Es gebe sogar Hinweise auf eine Nähe der KTG
und der BfT „in Gelddingen“.
Bürger für Technik e.V. |
BfT kann laut Wikipedia als ein Verein gesehen werden, der in „Greenwashing-Aktivitäten zur Atomenergie tief eingebunden“ ist. BfT-Sprecher Eckehard Göring ist zudem auch noch in einem weiteren Verein tätig, der von BfT als „Umweltschutzgruppe“ präsentiert wird. Der Verein nennt sich „Die neuen 68er“. Ein kurzer Blick auf die zuvorderst präsentierten Artikel auf der Webseite von „Die neuen 68er“zeigt: Man tritt hier für Gentechnik und Atomkraft ein und setzt sich gegen „[d]as Geschäft mit der Angst“ zur Wehr. Ein weiterer Neo-68er-Vertreter neben Eckehard Göring ist Klaus Theißing, er ist Autor bei Energie-Fakten.de und betreibt - sicherlich nebenher - ein „Büro für technich-wissenschaftliche Kommunikation“. Dieses wiederum listet unter „Projekte“ u.a. „Energie-Fakten.de“, „atomkraft-ja-bitte.de“ sowie „Wirtschaftsverband Kernbrennstoff-Kreislauf“ auf. Verwirrend? Es spricht einiges dafür, daß dies genauso gewollt ist. Dazu später aber mehr.
In sogenannten Kurzinfos werden von BfT u.a. Nuklearia- und EIKE-Materialien weiterverbreitet. BfT versucht laut Eigendarstellung auch, auf die öffentliche Meinungsbildung (neben den „Kurzinfos“) u.a. „in Zeitungsartikeln“, „bei Leserbriefen“ und über „Teilnahme an Vorträgen und Disskussionsveranstaltungen als kritischer Fragesteller“ zu beeinflussen. Direkte Kontakte zwischen Nuklearia und BfT gehen u.a. wie folgt aus den Schilderungen Rainer Klutes (zu zwei Vorträgen, die er auf einer Jahrestagung im Vereinsverbundstreffen gehalten hatte) hervor: “Beide Vorträge kamen bei den Teilnehmern recht gut an. Als ich die Idee anriß, mit der Nuklearia eventuell auf der Hannovermesse vertreten zu sein, meldeten sich spontan gleich drei Leute als Besatzung für den Messestand. Toll! Schwieriger dürfte es allerdings sein, jemanden zu finden, der den kompletten Einsatz organisiert. Aber das ist ein anderes Thema.”.
Zu erwähnen wäre noch, daß der Verein „Bürger
für Technik“, der gemäß seiner öffentlichen Präsentation vor
allem Bildungsarbeit leisten will, selbst den Klimawandel anzweifelt
(bzw.
Interventionen von Aktivisten gegen „Klimaideologen“ auflistet,
darunter auch ein Artikel des Larouche-Politsekten-Ablegers
„Büso“) und zudem gerade in Gestalt von Rainer Klute einen
Kooperationspartner pflegt, der gerne die Schöpfungstheorie neben
der Evolutionslehre im Schulunterricht verankert sähe. Unter seinen
Linkempfehlungen listet der Verein u. a. „achgut“, EIKE, die
„Arbeitsgemeinschaft Energie und Umwelt“ und „Fortschritt in
Freiheit e.V. auf.
Einer der weiteren
„technikfreundlichen“ Vereine im Umkreis von Nuklearia.e.V. (auch
gemäß des gemeinsamen Jahrestreffens) ist der zuletzt genannte
Fortschritt
in Freiheit e.V., der eintritt für „die
Verteidigung von Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit“, für
„Freiheit und Transparenz“, für „Freiheit der Forschung, und
zu Schulen ohne Esoterik und Ideologie“, aber auch gegen
„Denkverbote“, gegen „Klima- und Öko-Wahn“, gegen
„staatliche[...] Bevormundung“ und das „Schüren falscher
Zukunftsängste“. Der Verein fordert:
„Das staatliche Propagandasystem ist aufzulösen“. Schulbücher
und Lehrpläne seien „zu bereinigen“, Lehrkräfte müßten
nachgeschult werden. Die Indoktrinierung der Bevölkerung durch „ein
beispielloses Propagandaystem“ reiche „mittlerweile bis in den
Kindergarten“. Die derzeitige Klimaforschung sei eine
„Pseudowissenschaft“. Alle unter dem „Vorwand“ Klimaschutz
beschlossenen Gesetze seien aufzuheben. Hinter
dem Verein steht u.a. als Fachbeirat Dr.
Hermann Hinsch, der am Endlagerprojekt Asse
mitgearbeitet hatte und dessen Beiträge u.a. auf „Bürger für
Technik“ sowie Novo
Argumente veröffentlicht wurden. Unter dem
Stichwort „Netzwerk“ werden von „Fortschritt in Freiheit e.V.“
im Blogroll u.a. „Bürger für Technik“ und „Achse des Guten“
aufgelistet.
Ein
weiteres Kräfteungleichgewicht zwischen PR-gestützter,
professionell organisierter Interessensvertretung einerseits und
individuellem, zivilgesellschaftlichem Engagement oder auch
akademischen Debattenbeiträgen (bei denen die Argumente und Fakten
an sich zählen müssen) andererseits entsteht durch
die Methoden, die im „Austausch von Argumenten“ selbst zum
Einsatz kommen: Sowohl amerikanische Lobbyorganisationen wie auch
deutsche Ableger und Nachahmer verwenden rabiate, illiberale Methoden
und Strategien zur Herstellung (vermeintlicher) Meinungsmehrheiten.
Diese reichen von unfairen Argumentationstechniken über die bewußte
Störung von Diskussionen, Shitstorms und Verleumdungswut bis hin zu
physischen Drohungen.
Rechtspopulisten wie Industrielobbyisten setzen
in ganz erheblichem Maße eben gerade nicht auf „rationale
Argumente“, sondern auf bewußte Einschüchterung ihrer
Kontrahenten. Marc
Morano,
einer der bekanntesten amerikanischen Anti-Klimaerwärmungs-Vertreter,
soll bereits vor Jahren gesagt haben: „Wir sollten die
Klimawissenschaftler treten, solange sie am Boden liegen. Sie haben
es verdient, öffentlich ausgepeitscht zu werden“ - sein
Arbeitgeber ist das Comittee for a Constructive Tomorrow, an das auch
EIKE angebunden ist. In seinem Artikel „Der
Gutmensch“
in der SZ spricht Christian Nürnberger von einer „Kamarilla aus
Rechten, Neoliberalen und Neocons“. Deren typische verbale
Verhaltensweisen veranschaulicht er so:
„Großzügig im Austeilen, empfindlich im Einstecken, bekämpfen sie auf allen publizistischen Kanälen die Vorherrschaft einer längst verschwundenen linken Meinungs- und Gutmenschenmafia. Und sobald ihnen jemand widerspricht, verkünden sie in der Pose des mit dem Tode bedrohten Widerstandskämpfers in allen Talkshows, Zeitungen und per Internet, man lasse sich keinen Maulkorb verpassen, nicht zum Schweigen bringen, nicht das Wort verbieten. Für diesen Mannesmut, dieses tapfere, tabulose Klartextreden und die Erhebung von Stammtischparolen zu Blogs, Editorials und Essays werden sie dann, wie einst die wilden Achtundsechziger, mit Geld, Ehre, Ansehen, Planstellen, Preisen und medialer Aufmerksamkeit überschüttet.“
Die „Nationale
Anti-EEG-Bewegung“, kurz naeb, die ebenfalls zu den
„technikfreundlichen“ Vereinen des Nuklearia-Jahrestreffens
gehört, möchte die Energiewende zu einem Ende bringen, sich für
die „ohnmächtigen Stromverbraucher“ und die (Weiter-)“Existenz
der Deutschen Volkswirtschaft“ einsetzen. Es hätten sich in dieser
„Bewegung“ „engagierte Bürger“ zusammengfunden, denen „der
Erhalt der Arbeitsplätze unserer Kinder und Kindeskinder am Herzen“
liegt. Eine weitere Form des Verbraucherschutzes also. Die naeb führt
das Adjektiv „national“ vielleicht deswegen in ihrem Namen, weil
ihr Gründungsteam aus
u.a. Prof. Dr. Hans-Günter Appel (als Unterstützer
der AfD gelistet, Zeitraum unbekannt) und Dr. Klaus Peter Krause
(Mitglied im Energieausschuß
der AfD) bestand. Letzterer schreibt u.a. über „Das
Krebsgeschwür Energiewende und seine neun Metastasen“. Beide
haben– laut
Krauses eigener Auskunft – nacheinander das Amt des
Pressesprechers von naeb ausgeübt.
Die „AG
Energie und Umwelt“ als weiterer Mitstreiter im lockeren
Vereinsverbund hat es sich auf verwandte Weise zum Ziel gemacht, „
Mitbürger sachlich über die Ziele, Maßnahmen, Folgen und Kosten in
der Energie- und Umweltpolitik zu informieren“, zielt damit sowohl
auf die Energiewende wie auch Thesen zum Klimawandel. Man könnte die
Betrachtung dieses Wurzelgeflechtes auch noch weiter fort führen –
wichtiger ist jedoch eine Auseinandersetzung mit dieser
Organisations- und Vernetzungsform an sich.
Kehren wir noch einmal zurück zu dem, was Eckard
Göring auf der gemeinsamen Vereinstagung zum Bündeln von
Interessen ausgeführt hatte. Göring zitierte ein chinesisches
Sprichwort, das da lauten würde „Einen Bambusstab kann man
brechen, ein Bündel aus Bambusstäben kann man nicht mehr brechen“.
Das Hochziehen bzw.Miteinander-Verknüpfen von einer Vielzahl an
kleineren, miteinander korrespondierenden Initiativen und
Organisationen, die sich gegenseitig stützen und verstärken,
Resonanzen bilden und Echos zurück in den Diskussionsraum werfen,
bieten nicht nur weniger Angriffsflächen als einzelne größere,
unifizierte und zentralisierte Organisationen, sie erwecken auch den
Eindruck von demokratischer Vielfalt und eines „von unten“
wachsenden zivilgesellschaftlichen Interesses. Sofern es sich bei
entsprechenden Vereinen um Projekte handelt, die „von oben“ betrieben werden oder von dort aus wesentliche Impulse erfahren,
teils unter Aufwendung entsprechend hoher Geldsummen durch beispielsweise größere Konzerne oder politische Parteien, kann man von
„Astroturfing“ sprechen.
Entsprechende Vereinigungen
können künstlich geschaffen und von Anfang an als Ausdruck von
„Bürgerprotest“ inszeniert werden; Lobbyorganisationen* können
sich aber auch bestehender, ehemals unabhängiger Verbände und
Initiativen bedienen, diese für ihre Zwecke manipulieren bzw.
unterwandern. Beliebt waren diese Methoden schon vor Jahren in den
USA. George Monbiot, ein Umweltaktivist (der im übrigen zumindest
teilweise selbst die Seiten gewechselt hat),
beschrieb solche zuerst in den USA beobachteten Strategien im
Guardian wie folgt: “Over
this time, I have watched as tobacco, coal, oil, chemicals and
biotech companies have poured billions of dollars into an
international misinformation machine composed of thinktanks, bloggers
and fake citizens’ groups. Its purpose is to portray the interests
of billionaires as the interests of the common people, to wage war
against trade unions and beat down attempts to regulate business and
tax the very rich. Now the people who helped run this machine are
shaping the government.”
Besonders für den Bereich der
Klimapolitik sind entsprechende Schein- bzw. Fassadenorganisationen
beschrieben worden. George
Monbiot spricht von einem „network of fake
citizens' groups and bogus scientific bodies“, dessen Aktivitäten
auf das Säen von Zweifeln in Bezug auf die Klimaerwärmung bestanden
habe. Manche dieser Fake-Grassroots-Organisationen wurden u.a. von
Exxon finanziert: “By funding a large
number of organisations, Exxon helps to create the impression that
doubt about climate change is widespread. For those who do not
understand that scientific findings cannot be trusted if they have
not appeared in peer-reviewed journals, the names of these institutes
help to suggest that serious researchers are challenging the
consensus.”
Es werde dabei nicht nur durch
Nachahmung echter Wissenschaft vorgegangen, man stütze sich
teilweise auch tatsächlich auf wissenschaftliche Befunde, verwende
Studien aber selektiv. Die Zeit
schreibt, allein in den Jahren von 1997-2004 habe die Öl- und
Gasindustrie rund 420 Millionen Dollar in diese Industrie des
Zweifelns investiert. Über u.a. EIKE und CFACT (den westeuropäischen
Ableger des „Committee for a Constructive Tomorrow“) haben diese
Organisationsformen und Strategien in den letzten Jahren auch in den
deutschen Bereich Einzug gehalten. Axel
Mayer hält
namentlich„Bürger für Technik“ für ein Beispiel solcher aus
den USA stammenden, industriegesteuerten
„Neo-Ökologismus“-Institutionen.
Astroturfing (Quelle: Fabrice Epelboin) |
Die Zeit
schreibt zu Astroturfing im Energie- und Umweltschutzbereich: „Als
Bürgerinitiative getarnte Lobbyarbeit ist besonders heimtückisch,
weil sie einen Vertrauensvorschuss missbraucht. Das
Bundesumweltministerium ließ vor zwei Jahren untersuchen, wem die
Deutschen am meisten vertrauen, wenn es um das Thema Umweltschutz
geht. Bürgerinitiativen belegten Platz zwei, gleich nach den
bekannten Umweltschutzorganisationen und noch vor Behörden und
Kirchen. Sie kämpfen gegen Flugplatzlandebahnen oder gegen den Bau
einer Autobahn durch ein Naturschutzgebiet und profitieren meist vom
David-gegen-Goliath-Effekt: Der Schwächere hat die Sympathien auf
seiner Seite.Was aber, wenn der Schwache in Wahrheit der Starke ist?”
Nicht nur die Organisations-, sondern sogar die Aktionsformen echter
Umweltinitiativen würden teilweise nachgeahmt – und gegen
Umweltschützer eingesetzt.
Organische Meinungsbildung wird
imitiert, von „Leserbriefen“ bis hin zu vermeintlichen
Diskussionsplattformen, die nicht einem ungerichteten Austausch und
offenen Dialog, sondern der Verankerung bereits vorgefertigter
Positionen in der Bevölkerung dienen sollen. So hatte etwa die
TAZ im Jahr 2011 mittels interner Dokumente
aufgedeckt, daß die Kommunikationsagentur Deekeling Arndt Advisors
in den Jahren 2008-2009 für das Atomforum entsprechende Strategien
zur Beeinflussung der öffentlichen Debatte entwickelt hatte. Zu den
vermeintlich unabhängigen Instanzen gehörte ein vorgeschobener
Verein namens „Women in Nuclear“, der auf besonders glaubwürdige
Weise für die Nuklearindustrie werben sollte. In das Projekt „Women
in Nuclear“ sollen zum damaligen Zeitpunkt 34056 Euro investiert
worden sein.
Echte Graswurzelaktivitäten
können mit solchen als selbstgemachtes, bürgerliches Engagement
ausgegebenen Kampagnen großer Wirtschafszweige oft nicht mehr
konkurrieren. Monbiot
formulierte die diesbezügliche bittere Einsicht:
“As
usual, the left and centre (myself included) are beating ourselves up
about where we went wrong. There are plenty of answers, but one of
them is that we have simply been outspent. Not by a little, but by
orders of magnitude. A few billion dollars spent on persuasion buys
you all the politics you want. Genuine campaigners, working in their
free time, simply cannot match a professional network staffed by
thousands of well-paid, unscrupulous people.”
Selbst wenn Nuklearia -
das bislang zu seinem Budget auf der Webseite nichts angibt - sich
ausschließlich über Mitgliedsbeiträge (und indirekt über die
bezahlte Arbeit ihrer Mitglieder in ihren jeweiligen Berufen)
finanzieren und kein zweites EIKE sein sollte, dann würde der Verein
doch auch von seiner Einbindung in die beschriebenen
industriegestützte Netzwerke, deren starker Aufstellung sowie den
entsprechenden Synenergieeffekten profitieren.
„Großzügig im Austeilen, empfindlich im Einstecken, bekämpfen sie auf allen publizistischen Kanälen die Vorherrschaft einer längst verschwundenen linken Meinungs- und Gutmenschenmafia. Und sobald ihnen jemand widerspricht, verkünden sie in der Pose des mit dem Tode bedrohten Widerstandskämpfers in allen Talkshows, Zeitungen und per Internet, man lasse sich keinen Maulkorb verpassen, nicht zum Schweigen bringen, nicht das Wort verbieten. Für diesen Mannesmut, dieses tapfere, tabulose Klartextreden und die Erhebung von Stammtischparolen zu Blogs, Editorials und Essays werden sie dann, wie einst die wilden Achtundsechziger, mit Geld, Ehre, Ansehen, Planstellen, Preisen und medialer Aufmerksamkeit überschüttet.“
Der
u.a. von Henryk M. Broder, Michael Miersch und Dirk Maxeiner
gepflegte Diskurszusammenhang im deutschsprachigen Bereich wird von
Nürnberger explizit erwähnt und als „Ableger der amerikanischen
Tea-Party-Bewegung” beschrieben. Die für Rechtspopulisten typische
Strategie der semantischen Umkehr (z.B.: der Schwache erscheint als
mächtige Gefahr, der Große wird als vermeintlich gefährdete
Minderheit dargestellt; das Thematisieren von Rassismus und
illiberalen Strategien ist angeblich „demokratiefeindlich“, das
Verbreiten von Ressentiments, Haß und Fehldarstellungen dagegen ein
„Ausdruck von Meinungsfreiheit“ und „Pluralismus“) wird in
diesem neoliberal-rechtslibertären Milieu offenbar gleichermaßen in
Bezug auf Umweltthemen wie auch in Bezug auf Migration, Islamophobie,
Rassismus etc. eingesetzt.
Besonders
auch Bürger für Technik e.V., einer der Kooperationspartner von
Nuklearia, ist mit militantem Verhalten aufgefallen, das dann auch
öffentlich entsprechend kommentiert wurde. Robert
Werner,
ein Greenpeace-Vertreter, beklagte ein Klima der Aggression, das von
BfT-Mitgliedern verbreitet würde. Bei einer Veranstaltung zu
Energiepolitik hätten vier Bft-Mitglieder Vorträge gestört, indem
sie Redner unterbrachen, Plakate von den Wänden rissen und eigene
Flublätter verteilten. Bei den „Piraten“
aus der die Nuklearia hervorgegangen war, scheinen ähnliche
Verhaltensweisen verbreitet gewesen zu sein. So schrieb der Blogger
Caspar Clemens Mierau
(anfangs selbst Pirat), daß Teile der Piratenpartei bewußt zu
diffamierendem, pöbelnden Vorgehen gegenüber von Gegnern und
Kritiker gegriffen hätten, von „Strafanzeigen über
Holocaustvergleiche bis zu körperlichen Auseinandersetzungen” sei
„alles dabei” gewesen. Einen kritischen Text
zu Rainer Klute,
den Mierau verfaßt hatte, kann man heute leider nicht mehr nachlesen
(Mierau hat seinen gesamten Blog „PopcornPiraten“
mittlerweile aus dem Netz genommen, möglicherweise, weil er sein
Projekt als beendet betrachtet hatte, vielleicht aber auch, weil er
stete Angriffe leid war).
Rechtspopulistische
wie z.B. auch „klimaskeptische Kreise“ bedienen sich oft einer
Art „Kampfsprache“, die zur Diskreditierung von Gegnern
eingesetzt wird; dabei werden angsterweckende
Schlagworte
wie etwa das einer uns drohenden „Deindustrialisierung“ verwendet
oder unangemessene
Nazi-Vergleiche
eingesetzt. Gegnern wird nicht nur eine Affinität zu politischem
Totalitarismus, sondern gerne auch ein sektenartiges Denken
nachgesagt. Wissenschaftliche
Erkenntnisse
werden von diesem Umfeld als Art irrationale Glaubenssätze
hingestellt, die tendentiösen und manipulativen Inhalte der eigenen
Lobbyarbeit dagegen als neutrales, fachkundiges, unabhängiges
„Faktenwissen“ ausgegeben. Die eigene schwarz-weiß-Malerei setzt
auf Eskalation und Polarisierung. In der ZEIT
heißt es zu derartigen Strategien: „Öffentliche Meinung
beeinflussen, Verbündete hochjubeln, Gegner stören – das ist der
Dreikampf der Atomfreunde.”
U.a.
wird auch dazu aufgerufen, mißliebige Wikipedia-Artikel zu
verändern, diese
im eigenen Sinne umzugestalten,
über regelrechte „edit wars“ soll die gewünschte Version
erzeugt werden. Mittels eigener Materialien streut man Verzerrung und
Desinformation. (Vorsicht: der folgende Screenshot zeigt lediglich einen Aufruf dazu, einen wikipedia-Artikel zu verändern, daß es im konkreten Falle auch um eine konzertierte Kampagne in Sachen Rechtspopulismus oder Industrielobbyismus gegangen wäre, ist so nicht auszumachen - es handelt sich jedoch hier um das "achgut"- und "Tichy"-Umfeld).
Karl Rannseyer, vermutlich einer der Admins von ScienceSkeptical |
Der deutsche
Klimawissenschaftler und Ozeanograph Stefan
Rahmstorf hatte Ende 2016 auf Parallelen zur
heutigen Diskussion um „Fake News“ und darauf hingewiesen, daß –
trotz aktuellen Geredes um den Anbruch eines „postfaktischen“
Zeitalters – Verzerrung und Verdrehung, eine Flut an
Falschinformationen, gehackte Mails und Verschwörungstheorien „keine
Erfindung der Brexit- und Trump-Wahlkämpfe“ seien. Klimaforschern
seien bereits vor ca. 2 Jahrzehnten mit derartigen Phänomenen
konfrontiert worden. Rahmstorf spricht von einer „langen Liste von
Drohungen und Hassmails“, die an Klimaforscher gerichtet würden,
jüngst auch im Zusammehang mit der Leugnung des Klimawandels durch
die AfD. Er erwähnt insbesondere EIKE und schildert, wie EIKE ihm
einen unangemessenen Vergleich zwischen „Klimaskeptikern“ und
Physikern des Dritten Reiches in den Mund gelegt hatte (der
tatsächlich sein eigener Vergleich von Rahmsdorf mit
Nazi-Wissenschaftlern gewesen war). Ramstorf
schreibt: „Nachdem
mehrere freundliche Aufforderungen, die Falschbehauptung zu
entfernen, keinen Erfolg hatten, mussten wir einen Anwalt einschalten
(und es wurde für den Urheber der üblen Nachrede teuer). Auf der
US-amerikanischen Klimaleugner-Seite Climate
Depot von Mark
Morano kann man aber nach wie vor die Schlagzeile lesen:
„German Warmist Rahmstorf Compares Skeptics’ Science To ‘Aryan
Physics Of The Third Reich’“. Zeit und Kraft für juristische
Gegenwehr im Ausland hatten wir nicht.“
Die
immanente Ungleichheit in den Auseinandersetzungen zwischen
Wissenschaftlern und Lobbyisten wird im ZEIT-Artikel „Die
Klimakrieger“
- anhand des Beispiels des US-amerikanischen Klimaforschers Michael
Mann und seiner Kollegen - wie folgt auf den Punkt gebracht: “Sie
[die Klimaforscher] kontern jeden Vorwurf und sind doch hoffnungslos
unterlegen: Die Wissenschaftler müssen jede Aussage beweisen, ihre
Gegner behaupten, was sie wollen. Die Wissenschaftler sind zu
akademischer Langsamkeit gezwungen, ihre Gegner brauchen nur einen
Internetanschluss. So treibt ein kleiner Trupp von Radikalen die
internationale Wissenschaft in die Defensive, ein von Zeitungen und
Fernsehen aufgepumpter Scheinriese, dessen Helfer sich inzwischen
auch in der staatlichen Justiz finden.”
Letzendlich dürften
die beschriebenen Kreise weniger auf einen sachlichen, nüchternen Diskurs und damit mittelbar auch weniger auf einen
demokratischen, fairen Austausch setzen, als sie vorgeben. Der Bund
benutzt in Bezug auf die Energie-Lobby des
meines Erachtens recht treffenden Terminus'
„Durchsetzungsstrategien“. Wer tatsächlich der Kraft seiner
Argumentation vertraut, muß nicht zu verbaler und physischer
Aggression greifen. Auch Fachwissen und überhaupt wissenschaftliche
Betätigung im eigentlichen Sinne werden von diesen Netzwerken
weniger geschätzt, als sie nach außen hin suggerieren.
Häufig
werden PR-Agenturen
beauftragt, um entsprechende Kampagnen zur Beeinflussung der
öffentlichen Meinung zu führen – es findet damit dann gerade kein
Austausch auf wissenschaftlicher Ebene statt. Gerne jedoch werden
Wissenschaftler anderer Bereiche im Zuge
derartiger PR-Kampagnen eingespannt. So hatte etwa der
Historiker Arnulf Baring
2009 im Auftrag des Atomforums 2009 eine Rede als
vermeintlich „unparteiischer, aber leidenschaftlich engagierter
Bürger“ gehalten, die zumindest in Stücken auf der Vorarbeit
einer PR-Agentur und den ihm zugesteckten Informationen beruhte. Die
gleiche Agentur half auch dabei, Barings Rede anschließend in der
FAZ zu platzieren. In internen Unterlagen sei, so die TAZ, empfohlen
worden, daß die Atomlobby „hochrangige Wissenschaftler
verschiedener Disziplinen sowie anerkannte ‚moralische Instanzen‘
einbinden“ solle.
Im Fachbeirat
von EIKE sind u.a. ein Journalist, ein
Forstwissenschaftler, ein Historiker und ein Elektroingenieur
vertreten. EIKE selbst sagt
laut SZ zu seiner Zusammensetzung, daß man keine Klimaforscher
brauche, weil es keine wissenschaftlichen Beweise dafür gebe, daß
CO2 die Atmosphäre aufheize. Laien
können mit selektiver Verwendung wissenschaftlicher Studien oder mit
dem Auffahren von akademischen Titelträgern, die auf anderen
Fachgebieten als den für die jeweilige Diskusison relevanten
kompetent sind, geblendet und über den Stand der jeweiligen
Fachdebatte hinweggetäuscht werden. Das Nachahmen wissenschaftlicher
Körperschaften und Institute (wie etwa im Falle von „EIKE“) hat
durchaus einen Plausibilitätseffekt,
jedenfalls dann, wenn außenstehenden Betrachter nicht klar ist, daß
ein seriöser Wissenschaftler sich z.B. einem peer
review bzw. fairen Auseinandersetzungen
mit Kollegen stellen müßten, sofern er/sie Gültigkeit für
vorgebrachte Thesen beanspruchen will. Im Zuge der bereits mehrfach
erwähnten Atomlobby-Kampagne von 2008/2009 hatte die Agentur
Deekeling Arndt Advisors herausgearbeitet, daß u.a. „bekannte […]
und überraschende“ Personen das Wort für Atomenergie ergreifen
sollten.
Daß
„Nuklearia“, obwohl laut Eigendarstellung so sehr auf Ratio
bedacht, auch stark über das Evozieren von Bildern und Emotionen vorgehen möchte (also eben nicht nur mit dem viel gepriesenen,
nüchternen Abwägen von Fakten und Argumenten arbeitet) und politische
Botschaften über ein gewisses Lebensgefühl transportieren möchte,
zeigt sich anhand des Wirkens von Nuklearia-Mitglied Fabian Herrmann.
Fabian Herrmann ist tatsächlich Diplom-Physiker und damit jemand
„vom Fach“, betätigt sich aber auch als Autor von Prosatexten
und (bisher) Romanfragmenten, die er auf Nuklearia-Veranstaltungen
vorträgt.
Er ist nicht irgendein Mitglied, das später für ein kulturelles
Rahmenprogramm rekrutiert worden wäre, er hat Nuklearia mitgegründet
und war direkt an
der Konzeptentwicklung beteiligt. Von ihm stammt u.a. auch der
Vereinsname.
Im Internet tritt Herrmann
u.a. als „Atomhoernchen“ (etwa bei Nuklearia) auf, nennt sich
„Transhumanist“
oder auch „Futuristischer
Realträumer“. Sein Twitter-Profil
ziert ein Manga-Bild. Dieser Auftritt möchte wohl auch eine gewisse
Leichtigkeit und Unbeschwertheit vermitteln. Streckenweise wirken Herrmanns Texte allerdings im Bemühen um besonders originelle,
skurrile lexikalische Zusammenstellungen auch etwas verkrampft. Ausschnitte aus seinem bisherigen Werk, die im
Internet erhältlich sind, wirken auf mich nach einem brüchigen,
unruhigen Stilmix aus den rebellischeren, frecheren Elementen von
Science Fiction und (Post-)Cyber-Punk (bzw. Atompunk nannte sich ein
Subgenre aus der Mitte des 20. Jahrhunderts), einem gefälligeren,
Comic-artigen Popkultur-Kitsch und einem leicht ironisierten, eher
biederen,
schwerfälligen Kolonialroman als Vorlage.
Eigenen
Angaben zufolge
arbeitet Fabian Herrmann an einem utopischen Roman oder einer
Romanserie namens „Curiepolis“. Er träumt als Autor von einer
künstlichen Inselgruppe im Pazifik, auf der ein neuer, auf
Forschung, Technologie und Raumfahrt basierender Staat gegründet
würde. Er erwähnt u.a. den amerikanischen Futuristen Zoltan Istvan
und beruft sich auch auf Thomas Pynchon, Arno Schmidt, Alfred Döblin
und Tom Blees „Prescription for the Planet“
(ein proatomares Plädoyer auf über 400 Seiten) als seine Vorbilder.
Die Grundideen scheinen sich doch näher an die Technokratie-Bewegung
des frühen 20. Jahrhunderts anzulehnen (die wiederum
die Larouche-Politsekte wie auch die Zeitgeist-Bewegung beeinflußt
haben soll). Herrmann bietet damit Retrofuturismus. Was an ein zu
politisierendes Publikum gerichtete Überzeugungstechnik, was eigener
Fortschrittsglaube, was spielerische Phantasie, was Eigensatire sein
soll, ist mitunter schwer auszumachen. Kommunistisch-utopische Ideen,
die tatsächlich auch einen gewissen handlungsanleitenden Charakter
haben sollen, finden sich in seinem auf Nuklearia veröffentlichten
Beitrag „Antientrope
Internationale“.
Hier
wird denn auch deutlich, daß Herrmann – im Rahmen seiner Tätigkeit
für Nuklearia – sich bewußt einer Strategie zur
(Wieder-)Aneignung von kultureller Hegemonie bedienen will. In
„Antientrope Internationale“ beschreibt er recht detailliert
seine Strategie: „Um eine umschwungreiche, dauerhafte
Bewegung zu starten, genügt es nicht, hier einen kleinen
Wissenschaftlerzirkel ins Leben zu rufen, der bei Kaffee und Kuchen
über Energiepolitik diskutiert, dort ein paar Flyer zu verteilen.
Vielmehr gilt es, eine „Kernenergie-Kultur“ zu etablieren, das
bedeutet: Einen gemeinsamen Raum von Ideen, Plänen, Ausdrucksformen,
Geschichten, Memen und Konzepten erschaffen, in dem viele Menschen
sich gemeinsam orientieren und organisieren.“ Es sei nicht
möglich, Deutungshoheit zurückzuerobern, „ indem man […]
staubtrocken die technischen Vorteile von Kernreaktoren IV.
Generation herunterbetet oder endlose Diskussionen über Gefahren
verschiedener Energiequellen anzettelt.” Eine
„Kernenergie-Kultur“ dürfe nicht „nur mittesl
wissenschaftlicher Arbeiten und Erörterungen“ vorgehen, sondern
müsse auch „Kultur im wahrsten Sinne des Wortes: Geschichten,
Filme, Theaterstücke, Webcomics, Bilder, Musik...“ erschaffen.
Als
Blogger tritt Fabian Herrmann auch unter dem Pseudonym „Neil
Brainstrong“ auf. In dessen Arbeiten ist besonders das Ziel
erkennbar, daß Kernkraft wieder hipper werden soll. Er selbst
spricht auch von einem „Flauschfaktor“,
den man erhöhen könne. Das Werben um eine Wiederkehr des atomaren
Zeitalters erhält hier eine popkulturelle Verbrämung mit
Retro-Charme:
Popkulturelle Verwurstung: Nuklearenergie soll wieder 'chic' werden |
Auch
weitere Vereinsmitglieder sind sich der Notwendigkeit eines
strategischen Engagements bewußt – will man doch den Ausstieg aus
dem bereits beschlossenen Atomausstieg bewerkstelligen. In einer auf
Rainer
Klutes Webseite
zu findenden Vereinsvorstellung finden sich Hinweise auf
entsprechende Strategiekonzepte. Es werden Schwerpunktthemen und
„Kernaussagen“ (die schon fast wie Diskussionsvorgaben wirken),
recht knapp und präzise benannt; es wird darauf hingewiesen, daß
Diskussionen um anthropogenen Klimawandel unnötig spaltend seien; es
werden Screenshots von Diskussionen in sozialen Netzwerken gezeigt,
die wohl den „Dialogcharakter“ des eigenen Vorgehens illustrieren
sollen. Anna Veronika Wendland hat einen
ganzen Beitrag
der Beschaffenheit erfolgreicher Kommunikation und den nötigen „soft
skills“ gewidmet, gelungene Kommunikation sei ein „wichtiger
Faktor bei der Erringung von Akzeptanz und Diskurshoheit”. “Humor
und Gewitztheit, also Dinge, die bei uns ungern in Verbindung mit
Kerntechnik gebracht werden”,
gehörten mit dazu, so die Osteuropa-Historikerin. Das
Nuklearia-Streben um einen Rückgewinn von gesellschaftlichen Einfluß
fügt sich ein in die weitläufigere Pro-Atom-Bewegung und deren
anvisierte Ziele. So formulierte etwa auch EIKE:
„Wir müssen den Mainstream durchbrechen.“.
Das
Konzept der „kulturellen Hegemonie“ geht auf den italienischen
(Neo-)Marxisten Antonio Gramsci zurück. Er hatte die Überzeugung
entwickelt, daß zur Erringung von politischer Macht zunächst eine
Arbeit im unpolitischen gesellschaftlichen Vorfeld erforderlich sei,
ein Gefühl von Zusammenhalt und gemeinsamen Zielen, Werten und
Normen (bzw. ein „Bewußtsein“), ein entsprechender „kultureller“
Kontext erzeugt werden müsse. Die Neue
Rechte hat dies mittlerweile als Strategie
von der marxistischen Linken kopiert; im Nuklearia-Umfeld dürften
beide, die linke und rechte Version, zusammentreffen und
konvergieren. Daß sich Schnittmengen des Pro-Atom-Diskurses mit den
Positionen und Interessen der islamophoben Rechten ergeben, sollte
auch gerade vor diesem Hintergrund nicht besonders wundern: Man will
das, was man als festgefahrenen „Mainstream“ begreift, mit
diversen Bündnispartnern, die teils unterschiedliche Zielsetzung
haben können, gemeinsam mit anderen "technikfreundlichen Vereinen" knacken. Fabian
Herrmann schreibt:
„Vor allem in Deutschland steht die Kernenergie-Kultur vor einer
immensen Aufgabe. Die antinukleare Bewegung hat es geschafft, bei uns
das Feld der Deutungshoheit nahezu komplett zu erobern.”.
Anna Veronika Wendland,
die auf der Nuklearia Webseite als einen ihrer Schwerpunkte
„nukleares Feuilleton“ angibt, scheint auf besondere Weise zur
Umsetzung dieser Strategien beitragen zu wollen. Bei ihr ist ein
Transfer bzw. eine Zweckentfremdung postkolonialer Ansätze zu
beobachten – eine Vorgehensweise, die ich durchaus originell finde
und so als Strategie bisher kaum beschrieben gesehen habe. Wendland
hatte sich u.a. als Ukraine-Spezialistin auch mit postkolonialen
Studien auseinandergesetzt (offenbar dann mit wenig Bereitschaft
zu Transferleistungen und zu vernetztem Denken in Bezug auf andere
Gebiete an den Peripherien des ehemaligen russischen Großreichs)
bzw. nimmt auf Elemente derselben in diversen Veröffentlichungen
zumindest Bezug.
Den sogenannten
„Postkolonialen Studien“ geht es darum, Machtaspekte in der
Produktion von Wissen (man denke nur etwa an die
„Rassenwissenschaften“, wie sie im 19. Jahrhundert entstanden),
insbesondere solches, wie es von Kolonialregimes erzeugt wurde,
mitzudenken und unser wissenschaftliches Denken sowie unsere
Kulturproduktion von kolonialen Wahrnehmungsweisen und
Kategorisierungen zu befreien bzw. sich der ideologischen Aspekte
(vor-)wissenschaftlicher Weltwahrnehmungsweisen überhaupt bewußt zu werden. Der
„Fremde“ oder der „Andere“ soll nicht mehr nur als Objekte
einer mit Macht ausgestatteten (und mit politischen Interessen
assoziierten) westlich-modernen, ethnozentrischen Wissenschaft beschrieben werden,
letztere soll einer Vielzahl an Stimmen unterschiedlicher Intellektueller weichen. Die Postkolonialen
Studien haben damit ein deutlich subversives Element, beschäftigen
sich mit unterlegenen Perspektiven, ausgeblendeten Stimmen, den
Positionen von Benachteiligten in vorhandenen gesellschaftlichen
Gefügen. Wendland wendet diesen Ansatz auf Atomkraftbefürworter an.
In einem
„achgut“-Artikel
zum Kernkraftwerk von Grohnde verwendet
Wendland das Schlagwort einer „Geschichtsschreibung von oben“.
Anläßlich einer einzelnen lokalen Ausstellung, die das laut
Pressedarstellung
explizit aus Sicht der „Bewegung“ (Anti-Atomkraftbewegung)
erstellt worden ist, postuliert Wendland, daß in Grohnde „eine
ganz unerwartete und nie ernsthaft erfragte und erforschte Geschichte
der kleinen Leute und der Bauern und Bürger, die damals in dem
Kernkraftwerk ihre Zukunft sahen und auch fanden” verborgen liege.
Mit einer Formulierung im Konjunktiv deutet Wendland ein akademisches
Versäumnis, eine
Unterlassungssünde (bzw. auch das Ausgestorbensein nuanciert
vorgehender Kollegen) an: „Ein
solches Narrativ müssten kritische Historiker heute eigentlich als
Geschichte von oben bezeichnen […].“
Wer den achgut-Artikel nicht besonders sorgfältig liest, könnte zum
Schluß gelangen, die Wissenschaftlichkeit, Neutralität und
Redlichkeit der deutschen Historikerzunft als solcher stände auf dem
Spiel.
Assoziativ breitet
sie („Dann wurde das KKW auf die alte Landstraße gebaut [...]“;
„[deren Aktien eine etwas modernere Form von Omas krisenfestem
Sparstrumpf waren“; „Bürgerkraftwerk“; „Gemeinwesen der
kleinen Leute“; „Bauernsöhne und Handwerker,
Schiffsmaschinisten, Elektriker und Kesselfahrer”; ”Technikerinnen,
die sich von ihrem ersten Meister noch anhören mussten, dass Frauen
im Team Unglück brächten”; “eigenhändig in Betrieb gesetzt“;
„Inzwischen kenne ich das Dorf Grohnde, das südöstlich des
Kraftwerks liegt, die Fachwerkhäuser, den Stundenschlag der
Kirchenglocken, den Teich, die Seilfähre, und den neuesten Klatsch
über Freundschaften und Familien, Beerdigungen, Jagden und
Rübensilvester. Und ich kenne das Kraftwerk […].“ ) ein Panorama
heimeliger, kleinbürgerlicher Idylle aus.
Nicht ungeschickt
verbindet Wendland das Partikulare mit dem Allgemeinen, aka die
aktuelle Ausstellung in Hameln, deren Perspektive mit heutigen
Mehrheitsmeinungen übereinstimme, mit ihren eigenen Erfahrungen als
umweltbewegte Jugendliche in linkem Milieu. Sie ruft damit beim Leser
den Eindruck einer durchgehenden Hegemonialität linker und grüner
Diskurse (über die Jahrzehnte hinweg) hervor. Daß zu einem
Zeitpunkt, zu dem Atomkraft noch von führenden Parteien und
Wirtschaftsvertretern in Deutschland gestützt wurde, die „kleinen
Leute“, die Atomkraft befürworteten, aufgrund ihres Eintretens für
Nuklearenergie nicht gehört oder übersehen worden (es haben sich ja
etwa auch viele Gewerkschaftle für die deutsche Nuklearindustrie
ausgesprochen) wären und schon damals einem hegemonialen
„Anti-Atom-Diskurs“ zum Opfer gefallen wäre, wage ich aber zu
bezweifeln bzw. dies müßte dann entsprechend untersucht werden.
Will aber Wendland dies überhaupt?
Daß ein
wesentlicher Unterschied besteht zwischen der Kritik an einer
Ausstellung, die sich offen eine bestimmte Richtung gibt (selbst
keine Rundum-Perspektive bieten möchte), und dem Konstatieren, daß
bestimmte Stimmen generell, schon seit Jahrzehnten vernachlässigt
worden seien, geht im Wortreichtum von Wendlands Artikels unter.
Ebenso der Unterschied zwischen geschichtswissenschaftlichen
Diskursen und einem lokalen Projekt, das
von sich selbst sagt, „keinen historischen
oder sozialwissenschaftlichen Ansatz, der die Ereignisse aus der
Distanz einordnet und bewertet”, verfolgen zu wollen. Mein Eindruck ist: Die Grohnde-Ausstellung in Hameln wird als Aufhänger genommen, um ein eigenes Narrativ zu verbreiten.
Des öfteren präsentiert
Anna Veronika Wendland auch ihre eigenen, gewandelten Einstellung zu
Kernkraftwerk als Zeichen von Weltläufigkeit und der Fähigkeit zu
inter-kulturellen Perspektivwechseln. So schreibt sie etwa auf
Nuklearia in ihrer Selbstvorstellung
(u.a.):
„Da ich viel im
Ausland bin, sehe ich, wie sehr sich dort die Haltung zur Kernenergie
von der in Deutschland unterscheidet. In vielen Ländern nimmt man
Kernenergie weniger als Problem denn als Lösung unserer drängendsten
Zukunftsaufgaben wahr – nicht in einem Nullsummenspiel gegen
Regenerative, sondern als komplementäre Lösung.”.
Bedenken gegenüber
der Sicherheit von Atomkraftwerken werden als Ausdruck von
Ethnozentrismus und Nationalismus gewertet, während
Kernkraftbefürwortung in Wendlands Darstellungsweisen einen
internationalen, kosmopolitischen Touch erhält. In “Wie
sicher sind Tihange 2 und Doel 3?“ geht
Wendland auf eine vermeintlich„deutsche Debatte“ ein, die
nationalistisch eingefärbt sei (Beispiele für entsprechende
„Untertöne“ nennt sie nicht), sie wirft der deutschen
Öffentlichkeit eine „systematische Delegitimierung belgischer und
internationaler Expertise” vor und deutet an, in dieser Debatte
käme auch mangelnder Respekt vor „europäische[n] Rechtsnormen“
(ebenfalls ohne Begründung bzw. nähere Ausführung) zum Ausdruck.
Ein Interview mit
Anna Veronika Wendland im Online-Magazin
der Leibniz-Gesellschaft stellt auf ähnliche Weise – wenn auch in
differenzierterer, verhaltenerer Form – deutsche Verhältnisse
(„nur die Katastrophen im Kopf“) dem Umgang mit Atomkraft als
„transnationale[r] Technologie“ in anderen Ländern gegenüber.
Selbst den Reaktorunfall von Tschernobyl beschreibt sie als Art
multikulturelle Horizonteröffnung: „Tschernobyl
war für mich ein prägendes Ereignis. Die Katastrophe 1986 hat meine
Wahrnehmung stark nach Osteuropa verschoben. Ich habe angefangen
russisch zu lernen, habe osteuropäische Geschichte studiert. Dann
bin ich für ein Austauschjahr nach Kiew gegangen. Dort habe ich
Menschen kennengelernt, die ganz anders über Atomkraft dachten als
wir linken Studenten aus Deutschland. Die passten nicht ins Bild, da
hat bei mir etwas „klick“ gemacht. Außerdem habe ich mich
seitdem viel mit den technischen und naturwissenschaftlichen Aspekten
von Kernenergie beschäftigt.” Rainer
Klute wählt mit seinem in Japan weilenden Sohn, über dessen Nähe
zu Fukushima seine neuere Auseinandersetzung mit Kernenergie
angestoßen worden sei, eine ähnliche Darstellungsweise.
Aus Wendlands Vortrag: "Das Leben der Anderen" |
Im Rahmen eines eigenen
Vortrags auf dem gemeinsamen Treffen
„technikfreundlicher Vereine“ im Herbst 2016 erzählt Wendland,
die Position der Osteuropäer sei, daß Deutschland sich (in Form
seines energiepolitischen Alleingang) als „Ökoimperialist“
gebärde. Auf typisch postkoloniale Manier greift sie den Topos von
der „Rückständigkeit“ der Osteuropäer an, dagegen wird das
Bild von russischer Kerntechnik als Zukunktsindustrie gesetzt.
Osteuropa sei versorgungssicher und gehe pragmatisch vor. Wendland
sieht Russland wohl als eine Art Modell, es sei als „kerntechnische
Leitkultur sehr wichtig für uns“. Rosatom etwa setze auch Geld
ein, um mit leichter, pfiffiger, leicht selbstironischer Art die
Bevölkerung über Kerntechnik zu informieren. In Deutschland habe
man sich dagegen ins Schneckenhaus zurückgezogen, dies sei ein
fundamentaler Fehler der deutschen Kernindustrie gewesen und deswegen
hätte man sich auch so leicht die Diskurshegemonie aus den Händen
nehmen lassen. Wendland scheint sich im Kopieren der leichten,
russichen Weise des „Informierens“ über Kernenergie auch selbst
zu versuchen: Mit der Facebook-Gruppe „Atommafia“
in der sie selbst und Rainer Klute Administratoren sind.
Die Osteuropahistorikerin
scheint sich zu bemühen, Kernkraft einen widerständigen,
antihegemonialen, linksdemokratischen Anstrich zu geben (darin stimmt sie auch partiell mit den Bemühungen Fabian Herrmanns überein, siehe hierzu mehr im nächsten Abschnitt). Wendland ahmt
entsprechende (historische) Diskurse nach, knüft rhetorisch an die 68er Bewegung an. Sie behauptet, man habe
es aktuell mit einem „Scheinkonsens“ zu tun, es gäbe zwar
„stille Dissidenten der etablierten Parteien“, diese wären
allerdings durch die „Diskurshegemonie der Abwickler“ verdrängt
worden. Man sei nun auf außerparlamentarische Foren wie „Tichys
Einblick“ oder die „Achse des Guten“ angewiesen. Auf einem
Slide kürzt sie diese als „neo-APO-Nischen“ ab.
Zudem bemängelt
Wendland eine „totale Geschichtsvergessenheit der
Kernenergiegegner“. Sie meint damit aber gerade nicht den Umgang
mit der Zeit vor 1945, Geschichtsrevisionismus und
Völkermordleugnung, die in ihrem eigenen journalistischen Umfeld
mitunter auf problematische Weise angegangen werden, sie meint nicht
das dort gegebene neurechte Vertauschen von demokratischen und
faschistoiden Bestrebungen, sondern die (u.a. museale) Erinnerung an
Atomenergie als Element einer Kultur der Moderne. Sie will beobachtet
haben, daß heutige Gegner von Atokraft die „Geschichte [der AKWs]
ungeschehen machen“ wollten. Im gleichen Zuge beklagt sie
„moralische Rigorosität“ - ein Schelm, wer denkt, was sie damit
gemeint haben könnte. Auch
hier findet also in gewissen Maße semantische Umkehr statt.
Der Wendland-Vortrag trug
den mehrdeutigen Titel „Das Leben der Anderen“. Die Usurpation
bzw. Adaptation „linker“ Ansätze, Symboliken und Strategien
durch entweder die gesellschaftliche Mitte oder den
gegenüberliegenden (benachbarten) Rand ist alledings kein neues
Phänomen – es wundert nur etwas die konkrete Form.
Wendlands
Nuklearia-Auftritte harmonisieren jedoch gut mit der Strategie deutscher
Pro-Kernkraft-Lobbyisten, die die menschlichen Geschichten hinter den
großen, anonym wirkenden Konzernen in den Vorgergrund holen möchten, um die allgemeine Akzeptanz wieder zu erhöhen.
Bereits eine 2008/2009 entwickelte
Kommunikationsstrategie des Atomforums hatte als wesentliche
Erkenntnis beinhaltet, daß man neue Geschichte erzählen müsse –
d.h. um negative Assoziationen mit Nuklearenergie zu überschreiben.
Man brauche neue Wörter, neue Parolen, neue Helden.
Laut TAZ, die
die Beauftragung einer
Kommunikationsagentur durch das Atomforum aufgedeckt hatte, lautete eine der
Empfehlungen, „den sozialen Aspekt stärker [zu] pointieren“. Man
wollte vor allem Frauen, Wissenschaftler und „die junge Avantgarde“
erreichen. Die damaligen Medienkampagnen versuchten, Atomtechnologie
in entsprechend „personalisierte“ Kontexte zu stellen, u.a. mit
Homestories zu Mitarbeitern von Kernkraftwerken. Wendland fokussiert
in verschiedenen Beiträgen auf 'die kleinen Leute' und vermeintlich
unterdrückte, verlorengegangene Stimmen. Auch mit ihrer linken
politischen Vergangenheit sowie als technikaffine Frau paßt
Wendland als 'überraschende Person' gut zum beschriebenen
Pro-Atomkraft-Diskurs. Die Osteuropa-Historikerin dürfte mit ihrem
persönlichen Profil auf jeden Fall ein wertvoller Zugewinn für den
Verein „Nuklearia“ sein.
3. Gutes Klima mit der
AfD - Rechtspopulistische Netzwerke mit gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit
als Beipackware
Ursprünglich
hatte Nuklearia wohl die Zusammenarbeit mit verschiedenen Parteien
anvisiert. So wurde bei der Vereinsgründung
vorgeschlagen:
„Zusätzlich
könnten in verschiedenen Parteien eigene Nuklearia-Arbeitsgruppen
entstehen, die sich unter den Gesichtspunkten des jeweiligen
politischen Konzepts mit dem Thema beschäftigen. In der FDP könnte
dies relativ leicht sein, in anderen Parteien deutlich schwieriger.
Mir persönlich wäre z. B. daran gelegen, in der Linken Interesse
daran zu wecken – ein schwieriges Projekt, denn innerhalb des
linken Spektrums in Deutschland sind ökologistische Reflexe tief
verankert, was ich schade finde, denn meinen Überlegungen zufolge
könnten hochkonzentrierte Energiequellen gerade für
die Ziele von Sozialisten und linke Sozialdemokraten interessant sein
[link entfernt].“
Besonders
der weiter oben erwähnte Beitrag „Antientrope
Internationale“
setzt sich mit der Frage nach parteienpolitischen Anbindungen
auseinander. Es heißt zunächst bei Herrmann: “Welche
politische Partei sich in Deutschland für antientrope Konzepte
einsetzen wird – Piraten, Linke, Grüne, FDP, SPD… – das ist
primär egal: Denn schließlich kommt es (fast) nicht darauf an, wer
sich für ein bestimmtes Ziel stark macht, sofern es ein gutes Ziel
ist. Dennoch, oder eher gerade deswegen, macht die AEI
parteispezifische Arbeitsgruppen wie die AG Nuklearia keinesfalls
überflüssig. Es ist wichtig, dass sich auch Leute in bestimmten
politischen Kontexten für Kernenergie und verwandte Themengebiete
einsetzen, denn einerseits lässt sich so anschaulich zeigen, wie
intim die Ziele der progressiven politischen Gruppierungen mit
antientropen Technologien verknüpft sind, andererseits sind
Parteiarbeitsgruppen dazu gut geeignet, Konzepte bekannt zu machen
und in die politische Diskussion zu bringen.”
Daraufhin folgen explizit
Überlegungen, wie sich auch ein linkes Spektrum gewinnen ließe:
“Vielmehr gilt es, denen, die sich mit „linken Zielen“
identifizieren, klarzumachen, dass die Kernenergie für diese Ziele
ein wichtiges, höchstwahrscheinlich unverzichtbares Werkzeug ist!“
Sowie: „Dies alles zeigt, dass die politische Linke – oder, was
vielleicht treffender ist: die progressive, moderne Kultur – auf
Nutzung der Kernenergie in Zukunft angewiesen sein wird, und die
Zukunft beginnt jetzt in diesem Augenblick, denn wie schon gesagt,
Klimawandel, Energieknappheit, Armut dulden kein Zögern. Hier gilt
es für die Kernenergie-Kultur anzusetzen.“
Tatsächlich
kann Nuklearia mit dem eigenen Anliegen momentan bisher vor allem bei
der AfD punkten. Im aktuellen AfD-Wahlprogramm
wird unter der Überschrift „Schluss mit der
Technologiefeindlichkeit: Energie und Klima“ ein anthropogener
Klimawandel als „wissenschaftlich nicht gesichert“ angezweifelt,
man führt aus, daß man das „Projekt der Dekarbonisierung“
aufheben wolle und will die ersatzlose Aufhebung des EEG fordern.
Bestehende Atomkraftwerke sollten nicht vor Ende ihrer Nutzungsdauer
vom Netz genommen werden. In der AfD hatten sich auch schon früh
Klimawandelleugner eingefunden. Angesichts der personellen
Zusammensetzung ihres Energieausschusses war sie auch
als„Sammelbecken der
Klimaskeptiker“ bezeichnet worden. Im vergangenen und besonders
in diesem Jahr haben sich nun die atomfreundlichen und
klimaskeptischen Strömungen in der „Alternative“-Partei
durchgesetzt und sind offizielle Linie geworden.
Ein interessantes neues Phänomen |
Auf
dem Vereinstreffen von Oktober 2016 nennt die Historikerin Anna
Veronika Wendland die Afd ein „interessantes neues Phänomen“.
Angesichts einer großen
Anti-Atomkoalition, die quer durch alle Parteien ginge, sei die AfD
„die einzige Partei [...], die noch ein, sagen wir mal vorsichtig,
positives Kernenergieprogramm in ihrem Wahlprogramm hat. Was ja
interessant ist, weil in der AfD sind relativ viel widerstreitende
Kräfte. […] Aber das ist praktisch eine Aussage“. Auch erwähnt
Wendland in diesem Zusammenhang, dem ersten Eindruck nach völlig
wertfrei, daß diese Partei nun „an Umdrehungen“ aufnehme.
Für
die Jahrestagung
2015 von
Nuklearia, die in Chemnitz gemeinsam mit weiteren Vereinen wie der
KTG (Fachgruppe „Nutzen der Kerntechnik“) und Bürger für
Technik e.V. stattfand, waren Vertreter unterschiedlicher Parteien
eingeladen gewesen. Genauere Berichte zur Veranstaltung findet man
etwa bei Bürger für Technik e.V. und dem CDU-Politiker (er ist
Mitglied des Europäischen Parlaments) Elmar
Brok. Brok
schreibt, daß von den „angefragten Parteien“ Vertreter der CDU,
der FDP und der AfD gekommen seien. Bürger
für Technik
berichtet dagegen, nur Vertreter der CDU und AfD wären anwesend
gewesen. In der detaillierteren Beschreibung der einzelnen
Programmpunkte taucht für den 6.11.2015 abends ein Beitrag von
„Dipl-Ing. Burkard Reimer,
AfD Berlin und Mitautor des „Energiepolitischen Manifestes“
(Veröffentlichung gemeinsam mit Dr. Günter Keil/ AGEU und Dipl-Ing.
Michael Limburg/ EIKE)” auf.
Frauke Petry, die AfD-Vorsitzende, habe leider aus aktuellem Anlaß
absagen müssen.
Ein
Jahr später, im Herbst 2016, war es dann offenbar (laut Programm)
nur noch die AfD, die zum gemeinsamen Vereinstreffen mit Nuklearia
kam. Aus AfD-Reihen war auf der Jahrestagung Klaus Peter Krause
anwesend. Krause ist ehemaliger FAZ-Wirtschaftsredakteur und sitzt im
Fachausschuß Energiepolitik
der AfD. Im rechtslibertären Magazin „eigentümlich frei“
veröffentlicht er z.B. Artikel zum Untergang
Roms und heutigen Parallelen hierzu aufgrund der „neue[n]
Völkerwanderung“ in die EU. Laut einer Wortmeldung
Krauses auf dem Vereintreffen habe er selbst zusammen mit Beatrix
von Storch auch am Grundsatzprogramm der Partei mitgewirkt. Die
(neu-)rechten Netzwerkverbindungen und AfD-Kontakte von weiteren am Jahrestreffen
beteiligten Vereinen werde ich hier im Folgenden ein wenig
aufzudröseln suchen.
Beginnen
wir allerdings mit EIKE, das nicht offiziell am Vereinstreffen von
2016 beteiligt war, aber von den Veranstaltern zu den zu
vernetzenden Vereinen mit gleichen Interessen hinzugerechnet
wurde. Eike weist einige personelle Überschneidungen mit der AfD
auf. Leider bietet die Webseite von EIKE keine Übersicht über die
Vereinsfunktionen und lediglich eine vermutlich unvollständige
Fachbeiratsliste, so daß die folgenden personellen Informationen
eventuell zu aktualisieren wären. Laut Auflistung
bei wikipedia ist EIKE-Vizepräsident Michael Limburg Mitglied
bei der AfD und in deren Bundesfachausschuß zu Energiepolitik
vertreten; Günter Keil und Burkard Reimer, die bei EIKE
veröffentlichten, seien ebenfalls Mitglied bei der AfD. Zudem
tauchten einige weitere EIKE-Beitragesteller auch auf dem AfD-nahen
Storch-Blog „Freie Welt“ auf.
EIKE-Vize Michael Limburg in Waldeck |
Die
Verabschiedung des Grundsatzprogrammes von 2016 war von
Michael Limburg auf EIKE
aufgrund seiner energiepolitischen Richtlinien gefeiert worden: „Die
AfD beschließt mit kluger Begündung u.a. die Bekämpfung der
verheerenden Klima- und Energiepolitik Sie will die Kernkraftwerke
solange weiter laufen lassen, bis preiswerter Ersatz bereit steht.
Sie beschließt dem gesunden Menschenverstand zu folgen und nicht
Naturgesetze brechen zu wollen. Die Altparteien und die Medien
verfallen in Schnappatmung ob dieser Sakrilege.“
Das
sogenannte „Energiepolitische
Manifest“,
das Anfang 2014 auf EIKE veröffentlicht wurde, war in Zusammenarbeit
von Günter Keil, Burkard Reimer und Michael Limburg erstellt worden.
Im Vorspann heißt es zu den Autoren:
„Die Autoren wirken in einer Gruppe von Fachleuten
mit, die Bewertungen und Vorschlge zur Energiepolitik für
die Partei „Alternative für
Deutschland“ (AfD) erarbeitet. Es handelt sich dabei um den
Bundesfachausschuss Energiepolitik (BFAE) der AfD. Der Inhalt des
vorliegenden Papiers ist zum Teil in die Programm-Arbeit der AfD
eingeflossen, es gibt jedoch ausschlielich die Meinung der Autoren
wieder und ist kein Programm-Papier der AfD.”
Hierin dürfte die enge
Verzahung von EIKE mit der Energiepolitik der AfD besonders klar zum
Ausdruck kommen.
"Energiepolitisches Manifest" auf der Webseite von Eike |
Kommen wir nun zu
manchen der übrigen „technikfreundlichen Vereine“ und deren
(neu-)rechten Anbindungen bzw. zum politischen Mikrokosmos der
klimaspektischen und atomkraftfreundlichen Netzwerke in Deutschland.
Fortschritt
in Freiheit e.V. verweist auf seiner Webseite unter „Allgemeines“
sowohl auf die FDP
NRW
als auch auf die AfD
NRW.
Über eine etwaige Parteimitgliedschaft von Hannelore Thomas, der
Vorsitzenden des Vereins, scheint öffentlich nichs bekannt zu sein.
Allerdings dürfte sie sich als Person ebenfalls im rechtslibertären
Feld zwischen FDP und AfD (und CDU) bewegen – sie selbst äußert
sich durchaus rechtsaffin. Unter ihren Facebook-Likes finden sich
u.a. Gender-mich-nicht.de, Dr. Rainer Podeswa MdL, Bibliothek des
Konservatismus, die FDP, Marcus Pretzell, Milo Yiannopoulos,
Breitbart, Roland Baader, HC Strache, „Islamfakten“, UKIP,
AfD-Orts- und Kreisvereine. Mitglied ist sie in Facebook-Gruppen wie
„Anti Islamische Allianz Abendland AiAA“, „Merkel-muss-weg!“,
„Follow Jesus TV“, „Klimasozialismus“, „Bürgerwehr
Hannover“ und „Hayek-Club Ruhrgebiet“.
AGEU
(„AG Energie und Umwelt – Die Realisten“) verlinkt auf u.a.
EIKE, Bürger für Technik, Science Skeptical, Fortschritt in
Freiheit, ein 'impfkritisches', verschwörungstheoretisches,
esoterisches Online-Magazin namens „Frieda“ (die Redakteurin gibt
an, mit
Rainer Six von AGEU befreundet zu sein)
und auch auf eine Seite namens „Prima Klima“. Der Link für
„Prima Klima“ führt zu www.schmanck.de
- übertitelt mit: „Herzlich Willkommen im Prima Klima!“. Der
Betreiber
der Seite, Burghard
Schmanck,
war lange Zeit Mitglied der rechten Partei Die Republikaner (REP)
gewesen und fungierte zeitweilig sogar als deren Landesvorsitzender
in Nordrhein-Westfalen. In der ZEIT wurde Schmanck in den 1990ern
unter der Schlagzeile „Radikal
christlich“
beschrieben. Rainer Six, Redakteur
von AGEU, weitere AGEU-Mitglieder und Burghard Schmanck verbindet –
laut AGEU-Webseite – u.a. die Arbeit am sogenannten „Klimamanifest
von Heiligenroth“
(eine Kontrolle zeigt: in dessen Unterstützer-Liste
finden sich die Namen sowohl Schmancks als auch Six'). AGEU selbst
ist offenbar
besonders wichtig,
daß ein Kardinal dem Papst in Sachen Klimawandel widerspricht und
die Schädlichkeit von Co2-Emissionen für die Atmosphäre
bezweifelt.
Auf
der Webseite von AGEU taucht
des weiteren ein
Dr.
Günter Keil
als Autor
auf, der früher für die FDP tätig war und dann in die AfD
wechselte, zeitweilig
sogar der Sprecher von deren Arbeitsgruppe für Energiepolitik war.
Günter Keil schreibt ebenfalls für Novo
Argumente.
Rainer Six für seinen Teil „mag“
auf facebook sowohl diverse FDP-Verbände, als auch EIKE, Bernd
Lucke, Frank Schäffler, Beatrix von Storch, Frauke Petry und die
„AfD Thüringen“.Six veröffentlichte
im März 2017 zusammen mit Andrea
Andromidas
(Mitglied in einem Landesvorstand von BÜSO – einem Ableger der
Larouche-Politsekte) einen Artikel zu „Deutschlands
Chance zur Erschließung neuer Wirtschaftsmärkte in Asien und bei
der Integration Europas in die Neue Seidenstrasse“.
Die
„Nationale Anti-EEG-Bewegung“ (naeb) ist, wie bereits erwähnt,
mit Prof. Dr. Hans-Günter Appel und Dr. Klaus Peter Krause
als Gründungsmitgliedern
ohnehin
als AfD-nah zu werten. Mit Bernd
Lucke
hat naeb bereits 2013 ein Interview zu Energiefragen geführt. Der
Vereinsvorsitzendeorsitzende Heinrich
Duepmann
tritt
auf
AfD-Veranstaltungen
als
Referent
auf:
naeb/ Heinrich Duepmann |
Bürger
für Technik e.V. sammelt in seinen Kurzinfos
Informationen
zur energiepolitischen Entwicklung der AfD, offeriert auf seiner
Webseite aber z.B. auch reihenweise Leserbriefe eines Dr. rer. nat.
Hans Penner, in denen es nur teilweise bzw. auch
gar nicht
um Energiepolitik geht. Letzteres ist etwa der Fall bei einem Brief
an Heinrich Bedford-Strohm,
in dem Penner der Evangelischen Kirche vorwirft, dem Antichristen zu
dienen – sie tritt ihm zu islamfreundlich auf.
Von
Penner ist mitunter
auch
(ebenfalls auf den Seiten der BfT) zu lesen, daß
die AfD „die einzige Partei, die im Gegensatz
zu Ihnen [gemeint
ist die Adressatin des Briefs, Angela Merkel] westliche
Werte und den demokratischen Rechtsstaat gegen die
grausame Diktatur des Islam verteidigt”, sei.
Bundeskanzlerin Merkel wird von ihm in einem 9-Punkte-Schreiben
über den Grundcharakter des Islam belehrt (ähnlich auch hier).
In einem weiteren Brief an Merkel wird behauptet, daß diese
gemeinsam mit Böhmermann und Erdogan auf die „Abschaffung
Deutschlands“ hinarbeiten würde.
Derartige „Briefe“
Penners werden auch von
Politically
Incorrect
und dem ähnlich islamophoben Blog „Michael
Mannheimer“
veröffentlicht.
Dem Naturwissenschaftler, für den die EKD
einen Abfall vom wahren Glauben darstelltt
und dem der „Theologische Historismus“ bei der Bibelauslegung
sauer
aufstößt,
ist anscheinend auch ein Bernd Lucke noch
zu soft.
Ein besonders interessantes und hier bedeutsames Detail: Von CFACT
wird Hans Penner als „Berater“ („advisor“) bezeichnet, er
steht also mit der europäischen Klimawandelleugner-Lobby in
Verbindung. An anderer Stelle wird angegeben
(vielleicht auch durch ihn selbst), daß Penner sogar Mitglied im
Kuratorium von CFACT sei.
Die
drei Organisationen Nuklearia e.V., AGEU und Fortschritt in Freiheit
e.V. waren am 16.12.2016 zu einem „Energiepolitischen
Gespräch“
geladen – in den Büroräumen der AfD in Bochum. Von AfD-Seite
verantwortlich gewesen waren Dr. Christian Blex, Sprecher des
Kreisverbandes Warendorf, und Christian Loose, der
Wirtschaftspolitische Sprecher der AfD NRW. Für Nuklearia war Rainer
Klute anwesend. Die verschiedenen Vereinsvertreter hätten es
begrüßt, „dass die AfD
bereit ist, ein sachliches Gespräch über die aktuelle
Energiepolitik zu führen”. Die AfD habe ihr
Interesse an einer „ideologiefreie[n] Forschungsförderung“
dargelegt. Ziel
des Treffens sei, so Fortschritt
in Freiheit e.V., gewesen, „auszuloten,
wo Gemeinsamkeiten bestehen, die von der AfD vertreten werden,
bzw. mit den jeweiligen Positionen der Vereine im Einklang stehen”.
Besondere
Berühurungsängste hat man bei Nuklearia also wohl auch dann nicht,
wenn es sich um direkte, formale Treffen handelt. Aufgrund der
AfD-Lastigkeit der atomfreundlichen, klimaspektischen Netzwerke ist
denn wohl auch nichts geworden aus der ursprüngliche
Intention
des eher linsklastigen Nuklearia-Mitglieds Fabian Herrmann, „die
leidige Verquickung der deutschen Pro-Atom-Szene mit
Klimawandelleugnern und konservativen oder sogar reaktionären
Bewegungen wie der AfD, dem Politically-Incorrect-Forum, der BüSo
u.v.a. zu erwähnen [...]“. Herrmann hat allerdings auch im
gleichen Atemzuge eine Erklärung parat für die Auslassungen von
Kritik und Distanzierungen, es scheine sich bei den
rechtspopulistischen Verflechtungen„um eine lokale politische
Besonderheit in Deutschland zu handeln“.
Diese
Einschätzung ist aber definitiv nicht realitätsnah, so ist etwa in
der Süddeutschen
Zeitung
nachzulesen, daß viele Mitglieder des rechtslibertären
Heartland-Institus (ein Hort für amerikanische Klimaspektiker) am
rechtskonservativen britischen „International Policy Network“
beteiligt seien und auch Veindungen zum rechtskonservativen Think
Tank „Bruges Group“ hätten, der wiederum „enge Verbindungen
zur rechtsradikalen British National Party“ [link entfernt]
unterhalte. Axel
Mayer vom Bund
sieht gerade bei EIKE deutliche Parallelen zur Argumentation der, wie
er es beschreibt, „reaktionären, brutalliberalen amerikanischen
Tea Party- Bewegung“. Außerdem könnte auch Nuklearia zu Ohren
gekommen sein, daß sich beispielsweise im Fachbeirat
des deutschen EIKE
ein gewisser Lord Christopher Monckton befindet, der gleichzeitig
britischer UKIP-Politiker ist und u.a. für
seine homophoben Ausfälle,
Segregierungsvorschläge
für HIV-Infizierte
und auch seine Unterstützung
für die rechtsextreme Partei
eines australischen evangelikalen Pastors bekannt ist.
In
Deutschland ergeben sich entsprechende Allianzen mit rechten Kräften
sicher auch aus pragmatischem Taktieren heraus, rühren etwa die
häufigen Kontakte deutscher Atomkraftbefürworter und Klimaskeptiker
mit der AfD (die hier nicht erschöpfend, sondern beispielhaft
behandelt werden sollten) aus der energiepolitischen Ausrichtung
dieser Partei – jedoch gehen die Gemeinsamkeiten und inhaltlichen
Überschneidungen über bloße strategische Bündnisse im Bereich der
Energiepolitik hinaus. Neurechte Anklänge (für feinere Ohren) bzw.
querfrontige Tendenzen finden sich bei Nuklearia z.B. auch bereits in
der Selbstbeschreibung von Anna Veronika Wendland, die sich dort
als „ als
Querdenkerin, die auch im polemischen Fach zu Hause ist und ein
Faible für Satire hat“ vorstellt
und ein „prinzipielles
Unbehagen an Meinungskartellen, Diskussionstabus, und vorgeblicher
Alternativlosigkeit im Namen einer besseren Welt“ als
charakterisch für sich herausstellt.
Eckehard
Göring, Mitglied von Bürger für Technik e.V. und Sprecher der
Fachgruppe „Nutzen der Kerntechnik“ der KTG, merkte auf
der gemeinsamen Jahrestagung 2016
im Rahmen seiner strategischen Überlegungen sogar an, man müsse
sich besser gegen Anfeindungen oder Beeinflussung durch die
„Mainstreampresse“ wappnen ( der Begriff „Lügenpresse“ sei
ihm zu platt) und nannte als (seiner Meinung nach wohl gelungene)
Beispiele für medienkritische Analysen die Kabarettsendung „Die
Anstalt“ und Dirk Müller alias Mr. Dax, den man doch vielleicht
mal anschreiben könne.
Die
seltsamen
Verquickungen von Atomkrafbefürwortung/Industrielobbyismus und
Islamophobie/neurechtem Denken schlagen sich nicht nur in personellen
Überschneidnungen und Einzelveranstaltungen nieder, sie setzen sich
auch über die entsprechenden Medienplattformen fort. Bereits in
meinem ersten Blogpost zu Anna Veronika Wendland
war von Henryk M. Broders „achgut“ und dem technik- und
industrielobbyfreundlichen Novo Argumente die Rede gewesen. Beide
sind bekannt für ihre islamophoben Positionen, bieten aber auch
regelmäßig Raum für z.B. Atomkraftbefürworter, Klimaskeptiker und
Gentechnikfans. Eine weitere, ähnlich geartete und mit „achgut“
verbundene Publikationsplattform ist „Tichys Einblick“.
Konkret
fand ein Einfließen der benannten industriefreundlichen Positionen
in „achgut“ und „Novo Argumente“ über das Autorenduo
Dirk Maxeiner/Michael Miersch
statt. Der BUND sieht auch bei „achgut“ eine Kombination von
umweltfeindlichen und staatskritisch-neoliberalen Ansichten, wie sie
für die US-amerikanische Tea Party-Bewegung typisch wäre. Wie und
warum redaktionelle Entscheidungen zu derartigen Ausrichtungen
getroffen werden und warum es bei uns neurechte Positionen oftmals im
Doppelpack mit Industrielobbyismus aka Atomkraftbefürwortung und
Klimaskepsis gibt, wäre noch näher zu ergründen (sofern die
entsprechenden Quellen und Dokumente wie auch Finanzierungssströme
überhaupt zugänglich sind). Islamophobie scheint für sich genommen
schon eine
recht profitable „journalistische“ Betätigung
zu sein. Trotzdem wäre weiterhin die Frage zu stellen, ob auch
Industriekreise bewußt in solche „Geschäftszweige“ investieren.
Der
Publizist Christoph Giesa hatte sich mit den Zusammenhängen zwischen
Sachanlegerbranche und rechtspopulistischer Stimmungsschürerei
inklusive des Ausmalen düsterer Schreckenszenarien beschäftigen
wollen, kam damit aber letztendlich über einen längeren Zeitraum
hinweg nicht
medial durch . (Giesa wirft seiner Co-Autorin, die gleichzeitig
in einer Anwaltskanzlei arbeitete, vor, aus Rücksicht auf die Kunden
der Kanzlei im Nachhinein wesentliche Teile des Buches gestrichen und
Textpassagen mit Namensnennungen verfremdet zu haben. Mir ist bewußt,
daß in dem Bednarz-Giesa-Streit beide Seiten anzuhören sind und daß
man auch journalistische Machtspiele und Rivalitäten einkalkulieren
muß. Die Schilderung der Art des „Wegfalls“ des entsprechenden
Giesa-Kapitel swirkt auf mich jedoch plausibel).
Den Ausgangspunkt
für Giesas Beschäftigung mit Rechtspopulisten hatte die Vermutung
gebildet, daß Edelmetallhändler von der Angst, die die Neue Rechte
verbreite, profitierten (da das Gefühl allgemeiner Unsicherheit zu
Investitionen in „Festgeld“ verleiten könne). Giesas
ursprüngliches Interesse war, den „Crash-Propheten“, deren
Eigeninteressen und den Spuren des Geldes beim Säen von Haß
nachzugehen. Giesa, und mit ihm zunächst Bednarz (vor dem
Zusammenstreichen des entsprechenden Buchkapitels) hatten von einer
Art „Grundpanik“, die die Anlagebereitschaft erhöhe, gesprochen.
Ich
kann mögliche derartige Verbindungen und ihnen evtl. zugrunde
liegende Motivationen hier nicht weiter klären, dies zu erforschen,
wäre aber sicher interessant. Zusätzlich, als Erklärungsansatz für
die beschriebenen merkwürdigen Themenkombinationen in rechtspopulistischen Medienkreisen, in Betracht zu ziehen wäre, daß
auch „politische Unternehmer“ wie etwa die SVP-Repräsentanten
Roger Köppel und Christoph Blocher gezielt
in den Medienbereich investieren, um über diese einen für sie
positiven Meinungsumschwung zu bewirken. Axel Mayer vom BUND bemerkt,
daß das Autorenduo Miersch/Maxeiner auch in engerer Beziehung zur
Weltwoche stehe und dort des öfteren ebenfalls Artikel
veröffentliche.
Daneben bleibt jedoch eine weitere, bittere Wahrheit stehen: Es
finden sich bei „achgut“, „Novo Argumente“, „Tichys
Einblick“ und der AfD-nahen „Freien Welt“ Publikationen
zusammen, die nicht seriös sind, deren Inhalte und Behauptungen
oftmals non-faktisch bzw. nicht sachlich überprüfbar sind, dafür
aber wird zu tendentiösen, manipulativen, plakativen und polemischen
Darstellungsweisen gegriffen.. Die
Argumentationen werden, trotz andersartiger Behauptungen, oftmals
nicht dem gerecht, was der gesellschaftliche Wissensstand hergibt,
folgen nicht den etablierten Methoden von Wahrheitsfindung und
Dokumentation von Lösungswegen, würden einer Überprüfung aus
fachwissenschaftlicher Sicht nicht standhalten. Es werden –
zumindest in Bezug auf Klimaspektizismus und die „islamistische
Gefahr“ – schon seit Jahrzehnten obsolete, a-wissenschaftliche
oder vielleicht auch noch nie wissenschaftlich gewesene Ansichten und
Behauptungen ans Publikum weitergeleitet. Beides ist eine Form des
Lobbyismus.
Ob
sich die Lage hinsichtlich neuerer kerntechnischer Methoden, für die
die Autoren dieser Organe plädieren, ähnlich gestaltet, oder ob
hier anderweitig tatsächlich zu wenig Foren für sinnvolle Darlegungen geboten
werden, vermag ich als Historikerin nicht zu beurteilen. Allerdings
dürfte auch ein noch so intensives Einlesen in
die technischen Vorgänge in KKWs (und da mag Wendland
etwa tatsächlich begabt sein) z.B.
Kulturwissenschaftler nicht befähigen,
eigene Risikoeinschätzungen
zu möglichen Anschlägen muslimischer Extremisten
zu liefern oder Aussagen zu den gesundheitlichen Langzeitfolgen
niedrigradioaktiver Strahlung zu treffen. Wendland bleibt
in manchen Nuklearia- oder achgut-Artikeln gerade nicht auf einer
diskursiven Ebene stehen. sondern versucht, faktische Aussagen zu ihr
fremden Fachgebieten (sie ist auch z.B. keine Expertin für
islamischen Extremismus) zu treffen. Der Leser erhält, zusätzlich noch durch die Art der Autorenbeschreibung, den Eindruck, Ansichten
präsentiert zu bekommen, die auf wissenschaftlichen Erkenntnissen
und Studien fußen würden. Das ist irreführend - zumal für ein allgemeines Publikum, an das sich die "achse" ja richtet..
Im
Falle von Wendlands Darstellung von „Fakes
und Fakten“ zum Tschernobyl-Unfall schreibt sie selbst explizit
(in der Einleitung), daß sie die Zusammenstellung aus anderer Quelle
übernommen hat – und dankt einem „Hans Ambos“. Wer dieser Hans
Ambos, der hier offenbar Informationen durchgereicht hat, (gerade in
fachlicher Hinsicht) ist, erfährt auch der googelnde Leser nicht. Es
findet sich lediglich ein freundlich dreinblickender, älterer Herr,
der mit Anna Veronika Wendland auf facebook befreundet ist. Dieses
Vorgehen entspricht leider einem Rezept, das bei „achgut“ oder
„Tichys Einblick“ und ähnlichen Organen wohl einigermaßen
erfolgreich ist: Autoren wagen sich des öfteren über ihre
fachlichen Horizonte hinaus, aber akademische Titel und in diversen
Fachbereichen erworbene Kenntnisse vermitteln dem Leser trotzdem einen
Eindruck von Seriosität und Qualifiziertheit. Wie bzw. ob die
vorhandenen Qualifikationen und Eigenschaften überhaupt in Bezug zum
jeweiligen Artikel-Thema stehen, fällt bei Broders "achgut" oder auch "Tichys Einblick" manchmal unter den Tisch.
Gerade
auch insofern ist das Geschrei, man würde zensiert und repressiert
bzw. aus dem öffentlichen Raum hinausgedrängt, müsse Zuflucht in
„Nischenmedien“ suchen, in diesen konkreten Zusammenhängen oft
einigermaßen oder ganz fehl am Platz. Ein gewisses rituelles
Wehklagen gehört sogar auch zur (strategischen) Selbstpräsentation
dazu. Wendland selbst äußert
sich zur „Achse des Guten“ (im Eigenzitat) wie folgt: „Das
erste Gebot sei, endlich kritische Expertise zu konsultieren, statt
sich aufzuregen, wenn diese statt in der überregionalen Presse bei
»Alternativ«medien wie der »Achse des Guten« eine Heimat fände.”
Wendland
kann allerdings durchaus ihre historisch-kulturwissenschaftlichen
Arbeiten in Fachorganen wie auch in etwa der FAZ darlegen und ihre
politischen Interventionen in Bezug auf Osteuropa auf Plattformen wie
„Euromaidan“ vorbringen. Für ihre Expertise ist öffentlicher
Raum vorhanden. Meine Ansicht ist: Sie wählt sich mit „achgut“
und „Novo Argumente“ ein bestimmtes Publikum mit politischer
Agenda und den Stil dazu. Selbst gibt sie an, etwa auf dem
Vereinstreffen von 2016 geäußert, sie würde ihre Aussagen zu
Kernkraft als Historikerin und nicht als Physikerin oder Ingenieurin
treffen, eine derartige professionelle Selbstbeschränkung hält
Wendland, streckenweise zumindest, in ihren polemischeren Artikeln,
nicht durch.
Sie
spricht dennoch auf Nuklearia
von einem „Redetabu,
weswegen sich die Kritik [an der Energiewende] jahrelang in die APO
der Tichys, Achguts und allenfalls in die Arbeitszimmer emeritierter
Großprofessoren zurückzog.“
Und fährt fort: „Aber
auch hier sind die Dinge momentan in Bewegung gekommen. Plötzlich
sendet ARTE einen Film über alternative Kerntechnik, beginnt selbst
der WDR die seltsamen Tihange-Diskurse in Deutschlands Westen auf
ihre Schlüssigkeit zu befragen.”
Wendland übersieht dabei ein
kleines Detail: Daß es eben zu einem beträchtlichen Teil gerade
keine faktischen, wissenschaftsbasierten Diskussionen sind, die über
die „achse“ oder „Tichy“ in Sachen Atomkraft oder Klimawandel
geführt werden. Daß Wendland bewußt einen nonfaktischen Ton und
Zugang wählen würde, obwohl von ihrer Seite auch eine faktische
Argumentation möglich wäre, alleine um ein ansonsten nicht
gegebenes mediales Durchkommen zu bewerkstelligen, halte ich für
einen Mythos. Das sollte sie auch zunächst einmal sachlich darlegen
- wenn dem so wäre.
Stattdessen betont
Wendland immer wieder die eigene rationale Argumentation, die stark
mit dem sektenhaften Vorgehen ihrer Gegner kontrastiere. Damit fällt
dann die eigentliche Begründung für das Bedienen solcher
„Nischenplattformen“ auch weg bzw. führt sich selbst ad
absurdum. Und schlußendlich folgt Nuklearia auch recht klar und
deutlich einer politischen Agenda, es geht da allgemein nicht ums
bloße Zuwortkommen. Ein inflationäres „Tabu“-, „Repressions“-
oder „Zensur“-Geschreie, noch dazu von rechtspopulistischer
Seite, hindert die Gesellschaft jedoch daran, zu überprüfen, was
wirklich vernachlässigt, an den Rand gedrängt, übersehen und
benachteiligt wird. Die Vertauschung von Mehrheiten- und
Minderheitenpositionen, von persönlichen und professionellen
Agenden, von demokratischem und repressivem Vorgehen, hat einen
desorientierenden Effekt. Es ist Zuschauerverwirrung, wenn eine im
großen und ganzen industriegestützte Kampagne als Art neue,
bürgerlich-zivilgesellschaftliche, dezentral verfaßte
Graswurzelbewegung ausgegeben wird. Von einer „neo-APO“ zu
sprechen, dürfte allemal angsichts der Militanz, der mangelnden
Toleranz und Demokratietreue und dergleichen Parallelen mehr
gerechtfertigt sein.
Die Verflechtungen
von „kritischer Wissenschaft“ mit den Lobbyinteresssen der AfD
zeigen sich u.a. auch an Phänomenen wie dem deutschen
„ScienceSkepticalBlog“,
der von Nuklearia im Blogroll geführt wird und anfangs häufiger
über die Entwicklung von Nuklearia berichtet hatte. Einer der
Hauptautoren ist
Peter Heller, ein Astrophysiker, der daneben für Organen wie
„achgut“, „Tichys
Einblick“ und „Novo
Argumente“ schreibt sowie auch auf
EIKE veröffentlicht. Peter Heller hält bei AfD-Verbänden
Vorträge wie „Atommüll
– Eine Zukunftschance!“. Der Autor sei Mitglied
der Nuklearia, heißt es auf dem Blog selbst. Selbstironisch
beschreibt
sich ScienceSkeptical als aus „bösen Klima- und
Energiewendeskeptikern“ bestehend. Weitere Autoren
neben Heller sind Dr. Günter Keil, der im AfD-Energieausschuß tätig
war (oder noch ist) und Fabian Heinzel, den ScienceSkeptical selbst
(mag veraltet sein) als einen „der
Köpfe hinter den Portalen “Freie Welt” und “Ökowatch““
bezeichnet. Auch Peter Heller ist auf „Freie
Welt“, einer AfD-nahen Plattform (geführt von Beatrix und Sven
von Storch), zu finden. Science Skeptical stellte auch das mit
AfD-Beihilfe zusstande gekommene „Energiepolitische Manifest“
vor.
In Bezug auf die AfD
war von journalistischer Seite festgestellt worden, dies sei eine
wissenschaftsferne Partei. In der SZ
hieß es, Bernd Lucke habe zwar anfänglich betont, u.a. auch mittels
des Slogans „Mut zur Wahrheit“, seine Politik an der Wissenschaft
ausrichten zu wollen. Mittlerweile (im Jahr 2016 veröffentlicht)
habe sich die „Beziehung der AfD zu Wissenschaft und Wahrheit“
aber „vollständig ins Gegenteil verkehrt“. Der Autor des
SZ-Textes, demgegenüber der EIKE-Presseratssprcher dann mit einer
Drohgebärde (Verleumdungsklage und Beschwerde an den Presserat)
reagierte
und ein „Pamphlet von Christoph Behrens gegen die AfD“
bemängelte, schrieb: “Hinter all dem steckt eine
gefährliche Strategie: Wissenschaft selbst soll instrumentalisiert
und politisiert werden. Passen die Ergebnisse nicht, werden
Wissenschaftler zur neuen "Lügenpresse". İm
gleichen Sinne hatten zwei Zeit-Autorinnen bereits 2012 hinsichtlich
der Strategien von Klimawandelleugnern konstatiert: „Ob
sich die Erde erwärmt oder nicht, soll keine Frage des Wissens mehr
sein – wie eine Frage des Glaubens soll es aussehen.“
Ich hoffe, mit
diesem und den beiden vorangegangenen Beiträgen gezeigt zu haben,
daß derartige Pervertierungen auch da zustande kommen, wo man meinen
könnte, daß „lediglich“ aus strategischen Erwägungen heraus
Allianzen mit neurechten Kreisen gewählt wurden. Es geht mir nicht
darum, daß man mit einzelnen AfD-Vertretern grundsätzlich nicht zu
diesen und jenen Themen sachbezogen kommunizieren dürfte – allein:
dies geschieht offenbar nicht. Ein demokratischer Kommunikationsraum
als solcher wird angenagt und unterminiert. Man läßt dies zu, wenn
man vor dem Hintergrund verwandter oder doch zumindest kombinierbarer
Agenden auf faire und transparente Prozesse der Information und
Meinungsbildung weniger Wert legt. Es existiert im beschriebenen
Umfeld offenbar nicht ein reines, sachliches Kommunizieren mit der
AfD bezüglich (hypothetischer/tatsächlicher) Vorteile von
Kerntechnik, es findet eine Einbindung in neurechte Strategien zur
Hegemonieerlangung statt. Die, die sich mit der AfD und einem
nichtparteilich organisierten islamophoben Umfeld eingelassen haben
(auch aus Opportunismus heraus), mögen zu manchen Fragen (etwa zur
sogenannten „Flüchtlingskrise“) durchaus noch divergierende
Meinungen vertreten, verwandeln sich in Rhetorik und Verhaltensweisen
aber ihren Netzwerkpartnern an. Und eine gewisse, rechtsklerikale
gemeinsame Grundlage ist bei einigen der hier benannten Protagonisten
auch ohnehin schon vorhanden gewesen.
Die semantischen Überlagerungen, Verzerrungen und Umkehrprozesse, die zum Verhaltensarsenal bzw. den Kommunikationsstrategien der Neuen Rechten charakteristischerweise dazugehören, finden sich im kernkraftbegeisterten Rechten-Umfeld nicht nur in Bezug auf schwache und starke Positionen,
Mehrheits- und Minderheitenverhältnisse wieder, in Bezug auf konsensuelle,
kampagnenhaft vertretene „Meinungen“ versus tatsächlich
widerständige, differenzierte Einzelpositionen, auf
„Ideologiefreiheit“ vs. politische Agenden und auf "Hysterie" und Polemik versus Nüchternheit bezogen, auf „Wissenschaft“
versus „Glaube“, oder, ganz zentral, auf ein
tatsächliches Demokratieverständnis versus die sogenannte, von
rechten Kreisen bejammerte „Meinungsdiktatur“ bezogen, sie wirken
sich direkt auch auf das Geschichtsbewußtsein aus und nehmen da
geschichtsrevisionistische Formen an:
Rainer Reelfs, Stellvertretender Vorsitzender von "Nuklearia" |
______________________________________________________
*Das hier Geschildert soll nicht heißen, daß es nicht auch eine mit illiberalen bzw. ähnlichen
Methoden vorgehende Umwelt-Lobbyorganisationen geben kann – etwa in Form großer
Umweltschutzunternehmen wie Greenpeace oder in Form von politischen Parteien wie Bündnis90/ die Grünen
(in deren Lobbyaktivitäten Wendland über ihre Funktion in der
Boell-Stiftung ja auch wiederum eingebunden ist).