Zarische Truppen, Krasnaja Poljana, 21.5.1864

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Dienstag, 21. November 2017

Männer, die Manieren haben: Jan Claas Behrends

Bei der Ablehnung von Baberowski-Kritik wird oftmals die Form vorgeschoben, eine seriöse inhaltliche Auseinandersetzung sei jedoch statthaft. Wie Baberowski-Befürworter sich selbst diskursiv benehmen, davon handelt dieser Text.

 Einer meiner Kollegen, die zur Völkermordleugnung Jörg Baberowkis und meiner Kritik daran schweigen, mir und anderen aber den Eindruck vermitteln, ich hätte kein sozialkomatibles Verhalten an den Tag gelegt und würde darum nicht weiter berücksichtigt werden, ist Jan Claas Behrends.

Der Osteuropa-Historiker Jan Claas Behrends war nach seiner Promotion mit Prof. Dr. Jörg Baberowski als Gutachter ab 2005 an dessen Lehrstuhl an der HU als wissenschaflicher Mitarbeiter angestellt. Es hat also jahrelang ein Abhängigkeitsverhältnis mit dem umstrittenen Professor bestanden. Er wirkt in den sozialen Netzwerken sichtlich bemüht, seinen ehemaligen Mentor vom Verdacht unangemessenen Verhaltens und ethische Grenzen überschreitender inhaltlicher Positionen freizusprechen.


1. Der falsche Stil - meint Jan Claas Behrends

Auf meine Texte zu Jörg Baberowski, in denen ich mich mit seiner Fehldarstellung der Geschichte des Westkaukasus und der blutigen russischen Eroberungspolitik sowie seinen recht abrupten akademischen Meinungswechseln unter dem Eindruck politischer Transformationsprozesse auseinandergesetzt habe, ist Jan Claas Behrends, wie andere meiner Fachkollegen auch, nie eingegangen. Nachdem ich kurze Zeit mit Jan Claas Behrends über Facebook in Kontakt gestanden war, wurde ich von ihm ca. im Frühsommer 2015 entfreundet. Ich hatte mit Facebook-Posts Jörg Baberowskis Auftritte bei einem Lokalverband von "Die Linke" und kurz darauf bei der  linksrechten, geschichtsrevisionistisch engagierten, rückwärtsgewandten "Preussischen Gesellschaft" kritisiert. Beide Veranstaltungsrahmen könnte man als russlandnah bzw. wenig distanziert gegenüber der Politik der Regierung Putin bezeichnen.

Als ich Jan Claas Behrends noch einmal über den Weg lief, habe ich ihn auf den Kontaktabbruch angesprochen. Anlaß war ein Text Behrends gewesen, der gerade das sozialdemokratische Schweigen zu der Bombardierung Groznys als Hauptstadt des um seine Unabhängigkeit kämpfenden Tschetscheniens thematisierte und da scharfe Worte fand:



Behrends warf mir also indirekt vor, meine Kritik an Jörg Baberowski nicht angemessen vorgebracht zu haben und da ein inakzeptables Verhalten an den Tag gelegt zu haben (ohne spezifisch zu werden). Er subsumierte mich unter die "Wutbürger". Baberowski-Kritikern ein schlechtes Gewissen einzujagen, indem man ihnen unterstellt, gegen den gesellschaftlichen Anstand zu verstoßen und sich asozial bzw. delinquent zu verhalten, ist eine oft benutzte, schon fast typische Vorgehensweise der Baberowski-Befürworter.

Die hier gezeigte Reaktion ist besonders apart, wenn man bedenkt, daß der offenbar von Behrends weiterhin geschätzte Mentor in seinen feuilletonistischen Artikeln ständig ein sehr plakatives, neurechts klingendes Vokabular und entsprechende Denkfiguren auffährt, sein Handwerk auf das Schüren von Unzufriedenheit und Ressentiments gegen "die Eliten", "die Politiker", Merkel etc. verlegt. Wie ich mich jenseits meiner Facebook-Aktivitäten, in meinen samt wissenschaftlicher Argumentationen, Fachliteratur und Quellen vorgebrachten Texten auf meinem Blog geäußert habe, und daß ich dort Jörg Baberowski Geschichtsklitterung in Bezug auf die russische Kolonialgeschichte im Nordkaukasus nachweisen konnte, hat Behrends offenbar weiterhin nicht interessiert.
 
2. Fakten und Form


Jan Claas Behrends hat sich mittlerweile denjenigen (auch Kollegen) angeschlossen, die auf Facebook mit Hetze, d.h. Verleumdungen und sehr persönlichen Angriffen, die wirklich nicht mehr als "Kritik" bezeichnet werden können, gegen mich vorgehen. Das sieht dann u.a. so aus:


Der sogenannte "Brief" an mich, der hier gepostet wurde, ist eigentlich ein diffamierender Text eines wütenden, aufgebrachten, mich stalkenden Mannes, den ich schon seit langem blockiert habe. Ob das, was an "Fakten" und Anschuldigungen im hier von einem Thorsten Müller verlinken Text vorgebracht wird, überhaupt stimmt, scheint Behrends nicht zu kümmern. Er unterstützt damit, daß der Geschichtsrevisionismus seiner eigenen ehemaligen HU-Umgebung - Jörg Baberowski entstellt die russische Kolonialpolitik im Westkaukasus samt genozidaler Gewalt, sein HU-Kollege, Politikwissenschaftler Herfried Münkler, stellt den Deutschen Colmar von der Golz, der mutmaßlich die ersten Pläne zur Deportation der Armenier im zerbrechenden Osmanischen Reich entworfen hatte, als eine Art Rollenvorbild dar - auf mich projiziert wird bzw. gespiegelt wird auf seine Kritiker.

(Anlaß für Thorsten Müller war übrigens mein Eintreten für Meinungsfreiheit bzw. ein differenzierender Kommentar meinersets zum drohenden Verbot der Internetplattform "indymedia/linksunten" gewesen, gerade da dort putinritische linke Texte hatten erscheinen können. So wurde denn hier vor mir gewarnt.)

Schauen wir uns aber auch die Umgebung an, in der Behrends auftritt, die er meiner Gesellschaft und meiner inhaltlichen Baberowski-Kritik vorzieht:


Und weiter:


Man könnte meinen, man befände sich in einem Wirtshaus, wenn man sich die (im übertragenen Sinne) schenkelklopfenden, johlenden, buhenden Profile mit ihren Kommentaren zu meiner Person, die sich mit meinen Inhalten, meinen Arguemntationen, meinem politischen Engagement gar nicht beschäftigen, ansieht. Unter denjenigen, die meine "Verwirrtheit" beurteilen, befinden sich beispielsweise ein Bestattungsunternehmer und der Inhaber eines Reisebüros - mit dieser Kompetenz muß ich mich dann u.a. im Netz bewerten laassen.

3. "Denunziation", Hexenjagd, Tugenddiktatur & Co.

Auch anderen Baberowski-Kritikern gegenüber verhält sich Behrends sehr abwertend, geht wenig zimperlich, beschuldigend, emotionalisiert, abwertend vor. Das tut er selbst dann, wenn es sich bei den Autoren um renommierte Professoren wie untenstehend Andreas Fischer-Lescano handelt, der sich um sachliche Betrachtungen und stichhaltige Argumente sehr bemüht.

Das schrille, extremistische Vokabular und die überzeichneten Bilder, die Jörg Baberowski benutzt, wenn er mit gegen ihn gerichter Kritik (die sich auf seine wissenschaftlichen Inhalte und seine politischen Positionierungen in Feuilletontexten bezieht und eben nicht auf sein Aussehen, sein Alter, seinen Familienstand, seine sexuelle Orientierung....) nicht umgehen kann, dürfte mitterweile hinreichend bekannt sein. Dazu gehören der Vorwurf der "Denunziation", "Tugendterror", die Bezeichung von Gegnern als "Stalinisten" und das Klagen über eine vermeintliche soziale Isolierung und Ausgrenzung. Seine Fans behaupten, es würde eine regelrechte "Hexenjagd" gegen ihn stattfinden. 

 Behrends schließt sich dem Totalitarismusvokabular-Verschnitt fast nahtlos an:


 Weiteres "Austeilen" gegen Fischer-Lescano:


Auch der Historiker bzw. NS-Experte Prof. Dr. Wolfgang Benz scheint mit seinem Artikel zu Jörg Baberowski in den Augen des ehemaligen HU-Kollegen Jan Claas Beherends ein "Denunziant" zu sein:


Für denjenigen, der an anderer Stelle für einen "Aufstand der Anständigen" eingefordert hatte und dezidiert für eine neue Ostpolitik, die weniger entgegenkommend für Putin gestaltet werden sollte, plädiert, sind das reichlich merkwürdige Verhaltensweisen. Zugunsten eines Professors, der abstritt, daß es einen Völkermord an den Tscherkessen gegeben hat bzw. auch nur systematische, großflächige Deportationen  (es geht um die Leugnung der  historischen Abläufe und der Systematik des russischen Vorgehens, nicht um die Bezeichung "Völkermord" und die juristische Wertung an sich) und der an Kolonialdiskurse Rußlands anschließt, der sich auch bis zu einem gewissen Grad mit dem repressiven russischen Vorgehen im Forschungsbetrieb in der RF gemein macht, der ferner im politischen Bereich für Verständnis für Putin wirbt und seinem Zeitungspublikum russische Phantomschmerzen aufgrund des Untergangs des Sowjetimperiums erklärt, der ferner zusammen mit Gabriele Krone-Schmalz auftritt, wirft sich Behrends in die Bresche, als ob es gelte, die Meinungsfreiheit selbst zu verteidigen.

Eine neue Ostpolitik, das sei hier nebenbei gesagt,  kann da sicher schwerlich abfallen, wo sich diejenigen, die sich als ihre vordersten Vertreter zeigen, selbst nicht abnabeln von den putinfreundlichen, machtdurchdränkten Strukturen, die ihnen ihre Karrieren und das Erlangen von Einflußmöglichkeiten eröffnet haben. Eine prinzipientreue, demokratische Ostpolitik kann nicht gelingen, falls man sich nicht zu gewissen Standards bekennt, nicht die gleichen Regeln für alle gelten sollen, man sachlichen Argumentationen und Auseinandersetzungen aus dem Wege geht, sie abstuft und regelrecht schlechtredet. 

Man sollte den Mut nicht verlieren und sich nicht einschüchtern lassen von denjenigen barschen Personen, die mit Anschuldigungen und "moralischen" Rügen (man könnte auch sagen: Unterstellungen) gegen ihre Gegner arbeiten, während sie selbst kein faires, gesetztes Verhalten zeigen. Man sollte immer überprüfen, wie es denn mit der Einhaltung von Regelwerk und mit der Orientierung an verbindlichen Maßstäben (für alle) tatsächlich aussieht.


Mittwoch, 3. Februar 2016

Herfried Münkler und Freiherr von der Goltz: Die Affinität von Geopolitik zu genozidalen Diskursen

**** Bei dem folgenden Text handelt es sich um einen Ausschnitt aus einer längeren Analyse des münklerschen Umfeld. Eine solche ist bei mir  in Arbeit,  ich konnte sie aus gesundheitlichen Gründen bisher aber noch nicht fertigstellen. Vor dem Hintergrund der aktuellen politischen Polarisierungen und der Notwendigkeit eines diskursiven Gegensteuerns halte ich ein noch längeres Warten nicht für sinnvoll, auch wenn damit meine Argumentation zunächst einmal an Überzeugungskraft einbüßen sollte und ich leider nicht eine perfekte Textoberfläche liefern kann. Eine detailliertere geistesgeschichtliche wie politische Eindordnung und ein argumentatives Aufzeigen von entsprechenden Zusammenhängen wird folgen, sobald mir dies in praktischer Hinsicht möglich sein wird. Meine Beschäftigung mit Münkler ist meiner eigenen wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem Völkermord an den Tscherkessen geschuldet und der daraus resultierenen Konfrontation mit den - nicht nur auf den historischen Einzelfall oder auf eine konkrete Region bezogenen - gesschichtsrevisionistischen und völkermordverharmlosenden - Tendenzen des münklerschen und baberowskischen Umfelds. ****


Der deutsche Politikwissenschaftler Herfried Münkler
Ein Artikel Münklers, der meine Arbeitsgebiete streift und meine regionalen Präferenzen berührt, ist "Der Untergang des Osmanischen Reiches", erschienen auf den Seiten des Goethe-Institutes anläßlich des Gedenkens an 100 Jahre 1. Weltkrieg im Jahr 2014. Es geht um außenpolitische Strategien, Interessen, Einflußnahmen und die Rivalität der europäischen Großmächte untereinander. Daß Münkler hier nicht an reiner wissenschaftlicher Erkenntnis interessiert ist, sondern den Blicken eines Staatsmannes (bzw. Politikberaters) folgt, der darum besorgt ist, Deutschland zu einer international favorablen Stellung zu verhelfen, äußert sich u.a. darin, daß Münkler seine Darstellung an Kategorien wie  Erfolg und Mißerfolg - "Gelingen" vs. "Fehlschlag" - ausrichtet. An anderer Stelle spricht Münkler selbst in Bezug auf die Wahrnehmungs- und Handlungsweisen historischer Akteure vom "Maßstab der Effizienz" (" Effizienz steht für einen heroismuskritischen Blick auf das Kampf- und Kriegsgeschehen. Ihr geht es nicht um ethisch-ästhetische Ideale, sondern um das Verhältnis von Aufwand und Ertrag. ").Eine analytische Metaebene, die sich mit der Mechanik und ideologischen Prämissen des "Great Game" auseinandersetzen würde, fehlt hingegen weitgehend (bzw. ich meine, sie fehlt gänzlich!). Die Metaphorik ist bisweilen auf befremdliche Weise organizistisch, etwa wenn es heißt, Eisenbahnlinien seien die "Blutbahnen" gewesen, "die dem erstarrten Leib des Osmanischen Reiches neues Leben verleihen sollten".

Unter Teilüberschriften wie "Deutsche Hoffnungen auf einen islamischen Antiimperialismus" verhandelt der Artikel explizit auch geopolitischen Ambitionen des deutschen Kaiserreiches im Nahen Osten und die Strategien, die in deren Zuge zum Einsatz kamen. Etliche Passagen sind hierbei dem deutschen Militärberater und Reformator des Osmanischen Heeres Colmar von der Goltz (1843-1916) gewidmet. Goltz wird von Münkler - auf meines Erachtens durchaus schmeichelhafte Weise - als "eher einem Intellektuellen als einem preußischen Offizier" gleichend charakterisiert. Er sei ein "guter Kenner" des Balkan und des Osmanischen Reiches gewesen. Die goltzsche Strategie schildert Münkler als die eines "diffusen Antiimperialismus, den er durch die Ausrufung des Heiligen Krieges der Muslime befördern wollte". Insgesamt aber ist der Tonfall interessiert bis anerkennend.In einer Passage, in der es um eine Effektivitätssteigerung der osmanischen Truppen geht, heißt es zu Goltz:                                              
Colmar Freiherr von der Goltz (Quelle: Wikipedia)

"Welche Rolle dabei die strategische Führung und die taktischen Instruktionen durch deutsche Offiziere gespielt haben, ist in der einschlägigen Literatur umstritten. Zweifellos haben die Generäle Otto Liman von Sanders und Colmar von der Goltz eine wichtige Rolle gespielt; sie förderten das Vertrauen der türkischen Soldaten und Offiziere, ihren europäischen Gegnern ebenbürtig zu sein."                    

Vor dem Hintergrund der britischen Niederlage südlich von Bagdad im Jahr 1916 wird Goltz mit dem Attribut "Planer dieses Sieges" belegt. Anstelle einer distanzierenden Aneignung des historischen Deutungskontextes scheint Münkler die goltzsche Politik auf deren Erfolgspotential hin abklopfen zu wollen. So spricht er vom "Fehlschlag der islamisch grundierten Diversionsstrategie der Deutschen" und begibt sich denn auch gleich im Anschluß auf Ursachensuche. Einer der Gründe für das Scheitern der deutschen Strategie sei gewesen, daß "der Große Generalstab nicht wirklich an sie glaub-te" (sic.). Einschätzungen der historischen Akteure und Beurteilung/Analyse durch den rückwärtsblickenden Historiker gehen hier nahtlos ineinander über. Münkler blickt seinen historischen Protagonisten nicht nur über die Schulter, um deren Denken und Handeln und damit den historischen Prozeß besser verstehen zu können, die Figur des heutigen Politanalysten und -strategen scheint angesichts gemeinsamer Interessen und Anliegen mit seinen damaligen Berufsgenossen zu verschmelzen. Das abschließende Urteil über Goltz und weitere deutsche Nahost-Strategen fällt denn auch durchaus anerkennend aus. Münkler schreibt:

"In der Retrospektive kann man sagen, dass dies ein modernes Revolutionskonzept war, bei dem jedoch zu wenig berücksichtigt war, dass es sich in nationalistischer Ausrichtung auch gegen das Osmanische Reich richten ließ. Hier setzten die Briten an [...]. Der islamische Antiimperialismus, auf den von der Goltz und die anderen gesetzt hatten, zeitigte dagegen nur marginale Wirkung. Rückblickend ist fest-zuhalten, dass von der Goltz der Zeit um einige Jahrzehnte vorausgewesen ist."

Liefert man den bei Münkler fehlenden ereignisgeschichtlichen wie diskursiven Kontext nach, erhält gerade diese letztaufgeführte Bewertung einen überaus zynischen Klang. Sehen wir uns darum kurz an, wie Goltz in den Werken anderer Historiker, hier eines Buches Vahakn Dadrians, eingeordnet wird.
 
Vahakn N. Dadrian ist ein armenischstämmiger Historiker und gilt unter denjenigen, die sich mit dem Genozid an den Armeniern auseinandersetzen, als einer der weltweit profiliertesten Autoren, aber auch als Hardliner. Sein Ansatz mag nicht unumstritten sein und seine Werke mag eine gewisse Polemik auszeichnen (er wird mitunter als "partisan scholar" bezeichnet); seine Arbeiten gehören jedoch zu den richtungsweisenden Standardwerken und sind damit definitiv zitierfähig. Hier wird es ohnehin um einen Teilaspekt seiner Forschung, um die einzelnen "hard facts" und nicht um die ganz großen Deutungslinien gehen. Daß Colmar Freiherr von der Goltz, während der Ausführung des Völkermordes an den Armeniern zugegen war und Goltz, wie auch andere deutsche Militärberater im ausgehenden Osmanischen Reich, hierbei eine Mitschuld trifft, dürfte ohnehin unstrittig sein.

In "The History of the Armenian Genocide. Ethnic Conflict from the Balkans to Anatolia to the Caucasus" (New York/ Oxford: 1995 (2004)) geht Dadrian im 16. Kapitel (ab S. 248) auf das Problem der deutschen Mitwirkung und insbesondere die projektive Identifizierung des deutschen Kaisers mit dem Osmanischen Reich als einem (vermeintlich) theokratischen "Preußen des Orients" ein. Goltz kam in diesem Zusammenhang die Rolle eines politischen Vordenkers zu, er hatte so schon in den 1890ern empfohlen, das Osmanische Reich müsse sich, um überlebensfähig zu bleiben, auf eine islamisch-asiatische Kernidentität konzentrieren. Goltz soll 1914 in Berlin einen von der Deutsch-Türkischen Vereinigung organisierten Vortrag gehalten haben, in dem er die These aufstellte, die Türkei müsse, um sich vor desaströsen Einmischungen von russischer Seite zu schützen, ein für alle Mal die armenischen Bewohner von Bitlis, Van und Erzurum aus der osmanisch-russischen Grenzregion entfernen und eine halbe Million Menschen nach Aleppo und Mesopotamien umsiedeln (Dadrian, S. 255). Dadrian stuft diese Zusammenfassung des Inhalt von Goltz' Vortrag als glaubwürdig ein; damit stellt sich die Frage, inwieweit Goltz nicht nur Mitwisser und beteiligter Zuschauer war, sondern in seiner Funktion als Militärberater sogar der ursprüngliche Stichwortgeber für eine Deportation der Armenier und die sich daraus entwickelnden genozidalen Tendenzen war.

Bei Münkler liest man hiervon kein Wort. Armenier oder andere nichttürkische Minderheiten und deren Schicksal im ausgehenden Osmanischen Reich bzw. angesichts der kemalistischen Turkifizierungspolitik (die entgegen landäufiger Vorstellungen auch vorwiegend muslimische Bevölkerungsgruppen wie die der Tscherkessen und anderer Nordkaukasier betraf) werden in seinem Artikel nicht ein einziges Mal erwähnt. Dieses Fehlen bewegt sich hart an der Genozidleugnung, it zumindest aber geschmacklos.... Noch frapierender und beunruhigender ist jedoch die Verwandtheit der Denklogiken, die in der münklerschen Schilderung der Nahostpolitik des wilhelminischen Reiches zum Ausdruck kommt. Auch Münkler geht es offenbar ums "große Ganze". Er denkt in Einflußgebieten und überlegt, welche Denk- und Handlungsweisen zum geopolitischen Erfolg führen. Hierfür nimmt er eine Vogelperspektive ein, in der Minderheiten und Partikularinteressen im Zuge zielorientierten Handelns strategisch operabel sein mögen, für sich, in ihren eigenen Interessen und ihrer eigenen Wertigkeit aber nicht von Gewicht sind und auch ganz "weggelassen" werden können. Nimmt man es ganz genau, dann handelt es sich bei derartigen omissiven Darstellungen um ein Verweilen im finalen Stadium genozidaler Gewalt, dem des Verschweigens dessen, was sich zugetragen hat und eines Vergessens (Leugnens) der Opfer.