Zarische Truppen, Krasnaja Poljana, 21.5.1864

Zarische Truppen, Krasnaja Poljana, 21.5.1864

Mittwoch, 3. Februar 2016

Herfried Münkler und Freiherr von der Goltz: Die Affinität von Geopolitik zu genozidalen Diskursen

**** Bei dem folgenden Text handelt es sich um einen Ausschnitt aus einer längeren Analyse des münklerschen Umfeld. Eine solche ist bei mir  in Arbeit,  ich konnte sie aus gesundheitlichen Gründen bisher aber noch nicht fertigstellen. Vor dem Hintergrund der aktuellen politischen Polarisierungen und der Notwendigkeit eines diskursiven Gegensteuerns halte ich ein noch längeres Warten nicht für sinnvoll, auch wenn damit meine Argumentation zunächst einmal an Überzeugungskraft einbüßen sollte und ich leider nicht eine perfekte Textoberfläche liefern kann. Eine detailliertere geistesgeschichtliche wie politische Eindordnung und ein argumentatives Aufzeigen von entsprechenden Zusammenhängen wird folgen, sobald mir dies in praktischer Hinsicht möglich sein wird. Meine Beschäftigung mit Münkler ist meiner eigenen wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem Völkermord an den Tscherkessen geschuldet und der daraus resultierenen Konfrontation mit den - nicht nur auf den historischen Einzelfall oder auf eine konkrete Region bezogenen - gesschichtsrevisionistischen und völkermordverharmlosenden - Tendenzen des münklerschen und baberowskischen Umfelds. ****


Der deutsche Politikwissenschaftler Herfried Münkler
Ein Artikel Münklers, der meine Arbeitsgebiete streift und meine regionalen Präferenzen berührt, ist "Der Untergang des Osmanischen Reiches", erschienen auf den Seiten des Goethe-Institutes anläßlich des Gedenkens an 100 Jahre 1. Weltkrieg im Jahr 2014. Es geht um außenpolitische Strategien, Interessen, Einflußnahmen und die Rivalität der europäischen Großmächte untereinander. Daß Münkler hier nicht an reiner wissenschaftlicher Erkenntnis interessiert ist, sondern den Blicken eines Staatsmannes (bzw. Politikberaters) folgt, der darum besorgt ist, Deutschland zu einer international favorablen Stellung zu verhelfen, äußert sich u.a. darin, daß Münkler seine Darstellung an Kategorien wie  Erfolg und Mißerfolg - "Gelingen" vs. "Fehlschlag" - ausrichtet. An anderer Stelle spricht Münkler selbst in Bezug auf die Wahrnehmungs- und Handlungsweisen historischer Akteure vom "Maßstab der Effizienz" (" Effizienz steht für einen heroismuskritischen Blick auf das Kampf- und Kriegsgeschehen. Ihr geht es nicht um ethisch-ästhetische Ideale, sondern um das Verhältnis von Aufwand und Ertrag. ").Eine analytische Metaebene, die sich mit der Mechanik und ideologischen Prämissen des "Great Game" auseinandersetzen würde, fehlt hingegen weitgehend (bzw. ich meine, sie fehlt gänzlich!). Die Metaphorik ist bisweilen auf befremdliche Weise organizistisch, etwa wenn es heißt, Eisenbahnlinien seien die "Blutbahnen" gewesen, "die dem erstarrten Leib des Osmanischen Reiches neues Leben verleihen sollten".

Unter Teilüberschriften wie "Deutsche Hoffnungen auf einen islamischen Antiimperialismus" verhandelt der Artikel explizit auch geopolitischen Ambitionen des deutschen Kaiserreiches im Nahen Osten und die Strategien, die in deren Zuge zum Einsatz kamen. Etliche Passagen sind hierbei dem deutschen Militärberater und Reformator des Osmanischen Heeres Colmar von der Goltz (1843-1916) gewidmet. Goltz wird von Münkler - auf meines Erachtens durchaus schmeichelhafte Weise - als "eher einem Intellektuellen als einem preußischen Offizier" gleichend charakterisiert. Er sei ein "guter Kenner" des Balkan und des Osmanischen Reiches gewesen. Die goltzsche Strategie schildert Münkler als die eines "diffusen Antiimperialismus, den er durch die Ausrufung des Heiligen Krieges der Muslime befördern wollte". Insgesamt aber ist der Tonfall interessiert bis anerkennend.In einer Passage, in der es um eine Effektivitätssteigerung der osmanischen Truppen geht, heißt es zu Goltz:                                              
Colmar Freiherr von der Goltz (Quelle: Wikipedia)

"Welche Rolle dabei die strategische Führung und die taktischen Instruktionen durch deutsche Offiziere gespielt haben, ist in der einschlägigen Literatur umstritten. Zweifellos haben die Generäle Otto Liman von Sanders und Colmar von der Goltz eine wichtige Rolle gespielt; sie förderten das Vertrauen der türkischen Soldaten und Offiziere, ihren europäischen Gegnern ebenbürtig zu sein."                    

Vor dem Hintergrund der britischen Niederlage südlich von Bagdad im Jahr 1916 wird Goltz mit dem Attribut "Planer dieses Sieges" belegt. Anstelle einer distanzierenden Aneignung des historischen Deutungskontextes scheint Münkler die goltzsche Politik auf deren Erfolgspotential hin abklopfen zu wollen. So spricht er vom "Fehlschlag der islamisch grundierten Diversionsstrategie der Deutschen" und begibt sich denn auch gleich im Anschluß auf Ursachensuche. Einer der Gründe für das Scheitern der deutschen Strategie sei gewesen, daß "der Große Generalstab nicht wirklich an sie glaub-te" (sic.). Einschätzungen der historischen Akteure und Beurteilung/Analyse durch den rückwärtsblickenden Historiker gehen hier nahtlos ineinander über. Münkler blickt seinen historischen Protagonisten nicht nur über die Schulter, um deren Denken und Handeln und damit den historischen Prozeß besser verstehen zu können, die Figur des heutigen Politanalysten und -strategen scheint angesichts gemeinsamer Interessen und Anliegen mit seinen damaligen Berufsgenossen zu verschmelzen. Das abschließende Urteil über Goltz und weitere deutsche Nahost-Strategen fällt denn auch durchaus anerkennend aus. Münkler schreibt:

"In der Retrospektive kann man sagen, dass dies ein modernes Revolutionskonzept war, bei dem jedoch zu wenig berücksichtigt war, dass es sich in nationalistischer Ausrichtung auch gegen das Osmanische Reich richten ließ. Hier setzten die Briten an [...]. Der islamische Antiimperialismus, auf den von der Goltz und die anderen gesetzt hatten, zeitigte dagegen nur marginale Wirkung. Rückblickend ist fest-zuhalten, dass von der Goltz der Zeit um einige Jahrzehnte vorausgewesen ist."

Liefert man den bei Münkler fehlenden ereignisgeschichtlichen wie diskursiven Kontext nach, erhält gerade diese letztaufgeführte Bewertung einen überaus zynischen Klang. Sehen wir uns darum kurz an, wie Goltz in den Werken anderer Historiker, hier eines Buches Vahakn Dadrians, eingeordnet wird.
 
Vahakn N. Dadrian ist ein armenischstämmiger Historiker und gilt unter denjenigen, die sich mit dem Genozid an den Armeniern auseinandersetzen, als einer der weltweit profiliertesten Autoren, aber auch als Hardliner. Sein Ansatz mag nicht unumstritten sein und seine Werke mag eine gewisse Polemik auszeichnen (er wird mitunter als "partisan scholar" bezeichnet); seine Arbeiten gehören jedoch zu den richtungsweisenden Standardwerken und sind damit definitiv zitierfähig. Hier wird es ohnehin um einen Teilaspekt seiner Forschung, um die einzelnen "hard facts" und nicht um die ganz großen Deutungslinien gehen. Daß Colmar Freiherr von der Goltz, während der Ausführung des Völkermordes an den Armeniern zugegen war und Goltz, wie auch andere deutsche Militärberater im ausgehenden Osmanischen Reich, hierbei eine Mitschuld trifft, dürfte ohnehin unstrittig sein.

In "The History of the Armenian Genocide. Ethnic Conflict from the Balkans to Anatolia to the Caucasus" (New York/ Oxford: 1995 (2004)) geht Dadrian im 16. Kapitel (ab S. 248) auf das Problem der deutschen Mitwirkung und insbesondere die projektive Identifizierung des deutschen Kaisers mit dem Osmanischen Reich als einem (vermeintlich) theokratischen "Preußen des Orients" ein. Goltz kam in diesem Zusammenhang die Rolle eines politischen Vordenkers zu, er hatte so schon in den 1890ern empfohlen, das Osmanische Reich müsse sich, um überlebensfähig zu bleiben, auf eine islamisch-asiatische Kernidentität konzentrieren. Goltz soll 1914 in Berlin einen von der Deutsch-Türkischen Vereinigung organisierten Vortrag gehalten haben, in dem er die These aufstellte, die Türkei müsse, um sich vor desaströsen Einmischungen von russischer Seite zu schützen, ein für alle Mal die armenischen Bewohner von Bitlis, Van und Erzurum aus der osmanisch-russischen Grenzregion entfernen und eine halbe Million Menschen nach Aleppo und Mesopotamien umsiedeln (Dadrian, S. 255). Dadrian stuft diese Zusammenfassung des Inhalt von Goltz' Vortrag als glaubwürdig ein; damit stellt sich die Frage, inwieweit Goltz nicht nur Mitwisser und beteiligter Zuschauer war, sondern in seiner Funktion als Militärberater sogar der ursprüngliche Stichwortgeber für eine Deportation der Armenier und die sich daraus entwickelnden genozidalen Tendenzen war.

Bei Münkler liest man hiervon kein Wort. Armenier oder andere nichttürkische Minderheiten und deren Schicksal im ausgehenden Osmanischen Reich bzw. angesichts der kemalistischen Turkifizierungspolitik (die entgegen landäufiger Vorstellungen auch vorwiegend muslimische Bevölkerungsgruppen wie die der Tscherkessen und anderer Nordkaukasier betraf) werden in seinem Artikel nicht ein einziges Mal erwähnt. Dieses Fehlen bewegt sich hart an der Genozidleugnung, it zumindest aber geschmacklos.... Noch frapierender und beunruhigender ist jedoch die Verwandtheit der Denklogiken, die in der münklerschen Schilderung der Nahostpolitik des wilhelminischen Reiches zum Ausdruck kommt. Auch Münkler geht es offenbar ums "große Ganze". Er denkt in Einflußgebieten und überlegt, welche Denk- und Handlungsweisen zum geopolitischen Erfolg führen. Hierfür nimmt er eine Vogelperspektive ein, in der Minderheiten und Partikularinteressen im Zuge zielorientierten Handelns strategisch operabel sein mögen, für sich, in ihren eigenen Interessen und ihrer eigenen Wertigkeit aber nicht von Gewicht sind und auch ganz "weggelassen" werden können. Nimmt man es ganz genau, dann handelt es sich bei derartigen omissiven Darstellungen um ein Verweilen im finalen Stadium genozidaler Gewalt, dem des Verschweigens dessen, was sich zugetragen hat und eines Vergessens (Leugnens) der Opfer.