**** Bei dem folgenden Text handelt es sich um einen Ausschnitt aus einer längeren Analyse des münklerschen Umfeld. Eine solche ist bei mir in Arbeit, ich konnte sie aus gesundheitlichen Gründen bisher aber noch nicht fertigstellen. Vor dem Hintergrund der aktuellen politischen Polarisierungen und der Notwendigkeit eines diskursiven Gegensteuerns halte ich ein noch längeres Warten nicht für sinnvoll, auch wenn damit meine Argumentation zunächst einmal an Überzeugungskraft einbüßen sollte und ich leider nicht eine perfekte Textoberfläche liefern kann. Eine detailliertere geistesgeschichtliche wie politische Eindordnung und ein argumentatives Aufzeigen von entsprechenden Zusammenhängen wird folgen, sobald mir dies in praktischer Hinsicht möglich sein wird. Meine Beschäftigung mit Münkler ist meiner eigenen wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem Völkermord an den Tscherkessen geschuldet und der daraus resultierenen Konfrontation mit den - nicht nur auf den historischen Einzelfall oder auf eine konkrete Region bezogenen - gesschichtsrevisionistischen und völkermordverharmlosenden - Tendenzen des münklerschen und baberowskischen Umfelds. ****
Der deutsche Politikwissenschaftler Herfried Münkler |
Ein Artikel Münklers, der meine Arbeitsgebiete streift und meine regionalen Präferenzen berührt, ist "Der Untergang des Osmanischen Reiches",
erschienen auf den Seiten des Goethe-Institutes anläßlich des Gedenkens
an 100 Jahre 1. Weltkrieg im Jahr 2014. Es geht um außenpolitische
Strategien, Interessen, Einflußnahmen und die Rivalität der europäischen
Großmächte untereinander. Daß Münkler hier nicht an reiner
wissenschaftlicher Erkenntnis interessiert ist, sondern den Blicken
eines Staatsmannes (bzw. Politikberaters) folgt, der darum besorgt ist,
Deutschland zu einer international favorablen Stellung zu verhelfen,
äußert sich u.a. darin, daß Münkler seine Darstellung an Kategorien wie
Erfolg und Mißerfolg - "Gelingen" vs. "Fehlschlag" - ausrichtet. An anderer Stelle
spricht Münkler selbst in Bezug auf die Wahrnehmungs- und
Handlungsweisen historischer Akteure vom "Maßstab der Effizienz" ("
Effizienz steht für einen heroismuskritischen Blick auf das Kampf- und
Kriegsgeschehen. Ihr geht es nicht um ethisch-ästhetische Ideale,
sondern um das Verhältnis von Aufwand und Ertrag. ").Eine
analytische Metaebene, die sich mit der Mechanik und ideologischen
Prämissen des "Great Game" auseinandersetzen würde, fehlt hingegen
weitgehend (bzw. ich meine, sie fehlt gänzlich!). Die Metaphorik ist
bisweilen auf befremdliche Weise organizistisch, etwa wenn es heißt,
Eisenbahnlinien seien die "Blutbahnen" gewesen, "die dem erstarrten Leib
des Osmanischen Reiches neues Leben verleihen sollten".
Unter
Teilüberschriften wie "Deutsche Hoffnungen auf einen islamischen
Antiimperialismus" verhandelt der Artikel explizit auch geopolitischen
Ambitionen des deutschen Kaiserreiches im Nahen Osten und die
Strategien, die in deren Zuge zum Einsatz kamen. Etliche Passagen sind
hierbei dem deutschen Militärberater und Reformator des Osmanischen
Heeres Colmar von der Goltz (1843-1916)
gewidmet. Goltz wird von Münkler - auf meines Erachtens durchaus
schmeichelhafte Weise - als "eher einem Intellektuellen als einem
preußischen Offizier" gleichend charakterisiert. Er sei ein "guter
Kenner" des Balkan und des Osmanischen Reiches gewesen. Die goltzsche
Strategie schildert Münkler als die eines "diffusen Antiimperialismus,
den er durch die Ausrufung des Heiligen Krieges der Muslime befördern
wollte". Insgesamt aber ist der Tonfall interessiert bis anerkennend.In einer Passage, in der es um eine Effektivitätssteigerung der osmanischen Truppen geht, heißt es zu Goltz:
Colmar Freiherr von der Goltz (Quelle: Wikipedia) |
"Welche Rolle dabei die strategische Führung und die taktischen
Instruktionen durch deutsche Offiziere gespielt haben, ist in der
einschlägigen Literatur umstritten. Zweifellos haben die Generäle Otto
Liman von Sanders und Colmar von der Goltz eine wichtige Rolle gespielt;
sie förderten das Vertrauen der türkischen Soldaten und Offiziere,
ihren europäischen Gegnern ebenbürtig zu sein."
Vor dem
Hintergrund der britischen Niederlage südlich von Bagdad im Jahr 1916 wird Goltz mit dem Attribut "Planer dieses Sieges" belegt.
Anstelle einer distanzierenden Aneignung des historischen
Deutungskontextes scheint Münkler die goltzsche Politik auf deren
Erfolgspotential hin abklopfen zu wollen. So spricht er vom "Fehlschlag
der islamisch grundierten Diversionsstrategie der Deutschen" und begibt
sich denn auch gleich im Anschluß auf Ursachensuche. Einer der Gründe
für das Scheitern der deutschen Strategie sei gewesen, daß "der Große
Generalstab nicht wirklich an sie glaub-te" (sic.). Einschätzungen der
historischen Akteure und Beurteilung/Analyse durch den
rückwärtsblickenden Historiker gehen hier nahtlos ineinander über.
Münkler blickt seinen historischen Protagonisten nicht nur über die
Schulter, um deren Denken und Handeln und damit den historischen Prozeß
besser verstehen zu können, die Figur des heutigen Politanalysten und
-strategen scheint angesichts gemeinsamer Interessen und Anliegen mit
seinen damaligen Berufsgenossen zu verschmelzen. Das
abschließende Urteil über Goltz und weitere deutsche Nahost-Strategen
fällt denn auch durchaus anerkennend aus. Münkler schreibt:
"In der Retrospektive kann man sagen, dass dies ein modernes
Revolutionskonzept war, bei dem jedoch zu wenig berücksichtigt war, dass
es sich in nationalistischer Ausrichtung auch gegen das Osmanische
Reich richten ließ. Hier setzten die Briten an [...]. Der
islamische Antiimperialismus, auf den von der Goltz und die anderen
gesetzt hatten, zeitigte dagegen nur marginale Wirkung. Rückblickend ist
fest-zuhalten, dass von der Goltz der Zeit um einige Jahrzehnte
vorausgewesen ist."
Liefert man den bei Münkler fehlenden
ereignisgeschichtlichen wie diskursiven Kontext nach, erhält gerade
diese letztaufgeführte Bewertung einen überaus zynischen Klang. Sehen
wir uns darum kurz an, wie Goltz in den Werken anderer Historiker, hier
eines Buches Vahakn Dadrians, eingeordnet wird.
Vahakn N. Dadrian
ist ein armenischstämmiger Historiker und gilt unter denjenigen, die
sich mit dem Genozid an den Armeniern auseinandersetzen, als einer der
weltweit profiliertesten Autoren, aber auch als Hardliner. Sein Ansatz mag nicht unumstritten
sein und seine Werke mag eine gewisse Polemik auszeichnen (er wird
mitunter als "partisan scholar" bezeichnet); seine Arbeiten gehören
jedoch zu den richtungsweisenden Standardwerken und sind damit definitiv
zitierfähig. Hier wird es ohnehin um einen Teilaspekt seiner Forschung, um die einzelnen "hard facts" und
nicht um die ganz großen Deutungslinien gehen. Daß Colmar Freiherr von der Goltz,
während der Ausführung des Völkermordes an den Armeniern zugegen war
und Goltz, wie auch andere deutsche Militärberater im ausgehenden
Osmanischen Reich, hierbei eine Mitschuld trifft, dürfte ohnehin
unstrittig sein.
In "The History of the Armenian Genocide. Ethnic Conflict from the Balkans to Anatolia to the Caucasus"
(New York/ Oxford: 1995 (2004)) geht Dadrian im 16. Kapitel (ab S. 248)
auf das Problem der deutschen Mitwirkung und insbesondere die
projektive Identifizierung des deutschen Kaisers mit dem Osmanischen
Reich als einem (vermeintlich) theokratischen "Preußen des Orients" ein.
Goltz kam in diesem Zusammenhang die Rolle eines politischen Vordenkers
zu, er hatte so schon in den 1890ern empfohlen, das Osmanische Reich
müsse sich, um überlebensfähig zu bleiben, auf eine islamisch-asiatische
Kernidentität konzentrieren. Goltz soll 1914 in Berlin einen von der
Deutsch-Türkischen Vereinigung organisierten Vortrag gehalten haben, in
dem er die These aufstellte, die Türkei müsse, um sich vor desaströsen
Einmischungen von russischer Seite zu schützen, ein für alle Mal die
armenischen Bewohner von Bitlis, Van und Erzurum aus der
osmanisch-russischen Grenzregion entfernen und eine halbe Million
Menschen nach Aleppo und Mesopotamien umsiedeln (Dadrian, S. 255).
Dadrian stuft diese Zusammenfassung des Inhalt von Goltz' Vortrag als
glaubwürdig ein; damit stellt sich die Frage, inwieweit Goltz nicht nur
Mitwisser und beteiligter Zuschauer war, sondern in seiner Funktion als
Militärberater sogar der ursprüngliche Stichwortgeber für eine
Deportation der Armenier und die sich daraus entwickelnden genozidalen
Tendenzen war.
Bei Münkler liest man hiervon kein Wort.
Armenier oder andere nichttürkische Minderheiten und deren Schicksal im
ausgehenden Osmanischen Reich bzw. angesichts der kemalistischen
Turkifizierungspolitik (die entgegen landäufiger Vorstellungen auch
vorwiegend muslimische Bevölkerungsgruppen wie die der Tscherkessen und
anderer Nordkaukasier betraf) werden in seinem Artikel nicht ein
einziges Mal erwähnt. Dieses Fehlen bewegt sich hart an der Genozidleugnung,
it zumindest aber geschmacklos.... Noch frapierender und beunruhigender ist jedoch die
Verwandtheit der Denklogiken, die in der münklerschen Schilderung der
Nahostpolitik des wilhelminischen Reiches zum Ausdruck kommt. Auch
Münkler geht es offenbar ums "große Ganze". Er denkt in Einflußgebieten
und überlegt, welche Denk- und Handlungsweisen zum geopolitischen Erfolg
führen. Hierfür nimmt er eine Vogelperspektive ein, in der Minderheiten
und Partikularinteressen im Zuge zielorientierten Handelns strategisch
operabel sein mögen, für sich, in ihren eigenen Interessen und ihrer
eigenen Wertigkeit aber nicht von Gewicht sind und auch ganz
"weggelassen" werden können. Nimmt man es ganz genau, dann handelt es
sich bei derartigen omissiven Darstellungen um ein Verweilen im finalen Stadium genozidaler Gewalt, dem des Verschweigens dessen, was sich zugetragen hat und eines Vergessens (Leugnens) der Opfer.