Ich freue mich, daß sich nun auch ein erster Gastbeitrag zu meinem blog gefunden hat. Tobias Knoll hat sich freundlicherweise bereit erklärt, seinen zuvor im Mai 2013 in "Schagdi - der Bote des kaukasischen Pferdes" erschienenen Beitrag in leicht veränderter Fassung für eine Veröffentlichung auf meinem Blog zur Verfügung zu stellen. Als Wissenschaftlerin finde ich es interessant und erfrischend, auch einmal aus einer solch anderen und dabei gleichzeitig wohlinformierten und engagierten Perspektive Reflektionen über Sochi 2014 und die Tscherkessen zu erhalten. Generell strebe ich an, meinen Blog schrittweise mit weiteren Anfragen und Gastbeiträgen zu erweitern und bin dabei prinzipiell an Beiträgen Anderer mit Stellungnahmen und Reflektionen zu Sochi 2014 interessiert. An dieser Stelle aber erst einmal einen herzlichen Dank an Tobias Knoll!
Tobias Knoll:
Sotchi 2014 und die Tscherkessen –
Chance oder Schlag ins Gesicht
In 2014 finden in Sotchi in Russland
die Olympischen Winterspiele statt. Sotchi liegt in der
Kaukasusregion im Süden Russlands am Schwarzen Meer. Unbestreitbar
eine wunderbare Lage, die gleichzeitig Badeurlaub unter Palmen, wie
auch Skifahren ermöglicht. Schon zu Sowjetzeiten war Sotchi ein
Urlaubsgebiet, und in den letzten Jahren zieht es auch immer mehr
Touristen aus aller Welt an. Die olympischen Spiele sollen hier nach
russischem Willen helfen, diesen Prozess noch zu verstärken und
Sotchi zu einem Tourismusmagneten werden zu lassen. So hat auch
Präsident Putin die olympischen Spiele zu seiner Chefsache gemacht.
Doch ist das alles so gut und toll? Wird da nicht vielleicht etwas
vergessen?
Sotchi und die Region hat auch eine
Geschichte – und in dieser spielen die Tscherkessen eine wichtige
Rolle. Bereits der Name stammt aus dem tscherkessischen – genauer
aus dem Ubychischen – von dem Fluss der durch Sotchi fließt. Der
Kaukasus war bis 1864 tscherkessisches Gebiet – wenn auch z.B. die
Region um Sotchi offiziell bis 1829 zum osmanischen Reich gehörte,
das es dann nach einem verlorenen Krieg an Russland abtrat.
Der 21. Mai 1864 gilt den Tscherkessen
als wichtigster Tag des Gedenkens. An diesem Tag war der Krieg gegen
Russland offiziell verloren. Die Vertreibung der Tscherkessen aus
ihrer Heimat begann. Etwa 500.000 bis 1.000.000 Tscherkessen wurden
ins osmanische Reich zwangsverschifft, wobei nach unterschiedlichen
Schätzungen über 100.000 oder auch 400.000 starben – sich hier
aber wenig gesicherte Quellen finden lassen. Dabei hatten die
Tscherkessen schon zuvor im Krieg hohe Verluste hinnehmen müssen, so
dass ein Bevölkerungsverlust von mehr als 25% stattfand und das
eigene Land verloren ging. Nur eine geringe Anzahl von ca. 200.000
Tscherkessen konnten in seiner ursprünglichen Heimat Kaukasus
verbleiben.
So ist es kein Wunder, dass die
Tscherkessen sehr sensibel auf die Vergabe der Olympischen Spiele
nach Sotchi reagierten und reagieren. Widerstand ist deutlich, und
auch wenn Sport keine politische Dimension annehmen will, so ist es
doch ein Fakt, dass in der Region um Sotchi und im Kaukasus sich um
1864 ein gewaltiges Drama abgespielt hat. Dieses Drama ist der
breiten Öffentlichkeit nahezu unbekannt und wird politisch
ignoriert. In Russland ist die Vertreibung der Tscherkessen bis heute
kein als dramatisch anerkannter Punkt in der russischen Geschichte,
sondern nur eine Fussnote zum Kaukasuskrieg. Von Völkermord zu
sprechen – wie es die Tscherkessen verlangen – wird hier als
völlig abwegig betrachtet, es finden dazu keinerlei offizielle
Stellungnahmen oder Diskussionen statt - auch nicht in der
Bevölkerung. In Europa wiederum kennt kaum jemand das
tscherkessische Volk überhaupt – geschweige denn deren Diaspora.
Ein „vergessener“ oder „todgeschwiegener“ Völkermord – für
die Tscherkessen natürlich ein katastrophaler Zustand.
Doch was bedeuten die Olympischen
Spiele für die Tscherkessen? Sind sie eine Chance oder ein erneuter
Schlag ins Gesicht? Sieht man sich die Region um Sotchi heute an, so
findet man dort heute kaum mehr Zeichen der Tscherkessen. Regionen,
Flüsse und Ortschaften oder Straßennamen tragen tscherkessische
Namen, es gibt (oder gab?) ein kleines privates Museum über die
Tscherkessen, aber wesentliche kulturelle Stätten sucht man
vergebens, selbst Gedenktafeln oder Denkmäler gibt es nicht. Und
sieht man sich die Planung der Olympischen Spiele an, so stellt man
fest, dass auch hier keine Einbindung der Tscherkessen stattfindet.
Das Thema „Tscherkessen“ wird in staatlich-öffentlicher Sicht
weitgehend ignoriert, wenn es um die Entwicklung und Darstellung des
Landes geht.
Andererseits leben natürlich immer
noch viele Tscherkessen in der Region um Sotchi. Die Olympischen
Spiele bedeuten dabei für viele Menschen in der Region einen
wirtschaftlichen Aufschwung. Der Tourismus ist bereits heute einer
der größten Arbeitgeber und selbst wenn vor allem reiche
Landbesitzer, Industrielle oder Oligarchen von den Spielen
profitieren werden, so werden doch auch viele normale Menschen einen
besseren Job bekommen oder von besserer Infrastruktur profitieren.
Auch mittel- und langfristig wird hier eine Perspektive geschaffen,
wenn es Russland gelingt Sotchi als internationales Skiresort zu
verankern.
Wenn man sich nun eingehend informieren
will, stellt man schnell fest, dass dies gar nicht einfach ist. Man
findet nur wenige Informationen, vieles basiert auf Hörensagen.
Dabei finden sich Informationen, die eher für Sotchi 2014 sprechen,
wie auch problematische Fakten, die eine positive Einstellung zu
Sotchi 2014 verhindern. Aber alle Fakten sind sehr vage, und es
finden sich im Allgemeinen keine verlässlichen Quellenangaben. Was
also glauben? Wie also eine Position finden? Auch unter den
Tscherkessen ist das schwierig. So scheinen die Tscherkessen im
Kaukasus und generell in der Region Sotchi eher positiv zu den
Spielen gestellt zu sein – oder es ist ihnen zumindest egal, denn
eine Protestbewegung ist dort nahezu nicht vorhanden.Vermutlich kann
hier aber auch eingeschränkte Meinungsfreiheit oder eine
möglicherweise einseitige öffentliche Darstellung in Fernsehen und
Zeitungen eine Rolle spielen. Und natürlich beeinflusst die
regionale Meinung auch der Gedanke von einem Entwicklungsschub
profitieren zu können – ein durchaus legitimes Motiv.
Leider finden sich aber auch keinerlei
Hinweise, dass Russland die kulturelle Vergangenheit der Region in
irgendeiner Form in die Spiele mit aufnehmen will. Bei einer guten
Zusammenarbeit und einem fairen Miteinander könnten die Tscherkessen
sicher einen prächtigen Beitrag zu den Feierlichkeiten wie der
Eröffnungszeremonie bieten, kulturell die Region bereichern und noch
interessanter für Touristen machen, sowie mit passenden Gedenk- und
Informationspunkten Sehenswürdigkeiten schaffen. Auch Russland würde
von so einem offenen Umgang durchaus profitieren und könnte so die
Spiele nutzen, um mit dem tscherkessischen Volk einen versöhnlichen
Schlusspunkt zu setzen und ihm einen Respekt zu erweisen, der
integrierend wirken kann. Ähnliches ist den Australiern bei den
Olympischen Sommerspielen 2000 in Sydney mit den Eingeborenen, den
Aborigines, gelungen. Hier ergeben sich Möglichkeiten sowohl für
Russland, als auch für die Tscherkessen – wobei aber beide Seiten
gefordert sind sich offen und positiv an einen Tisch zu setzen –
und jemand muss hier den ersten Schritt machen.
Doch dann gibt es noch besonders
erschreckende Aussagen, dass z.B. die Skifahrer auf den Gebeinen der
Tscherkessen fahren würden und Friedhöfe der Tscherkessen entweiht
würden durch den Bau der Olympischen Anlagen. Unbelegten Quellen
nach hat ein Ingenieur menschliche Knochen gesehen, die an einer
Baustelle in großer Zahl gefunden wurden. Hier wird es aber
schwierig. Dass Russland Belege dafür verschwinden lässt würde
zum politischen Totschweigen der tscherkessischen Diaspora passen und
erscheint nicht ausgeschlossen – dennoch ist es damit nicht
automatisch wahr.
Der Kern der Situation – dass in dieser Region zigtausende Tscherkessen starben, ohne Stätte des Andenken und der Referenz – ist aber sicherlich korrekt. Könnte sich denn jemand vorstellen eine Olympiade an einem Ort wie Auschwitz zu veranstalten – sicherlich undenkbar. Eine Olympiade in Deutschland aber ist kein Problem. Wo ist die Grenze und gibt es ein „tscherkessisches Auschwitz“ im Kaukasus – wenn ja: wo?
Der Kern der Situation – dass in dieser Region zigtausende Tscherkessen starben, ohne Stätte des Andenken und der Referenz – ist aber sicherlich korrekt. Könnte sich denn jemand vorstellen eine Olympiade an einem Ort wie Auschwitz zu veranstalten – sicherlich undenkbar. Eine Olympiade in Deutschland aber ist kein Problem. Wo ist die Grenze und gibt es ein „tscherkessisches Auschwitz“ im Kaukasus – wenn ja: wo?
Wie also damit umgehen? Wie sich
positionieren? Klar ist, die Olympischen Spiele ermöglichen es,
Aufmerksamkeit auf die Geschichte der Region und der Tscherkessen zu
richten. Dies sollte man in jedem Fall nutzen – und hier sind sich
alle Tscherkessen einig. Offiziell engagieren sich zunehmend viele
Tscherkessen außerhalb des Kaukasus generell gegen die Olympischen
Spiele – aber im Hintergrund soll es wohl auch Aktivitäten geben,
die einen Dialog mit den Organisatoren in Russland suchen. Diese
Kombination kann zu guten Ergebnissen führen, muss aber ausgewogen
sein. Auch ist darauf zu achten, keine fraglichen Fakten oder
Vorwürfe ohne Belege in den Raum zu stellen, die dann bei
Hinterfragung schnell zusammenbrechen.
Ich habe im Umfeld der Recherche zu
diesem Bericht vieles gelesen, das ich nicht einordnen kann. Dies
beginnt bei den türkischen Kapitänen der Schiffe, die für die
Vertreibung angeblich von Russland bezahlt wurden (siehe Dokument der
Deutsch-Kaukasischen Gesellschaft) und geht dann weiter über die
Aussage, dass Sotchi einmal Hauptstadt der Tscherkessen war – wobei
ich immer dachte, dass dies Cherkessk gewesen sei. Auch die Aussage,
dass die olympischen Stätten auf den tscherkessischen Friedhöfen
gebaut würden, ist für mich eher symbolisch zu werten (und ohne
Frage absolut wichtig!), ob überhaupt noch jemand weiß wo genau die
„verlorenen“ Friedhöfe sind ist auch fraglich. Konkrete
Informationen zu tscherkessischen Friedhöfen konnte ich zumindest
keine finden. Werden solche Fakten in den Raum gestellt, ohne
belegbar zu sein, so wird damit die ganze Argumentation in Frage
gestellt und unglaubwürdig. Das darf aber keines Falles passieren.
Ich selbst bin nach meiner Recherche
immer noch etwas zwiegespalten. Ich unterstütze Proteste gegen
Sotchi 2014 – aber nicht, um die Spiele als Ganzes zu verhindern,
sondern um eine aktive Einbeziehung der Tscherkessen (bzw. deren
jetzige Ignorierung) anzuprangern. Daneben bin ich der Meinung, dass
eine Entwicklung der Region Sotchi sehr wichtig ist und die
olympischen Spiele hier einen wesentlichen Beitrag für eine bessere
Zukunft auch der einfachen Anwohner leisten können und werden. Zu
einem Dialog mit dem Olympischen Komitee und den Organisatoren in
Russland um eine Einbeziehung ihres Volkes kann allen Tscherkessen
nur angeraten werden. Vielleicht sollte man hier einfach Vorschläge
bringen, was die Tscherkessen denn beitragen könnten – ohne die
Tragödie im Rahmen der Spiele zu stilisieren (siehe das positive
Sydney 2000), aber die Kultur, Vergangenheit und Zukunft des Kaukasus
zu präsentieren.
Daneben wären den Tscherkessen aber
auch eigene Mittel gegeben. So ist es auffällig, dass heute noch
immer praktisch keine Reiseführer für die Region Sotchi und
Kaukasus existieren. Warum so etwas nicht unter tscherkessischer
Regie machen? Ein „Reiseführer zu Sotchi mit tscherkessischen
Highlights“ wäre doch für die Gemeinschaft leicht zu erstellen
und dann auch in Deutschland, Europa, oder anderen Ländern –
gerade im Vorfeld der Olympiade - gut an den Mann zu bringen. Mich
würde so etwas sehr interessieren! So kann auch zu Orten geführt
werden, an denen heute kein Denkmal steht, zu denen kein offizieller
Wegweiser führt – und trotzdem kann dem Leser die Geschichte dazu
und so „nebenbei“ noch mehr Tscherkessisches vermitteln werden.
Auch sollte sich eine Webseite mit
Informationen zur Region aus tscherkessischer Sicht leicht erstellen
lassen – und so auch Informationsarbeit leisten. Weiterhin könnte
man versuchen, Historiker für das Thema zu gewinnen, die dann
entsprechende Arbeiten an Studenten vergeben könn(t)en.
Und natürlich sollte man versuchen,
die Öffentlichkeit außerhalb Russlands für die Tscherkessen zu
interessieren – indem man auch hier die Olympischen Spiele als
Zugpferd verwendet. Ein guter Bericht in einem Magazin wie Stern,
Spiegel oder Focus würde sicherlich den Tscherkessen viel bringen,
aber hier muss klar sein, dass dies gut vorbereitet sein muss und man
für Fakten Belege braucht. Dieser kleine Artikel ist nur ein
Beispiel für die Möglichkeiten die sich bieten.
Klar ist auch, dass dieser Bericht
keine umfassende Erörterung ist und gerade Menschen (wie den meisten
Deutschen), die mit dem Thema bisher nie Kontakt hatten, nur einen
Anstoß für eine weitere Beschäftigung mit dem Thema geben kann.
Eine finale Meinung nur mit diesen wenigen Informationen kann sich
wohl niemand bilden.
Gerade den außerhalb Russlands
lebenden Menschen möchte ich aber den Rat geben nicht nur „dagegen“
zu sein. Für solche Strategien hat Russland kein offenes Ohr. Wenn
die Tscherkessen statt dessen versuchen positive Beiträge zu
liefern, werden sie aber sicher in Russland Gehör finden.
Die Olympiade kann eine große Chance
für die Tscherkessen sein – wenn sie es schaffen, in einen
konstruktiven Dialog mit Russland zu gelangen (mit einem sinnvollen
Geben und Nehmen). Sollte das nicht möglich sein, so wird es sich
nach den Spielen eher wie eine schallende Ohrfeige für die
Tscherkessen anfühlen.
Quellen und weitere Informationen:
- www.sochi2014.com/en
- www.nosochi2014.com
- www.gfbv.de/uploads/download/download/235.pdf
- Wikipedia in deutsch, englisch und russisch
Über den Autor:
Mein Name ist Tobias Knoll, Jahrgang
1972. Ich bin Ingenieur und über die Kabardiner Pferde zu den
Tscherkessen gekommen. Die Tscherkessen haben das Kabardiner Pferd
geformt und begründet und über die Jahrhunderte in einer genialen
Koexistenz den Kaukasus beherrscht. Das Pferd war Weggefährte und
auch ein Grund für den Erfolg der Tscherkessen in ihren zahlreichen
Kriegen. Über das Pferd kam der Kontakt zu Russland, wie auch zum
dem Volk der Tscherkessen. Beides gehört nun zu meinem Leben wie die
Pferde und gerne engagiere ich mich sowohl für die Pferde, als auch
für Russland, speziell den wunderbaren Kaukasus, wie auch für das
tscherkessische Volk. Dabei steht für mich die Kooperation und das
konstruktive Entwickeln mit allen beteiligten im Vordergrund, nach
dem Motto: „Tradition bewahren heisst nicht die Asche anbeten, aber
das Feuer weitertragen.“
Das Pferd – in der Sprache der
Tscherkessen „Adygesch“: „Freund der Tscherkessen“ kann den
Tscherkessen hier helfen, Menschen über die Emotionen der Pferde zu
erreichen und Projekte gemeinsam mit Russland zu gestalten. Es wäre
mir eine Freude, wenn auf der Olympiade 2014 Tscherkessen stolz mit
ihren Kabardiner Pferden einreiten würden und so einen emotionalen
Teil zu einer der größten Sportveranstaltungen der Welt beitragen
würden und so ein Schritt zur Versöhnung mit Russland erfolgt.