Zarische Truppen, Krasnaja Poljana, 21.5.1864

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Dienstag, 24. Dezember 2013

Weihnachtspost von Scholars at Risk und Neoliberales aus Großbritannien

Scholars at Risk sind nach eigener Aussage ein internationales Netzwerk akademischer Einrichtungen, die es sich zum Ziel gemacht haben, Wissenschaftlern außerhalb der USA, deren Arbeit durch u.a. Diskriminierung, Zensur, Belästigungen und Einschüchterungsversuche gefährdet wird („Aids scholars outside the United States whose work is threatened by mass or individual displacement, discrimination, censorship, harassment, intimidation, ...”), Unterstützung zu bieten. Ich hatte Scholars at Risk am 12.2.2012 angeschrieben, nachdem ich seit Monaten von der Universität Southampton aktiv darin gehindert worden war, mein Dissertationsprojekt zum Abschluß zu bringen – von gerade der Universität, an die ich gewechselt hatte, um nicht mehr den gleichen Einschränkungen meiner akademischen Freiheit und Eingriffen wie an meiner deutschen Heimatuniversität ausgesetzt zu sein.

In meinem Schreiben an Scholars at Risk hatte ich - angesichts deren etwas vager Webpräsenz – betont, daß ich meine Situation keineswegs gleichsetzen wolle mir derjenigen von Akademikern, die einer massiven und unmittelbaren physischen Bedrohung ausgesetzt sind, ich nichtsdestotrotz aber massiv an meiner Arbeite gehindert werde und dies allmählich für mich existenzbedrohend wird.  Zum anderen hatte ich darauf hingewiesen, daß mir im Laufe der Zeit immer mehr Hinweise untergekomen waren, denen zu Folge andere Wissenschaftler und Intellektuelle, die sich mit der Aufarbeitung der Geschichte des Westkaukasus/ Nordkaukaus befassen, ebenfalls auf ungewöhnliche Schwierigkeiten stoßen, sie marginalisiert, behindert und eingeschüchtert werden. Es scheint sich um ein regelrechtes Charakteristikum unseres Arbeitsfeldes zu handeln: mal wird der Druck subtiler, mittels „sanfter“ Zensurtechniken ausgeübt, mal über Jobverlust oder gar physische Bedrohung. Gesprochen wird darüber maximal unter vorgehaltener Hand - aus Angst vor weiteren Konsequenzen. Ich hatte demzufolge Scholars at Risk gebeten, ob sie nicht - etwa durch Herstellung einer kritischen, wachsamen Öffentlichkeit - ganz konkret Maßnahmen ergreifen könnten, damit auch im Bereich der Nordkaukasusstudien in Zukunft Freiheit und Sicherheit für unabhängige Forschung gegeben seien, wie sie in anderen Feldern doch eher selbstverständlich sind.

Im Gegensatz zu anderen Adressaten habe ich von Scholars at Risk immerhin eine schnelle und höfliche, d.h. formal korrekte Antwort erhalten. Eine Beratung oder gar konkrete Unterstützung wurde in meinem Fall allerdings abgelehnt mit der Begründung, es sei die Kernaufgabe von Scholars at Risk, Akademikern, deren Leben akut bedroht sei, zu einer temporären Anstellung (im Ausland) zu verhelfen. Stillschweigend mitabgelehnt wurde, sich dem weiteren Problemkomplex zu stellen, dem eines offenbar in Wissenschaft und Öffentlichkeit tabuisierten Forschungsfeldes. Man hat sich wie schon so oft jenseits eines Herunterbrechens auf „persönliche“ Probleme gar nicht erst die Mühe gemacht, auf politische Blockaden des Forschungsfeldes einzugehen als solches und damit auch die gleichgearteten Probleme von Kollegen zu registrieren und analysieren.

Daß die Behauptung, man konzentriere sich bei Scholars at Risk auf Fälle, in denen unmittelbar Leib und Leben in Gefahr seien, nicht stimmt, hatte ich schon damals bemerkt. So schildern Scholars at Risk beispielsweise auf ihren Internet-Seiten den Fall eines Journalismus-Professors, dem an der in NanyangTechnological University in Singapur aufgrund von parteipolitischem Engagement seine „tenureship“ verweigert werden sollte. Kritisiert wurde hieran, daß die Verweigerung von tenureship darauf abziele, die akademische Meinungsäußerung eines Wissenschaftlers zu begrenzen und damit akademische Werte untergraben würden. Man ist also durchaus in der Lage, auch subtilere Mechanismen der Zensur zu durchschauen und dagegen das Wort zu ergreifen – warum nicht auch in Bezug auf 10 Jahre an Diskriminierung, Einschüchterung, institutioneller Willkür und indirekter staatlicher Einmischung, wie ich sie erlebt habe? Warum nicht in Bezug auf die politischen Verhältnisse, die verhindern, daß sich Nordkaukasusstudien als ein eigenständiger Wissenschaftsbereich konstituieren und damit nicht mehr der direkten politischen Einflußnahme ausgesetzt sind? Die hieraus erneut gewonnene Lektion: Wer sich als unabhängiger Akademiker mit dem Nordkaukasus beschäftigt und dadurch in Schwierigkeiten gerät, zählt für gewisse Kreise einfach nicht.

Ich habe damals die Angelegenheit auf sich beruhen lassen und Scholars at Risk nicht auf ihre disparaten Maßstäbe beim Feststellen wissenschaftlicher Repressionen verwiesen. Ich war nach oberflächlicher Durchsicht von Personalien und Kooperationspartnern zur Ansicht gelangt, daß ich mich in derartigem Umfeld wohl ohnehin nicht frei und politisch unabhängig gefühlt hätte und es wenig Sinn machen würde, die eine kompromittierende Situation durch eine andere, womöglich kaum weniger kompromittierende, zu ersetzten. Wenn ich den europäischen Kolonialismus, in diesem Falle in seiner russischen Variantem kritisch aufarbeiten möchte und dabei in Konflikt gerate mit Militarisierungstendenzen an meiner deutschem Heimatinstitution, so werde ich nicht anschließend als vermeintliche Lösung meiner Probleme dafür entscheiden, neoimperialen "Sicherheitsinteressen" der USA zuzuarbeiten und mich etwa zur Voice of America zu machen. Für mich stellt die Alternative zwischen Skylla und Charybdis, die aktuell auf internationaler Ebene im wissenschaftspolitischen Angebot ist, schlicht und einfach eine Erpressung unabhängiger Forschung dar.

Nun habe ich am 3. Dezember, pünktlich zur Vorweihnachtszeit mit ihrer Flut an Wohltätigkeit, Hilfsbereitschaft und entsprechenden Spendenaufrufen, erneut Post von Scholars at Risk erhalten. Betitelt ist das bunte Schreiben mit „Help Scholars at Risk“. Interessant, denn ich hatte ja ursprünglich gedacht, hier bekomme man Hilfe geboten, nun sucht man also selber welche? Scholars at Risk bitten mich „to stand with us as we work to protect threatened scholars and promote academic freedom worldwide“ („uns zur Seite zu stehen in unserem Bemühen, gefährdete Wissenschaftler zu stützen und die Wissenschaftsfreiheit weltweit zu fördern“). Unterlegt ist das Bettelgesuch mit einer Eindruck heischenden Aufstellung der eigenen jährlichen Leistungsbilanz: 
 
This year we helped over 70 scholars to escape danger and keep working in safety, and over 200 others with referrals, advice, mentoring and more.“ - „Dieses Jahr haben wir über 70 Wissenschaftlern geholfen, Gefahren zu entrinnen und weiterhin in Sicherheit zu arbeiten, sowie über 200 anderen mit Empfehlungen, Rat, Betreuung und weiterem.“ 
 
Allein für dieses Jahr sind es also laut Eigendarstellung über 200 Fälle gewesen, in denen es nicht um dramatische Rettungsaktionen, sondern Beratung und Betreuung in nicht ganz so kritischen Fällen gegangen war. Aber hat man hier tatsächlich geholfen und beraten? Oder sind es Absageschreiben wie das an mich gerichtete, die hier als "Beratung" und "Betreuung" in die Statistik Eingang finden? Wie dem auch sei, nun habe ich es sozusagen amtlich und höchst offiziell in Zahlen, daß zum Aktionsfeld von Scholars at Risk in der Tat auch Beratung und Intervention bei unterschiedlich ausgestalteten Fällen intellektueller Repression gehören und sie sich keineswegs nur auf Dissidenten-Import beschränken – gespendet habe ich trotzdem nichts. 




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Ergänzendes zum damaligen konkreten Hintergrund meines Schreibens an Scholars at Risk, dem Verhalten der Universität Southampton:  

Zum Zeitpunkt meines Hilferufs an Scholars at Risk im Februar 2013 hatte die Universität Southampton bereits vielfach die eigenen Regeln und insbesondere auch vorgegebene Fristen durchbrochen, das von mir eingeleitete Beschwerdeverfahren zog und zog sich hin und es war kein Einlenken in Sicht. Ich hatte wiederholt und mit höchstem Nachdruck um zügige, fristgerechte Bearbeitung gebeten und darauf hingewiesen, wie wichtig es sei, daß meine Arbeit bis 2014 als Symboljahr des Völkermords an den Tscherkessen fertiggestellt werde. Der eingesetzte Beschwerdeprüfer hat es allerdings nicht einmal als nötig empfunden, auf diesen Umstand überhaupt einzugehen. Das Resultat aus heutiger Sicht: eine nunmehr seit anderthalb Jahren andauernde aktive Blockade meines Forschungsprojektes und die Verhinderung der Erscheinung einer entsprechenden wissenschaftlichen Studie noch vor den Olympischen Spielen. 

Auf praktischer Ebene bestand mit der Universität Southampton folgendes Problem: Ich hatte meine Ansprechspartner in Southampton vielfach auf den politischen Druck, dem ich in Deutschland ausgesetzt war, auf Einschüchterungsversuche und fortgesetzte Diskriminierungen hingewiesen. Reaktion war zunächst ein jahrelanges Ignorieren, Verharmlosen und implizites Abstreiten gewesen, als sich die Tendenzen in Deutschland nicht mehr abstreiten ließen, mit einer absoluten Gleichgültigkeit hingenommen. Mir war aufgrund der fehlenden Unterstützung wenig anderes übrig geblieben, als mich Anfang 2009 einer bedrückenden und zunehmend als bedrohlich empfundenen Situation durch Umzug ins Ausland zu entziehen und mich hierfür auf eigenes Anraten in Southampton beurlauben zu lassen. Nach einem langwierigen Kampf in schlechter gesundheitlicher Verfassung gegen weitergehende Belästigungen und die Folgeschäden meines Ausschlusses aus dem Wissenschaftsbetrieb war es mir dan 2011 gelungen, eine vorübergehende wissenschaftliche "Anstellung" an einer der vielen Istanbuler Privatuniversitäten zu finden und damit zumindest ein kleines Stück meiner akademischen Reputation zurückzugewinnen. Im Herbst 2012 wäre ich damit - nach 3 Jahren der Zwangspause - erstmals wieder aus eigener Kraft in der Lage gewesen, konzentriert und kontinuierlich wissenschaflliche Arbeit zu leisten und damit meine Dissertation zum Abschluß zu bringen. 

Auf meine nachdrücklichen Forderungen hin, mir endlich den Abschluß meines Doktorandenstudiums zu gewähren, verlangte die Universität Southampton jedoch plötzlich von mir, den bereits im Vorfeld meines Wechsels an diese Universität durchgewunkenen Inhalt und die Strukturierung meiner Arbeit von Neuem mit einem akademischen Betreuerteam zu besprechen und umzugestalten. Das wäre an sich schon ärgerlich genug gewesen, noch problematischer aber war, daß mir ebendieses Team von Betreuern nicht gestellt wurde und damit auch kein veränderter Schreibplan beschlossen werden konnte. Die Person, die bis dahin (auf regelwidrige Weise alleinverantwortlich) für meine akademische Betreuung zuständig gewesen war bzw. wäre, hatte sich zu exakt diesem Zeitpunkt generell aus der Doktorandenbetreuung zurückgezogen - ohne für Ersatz gesorgt zu haben.

Obwohl das Problem von außen betrachtet ein rein Formales war, so haben sich hieran doch auch inhaltliche und wissenschaftsethische Differenzen geknüpft: hinter der Aufforderung der Neustrukturierung verbarg sich eine Anspielung darauf, daß man mir schon 2008 durch die Blume zu  verstehen gegeben hatte, daß ich zwar den russischen Kolonialismus aufarbeiten dürfe, die britische Involviertheit im Westkaukasus dagegen „in meinem eigenen Interesse“ besser aussparen solle. Hinzu kommen im Falle der Universität Southampton im Besonderen (und der aktuellen Entwicklung des Hochschulwesens in der UK im Besonderen) eine außerordentliche Profitorientierung gepart mit einem Mangel kompetenten Personals, politischer Opportunismus und ein allgemeines Duckmäusertum. In einem durchkommerzialisierten und duchrationalisierten Betrieb wie der Universität Southampton wird offenbar all das als hinderlich und störend empfunden, was nicht voll und ganz stromlinienförmig ist und nicht auf unmittelbare Weise profitabel ist - und Genozidstudien, zumal zu einem solch abseitigen Gebiet wie dem Westkaukasus, werfen nun mal keine Gewinne ab, würden vielmehr Einsatz für akademische Rechte und die Verteidigung wissenschaftlicher Unabhängigkeit verlangen und sind damit potentiell mit politischen und wirtschaftlichen Kosten verbunden.

Auch als ich schließlich im Dezember 2012 nach monatelangen folgenlosen Klagen ein formales Beschwerdeverfahren erzwang, wurde von Seiten der Universität rein gar nichts unternommen, um die eigenen Versäumnisse und Fehler zu beheben, d.h. konkrete Abhilfe und einen Ausgleich für die von mir durch das institutionelle Versagen erlittenen Nachteile zu schaffen. Statt dessen hat man sich monatelang bemüht, mir selbst formale Mängel und Regelverstöße nachzuweisen und das Problem damit auf mich als Sündenbock abzuwälzen - was allerdings aufgrund der von mir gesammelten Nachweise nicht auf überzeugende Weise gelang. Das alleinige Ergebnis waren hunderte Seiten an Korrespondenz und Belegen, Bitten, Rügen und Nachfragen, die für Monate meine Zeit, Energie und Arbeitskraft in Anspruch genommen haben. Wie auch eine offizielle Bestätigung in dreifacher schriftlicher Ausführung (dem 3-stufigen offiziellen Beschwerdemodus entsprechend), daß man in Southampton zwar die akademische Freiheit von Doktoranden respektiere, sich aber weder in der Lage noch in irgendeiner Weise verpflichtet sehe, diese auch gegenüber Eingriffen und Belästigungen von außen zu verteidigen und hochzuhalten.