Zarische Truppen, Krasnaja Poljana, 21.5.1864

Zarische Truppen, Krasnaja Poljana, 21.5.1864

Montag, 2. Dezember 2013

"Redaktionelle Mißverständnisse" auch bei der Süddeutschen


Am 25. November sind in der Artikelserie "Der geheime Krieg" der Süddeutschen Zeitung folgende zwei z.T. inhaltsgleiche Artikel erschienen, die die Unterwanderung deutscher Universitäten durch militärische Organisationen und Verbände, darunter das Verteidigungsministerium der USA, thematisierten:

1."US-Militär finanziert deutsche Forscher" (Ohne Autorennennung, 6:11)

Dieses Thema interessiert mich nicht nur vor meinem eigenen friedenspolitischen Hintergrund. Es interessiert mich auch konkret aufgrund meiner eigenen Erfahrungen mit der Unterwanderung akademischer Forschung duch militärische Interessen. In letzterem sehe ich einen der Hauptgründe dafür, daß in Deutschland kritische Kolonialgeschichte samt der Erforschung genozidaler Gewalt wieder zunehmend unbeliebt wird. Um die Absurdität der sich hiermit weiter verstärkenden Forschungsschieflage einmal vor Augen zu führen: laut einem international führenden Spezialisten auf diesem Gebiet gibt es in Deutschland nicht einmal einen einzigen Lehrstuhl für Genozidforschung (und auch meine Überprüfung dieser Aussage hat kein anderes Ergebnis erbracht). Dagegen werden immer mehr millionenschwere "wissenschaftliche" Großprojekte aus dem Boden gestampft, die über Drittmittel finanziert und explizit oder implizit militärischen Interessen zuarbeiten. Parallel dazu geht zunehmend das Verständnis von Wissenschaftsfreiheit verloren und wird diese kritischen Wissenschaftlern, die sich nicht von außen an sie gerichteten Anforderungen und insbesondere dem Militarisierungsdruck beugen wollen, nicht mehr zuerkannt. 

Ich habe vor diesem Hintergrund sofort die Gelegenheit ergriffen, auf den Zusammenhang von militärischer Forschungsförderung einerseits und der Repression kritischer Wissenschaft andererseits hinzuweisen wie auch explizit auf den noch um einiges verschärften Sonderfall der fehlenden Aufarbeitung der blutigen Kolonialgeschichte des Westkaukasus aufmerksam zu machen. Im 12:25 Uhr habe ich folgenden Kommentar zu Artikel Nr. 1 getätigt, der auch zügig freigeschaltet wurde und auf Seite 4 der Kommentarspalte erschien:

""Die Wissenschaftsministerien der Länder betonten auf Anfrage die Forschungsfreiheit der Professoren. " Mal angenommen, ich nehme das den entsprechenden Ministerien sogar ab. Was ist dann aber mit der Forschungsfreiheit des Mittelbaus und der Nachwuchswissenschaftler, die hier offenbar nicht einmal eine Erwähnung wert ist ? Meine Forschungsfreiheit als Doktorandin ist - trotz formaler Genehmigung meines Projektes - an der Universität Tübingen definitiv nicht gewahrt worden, und zwar, weil das Thema kolonialer Völkermord angesichts der auch dort vorhandenen Militarisierungsbestrebungen unerwünscht war und bereits Begriffe wie "Genozid" und "Pogrom" dort als moegliche Konnotationen von "Krieg" nicht gefielen: ich sollte diese Begriffe und die damit verbundenen Themenbereiche aus meinen Texten heraushalten bzw. entfernen. Nachdem ich diesen "Ratschlägen" nicht nachkam, wurde ich gemobbt und diskriminiert, u.a mittels der Einbehaltung von speziell für mein Projekt vorgesehenen Forschungsgeldern. Daß das Drittmittelprojekt, in dem ich tätig war, irgendetwas mit militärischen Interessen zu tun haben könnte, wurde damals heftigst abgestritten (auf meine entsprechend geäußerten Vermutungen und Aufforderung zu einer kritischen Diskussion hin wurde ich mit Anzeige wegen Verleumdung und übler Nachrede bedroht) , hat sich aber im Nachhinein als wahr herausgestellt. Wie in Deutschland allgemein beim Thema Völkermord an den Tscherkessen - wohl in Rücksichtnahme auf aussenpolitische Interessenlagen - d.h. sowohl in der Wissenschaft als auch der medialen Öffentlichkeit zensiert und repressiert wird, ist u.a. auf meinem Blog unter "Sochi 2014 nachgefragt" nachzulesen:
http://sochi2014-nachgefragt.blogspot.com/"

Nachdem dann auch Artikel Nr. 2 erschienen war, habe ich dort um 12:37 Uhr einen weiteren Kommentar getätigt, aus Zeitgründen dabei aber einen Teil meines alten Kommentars kopiert:

"Entgegen der irrigen Annahme, nur naturwissenschaftliche Forschung liesse sich für den Krieg instrumentalisieren, sind von der Militarisierung deutscher Universitäten auch in größerem Umfang die Geisteswissenschaften betroffen. Es wird geforscht zu politiscer Radikalisierung und Aufstandsbekämpfung, Flüchtlingsabwehr, der Wahrnehmung und Verarbeitung von Krieg, zu Fragen der "inneren Führung", dem Umgang mit Katastrophensituationen.... Meine Forschungsfreiheit als Doktorandin ist [... ab hier identisch mit obigen Text]."

Dieser zweite Kommentar war auch gegen 13:00 Uhr noch nicht veröffentlicht, wobei später geschriebene Kommentare anderer Leser (z.B. "InVivo") bereits freigeschaltet waren:


Ich habe sofort an Zensur gedacht und war erbost, weil ich es bei der SZ bisher nur ein einziges Mal erlebt habe, daß eine Kommentar-Antwort von mir nicht freigeschaltet wurde. Im Erscheinen meines ersten Kommentares sehe ich dazu keinen Widerspruch, denn ich habe durchaus anderswo die Erfahrung gemacht, daß bei Nachzügler-Kommentaren zu nicht mehr ganz so aktuellen Artikeln manchmal mehr drin ist als bei Kommentaren am Anfang einer Diskussion und beim Aufmacher-Artikel. Ich habe darum diesen Vorgang nicht auf sich beruhen lassen wollen und gegen 13:08 in Form eines erneuten Kommentarversuchs protestiert:

"Wo ist mein erster Kommentar von 12:37 Uhr? Was macht es für einen Sinn, derartige Artikel zu veröffentlichen, wenn dann keine freie und umfängliche Diskussion erfolgt? Ich schrieb: Entgegen der irrigen Annahme [...alter Kommentartext]."



Daraufhin erhielt ich um 1:48 pm folgende email:

"Lieber irmakreiten,

wir haben Ihren Beitrag gelöscht, da er bereits in einem anderen Thread veröffentlicht wurde. Diese Art von Crossposting widerspricht unseren Regeln: www.sz.de/regeln

Vielen Dank für Ihr Verständnis.

Anbei finden Sie eine Kopie Ihres Beitrags:

 [...] 

Mit freundlichen Grüßen,
U[...]

Mitarbeiter Social Media Editing"



Diesmal habe ich  per email zurückgeschrieben (um 2:41pm):

"Sehr geehrte Redaktion,

Ich danke für die Rückmeldung samt Begründung für die erfolgte Zensur, hätte dazu aber folgende Einwände vorzubringen:

1. Ich kann Ihren hier verlinkten Diskussionsregeln keinerlei Verbot von Doppel- oder Crosspostings zu unterschiedlichen Artikeln entnehmen, die Termini als solche sind in Ihrer Netiquette nicht einmal vorhanden. Es ist dort lediglich von mehrfach abgeschickten Beiträgen im Sinne von Spam die Rede.
2. Ich habe zwei verschiedene Kommentare zu zwei verschiedenen Artikeln getätigt. Es handelt sich keineswegs um eine komplette Kopie, ich habe lediglich aus Zeitgründen einige Sätze meines ersteren Kommentars zum Artikel http://www.sueddeutsche.de/politik/geheimer-krieg-us-militaer-finanziert-deutsche-forscher-1.1826649?commentspage=all:4: übernommen und nicht alles komplett neu formuliert. Erst nachdem mein zweiter, abgeänderter Kommentar zu letzterem Artikel (http://www.sueddeutsche.de/politik/deutsche-forschung-fuer-das-pentagon-armee-der-wissenschaft-1.1826789-2?commentspage=all:1:#commentsnicht erschienen war, etliche deutlich später getätigte Kommentare anderer Leser aber bereits freigeschaltet waren, habe ich einen zweiten Kommentarversuch unternommen und dabei auch die Frage gestellt, warum der Kommentar nicht freigeschaltet worden war.
3. Bei anderen Kommentatoren scheint wortgleiches Posten kein Problem dargestellt zu haben, siehe etwa den offensichtlich per copy and paste übernommenen Kommentar von Tribun86 zu eben diesen beiden Artikeln. Allerdings handelt es sich bei diesem Kommentator dann auch um einen Kriegsbefürworter und nicht -gegner.
4. Ich dokumentiere meine Kommentare und die bei diesen Themenkomplexen immer wieder stattfindenden Zensurmaßnahmen von Redaktionen immer auch selbst mittels screenshots und veröffentliche diese dann gegebenenfalls samt dazugehöriger etwaiger email-Korrespondez auf meinem blog. 

Mit freundlichen Grüßen,

                                                            Irma Kreiten"



Etliche Minuten später ging dann folgende email bei mir ein (ebenfalls mit 2:41 pm angegeben, wie diese Überschneidung in der Datierung zustandekommt, und ob somit die email nun tatsächlich die Antwort auf meinen Beschwerde-Kommentar darstellte oder nicht doch auf meine email darstellte, kann ich leider nicht klären):

"Lieber irmakreiten,

vielen Dank für Ihren Hinweis. Leider kann ich nicht sagen, warum mein Kollegin Ihren Beitrag nicht freigeschaltet hat. Ich habe Ihren Originalbeitrag wieder online gestellt und auch an den zuständigen Autor weitergeleitet. Den zweiten Beitrag habe ich dann wieder entfernt.

Anbei finden Sie eine Kopie Ihres Beitrags:



[...]
 
Mit freundlichen Grüßen,

D[...]

Mitarbeiter Social Media Editing
"


Und dann noch direkt um 2:43 p.m.hinterhergeschickt in Antwort auf meine e-mail:

"Liebe Frau Kreiten,
 

wie ich Ihnen gerade eben geschrieben habe, lag da wohl ein Missverständnis vor. Ich habe Ihren Beitrag wieder freigeschaltet.
 

Mit freundlichen Grüßen,

D[...]

Mitarbeiter Social Media Editing
"


Natürlich ist diese schnelle Reaktion und das nachträgliche Freischalten um Welten besser als die Nichtreaktion des Spiegels und die inkommensurablen, um nicht zu sagen tendentiell rassistischen Auswahlkriterien bei der Frankfurter Rundschau. Nett finde ich auch den kleinen tröstenden Hinweis, daß mein Kommentar an den Autor des betreffenden Artikels weitergeleitet worden sei.

Ich möchte den entsprechenden Mitarbeitern der SZ auch gar nicht unterstellen, hier bewußt eine Thematisierung des Völkermords an den Tscherkessen verhindert zu haben. Dies hätte schließlich auch gar nicht zum Geiste der vorliegenden Artikel gepaßt - und immerhin finden die tscherkessischen Proteste zu Sotschi 2014 in der SZ zumindest  ein einziges Mal eine kurze Erwähnung ("Vertreter vom Volksstamm der Tscherkessen kritisieren, dass die Skiwettbewerbe in Krasnaja Poljana stattfinden - in der Gegend wurden Hunderttausende ihrer Vorfahren am Ende des Kaukasus-Krieges im 19. Jahrhundert in blutigen Auseinandersetzungen getötet oder vertrieben." 9.10.2013). So unbefriedigend das auch sein mag, ist es doch mehr als bei anderen Medien zu diesem Thema geboten wird, nämlich nichts.

Ich vermute deshalb, die hier geschilderten Mißverständnisse könnten darin begründet liegen, daß die verantwortlichen Mitarbeiter im Fließbandmodus Kommentare prüfen und freischalten und dabei Pi mal Daumen aufgrund ihres eigenen Alltagswissens entscheiden, welcher Kommentar sachgerecht, welche Information plausibel ist und was nicht. Der Völkermord an den Tscherkessen eckt zwangsläufig an, birgt er doch in der Tat in sich einen schreienden Widerspruch: auf der einen Seite steht die Schwere des historischen Verbrechens, auf der anderen die fehlende Bekanntheit, die ausbleibende Aufarbeitung und die Absurdität seiner medialen Vernachlässigung trotz höchster Aktualität. Er muß damit geradezu irritieren und verunsichern. Letzendlich ist es eines der Funktionsprinzipien unserer Massenmedien, daß das, was bereits viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat, als legitim akzeptiert und weiter multipliziert, anderes dagegen als fraglich und problematisch aussortiert wird.

 Es bleibt die Tatsache bestehen, daß beim Thema "Tscherkessen" das, was bei anderen Themen selbstverständlich ist - freie Meinungsäußerung und ungehinderter Austausch von Informationen - sich hier erst durch Nachfragen, Argumentieren und das Beibringen von Belegen herstellen läßt und man hierzu immer wieder einen mit einem zusätzlichen Aufwand verbundenen Schriftverkehr führen muß. Dem Thema fehlt es schlicht und einfach an Selbstverständlichkeit. Damit wird denjenigen, die sich nichtsdestotrotz mit dem Völkermord an den Tscherkessen beschäftigen, eine ermüdende permanente Rechtfertigungshaltung aufgewzungen.