Heute veranstaltet die Ortsgruppe Frankfurt von Amnesty International anläßlich des Internationalen Tags der Menschenrechte eine Podiumsdiskussion zum Thema "Olympische Winterspiele in Sotschi - Eiszeit für die Menschenrechte?". Über die Veranstaltung an sich, d.h. hinsichtlich Referenten und Themengebung, freue ich mich. Der Name Amnesty International dagegen weckt bei mir extrem ungute persönliche Erinnerungen, wie auch Ärger über die zwiespältige Haltung dieser Mega-NGO. Amnesty International Deutschland, die nun in Bezug auf Rußland die Einhaltung von Menschenrechten anmahnen, waren noch Anfang diesen Jahres selbst nicht in irgendeiner Weise dazu bereit gewesen, sich dafür einzusetzen, daß bei eben demselben Thema - Tscherkessen, Minderheitenschutz im Westkaukasus und Vergangenheitsaufarbeitung - innerhalb Deutschlands die Wissenschafts- und Forschungsfreiheit gewährleistet bleibt bzw. in meinem konkreten Falle wiederhergestellt wird. Für mich ist eine derartig widersprüchliche Haltung extrem unglaubwürdig und wird damit letztendlich auch nicht der Wahrung der Menschenrechte in Rußland gedient. Wer im Ausland kritisiert, muß auch im eigenen Lande zu einer kritischen, aufrechten und konsequenten Haltung bereit sein und auch anderen dieses Recht zugestehen. Insofern sei es mir erlaubt, hier nicht an der Veranstaltung selbst, die ich nach wie vor begrüße, sondern an Amnesty International als deren Träger Kritik zu äußern. Ich halte dies für so lange für notwendig, wie von Seiten dieser Organisation keine Entschuldigung, Richtigstellung und Klärung der hier geschilderten Mißstände erfolgt. Das heute von mir an die Veranstalter gerichtete Schreiben lautet:
Einsatz für Meinungsfreiheit und Menschenrechte erfordert Konsequenz und Ehrlichkeit – Einspruch gegen AI als Träger der heutigen Veranstaltung (10.12.2013)
Einsatz für Meinungsfreiheit und Menschenrechte erfordert Konsequenz und Ehrlichkeit – Einspruch gegen AI als Träger der heutigen Veranstaltung (10.12.2013)
Sehr
geehrte Referenten, liebe Teilnehmer,
Bitte
lassen Sie mich Ihnen kurz vorstellen: ich heiße Irma Kreiten, bin
Ethnologin und Historikerin und arbeite seit rund zehn Jahren zur
Kolonialgeschichte des Westkaukasus. Ich bin nach bestem Wissen und
Gewissen die erste deutsche Wissenschaftlerin, die das Thema
„Völkermord an den Tscherkessen“ aufgegriffen und jahrelang um
dessen Existenzberechtigung gekämpft hat. Es ist mir zudem bei aller
persönlichen Bescheidenheit bis heute nicht bekannt, daß es im westsprachlichen
Raum ein vergleichbares interdisziplinäres Projekt gäbe, das sich
explizit mit den Ursachen genozidaler Gewalt im Westkaukasus
befasst.
Meine
wissenschaftliche Forschung hat auf internationaler Ebene stets
Anerkennung und Lob erfahren. Ganz im Gegensatz dazu bin ich an meiner
Heimatinstitution, der Universität Tübingen, ausschließlich auf
Unverständnis, rassistische Einstellungen, aggressive Reaktionen und
ein allgemeines Nicht-Wahrhabenwollen gestoßen. Den Rufmord und die
Benachteiligungen, die ich dort durch meine Vorgesetzten erfahren
habe, habe ich bis heute nicht ausgleichen können. Ich habe
weiterhin keine Möglichkeit, mein Dissertationsprojekt erfolgreich
zu beenden, ich finde keine reguläre Anstellung mehr und meine Gesundheit
ist zerrüttet. Die Marginalisierung und Ausgrenzung, die ich
erfahren mußte, haben sich fortgesetzt bis hin zu dem
Versuch, meinen Widerstand gegen den von mir erlebten Druck zu
kriminalisieren.
Im
Sommer 2012 habe ich mich in einer Situation der Verzweiflung an
Amnesty International Deutschland gewandt. Anstelle der erhofften
Unterstützung oder doch zumindest Beratung bin ich dort auf
vollkommenes Desinteresse und kaltschnäuzige Arroganz gestoßen.
Allein aufgrund der Tatsache, daß ich durch meine
wissenschaftliche Arbeit innnerhalb Deutschlands Opfer von
Diskriminierung und Ausgrenzung geworden bin, hat man dort geglaubt,
mich verhöhnen und der Lächerlichkeit preisgeben zu können. Bei
einer weiteren telefonischen Nachfrage ist mir einfach der Hörer aufgelegt
worden. Gelegenheit, mein Anliegen und die Schwierigkeiten, mit denen
ich konfrontiert bin, überhaupt erst einmal vorzutragen, hat man mir
nicht geben. Auf schriftliche Nachfrage hin wurde mir bestätigt, daß
Amnesty International sich nicht mit innerdeutschen Angelegenheiten
befasse, das vorherige Verhalten wurde als weitgehend
AI-standardkonform abgetan.
So
sehr ich mich auch freue, daß der Völkermord an den Tscherkessen
nun Schritt für Schritt doch zu einem öffentlichen Thema wird, so
bitter und grotesk ist es für mich, daß die heutige Veranstaltung
ausgerechnet von Amnesty International getragen wird. In meiner
Wahrnehmung ist es ein schreiender Widerspruch, daß AI Deutschland
nun, so wie das Thema aktuell und populär wird, gegenüber
Menschenrechtsverletzugen im Umfeld von Sotschi 2014, d.h. gegenüber Rußland als Forum für
Demokratie und Rechtsstaatlichkeit auftritt, sich aber zuvor bei
exakt dem gleichen Thema selbst an Unterdrückung und Ausgrenzung
beteiligt hat. Da bisher weder von AI noch irgendeiner anderen
deutschen Organisation Schritte zu meiner Rehabilitierung
unternommen wurden, ich weitgehend vom öffentlichen Diskurs
ausgeschlossen bleibe und auch gezielt zensiert werde, möchte ich
hier eine gewisse Fairness und Konsequenz anregen.
Die
Lokalgruppe Frankfurt mag bei dieser Angelegenheit keinerlei Schuld
treffen, ich nehme an, daß sie bisher nicht einmal Kenntnis von
dieser Sachlage hatte. Trotzdem ist es Sache von Amnesty
International, derartiges widersprüchliches und willkürliches
Verhalten zu vermeiden bzw. aufzuklären – auch der eigenen
Glaubwürdigkeit willen. Für Sie mögen die benannten Widersprüche
ein unglückliches Aufeinandertreffen von Zufällen sein, für mich
sind sie symptomatisch für die Hypokrisie, die Mißachtung und das
Schweigen, die in Deutschland kritischen Wissenschaftlern
entgegenschlagen und diese daran hindern, die erforderliche Öffentlichkeit herzustellen.
Den
Referenten, an deren guten Absichten und Kompetenzen ich keinerlei Anlaß zum Zweifel habe, wünsche ich dessen ungeachtet für diese
Veranstaltung allen nur denkbaren Erfolg und entsprechende
gesellschaftliche Resonanz. Ich hoffe sehr, daß möglicherweise
gerade auch dieser Abend einen Ansatzpunkt bieten wird, um die
mich bewegenden Probleme zu allseitiger Zufriedenheit und auch in
Hinblick auf eine produktive zukünftige Zusammenarbeit zu lösen.
Mit
freundlichen Grüßen und Dank für Ihre Aufmerksamkeit,
Irma
Kreiten
Kontakt
und weitere Informationen: irmakreiten(at)gmail.com;
http://sochi2014-nachgefragt.blogspot.com/,
https://soton.academia.edu/IrmaKreiten