Zarische Truppen, Krasnaja Poljana, 21.5.1864

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Dienstag, 10. Dezember 2013

Wie glaubwürdig ist AI in Bezug auf Sotschi 2014?

Heute veranstaltet die Ortsgruppe Frankfurt von Amnesty International anläßlich des Internationalen Tags der Menschenrechte eine Podiumsdiskussion zum Thema "Olympische Winterspiele in Sotschi - Eiszeit für die Menschenrechte?".  Über die Veranstaltung an sich, d.h. hinsichtlich Referenten und Themengebung, freue ich mich. Der Name Amnesty International dagegen weckt bei mir extrem ungute persönliche Erinnerungen, wie auch Ärger über die zwiespältige Haltung dieser Mega-NGO. Amnesty International Deutschland, die nun in Bezug auf Rußland die Einhaltung von Menschenrechten anmahnen, waren noch Anfang diesen Jahres selbst nicht in irgendeiner Weise dazu bereit gewesen, sich dafür einzusetzen, daß bei eben demselben Thema  - Tscherkessen, Minderheitenschutz im Westkaukasus und Vergangenheitsaufarbeitung - innerhalb Deutschlands die Wissenschafts- und Forschungsfreiheit gewährleistet bleibt bzw. in meinem konkreten Falle wiederhergestellt wird.  Für mich ist eine derartig widersprüchliche Haltung extrem unglaubwürdig und wird damit letztendlich auch nicht der Wahrung der Menschenrechte in Rußland gedient. Wer im Ausland kritisiert, muß auch im eigenen Lande zu einer kritischen, aufrechten und konsequenten Haltung bereit sein und auch anderen dieses Recht zugestehen. Insofern sei es mir erlaubt, hier nicht an der Veranstaltung selbst, die ich nach wie vor begrüße, sondern an Amnesty International als deren Träger Kritik zu äußern. Ich halte dies für so lange für notwendig, wie  von Seiten dieser Organisation keine Entschuldigung, Richtigstellung und Klärung der hier geschilderten Mißstände erfolgt. Das heute von mir an die Veranstalter gerichtete Schreiben lautet:


Einsatz für Meinungsfreiheit und Menschenrechte erfordert Konsequenz und Ehrlichkeit – Einspruch gegen AI als Träger der heutigen Veranstaltung (10.12.2013)

Sehr geehrte Referenten, liebe Teilnehmer,

Bitte lassen Sie mich Ihnen kurz vorstellen: ich heiße Irma Kreiten, bin Ethnologin und Historikerin und arbeite seit rund zehn Jahren zur Kolonialgeschichte des Westkaukasus. Ich bin nach bestem Wissen und Gewissen die erste deutsche Wissenschaftlerin, die das Thema „Völkermord an den Tscherkessen“ aufgegriffen und jahrelang um dessen Existenzberechtigung gekämpft hat. Es ist mir zudem bei aller persönlichen Bescheidenheit bis heute nicht bekannt, daß es im westsprachlichen Raum ein vergleichbares interdisziplinäres Projekt gäbe, das sich explizit mit den Ursachen genozidaler Gewalt im Westkaukasus befasst.
Meine wissenschaftliche Forschung hat auf internationaler Ebene stets Anerkennung und Lob erfahren. Ganz im Gegensatz dazu bin ich an meiner Heimatinstitution, der Universität Tübingen, ausschließlich auf Unverständnis, rassistische Einstellungen, aggressive Reaktionen und ein allgemeines Nicht-Wahrhabenwollen gestoßen. Den Rufmord und die Benachteiligungen, die ich dort durch meine Vorgesetzten erfahren habe, habe ich bis heute nicht ausgleichen können. Ich habe weiterhin keine Möglichkeit, mein Dissertationsprojekt erfolgreich zu beenden, ich finde keine reguläre Anstellung mehr und meine Gesundheit ist zerrüttet. Die Marginalisierung und Ausgrenzung, die ich erfahren mußte, haben sich fortgesetzt bis hin zu dem Versuch, meinen Widerstand gegen den von mir erlebten Druck zu kriminalisieren.
Im Sommer 2012 habe ich mich in einer Situation der Verzweiflung an Amnesty International Deutschland gewandt. Anstelle der erhofften Unterstützung oder doch zumindest Beratung bin ich dort auf vollkommenes Desinteresse und kaltschnäuzige Arroganz gestoßen. Allein aufgrund der Tatsache, daß ich durch meine wissenschaftliche Arbeit innnerhalb Deutschlands Opfer von Diskriminierung und Ausgrenzung geworden bin, hat man dort geglaubt, mich verhöhnen und der Lächerlichkeit preisgeben zu können. Bei einer weiteren telefonischen Nachfrage ist mir einfach der Hörer aufgelegt worden. Gelegenheit, mein Anliegen und die Schwierigkeiten, mit denen ich konfrontiert bin, überhaupt erst einmal vorzutragen, hat man mir nicht geben. Auf schriftliche Nachfrage hin wurde mir bestätigt, daß Amnesty International sich nicht mit innerdeutschen Angelegenheiten befasse, das vorherige Verhalten wurde als weitgehend AI-standardkonform abgetan.
So sehr ich mich auch freue, daß der Völkermord an den Tscherkessen nun Schritt für Schritt doch zu einem öffentlichen Thema wird, so bitter und grotesk ist es für mich, daß die heutige Veranstaltung ausgerechnet von Amnesty International getragen wird. In meiner Wahrnehmung ist es ein schreiender Widerspruch, daß AI Deutschland nun, so wie das Thema aktuell und populär wird, gegenüber Menschenrechtsverletzugen im Umfeld von Sotschi 2014, d.h. gegenüber Rußland als Forum für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit auftritt, sich aber zuvor bei exakt dem gleichen Thema selbst an Unterdrückung und Ausgrenzung beteiligt hat. Da bisher weder von AI noch irgendeiner anderen deutschen Organisation Schritte zu meiner Rehabilitierung unternommen wurden, ich weitgehend vom öffentlichen Diskurs ausgeschlossen bleibe und auch gezielt zensiert werde, möchte ich hier eine gewisse Fairness und Konsequenz anregen.
Die Lokalgruppe Frankfurt mag bei dieser Angelegenheit keinerlei Schuld treffen, ich nehme an, daß sie bisher nicht einmal Kenntnis von dieser Sachlage hatte. Trotzdem ist es Sache von Amnesty International, derartiges widersprüchliches und willkürliches Verhalten zu vermeiden bzw. aufzuklären – auch der eigenen Glaubwürdigkeit willen. Für Sie mögen die benannten Widersprüche ein unglückliches Aufeinandertreffen von Zufällen sein, für mich sind sie symptomatisch für die Hypokrisie, die Mißachtung und das Schweigen, die in Deutschland kritischen Wissenschaftlern entgegenschlagen und diese daran hindern, die erforderliche Öffentlichkeit herzustellen.
Den Referenten, an deren guten Absichten und Kompetenzen ich keinerlei Anlaß zum Zweifel habe, wünsche ich dessen ungeachtet für diese Veranstaltung allen nur denkbaren Erfolg und entsprechende gesellschaftliche Resonanz. Ich hoffe sehr, daß möglicherweise gerade auch dieser Abend einen Ansatzpunkt bieten wird, um die mich bewegenden Probleme zu allseitiger Zufriedenheit und auch in Hinblick auf eine produktive zukünftige Zusammenarbeit zu lösen.

Mit freundlichen Grüßen und Dank für Ihre Aufmerksamkeit,

Irma Kreiten
Kontakt und weitere Informationen: irmakreiten(at)gmail.com; http://sochi2014-nachgefragt.blogspot.com/, https://soton.academia.edu/IrmaKreiten