Zarische Truppen, Krasnaja Poljana, 21.5.1864

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Mittwoch, 30. Oktober 2013

Noch 100 Tage bis zur Winterolympiade in Sotschi - Presseerklärung der GfbV

Bei folgendem Text handelt es sich um eine Pressemitteilung der Gesellschaft für bedrohte Völker. Sarah Reinke, GUS-Referentin der GfbV hat freundlicherweise zugestimmt, daß ich die Presseerklärung nun auch hier auf meinem blog einstelle. Ich halte das Anliegen für sehr wichtig und würde mir wünschen, daß es mehr Beachtung - gerade auch von journalistischer Seite - erfährt. Für besonders relevant halte ich die Aussage, daß der Nordkaukasus mittlerweile zu den Regionen gehört, in denen Menschenrechte systematisch und massivst verletzt werden - diese Tatsache steht meines Erachtens in eklatantem Widerspruch zur spärlichen Berichterstattung deutscher und internationaler Medien. 

Zur Presseerklärung auf der Webseite der GfbV geht es hier.


GESELLSCHAFT FÜR BEDROHTE VÖLKER
PRESSEMITTEILUNGBerlin, den 29. Oktober 2013

100 Tage bis zur Winterolympiade in Sotschi - GfbV warnt: Winterspiele
verkommen zur Werbung für Putins repressiven Staat – Willkürmaßnahmen
gegen Zivilisten werden zunehmen

100 Tage vor Beginn der Winterolympiade in Sotschi geben der russische
Präsident Wladimir Putin und der IOC-Präsident Thomas Bach am Mittwoch
in Sotschi gemeinsam feierlich den „Startschuss“ für den Endspurt der
Vorbereitungen für das sportliche Großereignis. „Doch hier gibt es nicht
viel zu feiern“, warnt die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV). „Die
Sicherheitsvorkehrungen, die Überwachung der Sportler und der Besucher
wird so dicht sein wie bei Antiterrormaßnahmen in den nahen
Kaukasusrepubliken Tschetschenien oder Dagestan. Die Berichterstattung
wird schon seit Monaten streng kontrolliert. Putin will mit den
Winterspielen seine Macht demonstrieren, da geht es weder um den
olympischen Geist noch um den Sport“, kritisiert die
Menschenrechtsorganisation.

Unmittelbar vor den Winterspielen, so die Befürchtung vieler Menschen im
Nordkaukasus, wird die Repression nochmals zunehmen. „Behörden und
Politik werden den Kampf gegen den terroristischen Untergrund, bei dem
oftmals Zivilisten Opfer staatlicher Gewalt werden, verstärkt führen“,
sagte die GUS-Referentin der GfbV, Sarah Reinke, in Berlin. Sie
kritisierte, dass das IOC seit Monaten ein offenes Eintreten für die
Menschenrechte verweigert. „So können die Winterspiele zur Blamage
werden wie die olympischen Sommerspiele 2008 in China, die nur dem
repressiven System aber nicht der Bevölkerung genutzt haben!“

Mehrmals hat die GfbV das IOC auf schwerwiegende Probleme im
Zusammenhang mit dem Austragungsort Sotschi aufmerksam gemacht: Sotschi
war im 19. Jahrhundert Schauplatz des blutigen letzten Kampfes der
Tscherkessen gegen die russische Vorherrschaft. Die Tscherkessen
unterlagen und wurden kollektiv aus ihrer Heimat vertrieben. Das war
nach Meinung führender Historiker ein Genozidverbechen.

Heute leben die Nachfahren der Überlebenden über die ganze Welt
verstreut. Eine politische Aufarbeitung dieser Kolonialverbrechen hat
bisher nicht stattgefunden. Aus tscherkessischer Sicht stellt die
Ausrichtung der Olympischen Spiele in Sotschi daher einen weiteren Akt
der Provokation, der Verleugnung ihrer Geschichte und Kultur dar.
Russland ignoriert die Bitte der Tscherkessen, dieser Verbrechen in
angemessener Form zu gedenken und versucht gezielt tscherkessische
Aktivisten einzuschüchtern.

Der Nordkaukasus ist laut neuestem Bericht der International Crisis
Group vom 6.9.2013 die Region Europas, wo das Gewaltpotential am
höchsten ist. Allein 2012 wurden dort 1.225 Personen Opfer von Gewalt.
Auch der Europarat kritisiert regelmäßig Folter, Morde,
Verschwindenlassen, willkürliche Verhaftungen, Gewalt gegen Frauen und
andere Menschenrechtsverletzungen in der Region."

 

Gesellschaft für bedrohte Völker
Pressereferat
Postfach 2024, 37010 Göttingen
Tel. 0551 499 06-25, Fax 0551 58028
presse@gfbv.de – www.gfbv.de

Dienstag, 29. Oktober 2013

Antwortschreiben von Nicole Gohlke (Offener Brief vom 16.10.2013)

Am 16.10.2013 hatte ich  einen Offenen Brief an die Bundestagsabgeordnete Nicole Gohlke in ihrer Funktion als hochschulpolitische Sprecherin der Linkspartei geschrieben. Da es in ihm vorrangig um meine Probleme als Wissenschaftlerin mit dem "falschen" Forschungsthema (Völkermord an den Tscherkessen im Rahmen vergleichender Genozidforschung) - allerdings vermittelt vor dem Hintergrund aktueller politischer Anforderungen an den deutschen Wissenschaftsbetrieb - und meinen eigenen Bedarf an konkreter Unterstützung gegangen war, hatte ich ihn nicht auf meinem blog, sondern im Community-Teil der Wochenzeitung Freitag (siehe obigen link) eingestellt.

Gestern, d.h. am 28. Oktober 2013, habe ich nun von Nicole Gohlke untenstehendes Antwortschreiben erhalten. Es nimmt zwar u.a. auch auf meine eigene Situation Bezug, deckt dabei aber ebenso die tiefergehenden gesellschaftlichen und politischen Strukturen und Problemlagen, die in Deutschland kritische Forschung zu heiklen politischen Themen behindern, auf und streift dabei auch die Frage nach möglichen Aktivitäten zur Aufarbeitung des Völkermords an den Tscherkessen im Vorfeld von Sotschi 2014. Insofern  halte ich die Antwort auf meinen Offenen Brief - ursprünglich in eigener Sache geschrieben - nun doch auch für allgemein genug wie auch thematisch passend, um sie, nach vorheriger Absprache mit Nicole Gohlke, nun hier auf meinem blog zu veröffentlichen. Ich möchte bei dieser Gelegenheit auch explizit darauf hinweisen, daß es sich hierbei um die erste offizielle Stellungnahme einer Vertreterin der Linkspartei zum Thema Tscherkessen und genozidaler Gewalt im Westkaukasus handelt. 

"Liebe Frau Kreiten, Liebe Irma,

Ihren Brief habe ich mit großem Interesse gelesen - der Bericht unterfüttert direkt einige der Problematiken, an deren Veränderungen ich in und mit der LINKEN arbeite.
Im Zuge des neoliberalen Umbaus wurden an Hochschulen weitere Abhängigkeiten geschaffen bzw. verstärkt sowie strukturelle Änderungen vorgenommen, die in ihrer Konsequenz der Wissenschaftsfreiheit entgegenlaufen. Hieraus ergeben sich auch Benachteiligungen von  wissenschaftlich fundierten, aber vom ideologischen Mainstream abweichenden wissenschaftlichen Methoden und Positionen.
So wie Sie Ihren Fall schildern, scheint Ihre Situation ein Paradebeispiel für diese Entwicklung zu sein.
Ich habe mich gemeinsam mit meinen KollegInnen im Bildungsausschuss und im Rahmen meiner Möglichkeiten als Abgeordnete und hochschulpolitische Sprecherin der LINKEN. im Bundestag bereits während der letzten Legislatur für strukturelle Veränderungen in der Hochschullandschaft eingesetzt, die diesen Entwicklungen entgegenwirken sollen: 
Die inhaltlich selbständige Arbeit von Promovierenden soll unterstützt und Whistleblower geschützt werden. Die Wissenschaftsfreiheit soll durch die Herstellung von Transparenz geschützt werden. Militärische Forschung an Hochschulen soll durch Zivilklauseln unmöglich gemacht werden.
Hierzu verweise ich gerne auf folgende Initiativen:
Drucksachennummer (DrS.) 17/9064: Freiheit von Forschung und Lehre schützen – Transparenz in Kooperationen von Hochschulen und Forschungseinrichtungen mit Unternehmen bringen.
DrS. 17/6492: Die Bedeutung von Whistleblowing für die Gesellschaft anerkennen – Hinweis- geberinnen und Hinweisgeber schützen.
DrS. 17/9979: Keine Rüstungsforschung an öffentlichen Hochschulen und Forschungseinrichtungen – Forschung und Lehre für zivile Zwecke sicherstellen.

Ich möchte Sie um Verständnis bitten, dass es mir und meinen MitarbeiterInnen im Berliner Büro nicht möglich ist, mich fundiert in Ihr wissenschaftliches Themengebiet und Ihre Forschung zu den Tscherkessen einzuarbeiten.
Deswegen schrecke ich auch davor zurück, mich direkt in die Auseinandersetzung einzumischen und mich z.B. mit Ausrichtern von wissenschaftlichen Workshops o.ä. in Verbindung zu setzen. Dafür reichen meine Kenntnisse zu Ihrem Fachgebiet einfach nicht aus. 
Wenn Sie bemängeln, dass Sie zu wenig Unterstützung durch KollegInnen meiner Fraktion erfahren haben, dann könnte ich mir vorstellen, dass dies vielleicht auch daran liegt - dass es die Einarbeitung in ein sehr komplexes Thema voraussetzt.

Ich kann Ihnen aber versichern: wir freuen uns, wenn wir weiter gemeinsam an der Beseitigung der politischen und ökonomischen Abhängigkeiten arbeiten, die auch Ihnen vor Ort das Leben schwer machen, und ich bin natürlich jederzeit dankbar, wenn ich von konkreten Beispielen aus der wissenschaftlichen Praxis höre, die untermauern, dass wir es mittlerweile mit einem eklatanten Problem zu tun haben.
Für Ihre persönliche Zukunft wünsche ich Ihnen alles Gute, und ich würde mich freuen, wenn wir uns auch einmal persönlich kennenlernen würden!

Mit freundlichen Grüßen,
Nicole Gohlke"


Nachtrag: Ein Kommentar zu diese Antwort findet sich in meinem neuen Blogeintrag zu Nicole Gohlkes Einsatz gegen München 2022 und die hier verpaßte Chance, damit auch Sotschi 2014 und die Existenz der Tscherkessen zur Sprache zu bringen: http://sochi2014-nachgefragt.blogspot.com/2013/11/die-sotschi-munchen-connection-ein.html

Montag, 14. Oktober 2013

Was die FR veröffentlicht: Aufruf zu Rassenhaß und Pogromen

Ich hatte letzte Woche in einem Blog-Eintrag davon berichtet, daß die deutsche Wochenzeitung Frankfurter Rundschau Leserkommentare von mir, die auf den verschwiegenen Völkermord an den Tscherkessen und die Behinderung von Intellektuellen und Aktivisten, die sich mit dieser Thematik beschäftigen, zensiert hatte. Ich hatte zudem auch in meinem offenen Brief zu einer Stellungnahme aufgefordert bezüglich der Tatsache, daß auch in der Berichterstattung der Frankfurter Rundschau selbst die tscherkessischen Aspekte der Olympischen Winterspiele in Sochi 2014 bisher fast völlig untergegangen sind. Ich habe hierauf bisher keinerlei Reaktion erhalten. 

Gestern ist in der Frankfurter Rundschau ein Artikel zu den jüngsten rassistischen Ausschreitungen in Moskau gegen Menschen kaukasischen bzw. zentralasiatischen Aussehens, oder, im pauschalisierenden Jargon russischer Rassisten, gegen sogenannte "vostochnye ljudi", erschienen. Nicht nur, daß der Artikel hier Menschen, die zu einem erheblichen Teil Bürger der Russischen Föderation und Inhaber russischer Pässe sein dürften und lediglich durch ihr "nichtrussisches" Aussehen als "Fremde" auffallen, als "Migranten" bezeichnet, erstaunlich ist auch, welch große Toleranz die Redaktion der Frankfurter Rundschau  - ganz im Gegensatz zur Zensur meiner Hinweise auf Minderheitenrechte, Völkermord und intellektuelle Repression - hier in punkto Leserkommentare zeigt. Wie ich soeben mit Erschrecken feststellen mußte, ist in der Kommentarleiste folgender Kommentar, sinnigerweise noch dazu unter dem Pseudonym "Neutraler" geschrieben, freigeschaltet worden:

"Russland ist gottseidank nicht Deutschland. Dort wird nicht mit Staubzucker gearbeitet. Bin sehr stolz auf unsere Jungs."

(Screenshot siehe unten)

Eine automatische Freischaltung dieses Beitrags halte ich für ausgeschlossen, da der Kommentar heute morgen noch nicht zu lesen war, mit Blick auf die Uhrzeit läßt sich schließen, daß er getätigt wurde, bevor die Redaktion besetzt war, und dann anschließend, d.h. nach redaktioneller Überprüfung freigegeben wurde. Für mich schlägt das dem Faß den Boden aus und zeigt einmal wieder, diesmal auf recht drastische Weise, daß Netiquette-Bestimmungen oft genug eben gerade nicht dazu eingesetzt werden, um Aufrufe zu Gewalttaten und Rassenhaß zu unterbinden, sondern um politisch unerwünschte Informationen aus dem öffentlichen Bewußtsein herauszufiltern.  Im Speziellen zeigt dies meines Erachtens auch, wie sehr gerade in Bezug auf den Nordkaukasus und die Rechte von Nordkaukasiern (oder im weiteren Sinne auch in Bezug auf sogenannte "muslimische Orientalen") moralische Maßstäbe aus dem Lot geraten sind - und zwar bei uns in Deutschland. 



"Wir bitten Sie, stets sachlich und zum Thema zu kommentieren. Kommentare, die persönliche Beleidigungen, rassistische oder sexistische Bemerkungen, Pöbeleien und nicht nachprüfbare Tatsachenbehauptungen enthalten, werden auch künftig gelöscht."


Nachtrag 13:07 Uhr deutsche Ortszeit 
So sieht die frisch bereinigte Kommentarleiste nun aus:



Es fehlt nicht nur der obige rassistische Kommentar, es wurden auch alle Hinweise auf die in der FR stattfindende Zensur samt Hinweis auf meinen offenen Brief auf diesem blog getilgt, insebsondere fehlt nun auch die Bestätigung der FR-Zensurpraxis durch einen anderen Leser unter Pseudonym "DoktorCordelier": 






Samstag, 12. Oktober 2013

Tobias Pflüger: kritischer Blogeintrag soll vom Netz

In einem Blogeintrag von letzter Woche hatte ich thematisiert, daß Tobias Pflüger sich von Hinweisen auf den Völkermord an den Tscherkessen und der Bitte um eine Stellungnahme gestört fühlte und gar die Unterlassung entsprechender Hinweise gefordert hatte. Nach Erscheinen dieses Blogeintrags hat sich Tobias Pflüger erneut an mich gewandt, sich über meine kritischen Anmerkungen zu seinem Verhalten beschwert, mich aufgefordert, den Beitrag vom Netz zu nehmen, eine unterschwellige Drohung für den Fall des Nichtbefolgens ausgesprochen und mir ebenfalls mit klaren Worten untersagt, seine diesbezüglichen Zeilen zu veröffentlichen. 

In seiner über facebook versandten PM vom 5. Oktober 2013 schreibt Tobias Pflüger, er lasse sich nicht dazu zwingen, „zu jedem Thema etwas zu sagen“. Das war allerdings auch gar nicht meine Intention gewesen, es trifft zudem auch nicht den Kern der von mir an ihm verübten Kritik. Um es noch einmal zu betonen: es nicht mein Ziel, Menschen zu unliebsamen Stellungnahmen zu forcieren, dies dürfte in der Tat in den meisten Fällen wenig hilfreich seinWer sich partout nicht zum Schicksal der Tscherkessen äußern will, wird wohl auch wenig Positives zu einer gesellschaftlichen Debatte um genozidale Gewalt, historische Schuld und Minderheitenschutz beizutragen haben. Neben einer konstruktiven, zielführenden Suche nach geeigneten Bündnispartnern muss es allerdings auch erlaubt sein, offenkundig unlauteres Verhalten in den eigenen Reihen zu thematisieren - gerade dann, wenn letzteres eine Solidarisierung verhindert, indem es als "False Flag" den Blick ablenkt und alternative Wege versperrt. Ja, es bleibt Herrn Pflüger überlassen, ob er sich zu den von mir angerissenen Problembereichen äußern möchte. Ebenso steht es mir zu, öffentlich mein Mißfallen zu äußern, wenn deutsche Politiker und andere Figuren des öffentlichen Lebens sich unkritisch zum Thema Sotschi 2014 und dem Völkermord an den Tscherkessen verhalten. Gerade als Politiker muß man mit diesbezüglicher Kritik leben können und sollte hier nicht repressiv vorgehen wollen.

Mit Hinblick auf die Ermöglichung eines transparenten und fairen Diskussionsprozesses sehe ich es als unabläßlich an, daß fehlendes Interesse an einer Stellungnahme zum Völkermords an den Tscherkessen  und einer Solidarisierung mit denselben auch deutlich zum Ausdruck gebracht wird und man sich nicht in einem verschleiernden Aufschieben ergeht, einem Ignorieren, Wegsehen und Weghören auf Zeit. Selbst eine persönliche Unschlüssigkeit darüber, wie denn die koloniale Geschichte des Westkaukasus zu bewerten sei, kann in höfliche und sachliche Worte gefaßt werden. Eine zumindest formal korrekte Reaktion Pflügers auf meine Anfrage und Hinweise wäre etwa gewesen, diesen mit einer klar ausgesprochenen Ablehnung zu begegnen, einem der Öffentlichkeit zugänglichen „Nein.“ Ich habe ganz im Gegensatz hierzu nun den Eindruck gewonnen, daß Tobias Pflüger eine solche klare Aussage bewußt vermieden hat, da er durchaus weiß, daß die Ablehnung einer Stellungnahme zu Sotschi 2014 und zu dem Völkermord an den Tscherkessen u. U. schlecht ankommen könnte. Gleichzeitig aber scheint er, zumindestzum gegenwärtigen Zeitpunkt, nicht bereit gewesen zu sein, eine klare inhaltliche Positionierung vorzunehmen - möglicherweise aus Bedenken vor politischen Kosten/Konsequenzen, die Stellungnahmen zu repressierten Themen auch im demokratisch-freiheitlichen Deutschland nach sich ziehen könnten. Auf gut deutsch: Pflüger wollte sich wohl nicht als einer der Ersten zum Thema Völkermord an den Tscherkessen aus dem Fenster lehnen, andererseits aber auch keine konkrete Absage erteilen. 

Ein unbestimmtes Aufschieben unter Offenhaltung aller Optionen, das In-Der-Schwebe-Halten wie es offenbar die gegenwärtige Strategie Pflügers und anderer ist, ist für mich der Ausdruck politischer Inkonsequenz, eines Fehlens an Zivilcourage wie auch an grundlegender menschlicher Empathie und Solidarität. Die koloniale Vergangenheit des Westkaukasus ist nicht ein Thema, daß man zu einem politisch opportunen Zeitpunkt aus der Schublade zieht um dann mit ihm punkten zu gehen. Es ist ein Thema, das uns allein schon vor dem Hintergrund allgemeinmenschlicher Werte auch alle angehen sollte. Es handelt sich bei weitem nicht „nur“ um längst vergangene Ereignisse ohne konkrete aktuelle Bezüge: von eben dieser unaufgearbeiteten Vergangenheit des Westkaukasus sind Leben und Arbeit realer Menschen – unserer Zeitgenossen und Mitmenschen - tangiert. Deren Belange - und auch meine - lassen sich nicht beliebig lange auf Eis legen. Wir sind lebende Menschen, und ich zumindest möchte mein Leben auch tatsächlich leben und nicht in der Warteschleife verbringen müssen. Es kann nicht sein, daß sich Generationen um Generationen von Menschen in sogenannten Schlüsselpositionen um Stellungnahmen zum Schicksal der Tscherkessen drücken und dabei wohl insgeheim hoffen, das Problem werde von ihnen ablassen, wenn denn auch nur weiterhin fleißig geschwiegen und weggeschaut würde. Oder alternativ bzw. in praktischer Ergänzung herzu die Hoffnung hegen, der Völkermord an den Tscherkessen werde irgendwann schon ganz von selbst zum „Thema“ werden, und zwar ohne daß dies in irgendeiner Form Zivilcourage, persönlichen Einsatz und damit auch mögliche persönliche Opfer verlangen würde.

Auch betrachte ich es als durch und durch politisch kurzsichtig, die Zusammenhänge zwischen Militarisierung, Vernichtungskrieg, wissenschaftlich-öffentlicher Aufarbeitung und Prävention zu ignorieren. Einem Militarisierungsgegner, der sich nicht mit den kolonialen Wurzeln genozidaler Prozesse und damit auch der deutschen Vergangenheit auseinandersetzen möchte, fehlt es meiner Ansicht nach ganz erheblich an Glaubwürdigkeit. Das Problem der unaufgearbeiteten russischen Massaker an den Tscherkessen, der zarischen Politik der Wirtschaftsblockade und der verbrannten Erde im Westkaukasus, die Deportationen von 90 % der Bevölkerung ins Osmanische Reich (und dazuextrem hohe Todesraten unter den Deportierten und Flüchtlingen), die fortgesetzten Verletzungen tscherkessischer Minderheitenrechte – all dies besteht unabhängig von meinem Hinweisen, meinen Anfragen und Bitten um Stellungnahmen. Leider jedoch scheint Herr Pflüger – wie viele andere auch - darauf zu bauen, daß sein Schweigen zum Völkermord an den Tscherkessen und den zugehörigen dunklen Seiten der Olympischen Winterspiele 2014 weitgehend unbemerkt bleiben wird, gerade weil dieses Thema bisher so wenig öffentlich gemacht wurde. Wer darauf zählt, daß, wo Belange von Nordkaukasiern berührt sind, ein Aufschrei, wie er beim Ignorieren vergleichbarer Themen (Völkermord an den Armeniern, Völkermord an den Herero und Nama, Gewaltexzesse in den belgischen Kolonien, Vorgehen gegenüber den Aboriginees...) als selbstverständlich gelten kann, ausbleibt, schlägt Kapital aus der Abwesenheit einer schlagkräftigen tscherkessischen Lobby und macht sich damit insgeheim zum Profiteur und zum Komplizen kolonialer bzw. neokolonialer Geschichtsapologetik.

Tobias Pflüger beschwert sich nun einerseits über meine angeblich „pauschalen diffamierenden“ Bemerkungen zu seinen Dissimulationsbemühungen, läßt andererseits aber, obwohl ich ihm diese explizit eingeräumt hatte, die Möglichkeit einer inhaltlichen Stellungnahme zu meiner Kritik ungenutzt verstreichen. Für den Fall, daß ich sein Verhalten in dieser Angelegenheit weiterhin öffentlich thematisiere, droht er mir unterschwellig, hiergegen vorzugehen – wie genau, schreibt er allerdings nicht. Auch scheint er mich nun mit 'Liebesentzug' strafen zu wollen: Er schreibt,  im Gegesatz zu seinem früheren  angeblichen Wohlwollen und Respekt mir gegenüber (Wortlaut: „das war mal der Fall“) hätte ich mir aufgrund meines verfehlten Verhaltens mit ihm nun jemanden geschaffen, der „garantiert“ nicht mehr gut über mich denke und spreche. - Ich möchte ihm bei dieser Gelegenheit folgendes erwidern: Herr Pflüger, sollten Sie jemals positiv über mich gesprochen haben, so habe ich davon keinerlei Kenntnis, bedanke mich allerdings gerne auch nachträglich dafür. Als weitaus positiver hätte ich es allerdings empfunden, wenn Sie nicht nur über mich, sondern auch mit mir gesprochen hätten, wie auch mit anderen von Repressionen und Diskriminierungen getroffenen Aktivisten und Intellektuellen. Eine stumme Bekanntschaft, die sich auf beidseitige Meinungslosigkeit und Angst vor Stellungnahmen gründet, kann für mich dagegen kein Gewinn sein.

Nur, weil es zur stillschweigenden gesellschaftlichen Übereinkunft geworden ist, daß bei diesem Thema andere Maßstäbe angelegt werden als an vergleichbare historische Verbrechen, heißt das nicht, daß auch ich mich diesen Konventionen beugen werde. - Es ist gerade mein Ziel, diese Sonderstellung des Völkermords an den Tscherkessen als Nicht-Thema zu hinterfragen und sie Schritt für Schritt aufzuheben. Ich werde mich auch nicht mit möglichen Unannehmlichkeiten erpressen oder dem Entzug fiktiver Solidarität einschüchtern lassen. Ich werde das Verhalten Pflügers wie auch anderer öffentlicher Figuren zum Völkermord an den Tscherkessen weiterhin für eine interessierte Öffentlichkeit sichtbar und damit besprechbar machen. Etwaige weitere negative Konsequenzen für mich und meine Arbeit - wie etwa durch das Ausbleiben möglicher Unterstützung durch parteipolitische Strukturen - nehme ich dabei bewußt in Kauf.

Festzuhalten bleibt: Tobias Pflüger hat eine Äußerung jeglicher Art in Bezug auf die unterdrückte Thematik des Völkermord an den Tscherkessen abgelehnt, beharrt auch weiterhin auf seiner Ignoranz bzw. seinem diesbezüglichen Schweigen und möchte gleichzeitig auch nicht, daß dieser Sachverhalt öffentlich bekannt wird.


Nachbemerkung: Warum ich gegen den erklärten Willen Tobias Pflügers Korrespondenz und Verhalten offenlege - Rechtliches und Ethisches



Die juristische Situation ist die, daß über facebook versandte PM nicht dem Briefgeheimnis unterliegen und ihre Veröffentlichung nur dann zu unterbleiben hat, wenn hiervon Persönlichkeitsrechte berührt sind. Letztere können zudem außer Kraft gesetzt werden für den Falle, daß ein übergeordnetes öffentliches Interesse vorliegt. Tobias Pflügers PM sind nicht von privater Natur, sie enthalten zudem auch keine persönlichen Informationen – ihr Inhalt ist durch und durch von politischer Natur. Es ging von Anfang an um eine Positionierung Pflügers in seiner Funktion als öffentlich agierender Politiker mit entsprechend affinen Arbeitsschwerpunkten. Ein gesellschaftliches Interesse betrachte ich bei dieser Angelegenheit („Völkermord“!) als erwiesen und als uneingeschränkt gültig. Unter moralischen Gesichtspunkten halte ich die Veröffentlichung dieser Vorgänge für dringend notwendig, sind sie doch geeignet, Licht auf diejenigen politischen und gesellschaftlichen Mechanismen zu werfen, die zur Unterdrückung einer öffentliche Debatte zu diesem unaufgearbeiteten Kolonialverbrechen eingesetzt werden. Zu guter Letzt bin ich auch nicht Mitglied einer politischen Partei, als daß ich verpflichtet wäre, mich einer wie auch immer gearteten Parteidisziplin bei diesem Thema zu fügen. Ich bin unabhängig und lasse mir Kritik, dort, wo ich sie als angebracht und moralisch geboten empfinde, von niemandem verbieten. Die Öffentlichmachung trotz Unterlassungsaufforderungen betrachte ich als einen gesetzeskonformen Verstoß gegen Tobias Pflügers persönliche Erwartungen wie auch als bewußte Verletzung unausgesprochener gesellschaftlicher Konventionen - maximal also als einen Akt zivilen Ungehorsams, wie er gerade von Kandidaten und Abgeordneten der Linken immer wieder gefordert wird.

Nachtrag: Wie ich heute, den 5.12.2013 bemerkt habe,  bin ich nun auch auf der facebook-Seite der BUKO - Bundesweite Koordination der Friedensinitiativen - gesperrt. Ich hatte dort vor wenigen Tagen Hinweise auf das Verhalten von Tobias Pflüger (mit entsprechendem link zu diesem post hier) wie auch das der Informationsstelle Militarisierung (darüber werde ich noch berichten) gepostet. Für mich ist dieses Vorgehen völlig inakzeptabel, ersetzt es doch eine argumentative Auseinandersetzung mit Zensur und Repression von Kritik.

Freitag, 4. Oktober 2013

Tobias Pflüger fühlt sich gestört von Hinweisen auf tscherkessischen Völkermord

Tobias Pflüger ist in Deutschland ein bekannter Name, der für die Friedensbewegung, Engagement gegen die Militarisierung von Hochschulen und linke, soziale Politik steht. Er ist u.a. Gründer der Informationsstelle Militarisierung (kurz: „IMI“ genannt) in Tübingen.

Ich habe Tobias Pflüger während meiner Tübinger Studienzeit nicht persönlich gekannt, ihn aber wohl bei Veranstaltungen erlebt und war/bin mit dem linken Tübinger Umfeld vertraut. Umso mehr hat es mich gefreut, als Tobias Pflüger unmittelbar nach Veröffentlichung meines Interviews auf German Foreign Policy (auch unter "Dokumentation Zivilklausel" einsehbar) unter meinen „Followers“ auf meinem akademischen Profil auf academia.edu auftauchte. Ich war davon ausgegangen, daß dies geschehen war in Interesse an den von mir im Interiew geschilderten Sachverhalten und stiller Zustimmung zu meinem eigenen Widerstand gegen die Militarisierung an der Universität Tübingen und den dortigen manipulisierenden Versuchen, mich von der Aufarbeitung der Kolonialgewalt im Westkaukasus unter Blick auf Vergleichende Genozidstudien abzubringen.

Ich bin jedoch von der Haltung von IMI, wie auch derer einiger Personen im IMI-Umfeld in den vergangenen Monaten zunehmend enttäuscht worden – und dies durchaus nicht nur in eigener Sache, sondern auch, was das Vorgehen beim gemeinsam kritisierten Thema der Militarisierung deutscher universitärer Forschung angeht. Was mich betrifft, so hätte ich mir nach weiteren Vorstößen meinerseits wie z.B. die Schilderung meiner eigenen bitteren Erfahrungen (zwecks fehlendem Zugang zu geeigneteren Medien als vollkommen unbetreute und noch Trauma-gezeichnete Selbstveröffentlichung auf Freitag), persönliche Anschreiben an IMI und Tübinger Linke mit konkreten Bitten um Unterstützung, ein Vortrag im Rahmen der Whistleblower-Ausstellung im Verdi-Haus von Karslruhe – alles Aktionen, die mich viel Kraft und Mut gekostet haben - doch ein Wort der Solidarität, der Ermunterung oder zumindest der Kenntnisnahme erwartet. Immerhin treten wir offziell für die gleichen Ziele ein und das Tübiner IMI-Umfeld betont oft genug Zivilcourage und klagt ein beherztes Vorgehen gegen Rechts sowie den Schutz von Whistleblowern ein.

Tobias Pflüger gehört zu denen, die zumindest ansatzweise über meine verzweifelten Versuche, den Völkermord an den Tscherkessen zur Sprache zu bringen und dabei auch meine eigene Forschungsfreiheit zurückzufordern, informiert waren, aber dazu geschwiegen haben. Ich war davon ausgegangen, daß die Angelegenheit wohl mehr Zeit erfordere und erst eine Gewöhnung an den Gedanken stattfinden müsse, daß es selbst bei uns, im vorgeblich demokratischen Deutschland, bei derartigen Themen zu Zensur, Diskriminierung und Einschüchterungsversuchen kommen kann. Ich hatte mich darum auf weitere Aufklärungs- und Öffentlichkeitsarbeit, u.a. mittels diesen blogs, verlegt. Seit heute Nachmittag muß ich allerding leider erkennen, daß diese Strategie in Bezug auf Tobias Pflüger gescheitert ist, denn Tobias Pflüger hat mir über facebook folgende Aufforderung gesandt:






„Liebe Irma Kreiten, ich lese Ihre Nachrichten zu Sochi und und dem Völkermord an den Tscherkessen. Ich habe das Thema zur Kenntnis genommen. Allerdings bitte ich um Verständnis, dass ich da kaum was macben kann, in meiner jetzigen Position, da ich mich um viele andere Themen auch kümmere, so auch um das wichtige Thema Zivilklausel etc. Die ständigen Posts auf meiner Facebookseite empfinde ich zunehmend als problematisch, bitte damit aufhören. Danke. Viel Erfolg! Beste Grüße Tobias Pflüger“  



Nun ist es nicht meine Art, anderen zur Last zu fallen und mich mit persönlichen Themenvorlieben in den Vordergrund zu drängeln. Mir wie auch vor allem den tscherkessischen Betroffenen selbst fehlt es aber generell an Foren, um auf das Problem des Völkermords an den Tscherkessen und seine aktuellen Dimensionen in Bezug auf Sotschi 2014 aufmerksam zu machen. Ohne entsprechenden Nachdruck, so die Erfahrung, läßt sich hier leider gar nichts bewerkstelligen. Auch denke ich, daß die Völkermord-Thematik an sich doch von allgemeinem Interesse ist bzw. sein sollte. Insofern habe ich mir im Unterschied zu meiner sonstigen persönlichen Zurückhaltung erlaubt, verschiedentlich auf facebook auf meinen blog aufmerksam zu machen. Auf der Facebook-Wall von Tobias Pflüger waren das im Zeitraum von 5 Wochen ganze 8 „geteilte“ Posts gewesen, der erste davon explizit mit der Einladung, bei Interesse Stellung zu nehmen und auf meine Wahlkampf-Anfrage zu antworten. Ich hatte so am 24.8.2013 geschrieben:


„Lieber Tobias Pflüger,

Sie sind, sofern von Ihrer Seite Interesse besteht, ausdrücklich und herzlich dazu eingeladen, Ihre Haltung zu Sochi 2014 und den davon berührten Belangen der tscherkessischen Minderheit sowie der internationalen Militär- und Krisenpolitik im Kaukasus zum Ausdruck zu bringen. Die formale Anfrage von mir an die Linkspartei im Rahmen meines neuen blogs ging an einen neuen Kandidaten aus dem Wahlkreis, in dem ich selbst wahlberechtigt bin (ich denke, Sie verstehen, was ich damit meine). Ich hätte jedoch, ob nun formal oder informal, grosses Interesse auch an Ihren Gedanken, Kommentaren und Positionierungen und würde diese sehr gerne bei mir einstellen.“


Ich hatte darauf keinerlei Reaktion erhalten, weder positiver noch negativer Natur. Meines Erachtens wäre dies der richtige Zeitpunkt gewesen für eine höfliche, dankende Ablehnung mit kleiner Begründung. Ein formales Anschreiben hatte ich in Erwägung gezogen, dann aber, da ich bereits um Hemmungen in linken Kreisen, sich mit der Thematik zu beschäftigen, wußte, eine Konfrontation und mögliche Auseinandersetzung so knapp vor den Wahlen als nicht wünschenswert empfunden. Ich finde es angesichts meines ursprünglich sehr zurückhaltenden Vorgehens um so bedauerlicher, daß eine Reaktion erst jetzt, nachdem mein fortgesetztes Engagement wie auch die Thematik selbst offenbar als störend empfunden werden, erfolgt. Es sind dies die ersten Zeilen, die ich von Tobias Pflüger seit meinem „Coming Out“ als repressierte Wissenschaftlerin im November 2012 erhalten habe. Im Gegesatz hierzu habe ich völlig unaufgefordert von von mir z.T. zuvor sogar gänzlich unbekannten Menschen, die Bedenken gehabt haben mögen, sich öffentlich zu äußern, Zuschriften erhalten, in denen sie mir privat Interesse und Zustimmung ausgedrückt und Erfolg gewünscht haben – ihnen sei an dieser Stelle auch auf anonyme Weise herzlichst gedankt. Ich habe mit dieser stillen Art kein Problem, freue mich sogar sehr darüber.
Positiv bewerten kann ich das Schreiben von Tobias Pflüger dagegen leider ganz und gar nicht. Es drückt keinerlei Interesse am Schicksal der Tscherkessen aus und ignoriert - meines Erachtens bewußt - die Verbindungen zur Militarisierungs- und Kriegsproblematik. Andere haben die Verbindung zu den Anliegen der Zivilklauselbewegung erkannt und meinen Widerstand entsprechend honoriert (siehe etwa die letzte "Antifa"-Nummer). Auch erschließt es sich mir nicht, warum es nicht möglich sein sollte, persönlich oder, noch besser, öffentlich zu diesem Thema Stellung zu beziehen. Man muß hierfür keineswegs Kaukasusexperte sein oder sich tief und zeitraubend in die Thematik eingearbeiten, ein wenig gesunder Menschenverstand und moralisches Empfinden dürften ausreichen. Zumal, wenn man Kandidat der Linken ist, die mit ihrem Programm ganz offiziell gegen Krieg und Gewalt und für ein friedliches Zusammenleben der Völker, für Aufarbeitung von Kolonialismus und Faschismus steht, man dazu auch noch persönlich Heuchelei im Zeichen der Geopolitik und die türkische Zensur beim Thema "Völkermord an den Armeniern" anprangert sowie sich gegen einen neuen Kolonialismus ausspricht, empfinde ich diese Art von Wegsehen als zunehmend peinlich. Dies gilt vor allem dann, wenn nicht einmal ausgeführt wird, was denn am Hinweis auf einen unaufgearbeiteten Völkermord „problematisch“ sei soll. Problematisch kann hier meines Erachtens nur Schweigen sein.

Trotzdem habe ich Tobias Pflüger mit folgenden Zeilen umgehend geantwortet:


„Lieber Tobias Pflüger, zunächst einmal danke ich für die Reaktion. Ich wollte mich Ihnen nicht aufdrängen und würde auch, wenn es nur um mich selbst ginge, andere Wege gewählt haben. Ich höre selbstverständlich mit meinen Posts auf Ihrer Seite auf, ich möchte nicht kontraproduktiv sein. Ich habe jedoch das Problem, wie sie wohl wissen werden, daß ich - wie auch andere, die zur gleichen Thematik arbeiten - überall auf taube Ohren stoße, sich niemand zuständig fühlt und es auch immer wieder zu Zensur- und Einschüchterungsversuchen kommt. Dies steht auch durchaus in enger Verbindung zur Militarisierung der Universitäten wie auch der Zivilklausel-Bewegung. Ich finde es schön, daß Sie mir Erfolg wünschen, auch ich habe Ihrer Arbeit bisher immer sehr geschätzt. Es wäre jedoch hilfreich, wenn Sie einen Vorschlag hätten, wer hier ein geeigneter Ansprechpartner sein könnte. Ich habe etliche Personen, darunter einige Mitglieder der Linkspartei, höflich und formal angeschrieben, jedoch darauf entweder nie eine Antwort erhalten oder ausweichende Schreiben, die am Kern der Sache vorbeigingen. Es kann doch nicht sein, daß in einer vorgeblich demokratischen Gesellschaft wie der in Deutschland jeder den schwarzen Peter weiterrreicht und sich für nicht zuständig erklärt. Ich empfinde das zumehmend als Blamage, gerade auch für die Linke. Falls Sie hier Vorschläge hätten, welches geeignetere Foren wären oder von wem eine Stellungnahme zu erwarten wäre, nehme ich diese gerne entgegen. Mit freundlichen Grüßen, Irma Kreiten“



Er hat diese Nachricht gesehen, aber nicht reagiert. Ich gehe davon aus, daß es dies nicht an Zeitgründen lag, sondern daran, daß es diese offiziell „zuständigen“ Ansprechspartner für dieses Thema, die er hier suggeriert, nicht gibt, sowie daß es ihm selbst auch weiterhin an kommunikativem Interesse fehlen wird.. Mit Blick auf das Profil Tobias Pflügers bei Abgeordneten-Watch - mit einer großen Zahl unbeantworteter Wählerfragen -  wage ich hier auch die Hypothese, daß dialogische Politik generell nicht zu seinen Stärken gehört.

Es ist normalerweise nicht meine Art, diesen Typus von Korrespondenz öffentlich zu machen. Ich möchte niemanden bloßstellen und kann bei entsprechend zurückgezogenen (Privat-)Personen auch Hemmungen, sich zu dieser Thematik zu äußern, nachvollziehen und respektieren. Tobias Plfüger jedoch ist eine öffentliche Figur, sein Sprechen oder Schweigen haben entsprechend Gewicht und liegen damit in öffentlichem Interesse. Es handelt sich bei diesen Zeilen zudem um die einzige schriftliche Äußerung eines Kandidaten der Linkspartei, die ich bisher überhaupt erhalten habe. Der von mir in Wahlkampfzeiten angeschriebene Kandidat Milan Kopriva hatte auf mein formales Schreiben nicht reagiert und auf Nachhaken meinerseits auf seiner offiziellen facebook-Wahlkampfseite lediglich festgestellt:


„Was mich persönlich angeht, so bin ich berufstätig, Kreisvorsitzender UND Bundestagskandidat. Aufgrund dieser Mehrfachbelastung kann ich, vor allem mitten im Wahlkampf, nicht auf jede Einzelanfrage persönlich eingehen. Nach der Wahl wird aber auf jeden Fall mehr Zeit vorhanden sein. Ich bitte Sie deshalb bis dahin um Geduld.”


Geärgert hat mich hieran nicht die Verzögerung, dafür hätte ich noch Verständnis aufbringen können, sondern,  daß die Aufforderung zur Stellungnahme zu einem kolonialen Völkermord mit allein in Deutschland ca. 40 000 Nachkommen von Überlebenden als „jede Einzelanfrage“ abqualifiziert wurde. Nebenbei sei noch erwähnt, daß ich gestern erst von einem anderen Vertreter der Linkspartei,  Ralph T. Niemeyer,  aufgrund eines Kommentars und einem eigenen Post zu Sotschi 2014 und den Tscherkessen zensiert und anschließend gesperrt worden bin – auf einer facebook-Gruppe namens „Grundgesetzschutz“, die für mich nicht erkennbar mit einer politischen Partei in Verbindung stand und von der mir im vorhinein auch nicht klar war, daß sie von Niemeyer betrieben wird (ich werde hiervon und von der folgenden Auseinandersetzung mit Niemeyer, der sich selbst als Tscherkessen-Freund darzustellen versuchte, noch im Detail berichten).

Ich möchte jedoch andererseits ausdrücklich klarstellen, daß ich diese Kritik nicht automatisch auf alle Abgeordneten der Linkspartei übertrage. Ich habe in einem längeren persönlichen Gespräch letzten Sommer auch eine völlig andere Haltung gegenüber der Kolonialgeschichte des Westkaukasus wie auch ein großes Maß an Solidarität mir gegenüber erleben dürfen und würde auch gerne hier an dieser Stelle darüber schreiben, möchte aber Inner-Linke-Konflikte an dieser Stelle nicht unnötig anheizen. Ich bin jedoch nichtsdestotrotz der Auffassung, daß diese erstere Art von Haltung dringendst diskutiert werden muß.


Ausnahmsweise hat dieser Post – aus gegebenem Anlaß – einmal nicht die übliche dialogische Form; sollte Tobias Pflüger jedoch nachträglich Interesse an einer Stellungnahme haben, so werde ich diese selbstverständlich hier mitteilen.

Donnerstag, 3. Oktober 2013

Zensur bei der FR - Bitte um Stellungnahme

Michael Bayer, Mitglied der Chefredaktion der Frankfurter Rundschau, hat von mir heute folgenden offenen Brief erhalten:

"Sehr geehrter Herr Bayer,
Ich bin Historikerin und Ethnologin und habe mich vor einigen Jahren auf den Westkaukasus spezialisiert, genauer gesagt, auf die Themen Kolonialismus und genozidale Gewalt. Ich beobachte mit Sorge, daß in der aktuellen Berichterstattung zu den Olympischen Winterspielen in Sotschi 2014 nicht zum Völkermord an den Tscherkessen berichtet wird. In einer Vielzahl auch kritischer Artikel zu Sotschi 2014 finden die Tscherkessen als angestammte Bewohner der Region weder Erwähnung, noch wird auf die blutige koloniale Vergangenheit der Region und die hiermit in Zusammenhang stehenden tscherkessischen Proteste anläßlich der Spiele verwiesen.
Auch in Ihrer Zeitung bleibt dieses wichtige und aktuelle Thema unterbelichtet. Der bislang einzige Hinweis auf diese Problematik findet sich in dem Artikel „Flucht der Minderheiten aus Syrien“ von Viktor Funk, in dem es im letzten Paragraphen heißt:
Tscherkessen sind für die russische Staatsspitze noch aus einem anderen Grund ein heikles Thema: Die Olympischen Winterspiele 2014 finden dort statt, wo einst das Volk lebte: bei Sotschi am Schwarzen Meer. An die Vertreibung aus jener Region erinnerten Diaspora-Gruppen, nachdem Sotschi für die Spiele ausgewählt worden war. Wenn die Winterspiele beginnen, ist das Ende des russisch-kaukasischen Krieges genau 150 Jahre her.
Auch wenn ich es durchaus als erfreulich empfinde, daß hiermit die Problematik als solche in Ihrer Zeitung umrissen wurde, so dürfte dieser kleine und noch dazu geographisch völlig anders eingeordnete Hinweis für die allermeisten Leser doch nicht ausreichend sein, um die entsprechenden Verknüpfungen herzustellen und sich ein ausgewogenes Bild zur Lage im Westkaukasus und den dort stattfindenden Olympischen Winterspielen zu machen. Ich hatte Sie deswegen bereits zuvor auf dieses Manko hinweisen und um eine etwaige Stellungnahme bitten wollen, war aber aus zeitlichen Gründen bisher nicht dazu gekommen. Nun habe ich gestern beim Kommentieren in Ihrer Zeitung jedoch einen Vorgang erlebt, den ich nicht mit Schweigen übergehen möchte.
Mein konkretes gestriges Anliegen war gewesen, auf den Fall des renommierten türkischen Journalisten Fehim Taştekin zu verweisen, der jüngst für rund 2 Tage im Wartebereich des Flughafens Sotschi festgehalten und noch dazu mit einem fünfjährigen Einreiseverbot für die Russische Föderation belegt worden war. Gründe waren ihm nicht genannt worden, es ist jedoch mit hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmen, daß seine zuvorige kritische Berichterstattung zu Sotschi 2014 wie auch die Tatsache, daß er in etlichen seiner Artikel auch auf tscherkessische Perspektiven und Belange eingegangen war, ursächlich hierfür sind. Insbesondere das fünfjährige Einreiseverbot stellt für den Auslandskorrespondenten der türkischen Tageszeitung Radikal eine erhebliche, geradezu existenzbedrohende Arbeitsbehinderung dar. Der Journalist selbst bezeichnete den Vorgang als beruflich „tödlich“ für ihn.
Da deutsche Medien bisher nicht über diesen Fall berichtet haben, hatte ich mir anläßlich Ihrer Artikel zu Ilja Trojanow, dessen Erlebnisse meines Erachtens doch sehr ähnlicher Natur sind, erlaubt, in der Kommentarleiste auf seinen türkischen Kollegen und die fehlende deutsche Kenntnisnahme zu verweisen. Gestern morgen also habe ich zu dem auf FR veröffentlichten dpa-Bericht „USA lassen Schriftsteller Trojanow nicht einreisen“ folgenden – ich gebe zu, etwas verärgerten, aber, wie ich meine, doch keinesfalls Netiquette-widrigen - Kommentar getätigt:
Und natürlich in deutschen Medien wieder kein einziges Wort über den ganz ähnlich gelagerten Fall des Journalisten Fehim Tastekin, der letztes Wochenende 2 Tage lang am Flughafen von Sotschi festgehalten wurde plus eine fünfjährige Einreisesperre erhielt, siehe http://www.freitag.de/autoren/irma-kreiten/einreiseverbot-fuer-kritischen-journalisten oder http://sochi2014-nachgefragt.blogspot.com/2013/09/am-flughafen-von-sotschi-festgehalten.html. Deutsche Journalisten – schämt euch!!!“
Es erschien nach Absenden (da noch frühmorgens), der Hinweis, daß die Freigabe des Kommentars offen stände. Anschließend wollte ich den inhaltlich verwandten Bericht „USA: Schriftsteller Trojanow Einreise verweigert“ kommentieren und schrieb hierzu:
Ähnlich gelagerter Fall, zu dem sich die deutschen Journalisten-Kollegen ausschweigen: http://sochi2014-nachgefragt.blogspot.com/2013/09/am-flughafen-von-sotschi-festgehalten.html.
Leider bekam ich trotz mehrerer Versuche mit jeweils erneutem Einloggen jedes Mal beim Absenden die Rückmeldung, die Session sei abgelaufen. Ich konnte meinen Kommentar demzufolge nicht absenden. Zu diesem Zeitpunkt existierten zu diesem Artikel bereits zwei freigeschaltete Kommentare.
Als ich gestern Nachmittag die genannten beiden Berichte erneut aufrief, mußte ich feststellen, daß mein Kommentar zum ersten Artikel („USA lassen Schriftsteller Trojanow nicht einreisen“) nicht freigeschaltet worden war, und auch – hier allderdings erwartungsgemäß – daß meine Kommentarversuche zum zweiten Artikel ( „USA: Schriftsteller Trojanow Einreise verweigert“) nicht erfolgreich gewesen waren. Ein nach mir getätigter dritter Kommentar eines anderen Lesers war demgegenüber angekommen und veröffentlicht worden. Es kann sich also nicht um ein technisches Problem gehandelt haben, das alle Leser betroffen hätte. Ich versuchte das Versenden meines Kommentares daraufhin erneut und stieß wieder – mehrfach - auf das Problem einer angeblich abgelaufenen Session.
Daraufhin habe ich kontrollweise einen beliebigen anderen Artikel aufgerufen (http://www.fr-online.de/panorama/flughafen-duesseldorf-verdaechtiger-koffer-voller-back-zutaten,1472782,24500948.html) und hier ein belangloses „Interessant.“ als Kommentar hinzugefügt, dieser Kommentar erschien in Sekundenschnelle, ohne jegliche technische Schwierigkeiten. Das Problem der abgelaufenen Session scheint sich somit auf mich und diesen speziellen Artikel beschränkt zu haben.
Ich kann dies zusammen mit der Nichtfreigabe meines anderen Kommentars leider nicht anders deuten als einen zweifachen Zensurvorgang, mittels dessen ein sensibles aktuelles Thema aus der öffentlichen Debatte herausgefiltert wird. Für mich ist dies keineswegs eine ungewöhnliche Erfahrung, ich habe während meiner jahrelangen Beschäftigung mit diesem Thema immer wieder Ähnliches erlebt, zuletzt beim Spiegel wie auch bei der Jungen Welt. Letztere hat auf meinen offenen Brief hin Position bezogen, sich mit einer technischen Panne entschuldigt und meinen Leserbrief im Nachhinein freigeschaltet, auf das Antwortschreiben des Spiegels zu meiner Anfrage wie auch eine Rücknahme der dortigen Zensur warte ich leider nach wie vor.
Nun bin ich mir bewußt, daß Zeitungen und Online-Redakteure sich bei Leser-Kommentaren ein gewisses Hausrecht einräumen. In diesem speziellen Falle halte ich ein solches allerdings ganz und gar für deplaziert, da das Thema als solches in der öffentlichen Debatte bisher nicht präsent ist und eine Nichtfreigabe entsprechender Kommentare damit selbst eine Kenntnisnahme am Rande verhindert. Meines Erachtens müßte es doch zumindest im Sinne der Kollegialität selbstverständlich sein, über einen wie Journalisten wie Fehim Taştekin zu berichten und ihm eine minimale Aufmerksamkeit zukommen zu lassen. Das Schweigen deutscher Medien zu der tscherkessischen Problematik der Olympischen Winterspiele in Sotschi 2014 wie auch zu Arbeitsbehinderungen, Einschüchterungen und Drohungen gegenüber Aktivisten und Intellektuellen, die sich mit dieser Thematik beschäftigen, stellt - wiederum aus meiner persönlichen Sicht - eine Verlängerung des (post-)kolonialen Schweigens und der Praktiken des Verschweigens und Vertuschens des Völkermords an den Tscherkessen dar – auch wenn dies im Einzelfall nicht beabsichtigt sein mag sondern dem geringen Bekanntheitsgrad der Thematik geschuldet sein kann.
Ich möchte Sie hier darum um eine Stellungnahme zur fehlenden Berichterstattung zu den tscherkessischen Aspekten von Sotschi 2014 und Ihrem türkischen Kollegen Fehim Taştekin, wie auch zur Verhinderung meiner aktuellen Leserkommentare bitten. Ich werde Ihr Antwortschreiben dann zusammen mit der vorliegenden Anfrage auf meinem blog unter http://sochi2014-nachgefragt.blogspot.com/ einstellen.

Ich danke Ihnen im Voraus für Ihre Mühe,
Mit freundlichen Grüßen,
Irma Kreiten



P.S.: Um keine Zweifel an der Richtigkeit meiner Darstellung aufkommen zu lassen, habe ich den gestrigen Vorgang als Ganzes dokumentiert. Falls Sie eine Überprüfung meiner Aussagen wünschen, beziehen Sie sich bitte auf meinen blog, auf dem ich zusammen mit diesem Schreiben auch die von mir angefertigten Screenshots einstelle."


Screenshots:


Rückmeldung der Seite auf Absenden meines Kommentars hin:


2. Fehlgeschlagene Kommentarversuche zu USA: Schriftsteller Trojanow Einreise verweigert:

3. (Kontrolle Nachmittags) Fehlender Kommentar zu USA lassen Schriftsteller Trojanow nicht einreisen

Dagegen erschienene Kommentare zu USA: Schriftsteller Trojanow Einreise verweigert, von denen der 3. Kommentar nach meinen eigenen Versuchen erfolgte (ich arbeite von Istanbul aus, es ist somit eine Zeitverschiebung von einer Stunde zu beachten):


4. Weitere fehlgeschlagene Versuche zu USA: Schriftsteller Trojanow Einreise verweigert:



6. Erfolgreicher "Probe"-Kommentar zu Verdächtiger Koffer voller Back-Zutaten